Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

38. Kapitel - Vom Anfang des heidnischen Krieges

Erklärung vom Anfang des heidnischen Krieges, wie Abraham Loth rettete, den Sohn seines Bruders, und vom königlichen Priester Melchisedek zu Salem, dem Abraham den Zehnten gab. (1.Mose 14)

38.1. Hier sieht man nun klar, was das Dichten, Trachten und Vorhaben der Menschen von Jugend an gewesen war, und wie sie sich aus dem Bild Gottes in halbtierische und halbteuflische Eigenschaften hineingeführt haben, nämlich in überheblichen Stolz, Geiz und eigene Gewalt. Wie auch der Teufel solches begehrte und darum aus seinem Reich verstoßen wurde.

38.2. Denn hier begannen nun die Heiden und die Kinder Hams in der ganzen Gegend um Sodom und Gomorra zu herrschen, unter denen Abraham nur ein Fremdling war und im Hain von Mamre wie in einer Wüste wohnte, wo er der Viehzucht diente. Die Heiden aber rissen sich um das Reich dieser Welt und um äußerliche Macht und Gewalt, damit ein Volk über das andere herrschen könne. Und dieser Wille des Regiments ist bis heute geblieben, der in den Heiden und Ham-Kindern seinen Anfang hatte, denn er ist aus Babel von den zerteilten Zungen gekommen.

38.3. Als die Kräfte des geformten Wortes (als die Eigenschaften der Natur) sich teilten und eine jede in ein Eigenes führte, da entstanden Streit und Widerwillen unter ihnen. Denn das Zentrum der Natur der finsteren Welt hatte das Regiment in der gefallenen menschlichen Eigenschaft bekommen, weil die Menschen am Reich Gottes in der Liebe und Demut abgestorben waren und nun unter dem äußeren Gestirn und den vier Elementen lebten.

38.4. Auch hatte der Teufel seine Räuberburg aus dem Wesen der Schlange im Menschen erbaut, und darum trachteten sie nur nach dem, was sie in der Welt mächtig und groß machte. Obwohl man doch sieht, wie sie der Teufel im Grimm Gottes nur geäfft hat, so daß sie einander ermordeten und zeitliche Wollust höher erachteten als das Leben selbst. Welches doch die größte Narrheit ist, so daß man aus schnödem Stolz das Leben in Todesgefahr brachte, da man doch nicht weiß, ob man das erhalten wird, um dessentwillen man mordet und totschlägt.

38.5. Und so sah man es bald, wie der Teufel in seinem Neid und überheblichen Stolz in ihnen regierte. Denn sie hatten doch den Raum der ganzen Welt zum Besitz, und viele Länder und Inseln waren unbewohnt. Und doch fingen sie Kriege an, nur damit sie übereinander herrschen und einander berauben konnten. So führte sie der Teufel als ein Menschenfeind in seinen überheblichen Stolz, damit sie ihm dienten.

38.6. Nicht umsonst nennt ihn Christus einen Fürsten dieser Welt, denn er ist darin ein Fürst nach der Eigenschaft des Grimms der finsteren Welt. Und nach dieser Eigenschaft beherrscht er den Menschen in Leib und Seele, in Willen und Gemüt.

38.7. Denn aller Krieg und Streit entsteht aus der finsteren Welt Natur und Eigenschaft, nämlich aus den vier Elementen des göttlichen Zorns, der im Geschöpf Stolz, Neid, Geiz und Zorn ergibt (Mein und Dein, Anziehung und Abstoßung), denn das sind die vier Elemente der finsteren Welt, darin die Teufel und alle bösartigen Geschöpfe leben. Und aus diesen vier Elementen entsteht der Krieg.

38.8. Denn obwohl Gott das Volk Israel die Heiden vertreiben und bekriegen hieß, so kam doch all dies aus dem zornigen und eifrigen Gott, als aus der Eigenschaft des Feuers, denn die Heiden hatten diesen Grimm erregt, der sie auffressen wollte. Gott aber, soweit er „Gott“ heißt, begehrt keinen Krieg, kann auch nichts Böses oder Zerbrechliches begehren, denn er ist nach dem zweiten Prinzip, als nach dem Licht, allein gut und gebend, und gibt sich selbst allen Dingen.

38.9. Doch nach der finsteren Welt Natur ist er ein zorniger und eifriger Gott und ein verzehrendes Feuer, wenn sein Grimm erweckt wird. Und dementsprechend begehrt er, all das zu verschlingen und aufzufressen, was sich darin erhebt und entzündet. Und aus dieser Eigenschaft hat Gott Israel geboten, die Heiden zu bekriegen und zu erschlagen. Denn sein Zorn war in ihnen entbrannt, und sie waren wie ein Holz, das ins Feuer kommt, so daß es das Feuer zu verzehren begehrt.

38.10. Darum hieß der Grimm Gottes ein Volk das andere ermorden, damit es aus seinem Grimm weggeräumt würde. Sonst hätte sich sein Zornfeuer entzündet, wie zu Sodom und Gomorra den fünf Königreichen geschah. Und so ernährte sich der Grimm Gottes am Leben der Gottlosen, das er in sich verschlang, indem sie sich gegenseitig ermordeten.

38.11. Wie noch heute so geschieht, daß die Menschen oft Gott anrufen, er soll ihnen Glück und Sieg gegen ihre Feinde geben, damit sie diese ermorden können. Aber Gott gibt ihnen damit nicht den Sieg, sondern das Schwert seines Zorns, welches sie mit ihrem Gebet und Willen erwecken. Wären sie wahrhafte Menschen und Gottes Kinder, dann bedürften sie keines Krieges, denn der Heilige Geist bekriegt nicht, sondern liebt und gibt nur. Aber nach des Zornes Eigenschaft frißt er alles gottlose Wesen auf, und wird doch auch nur dadurch angefacht.

38.12. Denn je mehr man einem Feuer Holz gibt und es schürt, je mehr erhebt es sich, bis es alles verzehrt hat, was es erreicht. So ist es auch mit dem Eifer Gottes zu verstehen. Dieser entzündete Zorneifer Gottes war in Adam entbrannt, hatte ihm das Bild der heiligen Welt verschlungen und drang von Adam auf alle Menschen.

38.13. Denn auch die in der Bundeslinie hatten den entzündeten Eifer nach dem ersten Prinzip in Leib und Seele in sich, keiner besser als der andere. Der Schlange Sein lag nach der entzündeten Seele und nach der groben tierischen Eigenschaft des sterblichen Menschen sowohl in Abraham und seinen Kindern als auch in den Heiden, ausgenommen die Linie Christi in ihnen, welche nicht des sündigen Menschen Ichheit war, sondern in Gottes Macht stand, wie der Himmel in der Welt steht, und doch keines das andere ist, und wie der Himmel in der Hölle, und die Hölle im Himmel steht, und keines das andere ist oder begreift, oder wie die Nacht im Tag ist, und der Tag in der Nacht, oder wie das Licht der Natur in der Finsternis scheint und wohnt.

38.14. So sollen wir verstehen, wie die Kinder der Heiligen gegen den Haufen der Gottlosen Krieg geführt haben und sie vertrieben, wie auch in der Eigenschaft des Zorns, der sein Schwert durch sie führt, um die Heiden und Ham-Art zu vertilgen. Denn Abraham zog mit seiner ganzen Familie und seinen Leuten gegen die Heiden (die Loth, den Sohn seines Bruders, gefangen und weggeführt hatten) und erschlug die Heiden und erlöste seinen Bruder. Dies geschah im Eifer Gottes, der so seine Kinder durch die Macht seines Zorns rettet. Denn was dem Gottlosen zum Verderben gereicht, das gereicht den Heiligen zum Leben und zur Rettung.

38.15. Wenn aber jene, die „Christen“ genannt sein wollen und in und mit Christus dem Zorn und Grimm Gottes in Christi Tod abgestorben sein sollten, Kriege führen, dann tun sie das nicht als Christen, sondern als Heiden. Kein Christ bekriegt, denn wenn er ein Christ ist, dann ist er den vier Elementen des Zorns Gottes in der Ichheit mit und in Christi Tod abgestorben und in Christi Geist der Liebe eines neuen Menschen geboren, der in Gerechtigkeit, Liebe und Geduld lebt, und nicht für sich selber, sondern für Gott in Christus.

38.16. Denn ein wahrer Christ führt seinen Wandel und Willen im Himmel, nämlich im Leben und Geist Christi, wie St. Paulus sagt: »Unser Wandel ist im Himmel.« Wenn aber die Christen Krieg führen, dann tun sie das aus heidnischer Eigenschaft und nicht aus Christi Eigenschaft. Denn ein Christ ist nicht von dieser Welt, sein Reich ist im Himmel, und er ist in Christus der Welt abgestorben, nach dem neuen geistigen Menschen in sich. Der Heide, als der halbteuflische Mensch, der sein Reich in dieser Welt hat, begehrt in den Christen zu bekriegen und zu ermorden, weil er in den vier Elementen des Zorns Gottes lebt, nämlich in Stolz, Geiz, Neid und Zorn, und damit auf Erden nirgends genug Raum hat.

38.17. St. Paulus sagt: »Gebt eure Glieder zu Waffen der Gerechtigkeit! (Röm. 6.13)« Denn warum bekriegt man sich um das Reich dieser Welt? Christus sagt doch, sein Reich wäre nicht von dieser Welt. So ist auch das Reich seiner Kinder in ihm nicht von dieser Welt. Wenn wir nun unseren Leib und die Seele als Waffen für Gottes Zorn geben, aber dadurch nur die Ichheit suchen und einander um das Reich dieser Welt ermorden, dann meine ich ja, sind wir hierin nur Christen mit dem Mund, aber das Herz und die Seele ist ein Heide und nicht aus Christi Geist geboren.

38.18. Als Abraham die Heiden schlug begehrte er nichts vom gewonnenen Gut, sondern gab dem König von Sodom zurück, was ihm die Heiden genommen hatten, denn er eiferte allein im Herrn. Er kämpfte nicht um Land und Königreich, sondern um seinen Bruder zu erretten, und das war doch ein wahrer Eifer, den der Herr in ihm trieb. Er stand nicht auf und kämpfte um ein Land oder eine Stadt, denn als er sie dann gewann, begehrte er davon keines, sondern zog wieder an seinen Ort.

38.19. Und ganz wunderlich redet hier der Geist in Moses und sagt, als Abraham von der Schlacht gekommen sei, da sei ihm der König von Sodom entgegengegangen, und Melchisedek, der König von Salem, habe Brot und Wein aufgetragen, welcher ein Priester Gottes des Allerhöchsten gewesen war, der Himmel und Erde besitzt, und habe Abraham gesegnet, und Abraham habe ihm den Zehnten gegeben. Und da man doch sonst fast nichts in der Heiligen Schrift von diesem Priestertum findet, welches doch wahrhaftig in der Bildung Christi gewesen war: »Denn der Geist sagt an einem anderen Ort von Christus, er sei ein Hohepriester in der Ordnung Melchisedeks. (Hebr. 5.6)«

38.20. So stellt der Geist Gottes ganz heimlich die Bildung Christi bei Abraham dar und nennt ihn einen König zu Salem und einen Priester Gottes des Höchsten, als einen Priester des Heils und der Salbung, wie es in der sinnlichen Zunge so lautet. Das heißt, Christus hat Abraham gesegnet und ihm Brot und Wein aufgetragen, nämlich sein Fleisch und Blut, und er ist der Hohepriester vor Gott, der Abraham und seine Kinder versöhnt.

38.21. Denn Abraham hatte das Schwert des göttlichen Zorns gegen die Heiden geführt. Nun kam Melchisedek und segnete Abraham wieder (damit ihn nicht das Schwert der Verwirrung ergreift) und trug ihm Brot und Wein auf, das heißt, himmlisches Sein, das er in Abrahams Samen hineinführen und in Fleisch und Blut verwandeln wollte, und versöhnte damit des Vaters Zorn im Bund als ein Vorbild.

38.22. Denn dieser Priester bei Abraham ist wahrhaftig auf geistige Weise zu verstehen. Denn obwohl Abraham einen solchen Priester auch äußerlich unter der Bildung Christi gehabt haben konnte, so sagt doch Moses, er sei ein Priester Gottes gewesen und habe zu Abraham gesagt: »Gesegnet seist du, Abraham, dem Allerhöchsten, der Himmel und Erde besitzt, und der deine Feinde in deine Hände beschlossen hat.« Darunter ist niemand anderes zu verstehen als Christus, der Abraham gar oft in der Bildung erschien und ihn allemal segnete, denn der Geist in Moses nennt ihn auch einen König zu Salem, und das bedeutet nichts anderes, als einen König des Heils.

38.23. »Und Abraham habe ihm den Zehnten gegeben.« Er mag vielleicht eine priesterliche Ordnung bei sich gehabt haben, dem er den Zehnten gegeben hatte. Aber dieser König und Priester war (aus geistiger Sicht) jener, von dem er predigte, und welcher sich mit ihm verband, um sein ewiger Hohepriester zu sein, dem Abraham den Zehnten, als die zehnte Eigenschaft menschlicher Eigenschaften der feurigen Zunge der Seele gab. Und der Priester gab dahinein sein Brot und Wein, seinen Segen, als das Liebefeuer, die Tinktur des Lichtes neben himmlischer Wesenheit, damit Abrahams Seele in diesem Brot und Wein die Tinktur des Lichtes wieder in die Tinktur des Feuers bekam und das Bild Gottes wieder ganz würde, welches in Adam mit dem Weib zertrennt wurde. So gab ihm Christus als Tinktur des Weibes wieder das Sein des Lichtes, damit die männliche und weibliche Eigenschaft wieder ein ganzheitliches Bild wurde. Dies deutet hier der Geist in Moses unter dem königlichen Priester zu Salem an.

38.24. Denn Esra, als er die verlorene Bibel in Erkenntnis des Geistes Gottes seinen Schreibern diktierte, hat wohl solches gesehen, und darum stellt es der Heilige Geist so dar. Und so sieht man eben, wie Esra im Gesicht des Geistes die Historien von Abraham beschrieben hat. Denn die ganze Historie von Abraham wird unter Christi Person vorgezeichnet und ist ein Bild Christi.

38.25. Diesen Priester von Salem hat Abraham im Geist gesehen. Wenn Abraham opferte, stand dieser Priester in seinem Opfer und opferte Gott, denn er sollte die Welt mit einem Opfer versöhnen, darum war er ein Priester Gottes.

38.26. Er führte Abrahams Opfer des Willens, nämlich sein Gebet und Begehren im Glauben in das heilige Sein Gottes. Und in diesem Wesen göttlicher Wesenheit wurde der Seele Abrahams himmlisches Brot und Wein aufgetragen, so daß sie an Gottes Tisch essen konnte, bis dieser Priester Abraham selbst wurde, das heißt, sich in Abraham mit der himmlischen Leiblichkeit als Seelenspeise im wahren Brot und Wein offenbarte.


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