Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

59. Kapitel - Wie Jakob von Laban wegzog

Wie Jakob von Laban weggezogen war, was diese Darstellung andeutet, und was darunter zu verstehen sei. (1.Mose 31.1)

59.1. In diesem 31. Kapitel der Genesis wird größtenteils die äußerliche Geschichte dargestellt, darunter doch der Geist seine heimliche Bildung hat, mit welcher er spielt. Denn der Text sagt: »Und es kamen vor Jakob die Reden der Kinder Labans, daß sie sprachen: „Jakob hat all unseres Vaters Gut an sich gebracht, und von unseres Vaters Gut hat er solchen Reichtum zuwege gebracht.“ Und Jakob sah das Gesicht Labans an, und siehe, es war zu ihm nicht mehr wie zuvor.«

59.2. Dies ist eine Darstellung im Geist Christi vorgebildet: Wenn der Geist Christi im Menschen das Reich menschlicher Natur an sich gezogen hat, dann wacht der Neid der Schlange im Grimm der Natur im Fleisch und Blut auf, weil er versteht und fühlt, daß ihm die Kraft der Natur im Menschen entzogen wird, und er feindet den Geist Christi in der Kraft der Natur an.

59.3. Da fängt dann der Widerwille im Menschen an, so daß der armen Seele an allen Orten bange wird, indem sie erkennt, daß sie in einem fremden Gut wohnt und ihr der Teufel ein Nachbar ist, der zu ihrer eigenen Natur immer noch einen Zutritt hat und sie anfeindet, weil sie ihm in Christi Geist das Reich der Natur als sein gehabtes Land oder seinen Sitz entzogen hat. So zeigt sich dann die sterbliche Natur in Gottes Zorn mit ihrer Begierde gegenüber der armen Seele ganz fremd und unfreundlich, wenn sie sieht, daß sie ihr wollüstiges und irdisches Erbe verliert, welches recht die Kinder Labans andeutet, in denen ihr Verstand sieht, wie er um zeitliche Ehre und Wollust kommt und ihm all sein Natur-Recht entzogen wird, wie Jakob durch List Labans Güter entzog.

59.4. So spricht dann Gott zur Seele, wie hier zu Jakob: »Zieh wieder in dein Vaterland zu deiner Freundschaft! Ich will mit dir sein.« Das heißt, die arme Seele soll wieder in ihr erstes (ursprüngliches) Vaterland einziehen, nämlich in das ewige Wort, aus dem sie kam. Und darin segnet sie Gott, und dahin kann sie auch ihre Kinder und Glieder rufen und sie aus dem Diensthaus des göttlichen Zorns im Reich der Natur mit herausführen, wie Jakob seine Frauen und Kinder rief und aus dem Dienst ihres Vaters herausführte. So führt auch die erleuchtete Seele die Kraft ihres Lebens im Reich der Natur samt ihren Mitgliedern aus dem Diensthaus von Fleisch und Blut wieder in das erste (ursprüngliche) Haus hinein, nämlich in Gottes Wort.

59.5. Und wie Jakob aus dem Diensthaus seines Schwiegervaters floh, aber ihm Laban nachjagte und schaden wollte, so geschieht es in gleicher Weise auch mit Christi Kindern, wenn sie beginnen, aus dem Diensthaus des Satans zu entfliehen, als aus der fleischlichen Wollust, und wieder in ihr erstes Vaterland wollen, als in die Gerechtigkeit und Gottesfurcht. Dann kommt alsbald der fleischliche Haufen der gottlosen Welt mit Grimm und Leichtfertigkeit hinterhergeflogen, um sie zu töten und all ihr Hab und Gut in Gottes Gerechtigkeit mit falschen Zungen zu nehmen.

59.6. Aber der Herr droht ihnen, so daß sie es nicht tun können, obwohl sie stehen und die Kinder Gottes als Ungerechte schelten, wie auch Laban geschah, so daß sie sich von ihren Göttern und Greueltaten abwenden und ihre Heuchelei nicht mehr wollen, auch nicht mehr ihr falsches Joch tragen, ihnen in ihrer Ungerechtigkeit dienen und ihre Falschheit gutheißen wollen. Wie auch die jetzige Welt unter diesem Joch heuchelt und der Falschheit dient, nur damit ihr Gott Mäusim (die „Ich-Festung“) fett werde und leben könne.

59.7. Auch stellt hier der Geist Gottes eine Bildung dar, wie Christus sich eine Zeitlang unter dieses dienstbare Joch in das Reich der Natur stellen werde und sich mit Adams Tochter vermählt, das heißt, mit unserem Fleisch und Blut, und Adams Hab und Gut, als das Reich menschlicher Natur, an sich zieht, das heißt, viele Menschen an sich zieht, und schließlich damit aus dem Diensthaus dieser Welt wieder in das ewige Haus seines Vaters geht. Und in diesem Ausgang zu seinem Vater würde ihn der Teufel samt der falschen Welt verachten und ganz töten wollen, und die Güter samt seinen hier gezeugten Kindern rauben und wieder nehmen wollen, wie der Teufel durch die Pharisäer und falschen Juden tat, welche Christus all seine gläubigen Kinder wieder nehmen und rauben wollten, wie Laban Jakob nachjagte und ihm sein erworbenes Gut (und seine Frauen und Kinder) wieder nehmen wollte.

59.8. Aber gleichwie Gott nicht zulassen wollte, daß Laban Jakob Schaden antun konnte, so ließ auch Gott dem Teufel und den falschen Hohepriestern nicht zu, daß sie Christus sein erworbenes Gut rauben konnten. Auch wenn sie gleichsam die äußere Menschheit an ihm töteten, so stand er doch wieder vom Tode auf und führte sein erworbenes Gut in sein Vaterland.

59.9. Ein wunderliches Bild stellt der Geist Moses in diesem Kapitel dar, daran wohl zu erkennen ist, daß er etwas Heimliches darunter andeutet. Denn er sagt, als Jakob von Laban geflohen sei, da habe Rahel ihrem Vater die Götzen gestohlen, und sagt ferner: »So stahl Jakob dem Laban zu Syrien damit das Herz (bzw. täuschte ihn), weil er ihm nicht ansagte, daß er floh.« Und wir sehen auch ferner, wie Laban, als er zu Jakob kam, so heftig nach den Götzen verlangte, daß er Jakob all seinen Hausrat nach den Götzen durchsuchte. Auch sehen wir in diesem Text, wie Rahel diese Götzen so liebgewonnen haben mußte, daß sie sich darauf setzte und sie damit verbarg, so daß sie ihr Vater nicht wiederbekommen konnte.

59.10. In diesen Worten wird uns eine äußerliche und auch eine innerliche Bildung dargestellt, wie es künftig mit Israel gehen würde. Denn diese Götzen sind keine heidnischen Abgötter gewesen, nach dem Moloch des Gestirns (die unerbittlich Opfer gefordert haben), wie sie die Heiden hatten, sondern wie man liest, so haben sie Bilder ihrer Verstorbenen zu einer Erinnerung gemacht, welche Bilder danach bei den Heiden auch zu Abgöttern geworden sind. Und es mögen wohl solche Bilder ihrer verstorbenen Freundschaft gewesen sein, die Laban nicht gern verlor, weil er sich damit seiner lieben vorfahrenden Freunde erinnerte.

59.11. Aber die wahre Bedeutung, darunter der Geist auf das Zukünftige deutet, ist wohl diese: Zum ersten, daß Israel nicht immer mit ganzem Herzen an Gott hängen würde, sondern sie werden auch immer diese Götzen fleischlicher Eigeneliebe mit sich nehmen und sich und ihre Bilder als Geschlechter menschlicher Hoheiten mehr als Gott lieben, wie dann auch geschehen ist.

59.12. Und besonders deutet dieser Auszug Jakobs den Ausgang Israels aus Ägypten in das gelobte Land an, als sie auch ihre fleischlichen Götzen mitnahmen und bald danach ihren eigenen Götzen dienten, nämlich menschlicher Hoheit, und ihren (ganzheitlichen) Gott verließen und auf ihren Mammon sahen, und unter sich wieder Könige nach der Gewohnheit der Heiden haben wollten. Und so verließen sie ihren wahren König, der sie aus Ägypten geführt hatte.

59.13. Zum zweiten deutet es an, wie Christus, in welcher Bildung Jakob stand, diese Rahel in unserem Fleisch und Blut an sich nehmen würde, nämlich diesen, in Adam von Gott abgewandten Götzen-Willen der Seele, der sich mit Bildern und Götzen gefaßt und dieselben besessen hatte, wie Rahel. Und er würde der Seele abgewandten Willen mit ihren gefaßten Götzen und Bildern aus dem Götzenhaus herausführen, welche Götzen, als Götzen-Willen und -Begierde, danach im Tod Christi alle zerbrochen werden mußten.

59.14. Wie uns dann auch im Kapitel 35 der Genesis die Bildung dargestellt wird, »als Gott zu Jakob sprach: „Mach dich auf und zieh nach Bethel, und wohne daselbst und mache daselbst einen Altar dem Gott, der dir erschien, als du vor deinem Bruder Esau geflohen warst.“ Da sprach Jakob zu seinem Haus und zu allen, die mit ihm waren: „Tut von euch die fremden Götter, die unter euch sind, und reinigt euch und ändert eure Kleider, und laßt uns aufbrechen und nach Bethel ziehen, daß ich dort einen Altar dem Gott errichte, der mich erhört hat zur Zeit meiner Trübsal und mit mir gewesen ist auf dem Weg, den ich gezogen bin.“«

59.15. Diese Geschichte Jakobs deutet wohl nichts anderes an, als dieses: Wenn Christus mit dieser Götzen-Rahel, als unserem Fleisch und Blut, aus diesem Diensthaus ausziehen und zu seinem Vater gehen würde, dann würde er durch seinen Ausgang, wenn er den hohen Altar vor Gott erbaut, welcher Altar er selbst ist, diese unsere Götzen im menschlichen Eigenwillen, nämlich alle Bildlichkeit eigener Liebe, vor Gottes Altar in seinem Tod ablegen und unsere Herzen als den seelischen Willen reinigen und unsere Kleider als Fleisch und Blut ändern. Wie dieser Text im 35. Kapitel klar andeutet und ganz dahin geht, wie uns Christus auf diesem Altar seines neuen Testaments dem Gott aufopfern werde, der uns in unserer Trübsal und unserem Elend nach dem Fall in seinem Gnadenbund wieder erschienen ist.

59.16. Daß aber der Text von Moses im 31. Kapitel sagt »Jakob habe Laban dem Syrier sein Herz gestohlen, weil er heimlich mit seinen Töchtern geflohen war.«, das hat eben auch dieselbe innerliche geistige Bedeutung in sich. Denn das Wort wurde Mensch und nahm Laban, als dem irdischen Adam, seine Töchter (bzw. Kinder), und führte sie durch göttliche List aus Adams Haus hinweg in Gottes Haus. Das heißt „an dem Ort gestohlen“, so daß dem Reich des göttlichen Zorns Adams Kinder so gestohlen und in göttlicher Klugheit weggeführt wurden.

59.17. Denn der Zorn Gottes hatte die Menschen im Natur-Recht besessen, aber Christus kam, verehelichte sich mit ihnen und stahl sie dem Zorn mitsamt den Götzen hinweg. Und er opferte sie Gott auf seinem Altar, der er selber ist, und legte die Bilder der Eigenliebe der Menschen ab, und reinigte unsere Kleider vor Gott, damit wir ihm auf diesem Altar dienen können.

59.18. Dies wird eigentlich zu den Götzen Rahels verstanden. Die Bilder stellen wohl die äußerliche Geschichte dar, aber darunter hat der Geist Gottes seine Bildung. Denn die ganze Historie mit Abraham, Isaak und Jakob steht innerlich in der Bildung Christi, denn der Bund zwischen Laban und Jakob und alles, was sich da begeben hat, ist eine Bildung Christi, denn Laban steht hier im Bild für das Reich der Natur und Jakob im Bild Christi.

59.19. »Laban beschimpfte Jakob, weil er von ihm geflohen war und ihn nicht zuvor seine Kinder küssen ließ, so daß er sie mit Pauken in Freude geleitet hätte.« So verhält sich auch das Reich der Natur mit Christi Kindern, wenn sie heimlich von ihm fliehen und das Götzenhaus verlassen. Dann beschimpfen die Kinder des Reichs der Natur diese Kinder Christi als Flüchtige und Meineidige, auch als Ketzer und Neulinge, als Enthusiasten und was es sonst an Schimpfworten gibt, und sagen zu ihnen: „Wenn ihr vom gottlosen Weg in ein anderes Leben gehen wollt, warum sagt ihr das nicht unseren Hohepriestern, damit sie euch mit ihren Zeremonien dahin geleiteten, als mit Beichten, Sakramenten und Fürbitten? Warum haltet ihr nicht der Kirche Gebräuche, darin Christi Reich in Freuden steht, mit Getümmel, Orgeln und Pfeifen? Warum stehlt ihr euch heimlich von uns weg und geht einen anderen Weg, als unsere Ordnungen und Satzungen sind?“ Und sie werden ihnen darum feindlich, verfolgen sie und jagen ihnen mit Verdammung und Beschimpfung nach, wie bösen Kindern oder Meineidigen, die ihnen ihre Götzen geraubt haben und ihre Scheinheiligkeit für Götter nicht ehren wollen, wie auch Laban dem Jakob nacheilte und ihn beschimpfte, daß er nicht zuvor seine Pracht erhalten und ihm angesagt hatte, daß er wandern wollte.

59.20. So will es auch Babel schlechthin haben, und die Kinder Christi sollen allein durch ihre Pracht und ihren Bauchorden zu Gott eingehen. Und wer anders als durch ihren Orden zu Gott eingehen und aus diesem Diensthaus fliehen wolle, der sei verdammt und könne niemals zu Gott kommen.

59.21. Aber Jakob konnte wohl ohne Labans Pracht zu seinem Vater kommen. Und wenn ihn Laban auch beschimpfte und seinen Weg unrecht nannte, so war er doch vor Gott gerecht, denn Gott hatte es ihm geboten, und so konnte ihn Laban auch nicht halten. Und so können auch Christi Kinder, wenn in ihnen der Geist Christi gebietet, aus Babel zu entfliehen, nicht gehalten werden. Auch schadet es ihnen gar nicht, wie übel sie die Welt auch darum beschimpft und sie verachtet, verlacht, vernarrt, verketzert und als Enthusiasten schilt.

59.22. Der Höchste straft doch Laban, so daß er mit Jakob nicht anders als freundlich reden soll. Das heißt, diese Lästerungen Babels über Christi Kinder müssen diesen Kindern schließlich nur zu Freuden und zur Freundlichkeit gereichen, und Laban muß sie einfach nur ziehen lassen mit ihrem Hab und Gut. Denn Gott gebietet seinen Kindern, aus Babel zu entfliehen und wieder in ihr erstes (ursprüngliches) Vaterland einzugehen, aus dem sie mit Adam ausgegangen sind, und zwar nicht durch die scheinheilige Pracht zu Babel, sondern durch Umkehrung des Gemüts und Willens als einen neuen Gehorsam.

59.23. Denn Gott hat an der Pracht zu Babel ebenso wenig Gefallen, wie an Labans Pauken und Reigen. Er fordert nur ein bußfertiges und umgekehrtes Herz, welches in höchster Einfalt und Demut ohne alle Pracht sich ihm naht und von Babel ausgeht. Mit dem geht er und segnet ihn.

59.24. Denn als Jakob ohne Pracht ausgezogen war, da begegneten ihm die Engel Gottes, die er Gottes Heer nannte, und das deutet an: Wenn Gottes Kinder von Menschentand und Bildlichkeit ausgehen und alles Irdische für Nichts erachten, auch sich aller Titelbrüder in ihrer Scheinheiligkeit enthalten, dann bekommen sie Gottes Engel zu Gefährten, welche mit ihnen gehen und sie auf ihren Wegen in ihrem Ausgang aus Babel begleiten, wie hier Jakob geschah.

59.25. Denn sobald Christus im Menschen geboren ist, so daß das Gemüt aus dem adamischen Diensthaus der Bildlichkeit ausgeht, sind ihm die Engel Gottes als Gefährten zugeordnet.


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