Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

4. Kapitel - Die zwei Prinzipien von Liebe und Zorn

Von den zwei Prinzipien, von Gottes Liebe und Zorn, oder von Licht und Finsternis, dem Leser sehr nötig zu betrachten.

4.1. In diesem Schreck oder Feueranzünden scheiden sich zwei Reiche, die doch nur Eines sind. Aber sie teilen sich in der Essenz, Qualität und Willen, und werden auch gegenseitig wie unsichtbar, denn keines ergreift das andere in seiner eigentümlichen Qualität, obwohl sie doch aus einem Ursprung sind, auch aneinander hängen, und eines ohne das andere ein Nichts wäre. Und doch nehmen alle beide ihre Qualität von einem Ursprung. Dies versteht so:

4.2. Wenn der Blitz oder Schreck aufgeht, denn geschieht es in einem Punkt (bzw. Kreis) und macht im Blick ein Dreieck oder Kreuz, und dieses ist die rechte Deutung des Zeichens ♁ (der Erde bzw. irdischen Welt). Das ist erstlich die Schärfe (bzw. Trennung) aller Dinge und der geoffenbarte Gott in der Dreifaltigkeit. Das Dreieck deutet den verborgenen Gott an, als das Wort oder die göttliche Vernunft, die in ihrer ewigen unanfänglichen Geburt dreifaltig ist und doch nur einig in ihrer Offenbarung. In der Feuer- und Lichtwelt offenbart sich diese Dreiheit in der Geburt. Nicht daß etwa ein Ort wäre, wo eine solche Figur stünde. Nein, sondern die ganze Geburt ist so. Wo sich das göttliche Feuer in etwas offenbart, da bewirkt es in seiner Anzündung ein Dreieck, welches den Menschenkindern wohl zu erkennen ist, wie sich auch das Leben in so einem Dreieck entzündet und die Heilige Dreifaltigkeit bedeutet. Und weil des Lebens Licht im Wort der Gottheit gewesen ist, das dem Menschen eingeblasen wurde (Joh. 1.1), aber im Paradies an Gott verblichen war, so mußte es am Kreuz wiedergeboren werden.

Erklärung des obigen Zeichens

4.3. Das obere Kreuz bedeutet das ungeformte Wort in der Dreifaltigkeit jenseits aller Natur. Und daraus entsteht das Zeichen ♁. Und dieses Zeichen bedeutet das geformte Wort, als die englische Welt.

4.4. Daß sich aber das Dreieck mit den drei geraden Spitzen in ein solches Kreuz verwandelt hat, daran der Tod erwürgt wurde, deutet uns die große Liebe Gottes aus dem Dreieck an, die sich wieder in unsere Menschheit versenkt hat, als wir vom Dreieck in das Lebenslicht abgewichen waren.

4.5. Darum führt sich der obere Winkel (zur oberen Spitze) unter sich und deutet die große Demut an und auch daß wir den feurigen Winkel, der in die Höhe geht, verloren haben, in welchem wir Gottes Bild und Gleichnis waren. Darum hat sich der obere Winkel in der Wiedergeburt am Kreuz unter sich gedreht und führt keine Spitze mehr in die Höhe. Das deutet uns nun die wahre Gelassenheit unter dem Kreuz an, darin wir im Geist Christi durch die große Demut im Licht Gottes wieder neugeboren werden.

4.6. Nun teilt sich der Wille im Feuerschreck in zwei Reiche, weil ein jedes in sich selber wohnt, nämlich der Schreck in der Finsternis ist Gottes Zorn, und der Schreck in der Wiederfassung zur freien Lust wird in der freien Lust das hochtriumphierende göttliche Freudenreich. Denn so wird die freie Lust erhebend und in ein ringendes Liebespiel hineingeführt, und so wird sie quellend und wirkend.

4.7. Darunter ist aber nicht zu verstehen, daß Gott damit einen Anfang nehme. Sondern es ist der ewige Anfang des geoffenbarten Gottes, wie sich die göttliche Vernunft mit der Kraft in der Unterschiedlichkeit offenbart und in Reiche hineinführt, welches eine ewige Gebärung ist. Und wir beschreiben hier nur, wie sich der unsichtbare unempfindliche Gott in Empfindlichkeit hineinführt und offenbart.


Diese Beschreibung erinnert auch an ein Bild aus dem Werk „Theoria Philosophiae Hermeticae“ von Heinrich Nollius (1617)
Rebis (von lat. res bina „zwei Dinge“) bezeichnet in der Alchemie ganz allgemein die Vereinigung zweier Prinzipien zu einem höheren Dasein, so z.B. Sulphur und Mercurius, insbesondere aber die Vereinigung des männlichen und weiblichen Prinzips zum Hermaphroditen bei der Bereitung des Steins der Weisen. (Quelle: anthrowiki.at/Rebis) Darin sieht man auch den heiligen und heilsamen Weg von der Vier über die Drei zur Zwei und Eins. Diese Ganzheit findet man im inneren Herzen des Hermaphroditen und im äußeren Ei, das alles umschließt und in fruchtbarer Weise ein ganzheitliches Wesen gebiert.

4.8. Nun sind uns aber mit der Anzündung des Feuers zweierlei Feuer, zweierlei Geist und zweierlei Wesen zu verstehen. Nämlich ein Liebefeuer in der freien Lust, die mit der Verdichtung oder Begierde wesentlich wird. Und in diesem Feuer scheiden sich Geist und Wesen, und sind doch ineinander, wie Geist und Leib eins sind. Und wie nun der Geist ist, so ist auch das entsprechende Wesen. Und wie in der Verdichtung der freien Lust ein heilig süßes Wesen und ein heilig süßer Geist ist, so sind Wesen und Geist in der finsteren Verdichtung herb, streng, rauh und bitter. Und wie das Wesen ist, so ist auch das Gemüt der Vernunft und des Willens im Wesen.

4.9. Obwohl das Ewige gegenüber der Zeit wie etwas Geistiges ist, so ist doch der wahre Geist viel subtiler als dasjenige, was er in der Fassung zu einer Substanz macht. Aber aus der Substanz geht erst der wahre vernünftige Geist aus, welcher vor der Substanz nur ein Wille ist und sich selbst nicht offenbar. Denn darum führt sich der Wille in Substanz und Wesen hinein, damit er sich selbst offenbar sei.

4.10. Nun ist uns die Unterschiedlichkeit im Feuer zu betrachten: Wenn sich das Feuer anzündet, dann wird der Feuerblitz oder Schreck wie Salpeter (der sich in kleine Salzkristalle verfestigt), weil sich alle Kräfte auseinander begeben und in Teilung gehen, darin sich die ewige einige Kraft Gottes offenbart und in die Unterschiedlichkeit der Eigenschaften teilt, beides geistlich und wesentlich. Wie es an dieser Welt zu sehen ist, wo dann die vielfältigen Salze entstehen, die mit der Schöpfung in solche Materie eingegangen sind, welches in der Ewigkeit nur ein geistiges Wesen war, aber mit dem Anfang der Zeit grob und hart wurde.

4.11. Aus dieser ewigen Wurzel entstehen auch die vielfältigen Geister, gute und böse, sowie das vielfältige Gestirn samt den vier Elementen und alles, was lebt und webt. Die Teilung aber in sich selber ist uns so zu verstehen: Wenn der Blitz aufgeht, dann kommt aus dem Feuer die Unterscheidung, und der Feuerschreck ist verzehrend und greift das gefaßte Wesen an, und zwar beides, das in der freien Lust und das in der Rauhigkeit, und verzehrt es augenblicklich, denn hier im Feuer wird der ewige Wille offenbar, der keinen Grund hat. Und vor dem kann kein Wesen bestehen, denn er verschlingt Alles in sein Nichts.

4.12. Und hier ist der Ursprung des ewigen Todes oder der Verzehrung, und in diesem Verzehren ist das höchst Verborgene, wie eine Heimlichkeit. Denn durch diese Verzehrung kommt der wahre, wesentliche und lebendige Geist der Vernunft hervor und macht einen anderen Anfang. Denn der erste Anfang ist von Gott, der sich zu seiner Beschaulichkeit vom Ungrund in einen Grund hineinführt. Dieser (zweite) Anfang aber, der aus dem Verzehren wieder ausgeht, ist ein geistiger Anfang und ergibt drei Welten: Zum Ersten die finstere Feuerwelt in Hitze und Kälte, die eine völlige Rauhigkeit ohne Wesen ist. Die zweite Welt ist eine geistige oder englische Welt. Und die dritte hat ihren Anfang mit dem Anfang der Zeit genommen (und ist unsere äußerliche vergängliche Welt). Denn als Gott die beiden inneren Welten bewegt hat, hat er daraus diese äußere sichtbare Welt in eine Form und eine Zeit geboren und geschaffen.

4.13. Nun ist aber die Teilung im Feuer der Verzehrung so zu verstehen: Die Kräfte, welche die erste Verdichtung wesentlich gemacht hatten, die werden nun im Feuer wieder in eine Geistlichkeit hineingeführt. Nämlich erstens geht aus der freien Lust ein geistiges Mysterium aus, das heißt, nach der Gottheit als nach der ewigen Vernunft geistig, und das ist das englische Leben und Licht sowie das wahre menschliche und alles, was denen gleicht, denn es sind die Kräfte Gottes. Darum tragen die Engel den großen Namen Gottes in sich, sowie auch die wahren Menschen, welche die göttliche Kraft haben.

4.14. Zweitens geht aus dem Wesen der freien Lust eine himmlische Leiblichkeit im Feuer aus, wie eine ölige Kraft, die der Leib oder das Wesen des Ursprungs ist, darin das Feuer brennt und daraus der Schein oder Glanz entsteht. Drittens kommt aus dem Ursprung und geistigem Öl eine webende Lust gleich einem Element, und das ist auch das göttliche Element.

4.15. Viertens kommt aus dem Element eine wäßrige Eigenschaft, die doch hier nur geistig zu verstehen ist. Denn dieses Wasser ist es, von dem Christus sagt, er wolle es uns zu trinken geben. Und wer das trinken würde, dem würde es in einen Quellbrunnen des ewigen Lebens quellen (Joh. 4.14). Es ist das Wasser über der Feste, davon Moses sagt, daß es Gott von den äußeren Wassern unter der Feste geschieden habe. Diese wäßrige und elementische Eigenschaft kommt aus dem Wesen der freien Lust, welche im Feuer verzehrt wird. So spricht das Wort der Vernunft, das sich nun im Feuer offenbart hat, diese Kräfte aus sich heraus, als ein jetzt lebend und webend Wesen, und darin wird die englische Welt verstanden.

4.16. Und in der Abscheidung der finsteren Eigenschaft kommt durch das sprechende Wort in der Scheidung aus dem Feuer, als ein anderes Prinzip oder Anfang anderer Eigenschaft, Viererlei: Erstens aus der herben strengen Verdichtung kommt ein höllischer, durstiger und grimmiger Qual-Quell, ganz rauh, auf Art der Kälte oder der harten Steine, ein Gemüt, das so schrecklich wie der Feuerblitz ist. Und zweitens kommt aus diesem feurigen Geist aus der Finsternis auch ein Öl, das die Eigenschaft eines Giftes hat, denn es ist der böse Mercurius vom Stachel in der ängstlichen Herbigkeit.

4.17. Drittens bewirkt die Angst auch ein webendes Gemüt, gleich dem (ganzheitlichen) Element, aber alles in hochgrimmiger und durchdringender Eigenschaft, in welcher die große Feuermacht und der Wille im Zorn Gottes oder der Grimm Gottes entsteht. Das begehrte Luzifer zu sein, und wollte darin herrschen, aber wurde darum ein Teufel, nämlich ein Ausgestoßener aus dem Liebefeuer in das finstere Feuer. Und viertens kommt durch das Verzehren im Feuer aus der grimmigen Eigenschaft auch eine wäßrige Eigenschaft, nämlich aus der ersten finsteren Verdichtung, welche vielmehr ein Giftquell ist, darin das finstere Leben brennt.

4.18. Daß ich hier aber von Öl und Wasser schreibe, das versteht so: In der Anzündung des Feuers im Schreck, und zwar beides, im Schreck der Freude im Wesen der freien Lust, und im Schreck der Grimmigkeit in der Verdichtung des finsteren Geistwesens, wird das Wesen, welches die erste Begierde geronnen oder gefaßt hat, im Feuerschreck verzehrt. Das heißt, als stürbe es in seiner Ichheit, und wird in einen einigen (ganzheitlichen) Geist gefaßt, der sich hier im Feuer der Grimmigkeit und im Lichtfeuer des Freudenreichs offenbart hat. Und der spricht es nun wieder als zwei geistige Welten aus sich aus.

4.19. So versteht es richtig! Aus der feurigen Eigenschaft kommt nun im Aushauchen aus der Lebensqual nach der freien Lust das Heilige und Freudenreiche, und nach der Finsternis das Leidvolle und Grimmige. Die Grimmigkeit und leidvolle Qual sind aber die Wurzel des Freudenreichs, und das Freudenreich ist die Wurzel der Feindschaft der finsteren Grimmigkeit, so daß damit ein Gegensatz entsteht, durch den das Gute offenbar und erkannt werde, was gut ist. (Denn wo ein Plus ist, muß auch ein Minus sein, und umgekehrt.)

4.20. Und das gestorbene Wesen im Feuer, welches die erste Begierde in der freien Lust geronnen und finster gemacht hat, geht durch das Feuersterben wie ein geistiges Öl aus, das die Eigenschaft von Feuer und Licht ist. Und aus der Abtötung kommt ein Wasser, wie ein gestorbenes gefühlloses Wesen, als ein Gehäuse des Öls, darin der Feuer-Qual-Quell oder Geist sein Lebensregiment führt, das die Speise des Feuerquells ist, die er wieder in sich zieht und verschlingt, und dadurch den Feuer-Qual-Quell löscht und in die größte Sanftmut hineinführt. Und darin entsteht das Leben der großen Liebe, als der gute Geschmack, so daß der Feuerquell im Öl durch die Abtötung im Wasserquell eine Demut oder Sanftmut wird (wie auch die Kohlenwasserstoffe von Öl oder Benzin mit Sauerstoff zu Wasser und Kohlenstoffdioxid verbrennen).

4.21. Denn kein Feuergeist kann ohne Abtötung seines eigenen Rechts oder seiner eigenen Essenz sanft sein. Aber das Wasser, welches zuvor ein gefaßtes Wesen aus der freien Lust war, aber im Feuer abgestorben ist, das kann die eigene (bzw. eigenwillige) Essenz des Feuers in eine sanfte Begierde verwandeln.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter