Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

5. Kapitel - Von den fünf Sinnen

Fünfte Gestaltung: Das Liebefeuer der Venus (♀)

5.1. Die fünfte Gestaltung oder Eigenschaft ist die Liebebegierde, als das heilige Leben oder das ausgewickelte (bzw. entwickelte) Lichtfeuer, das seine Erweckung im grimmigen verzehrenden Feuer nimmt oder empfängt. Das heißt, es wird aus dem Feuer scheinbar, wie wir ein Gleichnis an allen äußeren Feuern haben, so daß das Licht im Feuer entsteht, aber eine ganz andere Qualität als das Feuer hat. Denn das Feuer ist leidvoll, und das Licht ist sanft, lieblich und gibt Wesen.

5.2. So gibt das Feuer Licht und Luft, und aus der Luft wird Wasser wegen der Sanftmut des Lichtes. Denn die Luft zum Feuer ist im Feuerblitz erstorben. So wird dieses Erstorbene im Feuer ein sanftes Wesen, doch nur wie ein Geist. Wenn es aber vom Feuer im Licht ausgeht, dann gerinnt es (zum Wasser), und dann ist es ein Tod des Feuers, davon das Feuer erlischt. Weil es aber von der Art des Geistes ist, so ist es (wiederum) des Feuers Speise und Erquickung, wie man das vor Augen sieht, daß ein jedes brennendes Feuer eine Luft aus sich ergibt, und aus der Luft ein Wasser. Und diese Luft samt dem Wassergeist zieht das Feuer wieder in sich, zu seinem Leben und Glanz, denn wenn es das nicht erreichen kann, dann erlischt es, das heißt, es erstickt. Denn die Luft ist sein Leben, und das gebärt sie auch. (Das ist sozusagen ein selbsterhaltendes System. Dazu kennen wir heute auch den sogenannten Kohlenstoffzyklus.)

5.3. Gleiches ist uns vom göttlichen Wesen zu verstehen, wie sich die ewige Vernunft des Ungrundes in Grund und Wesen hineinführt, als in ein ewiges Gebären und Verzehren, darin die Offenbarung des Ungrundes steht und ein ewiges Liebespiel, so daß der Ungrund durch seinen gefaßten Grund mit sich selber ringt und spielt. Er gibt sich in ein Etwas und nimmt das Etwas wieder in sich und gibt ein anderes daraus. Er führt sich in Lust und Begierde hinein, dazu in Kraft, Stärke und Tugend, und führt je einen Schritt aus dem anderen und durch den anderen, damit es in sich ein ewiges Spiel sei.

5.4. Wie uns dann in der fünften Gestalt der Natur zu betrachten ist, wenn die Kräfte des ewigen Wortes oder der Vernunft durch das ewige Geistfeuer im ewigen Licht der Majestät offenbar werden, so daß eine jede Kraft oder Eigenschaft in sich selber offenbar und in ein fühlendes, schmeckendes, riechendes, schallendes und sehendes Wesen eingeht, welches durch das Feuer geschieht, darin alles geistlich und lebhaft wird. So geht dann auch eine Eigenschaft in die andere ein, denn sie sind alle aus einer ausgegangen, nämlich aus der freien Lust. Darum ist auch diese Lust noch in Allen, und allesamt begehren, wieder in diese freie Lust einzugehen, als in das Eine, wo sie dann einander in ihrer heiligen Verbindung empfangen, wenn eine die andere schmeckt, riecht, fühlt, hört und in der Essenz sieht. Und darin steht dann das wahre göttliche Freudenreich, sowie das wachsende Leben dieser Welt, wie an den sieben Eigenschaften und der Sonne Licht und Kraft im Gleichnis zu verstehen ist.

5.5. Das göttliche Freudenreich im Himmel Gottes, als im offenbarten Gott in seinem ausgesprochenen oder ausgehauchten Wesen, wie ich es etwa zum Verständnis geben möchte, steht in der Liebebegierde, nämlich in der Kraft, die sich durch das Feuer im Licht offenbart. Denn das Feuer gibt der sanften freien Lust Essenz und Qualität, so daß sie unterschiedlich und beweglich wird und ein Freudenreich entsteht.

5.6. Gleiches ist uns auch von der Finsternis zu verstehen: Was im Licht eine begehrende Liebe ist, darin sich alles erfreut, das ist in der Finsternis eine (begehrende) Feindschaft. Denn das Feuer ist in der Finsternis kalt oder hitzig, dazu bitter, herb und stachlig. Die Eigenschaften sind alle ganz rauh und widerwärtig. Denn sie suchen nicht das Eine, sondern das Aufsteigen ihrer eigenen Macht. Denn je größer ihr Erheben und Entzünden ist, desto größer ist ihre Macht, wie auch im Licht das Freudenreich größer wird.

5.7. Aber was im Licht der Kraft gut und heilig ist, das ist in der Finsternis ängstlich und widerwärtig. Die Finsternis ist die größte Feindschaft des Lichtes, und ist doch die Ursache, daß das Licht offenbar wird. Denn wenn kein Schwarzes wäre, dann könnte sich das Weiße nicht offenbaren, und wenn kein Leid wäre, dann wäre sich auch die Freude nicht offenbar.

5.8. So erhebt sich die Freude in sich, damit sie nicht wie das Leid ist. Und das Leid erhebt sich in sich, damit es eine Macht und Stärke des Feuers und Lichtes sei, daraus dann der überhebliche Stolz und der Eigenwille entstehen, so daß die finstere Macht des Feuers dem Licht Essenz und bewegliche Qualität gibt. Diese Macht bewegte auch König Luzifer, so daß er sich in der Feuerswurzel erhob, um über Feuer und Licht zu regieren, und deshalb aus dem Licht in die Finsternis verstoßen wurde, und das Licht sich ihm entzog.

5.9. Darum versteht uns an dieser Stelle wohl, was die Hölle und finstere Welt oder Zorn Gottes sei, davon die Schrift sagt, daß es eine Hölle gibt, das heißt, eine Gruft der Verzweiflung des Guten. Darunter ist aber kein abgetrennter Ort zu verstehen, sondern es ist der erste Grund zur ewigen Natur, der Ort zwischen dem Reich Gottes und dieser Welt. So ist sie (die Finsternis) in sich selbst wohnend und ergibt ein eigenes Prinzip, hat weder Ort noch Stätte und ist überall, aber nur sich selbst beherrschend. Doch sie gibt der Licht- und äußeren Welt Essenz, das heißt, sie ist die Ursache zur Qual-Qualität als ein Feuer. Und das ist das ganze Wesen aller Wesen Gottes.

5.10. In dieser Finsternis ist er ein zorniger eifriger Gott, und im Geistfeuer (der äußeren Welt) ein verzehrendes Feuer, und im Licht ist er ein barmherziger und lieber Gott. Doch in der Kraft des Lichtes heißt er vor allen anderen Eigenschaften „Gott“. Und doch ist das nur der offenbarte Gott, der sich durch die ewige Natur in eingeführten Eigenschaften selbst offenbart. Wenn ich darüber hinaus sagen sollte, was Gott in seiner Tiefe sei, dann muß ich sagen: Er ist jenseits aller Natur und Eigenschaften, wie eine Vernunft und ein Ursprung aller Wesen. Die Wesen sind seine Offenbarung, und nur davon haben wir die Macht zu schreiben, und nicht vom unoffenbaren Gott, der sich doch ohne seine Offenbarung auch selbst nicht bekannt wäre.

Sechste Gestaltung: Des Lebens Ursprung (Merkur/Jupiter)

5.11. Die sechste Gestaltung der Natur und aller Wesen entsteht auch aus all den anderen und wird im Feuer durch das Licht in der Liebebegierde offenbar. Sie ist der Natur Vernunft, Schall, Rede und alles was lautet, sei es im Lebhaften oder Unlebhaften. Ihr wirklicher Ursprung kommt von der herben Begierde oder Verdichtung durch die erste, zweite und dritte Gestaltung, davon das Bewegen und die Härte entstehen. Im Feuer wird dann dieses Wesen der Gerinnung verzehrt, und aus der Verzehrung kommt ein solcher Geist hervor, sowohl im Licht nach der Eigenschaft der Liebe, als auch in der Finsternis nach der Eigenschaft der feindlichen Qual und Angst. Und dies ist uns so zu verstehen:

5.12. Ein jeder Geist begehrt ein Wesen nach seiner Gleichheit. Nun kommt aber aus dem Feuer nicht mehr als ein Geist hervor (das ist eine geistige Vernunft, die Offenbarung der Vernunft des Ungrundes oder Gottes). Der faßt sich wieder in der Liebebegierde und formt sich in die Eigenschaften der Kräfte. Und dieses ineinander Eingehen und ineinander Inqualieren, ist der holdselige Geschmack der Liebe.

5.13. Aber das in der Liebebegierde Gefaßte, darin die Begierden die Kräfte wieder gerinnen und in Formen hineinführen, nämlich in einen substantiellen Geist, mit dem sich die Kräfte lautbar bewegen können, das ist nun die natürliche und kreatürliche Vernunft, die im Wort war, wie Johannes sagt: »In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. (Joh. 1.4)«

5.14. Und dieser Schall (bzw. diese lebendige Reflexion) des Hörens, Sehens, Fühlen, Schmeckens und Riechens ist das wahre vernünftige Leben. Denn wenn eine Kraft in die andere eingeht, dann empfängt sie die andere im Schall. Wenn sie ineinander dringen, dann erweckt eine die andere und erkennt eine die andere. In dieser Erkenntnis steht die wahre (ganzheitliche) Vernunft, die ohne Zahl, Maß und Grund ist, nämlich nach Art der ewigen Weisheit, als des Einen, das Alles ist.

5.15. Darum kann ein einiger (ganzheitlicher) Wille in diesem Quellbrunnen schöpfen, wenn er göttliches Licht in sich hat, und kann die Unendlichkeit schauen, und aus diesem Schauen hat auch diese Feder geschrieben.

5.16. Zu diesem lautbaren Leben oder Schall der Kräfte gehören auch Hart und Weich, Dick und Dünn, und ein Bewegen, denn ohne Bewegung wäre alles still. Und so kann doch auch ohne Feuersessenz kein Lauten sein. Denn erst das Feuer macht durch Hart und Weich den Klang.

5.17. Nun gäbe es auch keinen Klang ohne eine Fassung. Darum gehören alle Gestaltungen zum Schall (der Reflexion des „Be-wußt-seins“): 1) die Begierde macht hart, 2) der Stachel bewegt, 3) die Angst faßt es in Essenz zum Unterschied, 4) das Feuer verwandelt die Grobheit des ersten gefaßten Wesens in seinem Verzehren in einen Geist oder Klang, welchen 5) die Liebebegierde in ihre Weichheit und Sanftmut wieder faßt und zu einem Hall nach den Kräften formiert, und 6) ist das Gefaßte oder Geformte (bzw. „Informierte“) der Lebensschall oder die Vernunft mit aller Unterschiedlichkeit.

5.18. Dieses ist nun das geoffenbarte Wort, welches in sich nur eine Kraft ist, darin alle Kräfte liegen. Es offenbart sich so durch die ewige und auch zeitliche Natur, und führt sich entsprechend in Formen zum Aussprechen. Denn das geformte Wort hat wieder eine solche Macht in sich, um eine Gleichheit zu gebären, nämlich ein solches Wesen, wie die Geburt des Geistes war.

5.19. Im Licht Gottes, welches das „Himmelreich“ heißt, ist der Schall überall ganz sanft, lieblich und subtil, gegenüber unserer äußerlichen Grobheit in unseren Schallen und Reden sowie Klang und Gesang, gleich einer Stille, weil das Gemüt in sich nur wie in einem Freudenreich spielt und auf innerliche Art einen solchen lieblichen süßen Ton hört und nichts Äußerliches hört oder versteht. Denn in der Essenz des Lichtes ist alles subtil, in gleicher Art, wie die Gedanken ineinander spielen, wo doch wahrhaftig ein verständlicher unterschiedlicher Ton und auch eine Rede im Reich der Herrlichkeit gebraucht und von den Engeln gehört wird, aber ganz nach der Eigenschaft ihrer Welt.

5.20. Denn wo der Schall grob und hart lautbar sein soll, da muß er in der finsteren Verdichtung mächtig sein, wo ein hart-brennendes Feuer ist. Gleichwie wir Menschen nach dem Fall Adams das Feuer der finsteren Welt in unserer Lebensessenz erweckt und entsprechend angezündet haben, davon unser Lebensschall so grob und tierisch wurde, nahend dem Abgrund gleich, so ist uns in gleicher Weise der Hall der Finsternis zu verstehen. Wie also die Gebärung des Wortes in seiner Offenbarung im Licht in der heiligen Kraft ist, so ist es auch in der Finsternis, aber alles ganz rauh, grob und hart. Was im Licht klingt und ein lieblicher Ton ist, das ist in der Finsternis ganz rauh, hart schallend, gleich einem Pochen ohne rechten (harmonischen) Klang. Und solches kommt aus der Essenz der herben, harten, stachligen Angst-Gebärung, als aus dem Ursprung der Kälte oder kalten Feuer-Qual-Quelle.


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