Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

62. Kapitel - Die Schändung von Jakobs Tochter Dina

Von Dina, Jakobs Tochter, die er mit Lea zeugte, und wie sie von Hemors Sohn geschändet wurde, und wie Jakobs Söhne Sichem und alle anderen Männer in dieser Stadt darum erwürgten und Dina wieder genommen haben, und was unter dieser Geschichte zu verstehen sei. (1.Mose 34)

Die Pforte der Christenkriege um die babylonische Hurerei, jetzt hoch zu betrachten

62.1. Moses spricht: »Dina aber, Leas Tochter, die sie Jakob geboren hatte, ging aus, um die Töchter des Landes zu sehen. Und als Sichem sie sah, der Sohn des Heviters Hemor, der des Landes Herr war, nahm er sie, beschlief sie und tat ihr Gewalt an. Aber sein Herz hing an ihr, und er hatte das Mädchen lieb und redete freundlich mit ihr. Und Sichem sprach zu seinem Vater Hemor: „Nimm mir das Mädchen zur Frau!“« Der Leser möge auf diese Darstellung achthaben und den Text von Moses recht bedenken und ihm in die Augen sehen, dann wird er unseren Sinn und hochteuren Begriff, der uns aus göttlicher Gnade eröffnet wurde, wohl verstehen und lernen, die Schriften des ersten Buchs Moses mit rechten Augen anzusehen.

62.2. Lea, Jakobs Frau, gebar ihm sechs Söhne, als den halben Stamm Israel, und von ihr kam auch Juda, als die Wurzel Davids, aus welcher Christus nach unserer Menschheit offenbar wurde. Danach gebar sie diese Dina, eine Tochter, mit deren Bild der Geist die Christenheit gewaltig darstellt, daß nach Christi Himmelfahrt, nach dem Werk menschlicher Erlösung, die rechte wahre (bzw. weltlich-wirkliche) Christenheit geboren werde. Gleichwie Jakob zuerst die zwölf Erzväter zeugte, aber danach würde aus Lea, das heißt, aus der Mutter der Christenheit, eine Tochter fleischlicher Eigenliebe geboren werden, welche Tochter ausspazieren würde, um die Töchter des Landes zu besehen, unter denen sie ein Fremdling sein sollte. Das bedeutet so viel wie:

62.3. Wenn die Christenheit geboren werden würde, daß ihre Zahl groß werde, dann würden sie in eigene Liebe gehen und des Fleisches Wollust suchen, und ihr Herz nach den Gewohnheiten und Sitten der Völker richten, und von der Niedrigkeit und Demut abgehen, denn sie wollen die Geilheit und den Stolz der Töchter des Landes besuchen, das heißt, der Völker. So würden sie dann diese Tochter Dina gebären und vor Gott in fleischlicher Wollust geistige Hurerei betreiben, und würden mit den Gewohnheiten der Heiden huren, aber sich selber schön und geschmückt darstellen, wie eine Jungfrau voller Brunst, welche ausgeht, um sich sehen zu lassen, damit sie Buhler bekomme, wie Dina es tat, welche auch so ausspazierte.

62.4. So würde sich auch die Christenheit in großer Pracht mit Kirchen und Schulen schmücken und glänzende, ansehnliche und scheinheilige Kleider antun, damit sie ein Ansehen vor den Töchtern des Landes hätte, nämlich vor den fremden Völkern. Aber sie würde unter solchem Verhalten voller Brunst der Eigenliebe und Fleischessucht sein und ein Hurenherz haben, wie auch eine Hure von außen glänzt, sich schmückt und durchaus eine züchtige Jungfrau genannt sein will. So würde auch diese geschmückte Christenheit heilig genannt sein wollen, aber ihr Herz würde nur mit der fleischlichen Wollust buhlen.

62.5. Sie würden wohl den Schmuck der Töchter des Landes besehen, welcher Schmuck nichts anderes ist, als die heidnische Weisheit und Philosophie, und sie würden diese in Christi Reich ziehen und unter Christi Purpurmantel in diesen Rechten und Gewohnheiten leben, sich damit schmücken und dabei ganz vergessen, daß ihre Hütten und Wohnungen außerhalb der Gewohnheits-Stadt dieser Völker sind, gleichwie Jakob außerhalb der Stadt von Hemor wohnte. Denn auch Christus sagte, sein Reich wäre nicht von dieser Welt. (Joh. 18.36)

62.6. Diese Christenheit aber würde ihr Herz in das Reich dieser Welt setzen, und so nur in einem jungfräulichen Schmuck mit vielen Kirchen, Priestern und Zeremonien unter jungfräulichem Ansehen glänzen. Aber mit solchem Ausgehen von der Einfalt und Demut Christi würden sie nur in der Welt spazieren und den fleischlichen Buhlen suchen, wie es Dina tat, welche ein Bild der fleischlichen Christenheit ist, welche allezeit nach den wahren Kindern Christi geboren wird, wie Dina nach den zwölf Erzvätern geboren wurde. Das heißt:

62.7. Wenn die Christenheit bei einem Volk offenbar und geboren wird, dann gebiert sie an solchem Ort zuerst die zwölf Erzväter, als den Grund der apostolischen Lehre. Wenn sie sich aber wieder mit den heidnischen Weisen und der Fleischeslust vermengen, dann gebiert solcher Ort eine Dina, als eine Hurerei mit Christus und einen Scheinchristen. Denn das Herz wird zur Hure, und dann geht diese Hure aus, um zu spazieren, und besucht die Sitten der Völker. Das heißt:

62.8. Sie sucht wieder im heidnischen Grund und vermischt sich mit den Heiden. So wird sie von der heidnischen Philosophie geschwängert und gebiert ein Hurenkind, das halb christlich und halb heidnisch ist, wie eine neue Sekte oder Lehre, die mit der ersten Gewohnheit dieser Völker, in der sie entsprossen sind, in der Form nicht mehr übereinstimmen, doch auch in ihrem Herzen nichts Besseres sind.

62.9. Und dann empören sich diese Völker gegen diese fremde Meinung und schreien im Zorn: „Dieser hat unsere Schwester Dina geschändet und zur Hure gemacht!“ Und sie erzürnen sich über die neuerfundene Meinung, wie die Söhne Jakobs über Sichem, und laufen mit Streit und Schwert sowie mit Sturm und Fluchen gegen den Schänder ihrer Schwester Dina, und ermorden ihn, und nicht nur ihn, sondern auch alle Mannschaft, die bei ihm wohnt, wie Jakobs Söhne den Hemorritern taten. Dann muß der Unschuldige mit dem Schuldigen leiden, um anzudeuten, daß sie doch alle miteinander nur in solcher göttlichen Hurerei leben. Denn die Hure, um welcher willen sie sich rächen, ist ihre eigene Schwester, und aus ihnen geboren, gleichwie Dina ihre Schwester war, und sie aus einer Mutter kamen.

62.10. Wir sehen hier gewaltig das Bild der streitenden Christenheit, wie die Christenheit ganz halsstarrig in Meinungen wüten werde, und dazu in großer Blindheit, ohne zu wissen, warum. Und sie würde sich nicht erkennen, daß sie so in ihrer eigenen Hurerei wütet und nicht um die Kraft der wahren Christenheit kämpft, als um das wahre christliche Leben, sondern nur um ihre gefaßten Meinungen, wie um ihre Schwester Dina, welche von ihnen ausspazierte und sich in fremde Meinung vergaffte. So beschimpfen sie die Meinung als eine Hure, aber erkennen nicht, wie sie dem Herzen ihrer Schwester, darin die Hurenlust steckt, helfen können. Wie auch Jakobs Söhne nicht dahin sahen, wie sie dem Übel abhelfen könnten, so daß ihre Schwester bei Ehren geblieben wäre. Auch wenn sich Hemor und Sichem anboten, denn sie wollten die Morgengabe geben und ihre Schwester ehelichen und lieben, und sich auch beschneiden lassen und ein Volk mit ihnen werden, und boten ihnen auch alle Liebe, Treue und Freundschaft an, so half das doch alles nichts.

62.11. Und obwohl sie ihnen auch zusagten, wenn sie sich beschneiden lassen würden und ein Volk mit ihnen werden, dann wollten sie ihnen ihre Schwester geben, so wurden sie doch rasend mit Morden und Töten, um anzudeuten, daß dies eine Darstellung der künftigen Christenheit sei, die aus diesem Stamm entstehen sollte. Wie wir dies nun vor Augen sehen, daß es so geht, und daß man nur um die ausgegangene Meinung streitet und einander darum ermordet und tötet, und doch nur eben um der Meinung und damit der falschen Hurerei willen, welche die Titelchristenheit angenommen hat. Denn darin glänzt sie eben auch nur in Scheinheiligkeit und Hurerei, und sie sehen nicht darauf, wie ihrer Schwester geholfen werden könnte, die in fremde Meinung geraten ist, sondern greifen zum Schwert und wollen die neue Meinung töten, und reißen ihre Schwester, die mit anderer Meinung geschwängert ist, mit ihrem Hurenkind mit Gewalt wieder aus Hemors Haus und töten Hemor und Sichem samt ihrer Mannschaft.

62.12. Und obwohl diese sich mit ihnen vereinigen wollten, als mit dem wahren christlichen Grund und mit den Hauptartikeln christlicher Lehre, so hilft es doch nichts, denn sie wollen doch gegen alle Treue und Zusage nur morden, um ihre Meinungen zu erhalten, welche sie in gute fette Bäuche und heidnische Menschentage gefaßt haben, wie solches jetzt mit dem Streit der Meinungen vor Augen steht.

62.13. Die Menschen der Eigenliebe haben ihr Christentum in ein fleischliches Reich geführt, mit Gesetzen, Zeremonien und Meinungen schön verziert und Christi Purpurmantel darüber gedeckt, aber leben darunter nur in geistiger Hurerei mit glänzendem Schein. Und ihr Herz gebiert stets diese wollüstige Dina, welche von der Einfalt und Demut Christi ausgeht und mit den Göttern der Fleischeslust buhlt, nämlich mit überheblichem Stolz und Geiz sowie eitler Eigenehre und wollüstigem Leben, ganz gegen den wahren christlichen Grund.

62.14. Weil aber Christi Geist noch allezeit in seiner Christenheit wohnt, so erweckt er oft Menschen, die dann den Beischlaf und die Hurerei der Titelchristenheit in ihrem sodomitischen Leben erkennen und sehen, und sich von ihnen abwenden und in der Heiligen Schrift sowie im Licht der Natur forschen, ob auch dieser, ihr fleischlicher Grund, vor Gott bestehe. Und wenn sie sehen, daß er falsch ist, dann fassen sie sich in anderen Grund und strafen die Hurerei der Titelchristenheit.

62.15. Doch wenn dies die Scheinheiligen in ihren wollüstigen Ohren hören und erkennen, daß sie dadurch geschändet werden und ihr Gott Mäusim (der „Ich-Festung“) offenbar wird, dann schreien sie: „Oh Ketzer dort! Dieser schändet unsere Schwester Dina, als unsere Meinung, und macht die Kirche zur Hure!“ Und obgleich ihnen jener anbietet, Rechenschaft über seinen Grund und seine Meinung zu geben, um sich mit dem wahren christlichen Grund zu verbinden und ihre Schwester Dina als den ersten, wahren und jungfräulichen christlichen Grund zu ehelichen, und er ein Herz und Willen im christlichen Grund mit ihnen sein wolle: Das alles hilft nichts, denn sie reißen ihre Schwester als den Christennamen von ihm und behalten lieber das befleckte Mädchen, deren Schande von der Wahrheit aufgedeckt wurde, mit ihrem Hurenkind bei sich, als daß sie danach sehen, wie ihrer geschändeten Schwester zu helfen sei, so daß sie in den Ehestand Christi komme.

62.16. Sie denken, wenn sie nur ihre Meinungen mit Gewalt wieder an sich reißen und erhalten können, auch wenn die Hurerei in der Meinung offensichtlich ist, so daß sie vergewaltigt und geschändet wurde, so wollen sie ihre Dina doch als eine Jungfrau geachtet haben. Und obwohl ihre Schande der Hurerei am Tageslicht liegt, wollen sie diese trotzdem mit Mord und Schwert erhalten, wie vor Augen steht und die heutigen Streitigkeiten nichts anderes beinhalten, als das offenbar geworden ist, daß Dina zur Hure wurde, nämlich die Titelchristenheit, die vor Gott nur Hurerei treibt und ihre jungfräuliche Zucht und Reinheit ihres Gewissens verloren hat. So streiten jetzt die Brüder dieser Dina um sie, wollen ihre Ehre mit Schwert und Mord erhalten, und alle ermorden, die ihre Dina schänden.

62.17. Diese Dina ist nun nichts anderes, als die steinernen Kirchen und großen Pallasthäuser ihrer Diener, in denen man den Namen Christi führt, aber damit nichts als eigene Ehre, Wollust und fette Tage sucht, wie man vor der Welt geehrt werden kann.

62.18. Denn der wahre apostolische Tempel ist der Tempel Jesu Christi, als der neue Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinheit vor Gott lebt und in Christi Demut und Einfalt wandelt, und dessen Diener sind diese, welche den Frieden in der Liebe Jesu Christi verkündigen und dahin arbeiten, daß die vergewaltigte Dina mit Sichem geehelicht werde, und daß Hemor und Sichem mit ihren Männern auch Christen werden, die das Schwert in der Scheide lassen und mit dem sanftmütigen Geist Jesu Christi lehren, und die anstatt des Mordschwertes den Geist der Reinigung zeigen, so daß die vergewaltigte Dina wieder zu christlichen Ehren kommen und ihrem Bräutigam vermählt werde.

62.19. Siehe, du Christenheit! Dies hat dir der Geist in der Bildung der zwölf Erzväter dargestellt und angedeutet, daß du solches tun würdest, aber nicht, daß du es tun sollst. Wie nun dieser Streit kommen mußte, auf daß die wahren Kinder Christi geübt und offenbar würden. Denn wenn kein Streit unter den Christen entstanden wäre, dann hätten sich alle gottlosen Menschen als Christen darstellen können. Aber der Streit macht sie offenbar, so daß dem Mundchristen sein falscher Grund unter die Augen gestellt und er von den wahren Kindern Christi unterschieden wird, welches auch ein Zeugnis im Jüngsten Gericht über ihn sein wird.

62.20. Denn das wahre Christentum eines Menschen steht im innerlichen Grund der Seele, im Grund des Menschen, nicht in dieser Welt Glanz und Wesen, sondern in der Kraft der Wohltätigkeit im Geist und Gewissen.

62.21. Der Streit, mit dem ein wahrer Christ streitet, ist allein der Geist der Gerechtigkeit, der die Falschheit im Fleisch und Blut von sich abwirft und alles gern erleidet und erduldet um Christi willen, der in ihm wohnt, damit er nicht sich selber lebe und gefalle und ein Wohlgefallen an sich selber habe und mit dem irdischen Luzifer glänzt, sondern daß er Gott, seinem Schöpfer, in Jesus Christus gefalle.

62.22. Er hat um nichts in dieser Welt zu streiten, denn es ist auch nichts sein eigen. Denn er ist in Christus nicht von dieser Welt, sondern wie die Schrift sagt: »Unser Wandel ist im Himmel.« Alles, wofür und womit er streitet, das streitet er um den irdischen, wollustigen und fleischlichen Luzifer im sterblichen Fleisch und Blut. Denn wie Christus sagte, sein Reich wäre nicht von dieser Welt, so ist auch eines Christen Reich, soweit er ein Christ ist, nicht von dieser Welt, sondern in Christus in Gott.

62.23. Darum geht aller Christen Streit nur um die Dina, als um die fleischliche Hurerei. Einem Christen gebührt nichts anderes, als nur im Geist und der Kraft gegen den Weg der Ungerechtigkeit und Falschheit zu streiten.

62.24. Der äußerliche Krieg, den die Christen führen, ist heidnisch und geschieht wegen des tierhaften sterblichen Menschen. Denn die Unsterblichkeit kann man nicht mit Schwert und Gewalt erhalten oder erlangen, sondern mit Gebet und Eingehen in die Gottesfurcht. Aber der irdische Luzifer streitet um den Bauch und um weltliche Ehre und Wollust, in denen kein Christ ist, sondern nur die geschändete Dina, so daß man um steinerne Häuser und zeitliche Güter streitet und damit an den Tag gibt, daß die geistige Jungfrauschaft im Geist Christi zu einer Hure geworden ist, die um das Reich dieser Welt buhlt.

62.25. Hört ihr alle, die ihr euch Apostel Christi nennt! Hat euch Christus zum Krieg und Streit gesandt, damit ihr um zeitliche Güter und äußerliche Macht und Herrlichkeit streiten sollt? Ist das eure Gewalt? (Joh. 20.23) Als er euch des Geistes Schwert gab, befahl er euch das? Hat er euch nicht gesandt, seinen Frieden zu verkündigen, den er uns brachte? Was wird er zu euch sagen, wenn er sieht, daß euer apostolisches Herz einen Harnisch angelegt hat, und daß ihre eure weltlichen Könige und Fürsten zum Schwert und Krieg gereizt habt, und ihnen das aus christlicher Freiheit vergönnt (bzw. erlaubt) habt? Wird er euch auch so in seinem Dienst finden? Tut ihr das als Christi Jünger?

62.26. Seid ihr nicht Apostel des Zorns Gottes geworden? Wo wollt ihr mit eurer Schande hin? Seht ihr nicht, daß ihr an Christus, der euch den Frieden lehrte, zu meineidigen Huren geworden seid? Wo ist eure christliche Jungfrauschaft? Habt ihr die nicht mit Dina in weltlicher Wollust verpraßt? Was wird Christus zu euch sagen, der auf Erden nichts hatte, wo er sein Haupt hinlegte, wenn er wiederkommen wird und eure Pracht und Herrlichkeit in solchen Pallasthäusern sieht, die ihr in seinem Namen aufgebaut habt und darum ihr auf Erden Kriege führt?

62.27. Wann habt ihr um den Tempel Jesu Christi gekämpft? Habt ihr nicht allezeit um eure Pallasthäuser und euer eigenes Gesetz gestritten, darin ihr die Meinungen gelebt und um die Meinungen disputiert habt? Was bedarf Christus derer? Christus bietet sich seinen Kindern lebendig und selbständig dar, denn er will in ihnen wohnen und ihnen sein Fleisch zur Speise und sein Blut zum Trank geben. Was bedarf er der Meinungen, so daß man um ihn streite, wo und wie er sei?

62.28. Wenn ich einen wahren Christen betrachte, dann verstehe ich darunter, daß Christus in ihm wohnt und ist. Was macht ihr also mit euren äußerlichen Gottesdiensten? Warum dient ihr ihm nicht in euren Herzen und Gewissen, wenn er doch in euch gegenwärtig ist, und nicht im Glänzen äußerlicher Dinge? Ihr habt das Schwert des Heiligen Geistes zum Recht, und mit dem sollt ihr streiten. So gebraucht für euch die wahre apostolische Kirchengewalt, und nicht das Schwert der Hände!

62.29. Der Bann sei euer Schwert: Jedoch nur, wenn er mit der Kraft des Heiligen Geistes im göttlichen (ganzheitlichen) Eifer gegen die Gottlosigkeit geführt werde, und nicht dahin gerichtet wird, um Menschentand zu beschützen, so daß man eure geistige Hurerei mit Meinungen eine züchtige Jungfrau nennen müsse, wie die babylonische Kirche diesen Bann lange Zeit nur für solche Gewalt gebraucht hat.

62.30. Denn alle äußerlichen Zeremonien ohne innerlichen Grund, das heißt, ohne Christi Geist und Mitwirkung, sind eine Hurerei vor Gott, weil sich der Mensch ohne den Mittler Christus Gott nahen will. Niemand anderes kann Christus dienen als ein Christ, so daß Christi Geist selbst im Dienst mitwirkt. Wie will aber jemand Christus dienen, der in einer Hand den Kelch Christi trägt und in der anderen das Schwert der eigenwilligen Rache? Christus soll bei den Christen durch seinen Geist die Sünde tilgen, und nicht des Vaters Feuerschwert im Gesetz der strengen Gerechtigkeit.

62.31. Oh ihr Kinder Levi und Simeon (das zweite und dritte Kind von Lea), der Geist Jakobs hat von euch am Lebensende gedeutet, daß »eure Schwerter mörderische Waffen sind und Christus nicht in eurem Rat sei.« Wie Jakob auch sagte: »Meine Seele (das heißt, der Bund und die Gnade Christi) sei nicht in euren Kirchen, noch in eurem Rat.« Lese es doch in 1.Mose 49.5, darin der Rat der Pharisäer und der Schriftgelehrten, die sich ohne göttlichen Ruf zu Hirten einsetzen, angedeutet wird.

62.32. Alle geistige Hurerei kommt daher, daß Christi Diener weltliche Gewalt besitzen. So heuchelt einer dem anderen, und der Geringere ohne Gewalt heuchelt dem Gewaltigen, damit er ihn auch erhebe und zu Ehren und fetten Tagen bringe. Damit fällt der (göttliche) Eifergeist, und die Wahrheit wird in Lügen verwandelt, und dem Eifergeist wird der Mund mit Gewalt gestopft und ein Mensch an Gottes statt geehrt.

62.33. Diese Historie, wie Simeon und Levi in die Stadt zu Hemor und seinen Kindern gegangen waren und in dieser Stadt alles erwürgt hatten, was männlich war, ist sehr wohl zu verstehen, daß es eine Darstellung sei, mit der der Geist eine künftige Zeit andeutet, und wurde entsprechend beschrieben.

62.34. Auch sagt die Historie, daß sich Hemor samt seinem Sohn Sichem und der ganzen Stadt und allem, was männlich war, beschneiden lassen habe und Juden geworden wären, und die beiden Brüder Simeon und Levi hätten sie erst danach ermordet, welches wahrlich eine schwere Darstellung für die Vernunft ist, weil der Verstand denkt: Ob es auch wirklich so geschehen sei, daß zwei Mann eine ganze Stadt ermordet hätten? Weil es aber eine Darstellung ist, und eben von Simeon und Levi geschehen war, als vom Stamm und der Wurzel des levitischen Priestertums, und auf die künftige Christenheit deutet, so ist folgendes darunter zu verstehen:

62.35. Diese beiden Brüder willigten zuvor darin ein, daß sie ihnen ihre Schwester geben wollten, wenn sie sich beschneiden lassen und ihre Gesetze annehmen würden. Und danach, als es so geschehen war, erwürgten sie alle, die Unschuldigen mit den Schuldigen. Dies ist eben das, was Christus zu den Pharisäern sagte: »Wehe euch Pharisäer, ihr durchzieht Land und Wasser, um einen Judengenossen zu machen. Und wenn er es geworden ist, dann macht ihr ein Kind der Hölle aus ihm, zweifach mehr als ihr es seid. (Matth. 23.15)«

62.36. Solches wäre auch von den christlichen Leviten zu sagen, daß sie die Völker bereden, damit sie sich taufen lassen und sich Christen nennen. Und wenn es geschehen ist, dann stoßen sie das Mordschwert in ihre Herzen, so daß sie lernen, andere Völker, die nicht ihres Namens und ihrer Meinung sind, mit Worten zu ermorden, sie zu verfluchen und zu verdammen. Und sie geben alle Ursache dafür, daß ein Bruder den anderen verfolgt, lästert, verdammt und ihm feind und gram wird, und er versteht doch nicht, warum. Das heißt recht: „Dieser Levit hat mir seine Schwester zur Frau verheißen, so daß ich ein Christ geworden bin, und nun ermordet er mich mit falscher Lehre. Und nicht allein mich, sondern all mein Geschlecht, die ihm nur zuhören und seine Lästerung als göttlich annehmen und ihm glauben, daß es recht sei, daß ein Mensch so alles andere richten und verdammen solle.“ Welches doch Christus ernstlich verboten hat, und sich der Mensch dadurch nur selber richtet, zumal er selber tut, was er an anderen richtet.

62.37. So wird das Mordschwert in viele unschuldige Herzen gestochen, so daß sie durch die Leviten unschuldig ermordet werden. Weil aber Simeon und Levi zusammengenommen werden, und sie auch Jakob (als er an seinem Lebensende von ihnen weissagte) zusammennimmt und mörderische Schwerter nennt, so hat es die Deutung, daß sie jene nicht nur mit dem Schwert des Mundes ermorden würden, sondern sich auch in weltlicher Gewalt bewegen würden, um sie im Namen der Wahrheit leiblich zu töten. Und sie würden es auch denen antun, die unter der Beschneidung und dem Evangelium sind, welche sie zuerst zur Beschneidung oder zur Taufe beredet hatten.

62.38. Wie es dann unter den Christen so ergangen ist, daß man sie zuerst zur Taufe überredet hat, und sie danach, wenn sie über eine Zeit ihre Greuel gesehen haben, schlimmer als die Heiden leben, aber ihnen nicht in allem Beifall geben wollen. Und so begann die Verfolgung mit Feuer und Mordschwertern, um sie mit ihren unschuldigen Kindern zu ermorden, und zwar an beidem, an Leib und Seele, welches diese Geschichte von Simeon und Levi gewaltig darstellt. Sonst wäre das eine grobe Mordtat von Kindern der Heiligen, daß sie Leute zu ihrem Glauben bereden wollen und ihnen Treue zusagen, und sie unter solchem Schein danach alle miteinander ermorden, den Unschuldigen mit den Schuldigen, obwohl sich jene doch so tief vor ihnen gedemütigt haben.

62.39. Darum soll man dem Alten Testament, besonders dem ersten Buch Moses, wohl in die Augen sehen, denn es hängt die Decke Moses davor und es ist überall etwas mehr unter dem Text angedeutet. Wiewohl wir den Text in seiner Geschichte auch stehenlassen wollen und daran gar nicht zweifeln, welches Gott bewußt ist, der es so aufzeichnen lassen hat.

62.40. Denn der Text sagt, daß sie in die Stadt eingefallen waren, und alle Mannschaft ermordet, alle ihre Kinder und Frauen gefangengenommen und alles geplündert hatten, was in ihren Häusern war. Und wenn es auch scheint, daß solches zwei Mann nicht hätten tun können, so bezeugt doch Jakob selber, daß ihrer nicht mehr gewesen waren, als er zu Simeon und Levi sprach: »Ihr habt mir Unglück zugerichtet, so daß ich stinke vor den Einwohnern dieses Landes.« Welches wohl recht in der Bildung steht, daß das Mordschwert der Leviten solche Unruhe in der Welt anrichtet, daß die Christenheit wegen ihren bösen Mordpraktiken bei den fremden Völkern stinkt, so daß diese sagen: „Wären sie wirklich Gottes Volk, dann wären sie ja nicht solche Tyrannen, Schänder und Spötter.“ Und sie feinden sie wiederum auch an und morden sie als ein unruhiges bösartiges Volk, daß in der Religion nur zankt und darum einander ermordet. „So kann ja keine Gewißheit bei ihnen sein, und ihr Gottesdienst muß falsch sein“, sagen sie. Darum sind auch die gewaltigen Morgenländer von ihnen gewichen und haben sich einer Lehre des Verstandes unterworfen, wie an den Türken zu sehen ist, dem man weiter nachsinnen sollte.


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