De Signatura Rerum

(Text von Jacob Böhme 1622, deutsche Überarbeitung 2022)

1. Kapitel - Von der Geburt und Bezeichnung aller Wesen

Wie alles stumm und ohne Vernunft ist, was über Gott ohne Erkenntnis der Signatur geredet wird, und wie im menschlichen Gemüt die Signatur nach dem Wesen aller Wesen liegt.

1.1. Alles, was über Gott ohne die Erkenntnis der Signatur geredet, geschrieben oder gelehrt wird, das ist stumm und ohne (tiefgründigen bzw. wahren) Verstand, denn es kommt nur aus einem historischen Wahn oder von einem anderen Mund, daran der Geist ohne Erkenntnis stumm ist. Wenn ihm aber der Geist die Signatur eröffnet, dann versteht er des anderen Mund, und versteht auch, wie sich der Geist aus der Essenz durch das Prinzip im Hall mit der Stimme offenbart hat.

1.2. Denn wenn ich nur sehe, daß einer über Gott redet, lehrt, predigt und schreibt und es so auch höre und lese, dann habe ich es noch nicht genug verstanden. Wenn aber sein Hall und sein Geist aus seiner Signatur und Gestaltung in meine eigene Gestaltung eingeht und seine Gestaltung in meiner bezeichnet, dann kann ich ihn im wahren Grund verstehen, sei es geredet oder geschrieben, wenn er den Hammer hat, der meine Glocke anschlagen kann.

1.3. Daran erkennen wir, daß alle menschlichen Eigenschaften aus einer kommen, daß sie nur eine einige Wurzel und Mutter haben, sonst könnte ein Mensch den anderen nicht im Hall verstehen.

1.4. Denn mit dem Hall oder der Sprache zeichnet sich die Gestalt in die Gestaltung eines anderen hinein, ein gleicher Klang fängt und bewegt den anderen, und im Hall zeichnet der Geist seine eigene Gestaltung, welche er in der Essenz geschöpft und im Prinzip zur Form gebracht hat, so daß man im Wort verstehen kann, worin sich der Geist geschöpft hat, im Bösen oder Guten. Und mit derselben Bezeichnung geht er in eines anderen Menschen Gestaltung und weckt in einem anderen auch eine solche Form in der Signatur auf, so daß beider Gestaltungen in einer Form miteinander inqualieren (bzw. wechselwirken), und dann ist es ein Begriff, ein Wille und ein Geist, sowie auch ein Verstand.

1.5. Und zum anderen verstehen wir dann, daß die Signatur oder Gestaltung kein Geist ist, sondern der Behälter oder Kasten des Geistes, darin er liegt. Denn die Signatur steht in der Essenz und ist gleichsam eine Laute, die da stillsteht, und die ist ja stumm und unverstanden. Wenn man sie aber anschlägt, dann versteht man die Gestaltung, in welcher Form und Zubereitung sie steht und nach welcher Stimme sie gezogen (gespannt bzw. gestimmt) ist. So ist auch die Bezeichnung der Natur in ihrer Gestaltung ein stummes Wesen, wie ein zugerichtetes Lautenspiel, auf dem der Willen-Geist schlägt, und welche Saite er trifft, die erklingt nach ihrer Eigenschaft.

1.6. So liegt die Signatur nach dem Wesen aller Wesen im menschlichen Gemüt ganz künstlich zugerichtet, und dem Menschen fehlt nichts weiter, als der künstliche Meister, der sein Instrument anschlagen kann, und das ist der rechte Geist der hohen Macht der Ewigkeit. Wenn dieser im Menschen erweckt wird, so daß er im Zentrum des Gemüts rege wird, dann schlägt er das Instrument der menschlichen Gestaltung an, und dann geht die Gestaltung mit dem Hall im Wort vom Mund aus. Wie sein Instrument während der Zeit seiner Menschwerdung gezogen wurde, so lautet es dann, und so ist seine Erkenntnis. Das Innere offenbart sich im Hall des Wortes, denn das ist des Gemüts natürliche Erkenntnis seiner selbst.

1.7. Der Mensch hat zwar alle Gestaltungen aller drei Welten in sich liegen, denn er ist ein ganzheitliches Bild Gottes oder des Wesens aller Wesen, aber in seiner Menschwerdung wird die Ordnung in ihn gestellt. Denn hier sind drei Werkmeister in ihm, die seine Gestaltung zurichten, nämlich das dreifache Schöpfen (Fiat) nach den drei Welten, und diese sind im Ringen um die Gestaltung, und so wird hier die Gestaltung nach dem Ringen gebildet: Welcher Meister das Oberregiment behält und in der Essenz bekommt, nach dem wird das Instrument gezogen, und die anderen liegen verborgen und gehen mit ihrem Hall nach hinten (in den Hintergrund), wie sich solches klar beweist:

1.8. Sobald der Mensch in dieser Welt geboren ist, schlägt sein Geist sein Instrument an, und so sieht man am äußeren Hall und Wandel seine instehende Gestaltung im Guten oder Bösen. Denn wie sein Instrument lautet, so gehen auch die Sinne aus der Essenz des Gemüts, und so fährt der äußere Willen-Geist mit seinen Gebärden, wie man das an Menschen und Tieren sieht, wie ein so großer Unterschied der Gebärung (bzw. Gebärdung) sei, so daß sogar Bruder und Schwester nicht gleich handeln.

1.9. Ferner ist uns zu erkennen: Wenn auch ein Schöpfen solcherart das Oberregiment behält und die Gestaltung nach sich bildet, daß ihm doch gleichwohl die anderen zwei Einhalt tun, wenn nur ihr Instrument angeschlagen wird, wie man dann solches sieht, daß mancher Mensch und auch manches Tier, sei es auch sehr böse oder gut geneigt, doch von einem Gegenhall zum Bösen oder Guten bewegt wird und oft seine angeborene Gestaltung fallenläßt, wenn ihm der Gegenhall auf seiner verborgenen Laute oder Gestaltung schlägt. Wie man sieht, daß ein böser Mensch doch oft von einem guten zur Reue seiner Bosheit bewegt wird, wenn ihm der Fromme mit seinem liebreichen Geist sein verborgenes Instrument anschlägt. Desgleichen geschieht es auch mit dem Frommen, wenn ihm der Böse mit dem Geist seines Grimms sein verborgenes Instrument anschlägt, dann wird im Frommen auch die Zorn-Gestaltung erweckt. Und so wird eines gegen das andere gesetzt, so daß eines des anderen Arzt sein soll.

1.10. Denn wie die Gestaltung des Lebens ist, das heißt, wie die Lebensgestaltung in der Zeit des Schöpfens in der Menschwerdung gebildet wird, so ist auch sein natürlicher Geist. Denn er entsteht aus der Essenz aller drei Prinzipien, und einen solchen Willen führt er auch durch seine Eigenschaft.

1.11. Nun kann ihm aber der Wille gebrochen werden, denn wenn ein Stärkerer über ihn kommt und seine innere Gestaltung mit seinem Hall- und Willen-Geist aufweckt, dann verliert sein Oberregiment das Recht und die Gewalt, wie wir solches an der Sonnenkraft sehen, wie sie mit ihrer Macht eine bittere und saure Frucht in eine Süßigkeit und Lieblichkeit qualifiziert. Desgleichen auch, wie ein guter Mensch unter einer bösen Menge verdirbt, oder auch ein gutes Kraut auf einem bösen Acker seine wahre Tugend nicht genugsam zeigen kann. Denn es wird im guten Menschen das verborgene böse Instrument erweckt, wie auch im Kraut eine widerwärtige Essenz von der Erde, so daß oft das Gute in ein Böses und das Böse in ein Gutes verwandelt wird. Und wie es nun in der Macht der Qualität steht, so bezeichnet es sich im Äußeren in seiner äußerlichen Form und Gestaltung, wie auch der Mensch in seinen Reden, Willen und Sitten, auch mit der Form der Glieder, die er so zu dieser Gestaltung hat und gebrauchen muß. Seine innere Gestaltung zeichnet ihn auch in der Gestaltung des Angesichts, desgleichen auch Tiere, Kräuter und Bäume: Ein jedes Ding, wie es in sich ist, so ist es auch äußerlich bezeichnet.

1.12. Aber wenn es auch geschieht, daß sich oft ein Ding vom Bösen in das Gute und vom Guten in das Böse verwandelt, so hat es doch seinen äußerlichen Charakter, so daß man das Gute oder Böse, das heißt, die Verwandlung erkennt. Denn den Menschen erkennt man hierin an seiner täglichen Übung oder an seinem Wandel und seinen Worten, denn das Oberinstrument wird immer angeschlagen, welches am stärksten gezogen (bzw. gespannt) ist.

1.13. So auch ein Tier, wenn es bösartig ist, aber mit Gewalt gebändigt und zu einer anderen Eigenschaft gezogen (bzw. erzogen) wurde, dann läßt sich seine erste instehende Gestaltung nicht leicht erkennen, es sei denn, sie wird erregt, dann kommt sie vor allen anderen Gestaltungen hervor.

1.14. So ist es auch mit den Kräutern der Erde: Wenn ein Kraut vom bösen Acker in einen guten versetzt wird, dann bekommt es zugleich einen stärkeren Leib, auch lieblicheren Geruch und Kraft und zeigt die innere Essenz im Äußeren.

1.15. Und so ist kein Ding in der Natur, das geschaffen oder geboren wurde, das nicht seine innerliche Gestaltung auch äußerlich offenbart, denn das Innerliche arbeitet stets zur Offenbarung. Wie wir solches an der Kraft und Gestaltung dieser Welt erkennen, wie sich das einige Wesen mit der Ausgeburt in der Begierde in einem Gleichnis offenbart hat, und wie es sich in so vielen Formen und Gestaltungen offenbart, wie wir solches an den Sternen und Elementen sowie an den Kreaturen und auch Bäumen und Kräutern sehen und erkennen.

1.16. Darum ist in der Signatur der größte Verstand, darin sich der Mensch (als das Bild der größten Tugend) nicht nur selber erkennen lernt, sondern er kann darin auch das Wesen aller Wesen erkennen. Denn an der äußerlichen Gestaltung aller Kreaturen, an ihrem Trieb und ihrer Begierde, wie auch an ihrem ausgehenden Hall von Stimme und Sprache, erkennt man den verborgenen Geist, denn die Natur hat jedem Ding seine Sprache (nach seiner Essenz und Gestaltung) gegeben, denn aus der Essenz entsteht die Sprache oder der Hall, und das Schöpfen dieser Essenz formt die Qualität der Essenz im ausgehenden Hall oder der ausgehenden Kraft, den lebhaften Dingen im Hall und den essentiellen in Geruch, Kraft und Gestaltung. So hat ein jedes Ding seinen Mund zur Offenbarung.

1.17. Und das ist die Natursprache, daraus ein jedes Ding aus seiner Eigenschaft spricht und sich immer selber offenbart und darstellt, wozu es gut und nützlich sei. Denn ein jedes Ding offenbart seine Mutter, welche solcherart die Essenz und den Willen zur Gestaltung gibt.


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