Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

67. Kapitel - Josef im Gefängnis und die Traumdeutung

Wie Josef im Gefängnis des Pharao-Königs oberstem Schenken und Bäcker jedem seinen Traum erklärt, und was darunter zu verstehen sei. (1.Mose 40)

67.1. In diesem Kapitel stellt der Geist dar, wie der Geist Gottes durch des Menschen Geist sehe und des Menschen Geist in sein Sehen hineinführt, so daß er verborgene Dinge verstehen kann. Denn Träume zu erklären ist nichts anderes, als die Bildung zu sehen und zu verstehen, wie sich der Weltgeist (Spiritus Mundi) nach der Konstellation des Menschen in eine Bildung fasse, mit den Dingen, die im Leben des Menschen schon in der Wirkung stehen oder in der Konstellation durch große Verbindungen in eine Bildung gefaßt sind, davon die Wirkung noch nicht vorhanden und doch natürlich eingemodelt ist. So erkennt des Menschen Geist durch göttliche Macht am Vorbild, was für eine Wirkung es haben wird. Das kann auch durch fleißige Betrachtung der Astronomie in der Astrologie verstanden werden, darin die natürliche Wirkung vorgebildet erscheint, die dann natürlich durch diese Kräfte gewirkt und gebildet wird.

67.2. Weil aber Josef ein Jüngling war und sich solcher Kunst von außen nicht befleißigt hatte, so ist zu verstehen, daß ihn der Geist Gottes mit seinem Sehen in die Bilder der Träume eingeführt hat, und daß der Geist Gottes die Träume durch Josefs Geist gedeutet hat, wie auch bei Daniel geschehen ist. Denn Träume zu deuten ist nichts anderes, als ein magisches Bild des Gestirns in der Eigenschaft des Menschen zu verstehen.

67.3. Denn ein jeder Mensch trägt das Bild seiner Konstellation wie ein magisches Gestirn in sich. Und wenn dann die Zeit kommt, daß so ein magisches Bild vom oberen Gestirn angezündet wird, dann geht es in seine Wirkung, und dann beschaut sich der astralische Geist in den Elementen selbst, was er für eine Bildung hat.

67.4. Weil aber die Elemente unvernünftig sind und in ihrer Bildung nur einen tierischen Körper geben, so kann sich der astralische Geist nicht anders beschauen, als in der Form entsprechender irdischer Kreaturen. Es sei denn, daß sich der seelische Geist mit in die Wirkung des astralischen Geistes begebe, dann wird es in Menschenform und in wahrhaft natürlicher Gestalt vorgemodelt. Denn nur die Seele hat wahre menschliche Augen, während der astralische Geist nur einen tierhaften Schein hat und auf Art der Tiere sieht.

67.5. Weil aber auch ein großer Unterschied besteht zwischen einer falschen Seele, die sich täglich nur in Tiergestalt bildet und tierisch will, und einer göttlichen Seele, in welcher der Geist Gottes offenbar ist, so sind auch die magischen Einbildungen im astralischen Geist unterschiedlich. Denn wie ein Tier von Phantasie träumt, so auch ein Tiermensch, obwohl sich aber auch die Bildung der Konstellation gewißlich mit hineinmodelt, sei es im Bösen oder Guten, darin sich der astralische Geist selber quält, wenn er sich so beschaut, was natürlich für eine Wirkung in ihm steht. Weil er aber nur ein Tierwesen ist, so führt er in seiner Bildung mit seiner Begierde gewöhnlich das Modell in ein phantastisches Bild und macht sich aus Freude Leid und aus Leid Freude, denn die Seele tränkt sich in solchem Spiegel und Vorbild, davon dem Leib oft große Unruhe entsteht.

67.6. Wo aber eine wirklich wahre Vision im Menschen gesehen wird, das geschieht durch der Seele Einmodelung. Wenn sich diese durch ihre Imagination mit in die Bildung einbildet, dann steht das Bild in der wahrhaften menschlichen Vernunft, obwohl sich auch der astralische Geist immer noch in irdische Formen bildet, so daß selten eine ganz vollkommene Vision erscheint, wie das Werk an sich selbst sein soll. Auch verändert oft des Menschen Selbsteinbildung, was sich der Mensch bei Tage einbildet, die magische Form, so daß die Bildung nach seiner eigenen Einbildung entsteht.

67.7. Aber die wahrhaften Visionen sind diese: Wenn der Wille des Menschen in Gott ruht, dann ist Gott im Willen des Menschen offenbar, und dann sieht die Seele mit Gottes Augen aus ihrem innerlichsten Grund, darin sie im Wort Gottes steht. Dann geht das sprechende Wort mit der Seele in das magische Bild der Konstellation, und so kann sich der astralische Geist nicht in die Phantasie bilden, sondern muß in dem Bild in der Bildung stehen, wie die Konstellation ist. Dann sieht die Seele, was der Höchste vorgebildet hat und was geschehen soll. Und dann spricht das Wort Gottes als der Grund der Seele die Bildung in der Seele aus, so daß es die Seele versteht, wie es hier Josef und auch Daniel ausgesprochen und gedeutet haben. Und als von Josef die Bildung der Vision erklärt wurde, war sogleich der Geist Gottes mit in der Stimme des Erklärers und deutete in Josef die Vision. Denn so sind auch all die magischen Visionen der Propheten.

67.8. Denn nachdem Gott den Propheten einmal in lautbarer Stimme erschienen war und sie zu Propheten berufen hat, wie auch den Samuel, so ist er ihnen danach in magischen Visionen erschienen und hat ihnen auf ihre Fragen geantwortet.

67.9. Der wahrhaft prophetische Grund des magischen Sehens und Verstehens ist also: Ein jeder Prophet ist ein Ziel, darin eine Zeit eingeschlossen ist. Und so ist er der Mund dieses Reiches, das heißt, wenn dieses Reich die Verwirrung (Turba) in sich erweckt und geboren hat, dann ist er der Mund des innerlichen Grundes, der da die Eitelkeit in der Verwirrung ausspricht (bzw. erklärt), und auch die Gnade Gottes, die sich über das menschliche Elend erbarmt hat und dem Grimm der Verwirrung widersteht. Das heißt, er offenbart den erweckten Grimm Gottes und straft das Reich wegen ihrer Eitelkeit und Abgötterei und tröstet sie mit der hineingewandten Gnade wieder.

67.10. Denn sein Geist steht in der Bildung, wieder eingewandt in das ewigsprechende Wort Gottes, daraus das Leben ausgesprochen wurde und in eine Kreatur ging, als ein Werkzeug des Geistes Gottes, dadurch der Geist Gottes spricht und deutet. Denn der prophetische Geist könnte in eigener Macht die künftigen verborgenen Dinge nicht deuten, wenn nicht der Geist Gottes durch ihn sähe und das Wort Gottes durch sein Wort mit in die magische Bildung ginge, die der Prophet sieht.

67.11. Denn der Prophet weiß dasjenige, was er deutet, nicht zuvor in eigener Gewalt, sondern wenn sich das Wort mit in die Bildung hineinmodelt, dann sieht der prophetische Geist durch Gottes Sehen, wie das Wort Gottes mit der Bildung vorübergeht. Dann spricht das Wort durch den prophetischen Geist die Bildung aus, wie hier bei Josef geschah, als ihm des Königs Kämmerer ihre Träume erzählten. Und dann stellte das Wort die Bildung, wie es gehen sollte, in Josefs Verstand, und Josef erkannte, was ihre Visionen waren.

67.12. Aber zuvor wußte er es nicht. Erst im Aussprechen des Traumes modelte sich das Wort des Verstandes in Josefs Verstand, so daß er es wußte. Denn Josefs Geist stand in einer magischen Bildung wieder in das Wort hineingewandt, in gleicher Weise wie die neue Wiedergeburt in Christi Geist wieder hineingewandt steht. So ging es auch den anderen Propheten, durch die Gottes Wort aus dem innerlichen Grund durch ihren Mund die Wunder Gottes in der Natur im geformten und kreatürlichen Wort aussprach und deutete.

67.13. Bei dieser Darstellung von Josef, in welcher er göttliche Wissenschaft empfing und die verborgenen Dinge deuten konnte, sehen wir nun, wie der hineingewandte und in Gott gelassene Geist des Menschen, wenn er alles Eigene verläßt, wieder das göttliche Auge zum Sehen und Verstehen bekommt, damit er viel mehr zurückbekomme, als er verlassen hatte, so daß er nun viel reicher ist, als zuvor in der Ichheit. Denn im eigenen Willen hat und faßt er nur einen Teil, während er in der Gelassenheit in das Ganze kommt, nämlich in Alles, denn aus dem Wort Gottes ist Alles geworden.

67.14. Wenn er nun in dasselbe kommt, dann kommt er in den Grund, darin alles seit Ewigkeit gelegen ist, und aus einem Armen wird ein Reicher. Wie dann Josefs Geschichte zeigt, daß aus einem armen Gefangenen ein Fürst wurde, und dies eben nur durch das göttliche Wort, das sich in ihm offenbart hatte. Denn als sich das Wort wieder in seiner Gelassenheit aussprach, da sprach es Josef in ein königliches Regiment, durch welches das göttliche Wort in Ägypten regieren und diesem Königreich Vernunft geben wollte.

67.15. Weiter sehen wir in dieser Darstellung Josefs, wie den Kindern Gottes schließlich alles zum Besten dienen muß. Denn alles, was sie zu Unrecht erleiden müssen, das wird ihnen schließlich in reine Freude gewandelt. Denn in Trübsal lernen sie erkennen, was sie sind, wie sie so schwach und elend in der Eigenheit sind, wie ihnen der Tod und das Elend so nahe sind, und wie es um aller Menschen Trost und Hoffnung, indem man sich auf Menschen verlassen und sich mit Menschengunst trösten will, so ein ganz unbeständiges Wesen sei, und wie der Mensch seine Hoffnung zu Gott wenden müsse, wenn er gedenkt, durch Menschengunst aus der Trübsal erlöst zu werden, und dann müssen ihm schließlich doch der Menschen Gunst und Rat zu Hilfe kommen.

67.16. Denn wenn er Menschengunst und Rat pflegen will, dann soll er seine Hoffnung in Gott setzen, ob ihn Gott durch menschliche Mittel trösten und vom Elend erlösen wollte, und seine Hoffnung gar nicht in die Gunst der Menschen setzen, sondern auf Gott sehen, was er durch Mittel bewirken wolle. Und wenn es auch scheint, als hätte Gott ihn vergessen, wie bei Josef, der zwei Jahre im Gefängnis bleiben mußte, dann soll er dennoch denken: „Gott will mich hier haben. Denn will er mich durch Mittel an einem anderen Ort haben, dann wird er die Mittel dazu geben und es zu seiner Zeit wohl schicken.“ Wie hier zu sehen ist.

67.17. Das Verbrechen der königlichen Kämmerer, durch das sie zu Josef ins Gefängnis gesetzt wurden, war ein Mittel, dadurch Gott Josef vor den König bringen wollte. Aber es geschah nicht gleich. Während Josef hoffte, der Weinschenk des Königs würde ihm beim König gut in Worten sein und ihm seine Unschuld erklären, so vergaß ihn der Weinschenk und ließ Josef im Kerker sitzen, so daß Josef an menschlichen Mitteln ganz verzagen und zu Gott fliehen mußte. Und als er das tat und an aller Menschen Mittel verzagte und sich bloß auf Gott verließ, dann mußten eben diese Mittel, auf welche Josef gehofft hatte, auch wenn er durch langen Verzug daran verzagt war, wieder hervorbrechen und ihm zu Hilfe kommen.

67.18. Damit soll ein Kind Gottes in allem lernen, was er von Gott erbittet, daß es ihm durch Menschen zu Hilfe kommen möge, daß er seine Hoffnung nicht auf Menschen setzen soll, sondern auf Gott. Dann geschieht ihm schließlich dasjenige, was er von Gott erbeten hat und ihm durch Menschenmittel zu Hilfe kommen sollte. Denn wenn das Gemüt an Menschenmitteln verzagt und sich wieder in Gott versenkt, dann bricht Gottes Hilfe durch Menschenmittel hervor. So wird das Gemüt geübt, daß es lernt, Gott zu vertrauen.


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