Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

60. Kapitel - Wie sich Jakob und Esau begegneten

Wie Esau mit 400 Mann ähnlich einem Kriegsheer Jakob entgegenzog, was dies andeute, auch wie Jakob seinem Bruder Esau das Geschenk entgegengeschickt hatte, und wie ein Mann die ganze Nacht mit Jakob gerungen habe, und was dies alles sei. Dem Leser hoch zu betrachten. (1.Mose 32)

60.1. Moses spricht: »Jakob aber schickte Boten vor sich her zu seinem Bruder Esau in das Land Seir, in der Gegend Edoms, und befahl ihnen und sprach: „So sagt meinem Herrn Esau: Dein Knecht Jakob läßt dir sagen, ich bin bisher bei Laban lange in der Fremde gewesen und habe Rinder, Esel und Schafe, Knechte und Mägde, und habe ausgesandt, es dir anzusagen, meinem Herrn, damit ich Gnade vor deinen Augen finde.“ Die Boten kamen zurück zu Jakob und sprachen: „Wir kamen zu deinem Bruder Esau, und er zieht dir auch mit 400 Mann entgegen.“ Da fürchtete sich Jakob sehr, und ihm wurde bange. Und er teilte das Volk, das bei ihm war, und die Schafe, Rinder und Kamele in zwei Heere und sprach: „Wenn Esau auf das eine Heer kommt und es schlägt, dann kann das andere entrinnen.“«

60.2. Dieses ganze Kapitel steht gewaltig in Christi Bildung. Denn als das Wort Mensch geworden war und nun von dieser Welt ausgehen und wieder seine ewige Stätte mit unserer Menschheit besitzen wollte, da begegnete ihm nun dieses Kriegsheer im Reich der Natur im Zorn Gottes.

60.3. Denn das Reich der Natur, als der natürliche Adam, war der erstgeborene Esau, der wegen des (verlorenen) Segens und dem himmlischen Erbe als das ewige Leben mit Jakob, das heißt, mit Christus zürnte, weil dieses Reich unter dem Regiment des göttlichen Zorns nun sterben und sein Recht verlieren sollte. Und dieser Zorn Gottes kam Christus entgegen, als er jetzt sein erworbenes Gut in sein ewiges Vaterland, als in Gottes Liebe, hineinführen wollte, wie Esau dem Jakob im Bild der Geschichte. Vor diesem Kriegsheer entsetzte sich auch Christus, nämlich vor Gottes Zorn, wie am Ölberg zu sehen war, wie Jakob vor dem Zorn Esaus.

60.4. Und wie Jakob seine Herde vor Esaus Grimm in zwei Teile teilte, so daß, wenn Esau das eine Heer schlüge, doch das andere entrinne, so war auch die Menschheit Christi in zwei Wesen geteilt, als in ein himmlisches, davon er sagte, er wäre vom Himmel gekommen und wäre im Himmel (Joh. 3.13), und dann in ein irdisches aus unserem Fleisch und Blut. Damit, wenn der Zorn Gottes den einen Teil, als unsere Menschheit, mit dem Tod schlüge, doch der himmlische Teil dem Zorn entrinne und durch den Tod hindurchdränge und unsere Menschheit darin lebendig mache. Denn die Boten, welche Jakob zu Esau schickte, sind nichts anderes als das Gebet Christi, welches er durch Gottes Zorn in seine Liebe, als in das Erbarmen schickte, damit unsere Menschheit bei Gott Gnade finden könne.

60.5. Denn gleichwie Jakob Esau sagen ließ, er wäre bisher bei Laban lange draußen in der Fremde gewesen und hätte Knechte und Mägde sowie Kamele und anderes Vieh bei sich, damit er doch mit diesen allen bei seinem Herrn Esau Gnade finden könne, so sagt auch Christus zu seinem Vater in unserer angenommenen Menschheit, als in Adam, er wäre lange draußen in der Fremde von Gottes Reich gewesen und hätte sich im Reich dieser Welt in Gottes Wunderwerken viele Bilder aus der göttlichen Weisheit durch Formung der Natur geboren, daß er doch mit dieser Formung der Wunder vor Gott Gnade finden könne. Denn diese Wunder wären durch die Natur seines geoffenbarten Zorns geboren worden, damit sie doch zur ewigen göttlichen Beschaulichkeit kommen könnten.

60.6. Aber der Zorn zog ihm in den vier Elementen entgegen und wollte damit die Irdischkeit und Bosheit verschlingen. Denn die 400 Mann Esaus deuten nichts anderes an, als den Grimm der Natur in den vier Elementen des Leibes (und deren Vielfalt), und dieser zog der Menschheit Christi entgegen: Als Christus das in Adam geschaffene Bild in unsere Menschheit in Gott einführen wollte, nämlich ins Paradies, da wollte der Grimm Gottes vorher das adamische Bild töten, damit es nicht mehr im Reich des Zorns lebe, weil es in Gott leben sollte.

60.7. Und wie sich Jakob vor Gott demütigte und sprach: »Oh Gott meiner Väter Abraham und Isaak, der du zu mir gesagt hast: „Zieh wieder in dein Vaterland und zu deiner Freundschaft, ich will dir wohltun.“ Ich bin doch zu gering für alle Barmherzigkeit und alle Treue, die du an deinem Knecht getan hast, denn ich hatte nicht mehr als diesen Stab, als ich hier über den Jordan ging, und nun sind aus mir zwei Heere geworden. Errette mich von der Hand meines Bruders, von der Hand Esaus, denn ich fürchte mich vor ihm, daß er nicht komme und schlage mich sowie die Mutter samt den Kindern.« So demütigte sich auch Christus in unserer angenommenen Menschheit vor Gott. Und wenn ihn auch Gott im Propheten David versprochen hat, in unserer angenommenen Menschheit zu seiner Rechten zu sitzen, bis er seine Feinde zum Schemel seiner Füße machte, trotzdem demütigte er sich, wie Jakob vor dem Zorn Esaus, und so auch Christus vor dem Zorn seines Vaters.

60.8. Und wie Jakob sprach »Als ich über den Jordan zog, da hatte ich nur diesen Stab, und jetzt bin ich zweier Heere reich.«, so ging es auch Christus: Als das ewige Wort göttlicher Liebe zu uns in unsere Menschheit kam, da war es nur der eine Stab göttlicher Gnade, aber in unserer Menschheit, im Diensthaus Adams, wurde er zweier Heere reich, als einer zweifachen Menschheit, nämlich der himmlischen, die in Adam verblichen war, und der irdischen aus dem Stoff der Erde. Darum sagte er in dieser zweifachen Menschheit, wie Jakob zu Gott sagte: »Oh Gott meiner Väter Abraham und Isaak, der du zu mir gesagt hast: „Zieh wieder in dein Vaterland und zu deiner Freundschaft, ich will dir wohltun.“ Ich bin doch zu gering für alle Barmherzigkeit und alle Treue, die du an deinem Knecht getan hast.« Um anzudeuten, daß es nur in göttlicher Barmherzigkeit geschehe, daß diese zwei Heere, als die zweifache Menschheit, wieder heim in ihr erstes (ursprüngliches) Vaterland des Paradieses zur englischen Freundschaft käme.

60.9. Und als sich Jakob vor Gott und seinem Bruder Esau gedemütigt hatte, »blieb er die Nacht da und nahm von dem, was er erworben hatte, ein Geschenk für seinen Bruder Esau, nämlich zweihundert Ziegen, zwanzig Böcke, zweihundert Schafe, zwanzig Widder und dreißig säugende Kamele mit ihren Füllen, vierzig Kühe, zehn junge Stiere und zwanzig Eselinnen mit zehn Füllen, und gab sie unter die Hand seiner Knechte, je eine Herde besonders, und sprach zu ihnen: „Geht vor mir her und laßt Raum zwischen einer Herde und der anderen.“ Und er gebot dem ersten und sprach: „Wenn dir mein Bruder Esau begegnet und dich fragt: Wem gehörst du an, wohin willst du und wem gehört es, was du vor dir hertreibst? Dann sollst du sagen: Es gehört deinem Knecht Jakob, der sendet es als ein Geschenk seinem Herrn Esau, und er selbst zieht hinter uns her.“«

60.10. Dieses Bild ist nun der große Ernst, weil der Geist Gottes damit auf das Zukünftige deutet. Denn dieses Geschenk Jakobs für seinem zornigen Bruder Esau deutet die Stätte Christi an, als er den Zorn seines Vaters versöhnen wollte. So mußte er ihm zuvor diese Tiere in unserer eingepflanzten Menschheit zur Versöhnung schicken, die dem Zorn Gottes geschenkt wurden.

60.11. Diese Tiere aber, welche Christus dem Zorn Gottes vor seinem Leiden und Tod vorausschickte, waren unsere eingepflanzten Tierwesen, als da sind Stolz, Geiz, Neid, Bosheit und Lügen, so daß ein Mensch den anderen verleumdet, mit Worten schändlich hinrichtet, niederdrückt und als falsch und gottlos beschimpft, und in Summe sind es alle Laster des Teufels und der bösen Welt.

60.12. Diese bösen Tierwesen sind in Adam in der Sünde alle aufgewacht und lebendig geworden. Und diese Lebensgestaltungen, darin Adam seine bösartigen Tierwesen geboren hatte, als sich die ausgeglichene Harmonie der Natur zertrennte, nahm Christus in unserer Menschheit alle auf sich, wie ihrer dann in diese Darstellung bei Jakob wohl 580 angedeutet werden, und schickte sie dem Zorn Gottes zu einer Versöhnung, als er gar nahe die Menschheit von diesen Tierwesen erlösen wollte.

60.13. Und diese Tiere waren bei Christus seine Verachtung, Verspottung, Anspuckung und alles, was ihm die Pfaffen der Juden antaten. Das alles waren unsere Tiere, die Christus dem Zorn Gottes an seinem Leib wie ein Selbstschuldiger übergab. Obwohl er doch von diesen Tierwesen keines in seinem Willen geboren hatte, sondern Adam hatte sie geboren, aber er nahm sie auf sich wie ein Lamm und schenkte sie dem Zorn Gottes an seinem Leib und Leben, und tat wie ein Selbstschuldiger, damit sie der Zorn Gottes an seinem Leib und Leben verschlang, als sein angeborenes Erbgut, das er am Menschen zum Natur-Recht hatte, damit Gottes Zorn das Seine bekäme und sein Grimm und Hunger nach dem Verschlingen dieser Eitelkeit gestillt würde.

60.14. Und der Geist Moses redet weiter in der Darstellung Christi und spricht: »So ging das Geschenk Jakobs vor ihm her, er aber blieb diese Nacht beim Heer, und stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Kinder und zog an die Furt Jabbok. Er nahm sie und führte sie über das Wasser, so daß hinüberkam, was er hatte, und blieb allein.« Diese Darstellung von Christus versteht so:

60.15. Als Christus dieses Geschenk dem Zorn Gottes vorausgeschickt hatte, blieb er bei seinem Heer, als bei seinen Jüngern, und stand in der Nacht der großen Finsternis in unserem Gefängnis des Elends auf und nahm seine beiden Frauen, als den zweifachen Geist des Menschen, als die Seele und den Weltgeist (Spiritus Mundi), die innerlich ewige Seele und die äußerliche Seele, samt den beiden Mägden, als der zweifachen Menschheit des Leibes, und die elf Kinder, welche die elf Apostel sind, und zog zur Furt Jabbok, das heißt, er ging über den Bach Kidron in finsterer Nacht über das Wasser, wie hier Jakob, mit allem, was er war und von uns Menschen angenommen hatte.

60.16. Denn der wahre und richtige zwölfte Apostel Christi war an Judas Stelle noch nicht erwählt, wie auch hier bei Jakob der zwölfte Sohn (Benjamin) noch ungeboren im Mutterleib (von Rahel) lag. Und wie Jakob mit elf Söhnen über das Wasser in der großen Nacht der Finsternis ging, so ging Christus mit seinen elf Jüngern in dieser Jakobsnacht über den Bach Kidron im Garten und rang mit dem Zorn Gottes, daß er blutigen Schweiß schwitzte, bis er überwand (Joh. 18.1).

60.17. Und wie mit Jakob in dieser Nacht ein Mann rang, bis die Morgenröte anbrach, so rang auch der Geist Gottes in Form seiner Liebe in unserer angenommenen Menschheit mit Gottes Zorn in unserer Menschheit, bis die Liebe der Gnade durch den Zorn brach und der Morgenstern göttlicher Liebe in der Seele aufging und den Zorn überwand, wie der Text im Buch Moses hier verborgen und doch ganz klar in dieser Geschichte andeutet, indem er spricht:

60.18. »Als Jakob in dieser Nacht mit seinen elf Kindern und beiden Frauen samt den Mägden und allem Heer gegangen war und danach allein blieb, da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, daß er Jakob nicht überwinden konnte, rührte er das Gelenk seiner Hüfte an, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm ausgerenkt, und er sprach: „Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an.“ Aber Jakob antwortete: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Er sprach: „Wie heißt du?“ Er antwortete: „Jakob“ Er sprach: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und Mensch gekämpft und bist siegreich.“«

60.19. Dieser Text steht ganz in Christi Bildung, denn dieser Mann, der hier mit Jakob die ganze Nacht rang, war niemand anderes als Gottes Gerechtigkeit und Wahrheit, in welcher Gerechtigkeit in Adam und allen Menschen das strenge Gericht Gottes aufgewacht war. Und das deutet auch den Mann an, der dem Volk Israel auf dem Berg Sinai im Feuer und Schrecken das Gesetz gab, als er sich in seiner Gerechtigkeit im Vorbild des Gerichts sehen ließ und dem Menschen das Gesetz der Gerechtigkeit bei Strafe des ewigen Fluchs zu halten befahl, darin er vom Menschen das (göttliche bzw. ganzheitliche) Können und Vermögen forderte, nämlich das Bild Gottes, das er in Adam geschaffen hatte.

60.20. Weil aber der Mensch in der Prüfung nicht beständig war, so hatte ihm Gott den Grund, als den Quellbrunnen seiner allerinnerlichsten verborgenen Liebe, mit der Verheißung vom Schlangentreter eingesprochen, als den heiligen Namen Jesus. Dieser Name Jesu stand nun als ein Gnadenbund in Gottes strenger Gerechtigkeit im allerinnerlichsten Grund der menschlichen Seele verborgen und eröffnete sich bei den heiligen Vätern Abraham, Isaak und Jakob in ihrem Glaubens-Wesen.

60.21. Weil nun aber Jakob mit seinem Bruder Esau in der Bildung stand, nämlich Jakob im Bild Christi und Esau im Bild von Gottes Gerechtigkeit im Zorn nach dem Reich der Natur, so wurde jetzt in dieser Nacht, als Jakob in großen Ängsten war, diese Bildung im Geist Jakobs offenbar. So erkannte er, wie Gottes Liebe im Gnadenbund des einverleibten Namen Jesu mit der Gerechtigkeit des göttlichen Vaters im Zorn des Gerichts gerungen hat, und zwar in der großen Nacht der Finsternis von Gottes Zorn, darin die arme Seele gefangenlag und sich so hart mit Gottes Gerechtigkeit gefaßt und dahinein ergeben hatte und den Zorn mit der Gerechtigkeit nicht von sich lassen wollte, er gebe sich denn in die Liebe der Gnade hinein, so daß die Liebe durch den Zorn durchbrechen könne, wie der Schein des Lichtes aus dem Feuer, oder wie die Morgenröte aus der finsteren Nacht anbricht und die finstere Nacht in hellen Tag verwandelt.

60.22. Denn der Gnadenbund der Liebe und die Seele standen jetzt in einer Person, und so mußte nun die Seele Jakobs in Christi Bildung und Vorbild mit Gottes Gerechtigkeit um das himmlische Sein ringen, als um die wesentliche Weisheit, die der Name Jesus der armen Seele in ihre ebenfalls himmlische Wesenheit mitbrachte, welche in Adam verblich, und darin nun Adams verblichene Wesenheit in dieser lebendigen wieder ausgrünte, wie eine neue Geburt.

60.23. Darum sagte der Geist Gottes zu Jakob: »Du hast mit Gott und Mensch gerungen und bist siegreich.« Nämlich mit Gottes Liebe im Bund, und mit der künftigen himmlischen Wesenheit, die im Samen Marias Mensch wurde. Denn Christus, in dessen Bildung Jakob stand, sollte so in unserer angenommenen Menschheit mit Gottes Gerechtigkeit ringen und siegen.

60.24. Und der Geist in Moses sagt hier: »Und als er sah, daß er ihn nicht überwinden konnte (das heißt, Gottes Gerechtigkeit im Zorn des Gerichts überwand nicht die Gnade), rührte er das Gelenk seiner Hüfte an, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm ausgerenkt.«

60.25. Dies deutet nun das Ausrenken und Zerbrechen der adamischen Menschheit an, daß, wenn Christus diesen Sieg bestehen könne, dann würde die menschliche Eigenmacht und der Eigenwille ausgerenkt, gebrochen und getötet werden. Aber gleichwie Jakob von diesem Ringen nicht starb, auch wenn ihm das Gelenk ausgerenkt wurde, so sollte auch unsere Menschheit nicht ewig sterben, sondern nur verrenkt, das heißt, verwandelt werden.

60.26. Dies deutet vor allem an, wie der bußfertige Mensch in diesen Jakobskampf treten müsse und so mit Gott und Mensch im Geist Christi in Gottes Gerechtigkeit und seinem Zorn ringen muß. Und wenn er darin siegt, dann wird ihm sein Gelenk des fleischlichen und eigenen Willens ausgerenkt, so daß er in dieser Welt wie ein halb Lahmer dahingehen muß, der nicht allzugut auf den Wegen der Welt wandeln könne, sondern er geht nur wie ein Hinkender, dem die Glieder halb gebrochen sind, damit die Üppigkeit der Welt ausgetrieben wird. Denn der Geist im Sieg Christi berührt ihm sein Gelenk, so daß er im überheblichen Stolz und der Bosheit in dieser Welt halb lahm wird und derselben nicht mehr großachtet, sondern wie ein verachteter lahmer Mensch dahingeht, den die stolze Welt in ihren gesunden Sprüngen wenig achtet, sondern ihn nur für einen lahmen Menschen hält, der die Possen und Leichtfertigkeit der Welt nicht nachmachen kann. Aber er hat mit Gott und Mensch gerungen und wurde so von diesem Sieg berührt und gezeichnet.

60.27. Dies versteht der Welt Stolz und Üppigkeit nicht, denn sie geht noch in Gottes strenger Gerechtigkeit im Reich der Natur in der Feuersmacht im eigenen Willen dahin und läßt sich wohl sein, bis das Gericht ihre Stätte besitzt. Dann muß die arme Seele im ewigen Gericht stehen und in Leidhaftigkeit leben.

60.28. Und als Jakob im Ringen stand und ihm sein Gelenk ausgerenkt wurde, so daß er hinkte, sprach der Mann zu ihm: »Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.«

60.29. Dies ist erstlich die Bildung Christi, als er sich in Gottes Gerechtigkeit in den Zorn des Vaters begab, so daß ihn der Zorn nach unserer Menschheit tötete. Da sprach die Gerechtigkeit: „Nun laß mich gehen, denn jetzt ist die ewige Morgenröte in mir angebrochen.“ Aber Christus hatte die Gerechtigkeit gefaßt und sprach: „Ich lasse dich nicht, du segnest denn die Menschheit wieder, damit das Gericht aufhöre.“ Das heißt: „Du führst dann die Morgenröte deiner innerlichen Kraft durch die Menschheit herauf, damit der Fluch aufhöre und der Mensch wieder ganzheitlich in göttlicher Wirkung im Segen stehe.“

60.30. Zum anderen ist es ein schönes Bild, wie es mit dem bußfertigen Menschen zugehe, wenn er sich durch ernste Buße in diesem Kampf Christi, als in Christi Leiden und Tod, in seine Überwindung hineinergibt und im Geist Christi mit Gottes strenger Gerechtigkeit ringt, die ihn immerfort im Gewissen ermahnt.

60.31. Wenn Gottes Gerechtigkeit im Gewissen spricht: „Laß mich, denn du bist in Sünden tot und hast keinen Anteil an göttlicher Gnade, denn du hast vorsätzlich und mutwillig gesündigt.“ Und bezüglich der Gnade hinzufügt: „Jetzt bist du mein, es hilft dir kein Bitten. Ich lasse dich in deinem Gewissen nicht zur Gnade. Du wirst keinen Trost mehr von Gott erlangen und die Morgenröte wird dir im Gewissen nicht mehr aufgehen, denn du bist ein Kind des Todes. Laß nur ab und laß mich, daß ich dich hinunter in die Kammer des Todes einschließe.“

60.32. Wenn dies geschieht, dann versenkt sich die arme Seele ganz in Christi Tod hinein und ergibt sich der strengen Gerechtigkeit Gottes im Gericht, denn das Gericht erfaßt sie. Sie aber ergreift die einverleibte Gnade im Tod Christi und versenkt sich damit in den allerinnersten Grund des Gerichts Gottes, in welchem Grund Gottes Liebe durch die Gerechtigkeit und durch das Gericht hindurchgebrochen ist, wie durch die ewige Nacht, und diese Nacht im Menschen zum Tag gemacht hat.

60.33. In diesen Tag, als in den Abgrund jenseits aller Menschen Vermögen oder Können, versinkt sie als ein nichts mehr könnendes oder wollendes Kind, das aller Gnade viel zu unwürdig sei und sich doch dem Gericht ergeben muß. Denn mit diesem Hineinversenken übergibt die Seele all ihr Können, Wollen und Vermögen, und sie wird in sich selber wie natur- und kreaturlos und fällt wieder in das Wort hinein, in dem sie vor ihrer kreatürlichen Art im ewigen Sprechen stand.

60.34. Denn Gottes Gerechtigkeit und Gericht hat keinen tieferen Grund als nur im kreatürlichen Leben. Wenn sich aber der Wille der Seele aus der Kreatur herausbegibt und im Ungrund versinkt, dann ist sie wieder wie ein neues Kind, denn der Ungrund im ewigsprechenden Wort, daraus sich die höchste Liebe und Gnade Gottes offenbart hat, ergreift sie und dringt in sie ein, wie die Sonne in das Sein eines Krautes, davon das Kraut halb sonnig wird. So wird die Seele in diesem Hineinversinken in ihrem Willen halb göttlich, und dann ringt sie mit Gottes strenger Gerechtigkeit im Fleisch und Blut und will den Zorn Gottes besiegen.

60.35. So spricht dann Gottes Gerechtigkeit im Gewissen: „Laß mich doch!“ Das heißt: „Laß doch von mir ab und töte mich nicht. Denn du siehst doch wohl, daß die göttliche Morgenröte in mir aufgeht. Höre nur mit dem Stürmen gegen das Gericht Gottes auf!“ Und in den wahren Kämpfern spricht dann die Seele zu Gottes Gerechtigkeit: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Das heißt: „Du gibst mir denn die verheißene Gnade aus dem Tod Christi in seiner Überwindung, so daß ich meinen Heiland Christus anziehe, damit er mein und ich sein sei!“ Dann spricht Gottes Gerechtigkeit, wie zu Jakob: „Wie heißt du?“ Und dann nennt sich die arme Seele nach ihrem kreatürlichen eigenen Namen, wie Jakob tat, als er sich hier „Jakob“ nannte. Aber gleichwie der Herr zu ihm sprach „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel!“, das heißt, ein „Baum des Lebens“, so sagt auch Gott zur Seele: „Du sollst nicht mehr einen eigenen Namen in mir haben, sondern du solls ein Christ in Christus heißen, wie ein Ast im Baum Israels oder eine Rebe am Weinstock Christi, denn du hast mit Gott und Mensch gekämpft und bist siegreich. Du hast Gottes Gerechtigkeit im Grimm des Zorns in deinem Kampf im Geist Christi überwunden, und bist nun ein essentieller Christ und kein Titel- und Mundchrist mehr, von dem die Gnade noch fern ist.“

60.36. Und Moses spricht weiter: »Und Jakob fragte ihn und sprach: „Sage doch, wie heißt du?“ Er aber antwortete: „Warum fragst du, wie ich heiße?“ Und er segnete ihn daselbst, und Jakob nannte die Stätte Pnuel („Angesicht Gottes“): Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen.« Die innere heilige Bedeutung versteht so:

60.37. Als Jakob mit der Glaubensbegierde in seinem Ringen die Morgenröte Gottes im Geist Christi ergriff und Christus von ferne ohne kreatürliche Menschheit sah, da fragte er: „Wie heißt du?“ Aber Christus antwortete: „Warum fragst du, wie ich heiße?“ Das heißt, ich bin kein Fremder, sondern bin eben der Israel in dir selbst. Ich habe keinen anderen Namen, sondern dein Name und mein Name sollen Einer sein.

60.38. Denn Gott hat jenseits der Natur und Kreatur keinen Namen, sondern heißt allein das „ewige Gut“, als das ewige Eine, der Ungrund und Grund aller Wesen, denn ihm ist keine Stätte erfunden. Darum kann ihn auch keine Kreatur wahrhaft benennen, denn alle Namen stehen im geformten Wort der Kräfte. Gott aber ist selbst die Wurzel aller Kräfte ohne Anfang und Namen, und darum sagt er zu Jakob: „Warum fragst du, wie ich heiße?“ Und segnet ihn.

60.39. Gleichwie die Kreaturen sowie alle Gewächse der Erde nicht wissen können, wie die Kraft der Sonne heißt, sondern sie stehen der Sonne still, und die Sonne gibt ihnen Kraft und Wärme und segnet sie, daß sie wachsen und Frucht bringen, so ist es auch hier mit Jakob und allen Menschen zu verstehen. Als Jakob die Morgenröte Gottes in seiner Seele sah und fühlte, da segnete ihn die göttliche Sonne im Namen Jesu durch essentielle Wirkung.

60.40. Und dabei muß eben dies angedeutet werden, wie es Jakob und allen Kindern Gottes im Schein dieser Sonne ergangen war und noch ergeht: Wenn die Gnadensonne mit ihrer wirkenden Kraft in der Seele aufgeht, dann erfreut sich die Seele und will immer gern Gottes Antlitz auf kreatürliche Art sehen, wie auch Moses begehrte. Und sie denkt immerdar, Gott sei etwas Förmliches und sie sehe Gott nicht wahrhaft, und will Gott in der Bildlichkeit erkennen. So hart liegt uns die kreatürliche Bildlichkeit im abgewichenen eigenen Willen im Gemüt, daß wir nirgends erkennen können, was Gott ist, nämlich daß er der Abgrund aller Natur und Kreatur selbst ist, das ewige Eine, das in nichts als nur in sich selbst wohnt und keine Form noch irgendetwas hat.

60.41. Und es wäre recht und gut, daß wir nicht so von den Meistern der Buchstaben in bildlicher Form geführt würden, wenn man vom einigen Gott lehrt und redet, wie bis heute geschehen ist, daß man uns nur in Bildern im essentiellen Willen geführt hat, als wolle der einige Gott dies oder das. Obwohl er doch selbst der einige Wille zur Kreatur und Natur ist, und die ganze Schöpfung einzig und allein in der Formierung seines ausgehauchten Wortes und Willens liegt, und so die Unterschiedlichkeit des einigen Willens im Aussprechen und mit der Einfassung zur Natur verstanden wird.

60.42. Wenn der überhebliche Stolz des Luzifers diesen Meistern aus den Herzen und Zungen gerissen werden könnte, dann würde man bald Gottes Antlitz sehen. Aber der babylonische Turm, durch den man in Stufen und Meinungen zu Gott in einen besonderen Himmel aufsteigen will, wo Gott eingesperrt sitzt, hält die wahre Erkenntnis und Vernunft auf, so daß wir immerfort fragen: „Wie heißt Gott? Wo ist Gott? Was will Gott?“ Und sagen: „Er will Gutes und Böses!“ Daraus machen sie ein Haufen Dekrete göttlicher Vorsätze, wie ein Fürst in seinem Land die Gesetze macht. Dabei haben sie ebensoviel Verstand von Gott und seinem Willen, wie der Topf von seinem Töpfer versteht.

60.43. Es ist zu beklagen, daß man uns so blind führt und die Wahrheit in Bildern aufhält. Denn nur, wenn die göttliche Kraft im innerlichen Grund der Seele mit ihrem Glanz offenbar und wirkend wird, so daß der Mensch wünscht, vom gottlosen Weg abzugehen und sich Gott zu ergeben, dann ist der ganzheitliche dreieinige Gott im Leben und Willen der Seele gegenwärtig, und dann ist der Himmel, darin Gott wohnt, in der Seele aufgeschlossen. Und das ist eben die Stätte in der Seele, wo der Vater seinen Sohn gebiert und der Heilige Geist vom Vater und Sohn ausgeht.

60.44. Denn Gott braucht für sich keine meßbare Stätte. Er wohnt sogar im Abgrund der gottlosen Seele, aber ist für sie nach seiner Liebe nicht faßbar, sondern ist nur nach seinem Zorn in der gottlosen Seele offenbar und begreiflich.

60.45. Denn das ewigsprechende Wort (nach der Einfaßbarkeit zur Natur und Kreatur) wird entsprechend dem seelischen Willen bildlich. Davon die Schrift sagt: »Bei den Heiligen bist du heilig, und bei den Verkehrten bist du verkehrt.« Oder: »Welch ein Volk es ist, einen solchen Gott hat es auch.«

60.46. Denn in den Thronen der heiligen Engel ist Gott in seiner Liebe offenbar, und in den Thronen der Teufel ist er mit seinem Grimm offenbar, nämlich nach der Finsternis und Leidhaftigkeit, und es ist doch nur ein einiger Gott und nicht zwei. Nach der Natur der Leidhaftigkeit will er Leiden, und nach der Liebe will er Liebe, gleichwie ein brennendes Feuer nur wieder einen harzigen Schwefel (bzw. neuen Brennstoff) nach seinesgleichen begehrt, und das Licht aus dem Feuer begehrt nichts als nur eine offene Stätte, darin es scheinen kann. Es nimmt nichts, sondern es gibt sich selbst zur Freude des Lebens. Es läßt sich also nur nehmen, und hat keinen anderen Willen in sich, als daß es sich selbst geben will, um Gutes zu wirken. So hat auch Gott nach seiner Heiligkeit keinen anderen Willen in sich, als daß er seine Liebekraft und deren Licht (in der kreatürlichen Form) offenbaren will, ähnlich wie sich die Sonne in einem Kraut offenbart und dasselbe tingiert und gut macht. So ist es auch von Gott zu verstehen.

60.47. Darum ist alles ein unnützes Geschwätz und kreatürliche Bildlichkeit, wenn man fragt: „Wie heißt Gott?“ Oder, daß man so oft sagt: „Er will dies und das, Gutes und Böses.“ Aber man weiß nichts vom Grund zu sagen, wie er Böses und Gutes wolle, und wie man die Sprüche der Schrift verstehen soll.

60.48. Dieser Streit um die Buchstaben ist wohl wirklich die verwirrte Zunge auf dem hohen Turm der Kinder Nimrods zu Babel. Denn dieser hohe Turm ist eine Darstellung der Fakultäten der hohen Schulen, in denen die einige göttliche (bzw. ganzheitliche) Zunge verwirrt und in viele Sprachen verkehrt wird, so daß ein Volk das andere nicht mehr versteht und man um den einigen Gott streitet, in dem wir leben und sind, und durch den doch das Reich der Natur in seinen Wundern offenbar und in bildliche Wunder gebracht wird.

60.49. Aber der wahre Grund, was und wie Gott sei, was das Wesen aller Wesen sei, ist ja bei ihnen so blind, wie der Blindgeborene an der Beschaulichkeit dieser Welt. Wenn sie sich auch Meister der Buchstaben nennen, so haben sie doch die fünf Selbstlaute (Vokale) verloren, welche die Kraft aller Wörter sind. Und das ist wohl zu beklagen, daß man gar nichts mehr von der Zunge des Heiligen Geistes versteht, was der Geist Gottes in Moses und den Propheten gesprochen hat und wie er in seiner Sprache auf das zukünftig Ewige gedeutet habe. Man hängt bloß an einer historischen Geschichte und sieht nicht mehr, was mit dieser oder jener Geschichte angedeutet wird.

60.50. Denn wegen der Geschichte einfältiger Hirten, wie die äußere Darstellung erscheint, hat Gottes Geist wohl nicht solche Wunder getan, und auch gerade diese Geschichten so genau aufgeschrieben, als wenn ihm so viel an einer Historie gelegen wäre, so daß er diese bei allen Völkern erhalten hat und für sein Wort ausrufen läßt. Nein, sondern darum, daß unter solchen einfältigen Geschichten etwas angedeutet wird, mit dem der Geist Gottes in der Darstellung auf das zukünftig Ewige anspielt. Darum sollte man die Schrift des Alten Testaments mit helleren Augen ansehen, denn darunter liegt das ganze Neue Testament in der Darstellung einer einfältigen Geschichte.

60.51. Als Gott Jakob gesegnet hatte, da nannte Jakob diese Stätte Pnuel, das heißt, ein Einsehen Gottes in die Seele. Und weil Gott in der Seele offenbar wurde, »sprach die Seele: „Ich habe Gott in mir von Angesicht zu Angesicht gesehen, und meine Seele ist in diesem Einsehen genesen.“ Und als er an Pnuel vorüberkam, ging ihm die Sonne auf.« Das heißt, wenn Gottes Sonne als seine Kraft in der Seele offenbar wird, dann empfängt die Essenz der Seele diese Kraft in sich, und so geht die göttliche Sonne (des göttlichen Bewußtseins) in der Seelenessenz auf, denn dort hat nun der Vater seinen Sohn in der Seele geboren, der die Sonne der Gerechtigkeit sowie der göttlichen Liebe und Freude ist. Und dann hinkt die eigene Natur, denn ihre Muskeln des natürlichen Willens werden ihr ausgerenkt, so daß der eigene Wille in seinem Vermögen lahm wird, wie hier bei Jakob. Und der Text von Moses sagt: »Daher essen die Kinder Israels bis zum heutigen Tag kein Muskelfleisch vom Gelenk der Hüfte, weil er den Muskel am Gelenk der Hüfte Jakobs angerührt hatte.«

60.52. Dieses zeigt klar an, daß Jakob und seine Kinder dieses Geheimnis verstanden und sich ein solches Gedächtnis mit dem Muskelfleisch aufgerichtet haben: Denn was geht es ein Tier an, was mit Jakob geschehen war? Es ist darum nicht das Muskelfleisch am Tier verrenkt oder vergiftet, allein die Kinder der Heiligen sahen auf den Grund des göttlichen Geheimnisses.

60.53. Daran die heutigen Juden wohl blind sind und nur am Gesetz hängen. Trachteten sie so sehr nach Jakobs Sonne, wie sie am Gesetz hängen, dann würde dieser Muskel in ihnen auch ausgerenkt werden, und sie würden nicht so nach Geiz und Wucher trachten. Sie waschen ihre Becher und Schüsseln äußerlich, aber inwendig bleiben sie unrein.

60.54. Wie nun auch die Christenheit nur an der Historie hängt, wie am Purpurmantel Christi, aber Christus in seiner Kraft jagen sie von sich, und wollen nicht mit Jakob die Muskeln der wilden tierischen Eigenschaften des wollüstigen Fleisches im Willen ausrenken und hinkend werden, sondern fein gerade mit dem Tier unter Christi Mantel wandeln.

60.55. Dieser ausgerenkte Muskel deutet auch an, daß Adam in seiner Unschuld vor seiner Eva nicht ein solches grobes Tier gewesen war, wie danach. Darum berührte er ihm die tierischen Gelenke, als Christi Geist im Bund in Jakob offenbar wurde, um anzudeuten, daß sie in Christus zerbrechen und aufhören sollten, weil ein geistiger Mensch vom Tod auferstehen soll und nicht ein so grober Tiermensch.


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