Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

68. Kapitel - Die Träume des Pharaos und Josefs Ehrung

Von den Träumen des Königs Pharao, und wie Josef aus dem Gefängnis geholt, vor den König gestellt wurde und zu großen Ehren gekommen war. (1.Mose 41)

68.1. Moses spricht: »Und nach zwei Jahren hatte der Pharao einen Traum, wie er am Wasser stand und aus dem Wasser sieben schöne fette Kühe steigen sah, die gingen und im Gras weideten. Nach diesen sah er weitere sieben Kühe aus dem Wasser steigen, die häßlich und mager waren, und sie traten neben die Kühe am Ufer des Wassers. Und die mageren und häßlichen fraßen die sieben schönen fetten Kühe. Da erwachte der Pharao. Dann schlief er wieder ein, und ihm träumte abermals, und er sah, daß sieben Ähren aus einem Halm wuchsen, voll und dick. Danach sah er sieben dünne Ähren aufgehen, die vom Ostwind versengt wurden. Und die sieben dünnen und versengten Ähren verschlangen die sieben dicken und vollen Ähren. Da erwachte der Pharao und merkte, daß es ein Traum war. Und als es Morgen wurde, war sein Geist bekümmert, und er schickte aus und ließ rufen alle Wahrsager in Ägypten und alle Weisen und erzählte ihnen seine Träume. Aber da war keiner, der sie dem Pharao deuten konnte.«

68.2. Diese Träume wurden dem Pharao von Gott vorgestellt. Darum konnte sie kein naturkundiger Magier (Magus) deuten. Denn der natürliche Magier (Magus Naturalis) hat nur Gewalt in der Natur, nur in dem, was die Natur in ihrer Wirkung bildet. Er kann nicht in das eingreifen und darin beraten, was das Wort Gottes modelt und bildet. Aber der Prophet hat die Macht, darin zu deuten, denn er ist ein göttlicher Magier, wie hier Josef.

68.3. Bei den Ägyptern war die magische Kunst allgemein. Als sie aber in Mißbrauch und Zauberei gebracht wurde, wurde sie ausgerottet, während sie bei den Heiden bis zum Reich Christi verblieb, bis die göttliche Magie aufging. Damit ging die natürliche Magie bei den Christen unter. Welches im Anfang wohl gut war, daß sie unterging, denn damit verlosch der heidnische Glaube, und damit wurden die magischen Bilder der Natur, welche sie als Götter verehrten, aus den Herzen der Menschen gerissen.

68.4. Als aber der Christen Glaube allgemein wurde, kamen andere Magien auf, nämlich die Sekten in der Christenheit, die sich anstatt der heidnischen Götzenbilder als Götter einsetzten und größeren Betrug als die Heiden mit ihren magischen Bildern trieben.

68.5. Denn die Heiden sahen auf den Grund der Vermögenheit und Wirkung der Natur. Diese aber setzten sich über den Grund der Natur bloß in einen historischen Glauben, so daß man glauben sollte, was sie erdichteten.

68.6. Wie nun bis heute die Titelchristenheit voll solcher Magier ist, in denen kein natürliches Verständnis weder von Gott noch von der Natur mehr ist, sondern nur ein leeres Geschwätz von einem übernatürlichen magischen Grund, darin sie sich selber zu Abgöttern und Götzen eingesetzt haben, aber weder die göttliche noch die natürliche Magie verstehen, so daß die Welt durch sie stockblind geworden ist. Daraus entstanden der Zank und Streit im Glauben, so daß man viel vom Glauben spricht, das eine hin und das andere herzieht und einen Haufen Meinungen macht, welche allesamt ärger sind als die heidnischen Bilder, die doch in der Natur ihren Grund hatten. Aber ihre Bilder haben weder in der Natur noch im übernatürlichen göttlichen Glauben einen Grund, sondern sind stumme Götzen, und deren Diener sind Götzendiener (Baalsdiener).

68.7. Und wie es hoch not und gut war, daß bei den Christen die natürliche Magie (Magia Naturalis) fiel, als der Glaube von Christus offenbar wurde, so ist es jetzt viel mehr von Nöten, daß die natürliche Magie wieder offenbar werde, damit doch die selbergemachten Götzen der Titelchristenheit durch die Natur offenbar und erkannt werden, so daß man in der Natur das ausgesprochene und geformte Wort Gottes erkenne, sowie die neue Wiedergeburt und auch den Fall und die Verderbnis, damit der Streit und die gemachten übernatürlichen Götzen untergehen können. So daß man doch an der Natur lerne, die Heilige Schrift zu verstehen, weil man dem Geist Gottes in der göttlichen Magie des wahren Glaubens nicht vertrauen will, sondern den Grund nur auf den Turm zu Babel setzt, in die Zankerei und gemachten Götzenmeinungen, als in Menschensatzungen.

68.8. Ich sage nicht, daß man die heidnische Magie wieder suchen und prädizieren (bzw. lehren) und die heidnischen Götzen wieder annehmen soll, sondern daß es Not tut, daß man den Grund der Natur erforschen lerne, nämlich das geformte Wort Gottes nach Liebe und Zorn mit seinem Wiederaussprechen, damit man nicht so blind am Wesen aller Wesen sei.

68.9. Denn die Väter des ersten (ursprünglichen) Glaubens sind nicht so blind am Reich der Natur gewesen, sondern haben an der Natur erkannt, daß ein verborgener Gott da ist, der sich durch das Wort seines Aushauchens und Einformens mit der geschaffenen Welt sichtbar gemacht hat. So haben sie am Geschöpf Gottes Wort erkannt, welches jetzt viel mehr Not tut, damit die Meinungsgötzen ans Licht kommen und erkannt werden können, so daß man doch sehe, was der Glaube sei, wie er nicht nur Meinung und Wahn ist, sondern ein göttliches Wesen, das im sichtbaren Menschen den äußeren Augen verborgen ist, wie auch der unsichtbare Gott im sichtbaren Wesen dieser Welt verborgen ist.

68.10. Daß nun die natürlichen Magier die Träume des Pharaos nicht deuten konnten, hatte die Ursache, daß die Träume des Pharaos aus dem Zentrum (bzw. Grund) der Natur herrührten, welches die heidnischen Magier nicht verstanden, denn ihr magischer Grund im Verstand war nur in der Wirkung und Bildung des Gestirns und in den Elementen. Sie verstanden nicht den Grund der ewigen Natur, daraus die Natur dieser Welt ihren Ursprung hat und darin sie steht. Doch die Träume des Pharaos hatten ihren Ursprung aus der ewigen Natur und wurden durch das Wort Gottes in ein sichtbares Bild in die äußere Natur der Zeit und in die äußere Bildung der Menschen gestellt.

68.11. Denn die sieben fetten Kühe im Gras deuten im innerlichen Grund der ewigen Natur die sieben Eigenschaften im heiligen guten Wesen an, nämlich im Reich des Himmels, wo die göttliche Kraft wesentlich ist. Und die sieben mageren, häßlichen und dürren Kühe deuten im innerlichen Grund der ewigen Natur die sieben Eigenschaften im Grimm Gottes an, nämlich im Reich des Hungers und Durstes, wo die Natur ohne göttliches Wesen der guten Kraft Gottes ist. Und die sieben dicken, fetten und vollen Ähren sowie die sieben dürren und versengten Ähren deuten dasselbe an.

68.12. Daß aber dem Pharao dieser Traum zweifach erschien, das deutet in dieser Geschichte erstlich den Grund der ewigen Natur in ihren sieben Eigenschaften an, was Gott dadurch zeigen wollte, und zweitens deutet es wegen der anderen Erscheinung auf den menschlichen Grund, der in seinem Wesen aus den sieben Eigenschaften seinen kreatürlichen Ursprung hat. Mehr noch deutet es den zweifachen Menschen nach dem äußeren Leib und dem äußeren Geist an, und dann nach dem inneren seelischen Geist und dem inneren heiligen Wesen der göttlichen und wesentlichen Kraft. Und das steht in der Bildung eines heiligen göttlichen Menschen, der von göttlicher Kraft voll und schön ist, und der im wahren himmlischen Gras des Wesens der wesentlichen Weisheit Gottes geht und weidet.

68.13. Und zum andern zeigt es einen gottlosen Menschen, der an solchem göttlichen Wesen verdorrt, mager und häßlich ist, und ist doch auch von derselben Eigenschaft der Natur wie der göttliche Mensch. Aber er ist an seinem guten Wesen verdorben und verdorrt, und der Grimm der ewigen Natur in den sieben Eigenschaften hat ihm sein Wesen verzehrt, so daß er nur noch wie ein hungriger Feuergeist lebt.

68.14. So stellte der große Gott dem Pharao vor, was der Bildung der Ägypter damals bevorstand, denn er wollte sie heimsuchen. Erstlich zeigte er ihnen seine große Gnade, indem er ihnen mit Josef einen Propheten und weisen Fürsten gab, der sie regieren sollte. Dann zeigte er ihnen in dieser Vision an, daß in seiner Gnade im Reich der inneren und äußeren Natur in den sieben Eigenschaften nur Segen und Gutheit sei. Und wenn sie darin wandeln würden, dann würden sie wie die sieben fetten Kühe und Ähren sein.

68.15. Wenn aber nicht, dann würde sein Zorn über sie kommen und das Gute an Leib und Seele an ihnen verzehren und sie mager, dürre und häßlich machen, wie den Teufeln geschah, als aus den Engeln Teufel wurden, weil ihr Gutes, als die wesentliche göttliche Weisheit, an ihnen verblich und ihre sieben Eigenschaften der ewigen Natur so häßlich, mager und dürre wurden, wie die sieben dürren Kühe und die sieben versengten Ähren, in denen keine Kraft mehr war.

68.16. Und wie die sieben dürren Kühe und sieben dürren Ähren die guten fetten Kühe und Ähren verschlangen und doch nur viel magerer und häßlicher wurden als zuvor, so daß man ihnen nicht ansehen konnte, daß sie diese in sich gefressen hatten, damit deutet hier der große Gott auch an, daß der gottlose Mensch mit seinen sieben Eigenschaften der Natur, die im Zorn Gottes angezündet wurden, das gute und schöne Bild Gottes an sich verschlinge, indem er sich in eigene Begierde hineinführt, in welcher falschen Begierde die Natur leidvoll wird und in Unfrieden tritt, und doch danach nur häßlich, greulich und dürr wird, wie ein geiziger Hund. Denn wenn er auch viel frißt, dann verzehrt ihn doch seine geizige Natur in seinem Neid sein Fleisch, so daß er auch nicht hat, was er anderen Hunden mißgönnt.

68.17. So stellte dies der große Gott den Ägyptern mit sieben guten fetten Jahren und mit sieben dürren Jahren vor, welche die sieben verschlungen, so daß man die guten nicht mehr erkannte, darunter noch höchst gewaltige Dinge dargestellt wurden, wie im Folgenden erklärt werden soll.

68.18. Daß aber diese Vision den Pharao bekümmerte, obwohl er es nicht verstand und ihm solches auch seine Weisen nicht deuten konnten, das deutet an, daß es ihm Gott durch seine Kraft selbst in Josef deuten wollte, und daß die Zeit solcher Heimsuchung schon bevorstand. Darum wurde der Pharao in sich selber so erregt, daß er es gern gewußt hätte.

68.19. Daß es ihm aber die Weisen im Licht der Natur nicht deuten konnten, das deutet an, daß die Werke Gottes dem natürlichen Menschen ohne seine Gnade verborgen sind, so daß er nichts von Gottes Wegen weiß oder versteht, es sein denn, Gott offenbart sich durch ihn. Denn dies war eine Bewegung der ewigen Natur durch die äußere Natur, und darum konnten es die Naturweisen nicht verstehen.

68.20. »Als dies nun niemand dem König deuten konnte, dachte der Mundschenk des Königs an Josef, wie er ihm seinen Traum erklärt hatte, und sagte es dem Pharao.« Und so hat Gott durch diese Vision des Pharaos auch Josef gerufen, um dasjenige, was er vor zwei Jahren durch Menschenhilfe begehrt hatte, zu erfüllen und ihm zu gewähren.

68.21. »Da sandte der Pharao hin und ließ Josef rufen. Und sie entließen ihn eilends aus dem Gefängnis, und er ließ sich scheren, zog andere Kleider an und kam vor den Pharo. Da sprach der Pharao zu ihm: „Ich habe einen Traum geträumt und da ist niemand, der ihn deuten kann. Ich habe aber von dir sagen hören, wenn du einen Traum hörst, dann kannst du ihn deuten.“ Josef antwortete dem Pharao und sprach: „Das steht nicht bei mir. Doch Gott wird dem Pharao Gutes weissagen.“ Und Pharao erzählte ihm seine Träume.«

68.22. Diese Darstellung, daß Josef andere Kleider anzog und sich scheren ließ, als er vor den König treten sollte, deutet uns an, daß Gott dem Josef nun das Kleid seines Elends ausgezogen habe und ihm das Kleid der Weisheit anzog, so daß er ihn jetzt an einem anderen Orte als zuvor haben wollte, und daß er ihn mit dem Kleid der Weisheit vor den Pharao stellen und ihm zum Pfleger geben wollte. Denn der Geist Moses setzt diese Darstellung so trefflich genau und eigentlich, als hätte er große Lust, darin zu spielen.

68.23. Und wir sehen weiter, wie Josef zum König sagte, daß es nicht in seiner natürlichen Macht stünde, solche verborgenen Dinge zu wissen, sondern daß es ihm Gott allein zu wissen gebe, und daß er weder Kunst noch magische Bilder dazu bedürfe, sondern Gott würde dem Pharao durch ihn Gutes deuten.

68.24. Darum sollte ein Magier seinen Willen Gott ergeben, und seinen magischen Glauben, mit dem er die Bildung der Natur in ihren Gestaltungen erforschen will, in Gott fassen, so daß er das Wort Gottes ergreife und mit in die Bildung der Natur hineinführe. Dann ist er ein wahrhaft göttlicher Magier und kann den inneren Grund mit göttlicher Kraft bewältigen und die Natur in eine Bildung bringen. Wer darin anders handelt, ist ein falscher Magier, wie der Teufel und seine Huren solche sind.

68.25. Wir sollten niemals denken, daß ein Christ den Grund der Natur nicht angreifen dürfte, sondern nur ein Klotz und stummes Bild in der Wissenschaft der Geheimnisse der Natur sein müsse, wie Babel spricht: „Man dürfe es nicht erforschen und wissen, denn es wäre Sünde!“ Welche alle miteinander ebensoviel vom Grund der Sünde verstehen, wie der Topf vom Töpfer.

68.26. Wenn sie sagen sollen, wie es Sünde sei und wie man Gott erzürne, dann haben sie ja nichts zum Einwenden als ihre Bilder der Meinungen, die das Gewissen in solche Bilder einschließen, daß sich das Gewissen vor ihren eigenen Bildern fürchtet. Doch den Grund der Sünde durch die sieben Eigenschaften der Natur, wie ihre fetten Kühe mager und dürre gemacht werden, erkennt es nicht.

68.27. Oh ihr Bildermacher, wie droht euch der Zorn Gottes im inneren Grund eurer eigenen Natur mit den sieben dürren Kühen und Ähren! Josef ist aus dem Gefängnis und deutet dem Pharao Gottes Rat.

68.28. Die Zeit ist schon da, daß die Bildung Pharaos im Werk steht, und eure Bilder der falschen Magie werden durch Josefs Erklärung der Vision vor der ganzen Welt offenbar. Zerbrecht die Bilder und betet zu Gott, daß er euch das Verständnis der Vision des Pharaos gebe, dann könnt ihr der sieben guten Kühe und Ähren in euch teilhaftig werden.

68.29. Wenn nicht, dann müssen eure Bilder der falschen Magie alle zu solchen dürren Kühen und Ähren werden, wie sie es im inneren Grund größtenteils schon geworden sind und nun äußerlich am Fressen sind und immerfort die gute Zeit der Jahre in sich fressen. Denn sie haben Liebe, Glauben, Wahrheit, Gerechtigkeit, Demut und Gottesfurcht schon fast alle in sich gefressen und im Abgrund verschlungen, und jetzt fressen sie auch alle äußerliche Nahrung in sich. Sie haben das Silber in sich gefressen, so daß nichts, als nur das magere Kupfer noch da ist, und doch sind sie noch so hungrig, daß sie am Kupfer nagend liegen, wie ein Hund am harten Knochen, und wollen gern mehr davon fressen und haben doch nichts mehr daran.

68.30. Darum sind sie so hungrig, daß sie einander vor Hunger selber erwürgen und auffressen und ihr Land in die Hungersnot bringen. Aber hiermit werden sie dem Zorn Gottes in den sieben Eigenschaften der Natur leibeigen gemacht, ähnlich wie in der Hungerszeit durch Josef dem König Pharao ganz Ägyptenland zu eigen wurde.

68.31. Dieser Zorn Gottes will euch dann Samen geben, so daß ihr Bilder und Götzen säen müßt und diese wieder in euch fressen, wie ihr es schon lange Zeit getan habt. Und ihr müßt seine leibeigenen Knechte sein, wie Ägypten dem Pharao.

68.32. Das laß dir, oh Ägypten der Christenheit, durch Josefs Erklärung im Geist der Wunder der sechsten Zahl des Siegels gesagt sein. Es gilt dir, wache auf und werde sehend, denn die große Hungersnot in Leib und Seele ist gekommen, oder du mußt verschmachten.

68.33. Du stehst jetzt in keiner anderen Bildung vor Gott, als die sieben häßlichen, hungrigen, verdorrten und mageren Kühe und Ähren. Der Segen Gottes ist in Leib und Seele von dir gewichen, so daß du nur nach weltlichem Gut und vergänglicher Nahrung begehrst und dessen doch nicht satt wirst. Je mehr du hungern und an Knochen saugen wirst, je hungriger wirst du werden, bis du alle deine guten Kühe im Gewissen in Leib und Seele mit Land und Leuten in dich frißt und deine Gestalt so häßlich wird, daß dich die Fürsten der inneren und äußeren Himmel nicht mehr ansehen mögen und dich zur Verdammnis des Todes verurteilen helfen. Das sagt der Geist der Wunder in Josefs Deutung.

68.34. Schaue dich nur richtig an! Bist du nicht so häßlich und hungrig? Betrachte dich in allen Tugenden, du bist doch rasend blind vor großem Hunger! Denn was dich segnen sollte, das hast du in den Abgrund verschlungen, und die Heuchelei deiner Götzendiener an diese Stätte gesetzt. Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe, Glauben, Demut, Keuschheit und Gottesfurcht waren dein Segen, damit du wieder fett (bzw. völlig) würdest. Aber du hast alle diese Eigenschaften verschlungen und deine Götzen an ihre Stätte gesetzt und mit Christi Purpurmantel bedeckt. Nun sind in dir die (vier) bösartigen hungrigen Gestalten des Fressers aufgewacht.

68.35. Die erste Eigenschaft des Fressers, die mit Christi Mantel bedeckt wurde, ist der überhebliche Stolz als Begierde der eigenen Macht. Damit wollen wir unter dem demütigen Mantel Christi mächtig und schön sein, wie Luzifer unter seiner schwarzen Kappe, der noch immer meint, er sei der Mächtigste, obwohl er doch vor Gott nur ein Herr in der Phantasie ist.

68.36. Die zweite Eigenschaft deines Hungers, die mit Christi Mantel bedeckt wurde, ist der Geiz als ein Fresser, der sich selber frißt, der dem anderen seinen Schweiß und das Fleisch von den Knochen frißt und an sich zieht, und doch nichts hat, und immerdar wie ein Gift liegt und sich selber aussaugt. Dieser hat Wahrheit, Gerechtigkeit, Geduld, Liebe, Hoffnung, Glauben und Gottesfurcht alles in sich gefressen und ist doch nur wie ein bloßer Hunger. Er hat jetzt alles Silber vom Kupfer gefressen und sieht doch nur aus, als hätte er nichts gefressen, denn man sieht es ihm nicht an, und er ist hungriger als zuvor. Er hat die gute Zeit in sich gefressen, und frißt noch immer allen Vorrat, den Gott aus Gnade gibt, und wird doch alle Tage hungriger im Fressen. Und wenn er den Himmel fressen könnte, dann würde er auch die Hölle in sich fressen wollen, und bleibt doch nur ein Hunger.

68.37. Die dritte Eigenschaft deines Hungers, die mit Christi Mantel bedeckt wird, ist der Neid als ein Sohn des Geizes, und der überhebliche Stolz ist sein Großvater: Dieser sticht und wütet im Hunger, wie ein Gift im Fleisch, und er sticht in Worten und Werken und vergiftet alles, denn er leugnet und betrügt und ist niemals still. Je mehr der Geiz gierig wird, um zu fressen, desto größer wird dieser sein Sohn, der Neid. Er will alles allein besitzen und hat doch keine Stätte, weder im Himmel, noch in der Welt oder der Hölle, wo er Ruhe hätte. Er kann weder im Himmel noch in der Hölle bleiben, sondern steht nur im Hunger des Geizes, und ist das Leben des Geizes.

68.38. Die vierte Eigenschaft des Hungers, die unter Christi Mantel bedeckt wird, ist der Zorn, der des Neides Sohn ist, und der Geiz ist sein Großvater. Was der Neid nicht totstechen kann, das will der Zorn totschlagen. Er ist so böse, daß er seine eigenen Knochen zerschlägt und zerstört, denn ihn dürstet immerfort nach Morden, nur damit sein Vater und Großvater, als der Geiz, Neid und Stolz, genug Raum haben. Er zerbricht Leib und Seele in ihrer Art der Fettigkeit (bzw. Völligkeit) und verwüstet Land und Städte. Er ist so böse, und wenn er könnte, würde er Himmel und Hölle zerstören, und hat doch nirgends Ruhe.

68.39. Diese sind die vier Elemente des Hungers, welche die sieben fetten Kühe und Ähren des Pharaos in sich verschlingen und fressen, und bleiben doch wie zuvor. Und jetzt hat sie Josef im Traum des Pharaos gesehen und offenbart, so daß sie in der Welt offenbar wurden. Und sie wurden vor die Augen der Wächter gestellt, die im Rat des Urteils sitzen, was doch mit diesen dürren und häßlichen Kühen weiter zu tun sei. Denn Gott hat ihnen die sieben fetten Kühe seiner Gnadenoffenbarung gegeben, aber sie fressen alles in sich und werden nur hungriger, nämlich so sehr, daß die Hölle in ihren vier Elementen wohnt und das Reich der Teufel in ihrer Bildung steht.

68.40. Oh Ägypten der Christenheit! Du hoffst auf Gutes und begehrst doch nur Böses zu bewirken. Es kommt kein Gutes zu dir, es sei denn, du stirbst diesem Hunger ab, oder zerstörst dich selber in diesem Hunger. Woher soll dir Gutes von Josef gedeutet werden, wenn du nur um so mehr hungerst? Die Natur gebiert in dir nur ein solches, wie dein Hunger und deine Begierde sind. Du kannst auf nichts hoffen, es sei denn, du bekehrst dich und ziehst Josefs neuen Rock an. Dann wird dir der Herr seinen Geist geben, so daß du deine Bilder sehen und verstehen kannst, und diese wegtun und mit Josef vor Gottes Angesicht stehen, wie Josef vor dem Angesicht des Pharaos. Und du wirst die Wunder Gottes sehen und sie deuten können.

68.41. So wird dich dann der Herr mit Josef über das Reich seiner Geheimnisse setzen, so daß du den magischen Grund des Glaubens wahrhaft verstehen kannst und nicht mehr in Bildern der äußeren natürlichen Magie forschen mußt, wie du es lange Zeit getan hast. Sondern du wirst den inneren Grund sehen und mit Josef über Ägypten herrschen, das heißt, über die Geheimnisse, und wirst darin dem Herrn danken und aus seinem Brunnen schöpfen und das Wasser des (ganzheitlichen bzw. ewigen) Lebens trinken.

68.42. Denn das Wort, das du nun verstehen und lernen sollst, ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und Herzen: Du bist Gottes geformtes Wort, und du mußt dein eigenes Buch, das du selbst bist, lesen lernen. Dann wirst du alle Bilder los und siehst die Stätte, welche heißt: „Hier ist der Herr.“ Und dann wirst du dein Leben der Tugenden wieder bekommen und wieder fett (bzw. völlig) werden und den Mantel Christi wegtun und sagen: „Hier steht der Mann, der in Christi Fußstapfen wandeln und ihm in seinem Leben und Bild gleich ähnlich nachfolgen will.“

68.43. So ist diese ganze Historie mit den Träumen des Pharaos ein Bild, darin der Geist unter einer äußerlichen Geschichte den Grund des Menschen abbildet, wie ihn Gott so gut geschaffen und in seine Fettigkeit (bzw. Vollkommenheit) gesetzt hat, und wie er durch des Satans Neid und Gift so verdirbt und in ein so häßliches Bild gewandelt wird.

68.44. Aber mit Josef stellt nun der Geist die Bildung dar, wie ein Mensch durch die neue Geburt aus solchem Gefängnis wieder ausgrünen müsse, und wie er wieder vor Gott gestellt werde, und wie ihm Gott seinen Geist gibt und zum Regenten im Haus Gottes macht, und wie er im Glauben und guten Gewissen himmlische Früchte für die Zeit der Anfechtung sammeln soll, wenn die Hungersnot als Gottes Zorn die Seele prüft.

68.45. In welcher Prüfung dann diese Früchte zur Speise gehören, damit die Seele in der Buße besteht und ihr Perlenbäumlein mit seinen Ästen darin wächst, zunimmt und gute Früchte trägt.

68.46. Diese Früchte sind dann wie die Erklärung von Josef, wie er dem Pharao Gottes Rat andeutet und ihm lehrte. So bringt die neue Geburt solche gute Frucht und Lehre, die dem Mitmenschen Gottes Wege verkündigt und ihm mit Weisheit vorsteht, wie Josef dem Pharao. Und wir sehen solches im Rat Josefs, nachdem er den Traum des Pharaos gedeutet hatte, denn so sprach er zum Pharao: »Der König sehe sich nach einem klugen und weisen Mann um, der dem Pharao Kornhäuser baue, damit man Vorrat aufschütte, so daß man in der Hungersnot Notdurft habe.« Welches der Geist heimlich in der Bildung des Menschen darstellt, daß sich ein Mensch nach weisen gottesfürchtigen Menschen umsehen soll, die mit weiser Vernunft durch Lehren, Leben und Beten helfen, den göttlichen Schatz und Vorrat anzusammeln.

68.47. Damit dann Gottes Zorn aufgehalten werde, wenn die Zeit der Prüfung und des Hungers kommt, daß er nicht sogleich Leib und Seele sowie Land und Völker so mager mache und auffresse, sondern etwas im Vorrat sei, davon Gott sagte, er wollte dem Gottesfürchtigen bis in das tausendste Glied wohltun, denn dieser Vorrat soll bis in das tausendste Glied währen (5.Mose 7.9).

68.48. Und Moses spricht weiter: »Diese Rede Josefs gefiel dem Pharao und allen seinen Knechten wohl, und der Pharao sprach zu seinen Knechten: „Wie könnten wir einen solchen Mann finden, in dem der Geist Gottes ist?“ Und der Pharao sprach zu Josef: „Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist keiner so verständig und weise wie du. Du sollst über mein Haus sein, und deinem Wort soll all mein Volk gehorsam sein. Allein um den königlichen Thron will ich höher sein als du.“ Und weiter sprach der Pharao zu Josef: „Siehe, ich habe dich über ganz Ägyptenland gesetzt.“ Und er tat seinen Siegelring von seiner Hand und gab ihn Josef an seine Hand und kleidete ihn mit weißer Seide und hing ihm eine goldene Kette an seinen Hals und ließ ihn auf seinem zweiten Wagen fahren und vor ihm her ausrufen: „Dieser ist des Landes Vater!“ (bzw. „Beugt eure Knie!“) Und setzte ihn über ganz Ägyptenland. Und der Pharao sprach zu Josef: „Ich bin der Pharao, aber ohne deinen Willen soll niemand seine Hand oder seinen Fuß regen in ganz Ägyptenland. Und er nannte ihn den „geheimen Rat“ und gab ihm Asnath zur Frau, die Tochter Potiferas, des Priesters zu On.«

68.49. Dies ist nun die allerschönste Darstellung der ganzen Bibel, weil nirgends ihresgleichen von einem Menschen ist, denn sie steht in der Bildung eines bewährten Christen, der alle Prüfungen bestanden hat und den der Geist Christi mit sich durch sein Leiden, Tod, Hölle, Gefängnis und Elend hindurchgeführt hat. Nämlich wie ihn der einige Gott, als der große König, vor sich stellt und seine Weisheit, die er in Christi Prozeß empfangen hat, probiert, und wie er ihn mit Freuden annimmt und dies Zeugnis von ihm gibt: „Es ist niemand so weise wie du, der sein Leben so verborgen in Geduld durch Tod und Hölle zu Gott führen konnte, wie du.“

68.50. Und auch wie ihm Gott volle Gewalt über sein Reich gibt und ihn in seiner Liebe zu seinem Gehilfen macht. Denn wie Josef ein Rat des Königs wird und dem König hilft, sein Königreich zu regieren, so setzt ihn auch Gott in sein Reich ein und regiert durch ihn, und gibt ihm seinen Siegelring an seine Seele, nämlich die Menschheit und Gottheit in der Liebe Jesu Christi, und läßt ihn auf dem zweiten Wagen nach ihm fahren, das heißt: Wo Gottes Geist geht, dem geht ein solcher Mensch allezeit nach, und die Gewalt von Teufel, Tod und Hölle darf nicht mehr an ihm rühren, denn er bekommt so die Gewalt über Teufel, Tod und Hölle, und auch über sein sterbliches Fleisch und Blut, wie Josef über Ägyptenland.

68.51. Und wie Josef sogleich auszog und dem König Kornhäuser baute, um Vorrat aufzuschütten, so baut auch ein solcher Mensch, der nach seinem innerlichen Grund im Reich Gottes sitzt, Gott seinem Herrn viele solche Menschenhäuser, nämlich Menschenseelen, in die er mit guter Unterrichtung, Lehre and Leben den göttlichen Überfluß schüttet, den ihm Gott in Jesus Christus gibt, nämlich die göttliche Erkenntnis und Weisheit, so daß sich seine Lehre ausbreitet und groß wird wie Sand am Meer. So unzählig breitet sich sein Perlenbäumlein aus, daß viele hunderttausend Seelen davon essen, wie von Josefs Vorrat in der Hungersnot.

68.52. Und dann wird ihm die Tochter Potiferas, des Priesters zu On, als die wahre Christenheit zur Gemahlin gegeben, die er pflegen und lieben soll, und mit ihr diese zwei Söhne zeugen, um allezeit auf diesem Weg gewappnet zu sein und mit gereinigtem Herzen zu wandeln, wie Josef vor der Hungerszeit in Ägypten mit seiner Frau die Söhne Manasse und Ephraim zeugte und mit diesen Namen darstellte, wie ihn Gott im Haus seines Elends großwachsen ließ und viel gegeben habe.

68.53. So öffnet dann auch ein Kind Gottes seinen Schatzkasten, wenn die Hungersnot kommt und Gottes Zorn die Welt prüft, wie Josef seine Kornhäuser, und teilt mit seinen Mitzweigen aus seinem Schatzkasten, damit sie in solcher Hungersnot nicht verderben.


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