Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

3. Kapitel - Vom Ursprung des Bösen

Wie aus dem ewigen Guten ein Böses geworden ist, das im Guten keinen Anfang zum Bösen hat, sowie vom Ursprung der finsteren Welt oder Hölle, in welcher die Teufel wohnen.

3.1. Wenn nun in der äußerlichen Welt Licht und Finsternis gesehen werden, dazu Leid und Qual, aber alles aus dem ewigen Mysterium als aus der inneren geistigen Welt herrührt, und die innere geistige Welt aus dem ewig-gebärenden und sprechenden Wort herrührt, dann ist uns zu betrachten, wie aus dem ewigen Guten ein Böses wurde, das in dem Guten doch keinen Anfang zum Bösen hat. Woher also Finsternis, Leid und Qual entstehen, und dann, woher in der Finsternis ein Glanz oder Licht entsteht.

3.2. Denn wir können nicht sagen, daß das ewige Licht oder die ewige Finsternis geschaffen sei, denn sonst wären sie in einer Zeit und in einem gefaßten Anfang, was doch nicht ist. Denn sie sind zwar mit in der Gebärung, aber nicht in der Weisheit oder Gebärung des Wortes der Gottheit, sondern sie nehmen ihren Ursprung in der Begierde des sprechenden Wortes.

3.3. Denn im ewigsprechenden Wort, das jenseits aller Natur oder Anfang nur die göttliche Vernunft oder ein göttlicher Hall ist, darin ist weder Finsternis noch Licht, weder Dickes noch Dünnes, weder Freude noch Leid, auch keine Empfindlichkeit noch Findlichkeit. Sondern es ist bloß eine Kraft der Vernunft in einer Qualität und einem Willen und Regiment. Es ist sich weder Freund noch Feind, denn es ist das ewige Gut und nichts mehr.

3.4. Weil nun dieses ewige Gut kein unempfindliches Wesen sein kann (denn dann wäre es sich selbst nicht offenbar), deshalb führt es sich in sich selbst in eine Lust hinein, zu seinem Selbstschauen oder Sehen, was es sei, und in dieser Lust besteht die Weisheit. Und wenn sich dann die Lust so sieht, was sie ist, dann führt sie sich in eine Begierde hinein, um zu empfinden was sie sei, nämlich zu einer Fühlung des Geruchs, des Geschmacks, der Farben, Kräfte und Tugenden. Und es könnte doch auch keine Fühlung in der freien geistigen Lust entstehen, wenn sie sich nicht selber in eine Begierde (gleich einem Hunger) hineinführte.

3.5. Denn das Nichts hungert nach dem Etwas, und der Hunger ist die Begierde, als das erste Schöpfungswort (Verbum Fiat) oder Machen. Aber die Begierde hat nichts, das sie machen oder fassen könnte. Sie faßt sich nur selber und verdichtet sich, das heißt, sie gerinnt, sie zieht sich in sich selbst und faßt sich, und führt sich vom Ungrund in einen Grund, und beschattet sich selbst mit dem magnetischen Anziehen, so daß das Nichts voll wird, und bleibt doch ein Nichts, denn es entsteht nur eine Eigenschaft, wie eine Finsternis. Das ist der ewige Ursprung der Finsternis, denn wo eine Eigenschaft ist, da ist schon etwas, und das Etwas ist nicht wie das Nichts, denn es gibt Dunkelheit. Es sei denn, daß es mit etwas anderem (wie mit einem Glanz) erfüllt werde, dann ist es Licht, und bleibt doch eine Dunkelheit in der Eigenschaft.

3.6. In dieser Gerinnung, Verdichtung, Begierde oder Hunger, wie ich etwa zum Verständnis geben möchte, ist uns nun mit der Zusammenziehung oder Zusammenfassung zweierlei zu verstehen: Erstens die freie Lust, welche die Weisheit, Kraft und Tugend der Farben ist. Und zweitens die Begierde der freien Lust in sich selbst. Denn die freie Lust, als die Weisheit, ist keine Eigenschaft, sondern ist von aller Aneignung frei, und ist mit Gott eins. Aber die Begierde ist eine Eigenschaft (weil sie etwas Eigenes schafft). Nun entsteht aber die Begierde aus der Lust, und darum faßt auch die Begierde die freie Lust mit in der Zusammenziehung des Fassens und führt sie mit in die Empfindlichkeit und Findlichkeit hinein (in Bewußtsein und Wahrnehmung).

3.7. Ihr sollt uns aber an dieser Stelle richtig verstehen: Die Begierde entsteht aus dem Willen zur freien Lust, und führt sich durch die freie Lust heraus und in eine Begierde hinein, denn die Begierde ist die Eigenschaft des Vaters, und die freie Lust als die Weisheit ist die Eigenschaft des Sohnes. Obwohl Gott, soweit er ein Geist ist, hier an dieser Stelle noch nicht Vater oder Sohn genannt wird, bis zur Offenbarung durch das Feuer im Licht, erst dann wird er Vater und Sohn genannt. Aber zum gründlichen Verständnis stelle ich es wegen der Geburt der Natur so dar, damit man verstehe, welcher Person in der Gottheit die Natur, und welcher die Kraft in der Natur zugeschrieben werde.

Das Zentrum der ewigen Natur

Wie sich der Wille des Ungrundes in die Natur und ihre Gestaltungen hineinführt.

3.8. Die Begierde aus dem ewigen Willen des Ungrundes ist die erste Gestaltung, und ist die Schöpfung oder das „Schuf“. Und die Kraft der freien Lust ist Gott, der das „Schuf“ führt, und beides heißt zusammen „Schöpfungswort“ (Verbum Fiat). Das ist das ewige Wort, das da schafft, wo nichts ist, und das ist der Ursprung der Natur und aller Wesen.

Erste Gestaltung: Zusammenziehende Herbigkeit (Saturn)

3.9. Die erste Eigenschaft der Begierde ist herb, streng, verdichtend, sich fassend und sich beschattend, und macht erstlich die große Finsternis des Abgrundes. Zum Zweiten macht sie sich nach geistiger Art wesentlich, ganz rauh, hart und derb, und ist eine Ursache der Kälte und aller Schärfe, auch alles dessen, was Wesen heißt, und ist der Anfang der Findlichkeit, darin sich die freie Lust selber findet und in eine Beschaulichkeit hineinführt. Aber die Begierde führt sich damit in sich selber auch in Leid und Qual, doch nur so nimmt die freie Lust die Findlichkeit an.

Zweite Gestaltung: Bitter-Stachel (Jupiter/Merkur)

3.10. Die zweite Gestaltung oder Eigenschaft ist das Einziehen der Begierde, und das ist ein Stachel, Regen oder Bewegen. Denn eine jede Begierde ist einziehend und ist der Anfang des Bewegens, Regens und Lebens, und der wahre Ursprung des merkurialischen Lebens der leidvollen Qual-Qualität. Denn hier entsteht die erste Feindschaft zwischen der Herbigkeit oder Härtigkeit und dem Stachel der Regung. Denn die Begierde macht hart und derb und schließt ein, wie die Kälte das Wasser einschließt. Also ist das Herbe nur eine Kälte, und dagegen wird durch das Einpressen der Stachel als ein Ziehen (bzw. Fliehen) geboren.

3.11. Es ist hier wie Vater und Sohn: Der Vater will still und hart sein, und der Stachel als sein Sohn zieht (bzw. flieht) im Vater und macht Unruhe. Das kann der Vater als die Herbigkeit nicht erdulden und zieht noch heftiger in der Begierde an sich, um den ungehorsamen Sohn zu halten und einzuschließen, dadurch der Sohn nur stärker im Stachel wird. Und das ist der wahre Grund und die Ursache der Empfindlichkeit, welches in der freien Lust der ewige Anfang des Bewegens der Kräfte, Farben und Tugenden und des göttlichen Freudenreichs ist. So ist in der finsteren Begierde der Ursprung von Feindschaft, Leid und Qual und der ewige Ursprung des göttlichen Zorns und aller Unruhe und Widerwärtigkeit.

Dritte Gestaltung: Angst (Mars/Venus)

3.12. Die dritte Eigenschaft ist die Angst, Qual oder das Qual-Quellen, welche von den zwei ersten Eigenschaften bewirkt wird. Wenn sich der Stachel als das Regen in der zusammenziehenden Härtigkeit mit dem Wüten bewegt und die Härtigkeit zerbricht, dann entsteht im Zerbrechen der Härte die erste Fühlbarkeit, und das ist der Anfang der Essenzen: Denn es ist erstens die Unterschiedlichkeit, dadurch in der freien Lust im Wort der Kräfte jede Kraft in sich selber fühlend und unterschiedlich wird. Und zweitens der Ursprung der Unterschiedlichkeit, so daß die Kräfte jeweils in sich selber offenbar werden, wie auch der Ursprung der Sinne und des Gemüts.

3.13. Denn das ewige Gemüt (der Vernunft bzw. Intelligenz) ist die allwesende Kraft der Gottheit. Aber die Sinne entstehen durch die Natur mit der Bewegung in der Unterscheidung der Kräfte, darin sich eine jede Kraft selbst empfindet und fühlt. Das ist auch der Ursprung des Geschmacks und Geruchs. Denn wenn die Empfindlichkeit der Kräfte in der Unterschiedlichkeit jeweils eine in die andere eingeht, dann fühlen, schmecken, riechen, hören und sehen sie einander, und damit entsteht des Lebens Freude, welches in der Stille der Kraft Gottes, in der Freiheit, nicht sein könnte. Darum führt sich die göttliche Vernunft in geistige Eigenschaften hinein, damit sie sich selber offenbar und ein wirkendes Leben sei.

3.14. So ist uns nun die Angst in ihrer Gebärung und Selbsteigenschaft zu betrachten. Denn gleichwie in der Freiheit im Wort der Kraft Gottes ein Gemüt ist, als eine Vernunft, so führt sich auch in gleicher Weise der erste begehrende Wille in der Begierde der Finsternis in ein Gemüt hinein, das die Angstqual ist, wie eine (brennende) Schwefel-Qual, obwohl hier doch nur Geist verstanden wird.

3.15. Die Angstqual wird so verstanden: Die herbe Begierde faßt sich, verfestigt sich in sich und macht sich voll, hart und rauh. Dann wird das Ziehen ein Feind der Härte, denn die Härte ist haltend, und das Ziehen ist fliehend. Eins will in sich, und das andere will aus sich heraus. Weil es aber nicht voneinander weichen oder sich trennen kann, so wird es ineinander wie ein drehendes Rad, denn eines will über sich und das andere unter sich.

3.16. Denn die Härte gibt Wesen und Gewicht, und der Stachel gibt Geist und das fliehende Leben. Dies dreht sich miteinander in sich und aus sich, und kann doch nirgends hin. Was die Begierde wie ein Magnet hart macht, das zerbricht das Ziehen wieder, und so ist die größte Unruhe in sich selber, gleich einer wütenden Unsinnigkeit, und es ist in sich eine schreckliche Angst, und doch wird hier bis zum Feuer noch kein wirkliches Fühlen verstanden. Dazu bitte ich hier den recht verständigen Naturkundigen, daß er sich besinnen möge, und in seinem natürlichen Wissen wird er finden, was das sei oder bedeute.

3.17. Die Angst macht den Schwefelgeist, und der Stachel macht das Mercurius als den Werkmeister der Natur, denn er ist das Leben der Natur. Und die herbe Begierde macht den scharfen Salzgeist, und alle drei sind nur einer, aber sie teilen sich in drei Gestaltungen, die Sulphur, Mercurius und Sal heißen (Schwefel, Quecksilber und Salz, auch Seelenkörper, bewußte Reflexion und Kristallisation). Diese drei Eigenschaften verdichten in sich die freie Lust, so daß sie auch eine materielle Wesenheit ergibt, und das ist wie ein Öl von Leben und Freude für diese drei Gestaltungen, welches (nach der Verbrennung) ihre Grimmigkeit löscht und besänftigt. Und das kann kein Verständiger leugnen, denn in allen Dingen ist ein Salz, Schwefel und Öl, und das Mercurius macht wie ein Gift-Leben die Essenz in allen Dingen. Und so führt sich der Ungrund in den Grund und die Natur hinein.

Vierte Gestaltung: Entzündung des Feuers (Sonne/Mars)

3.18. Die vierte Gestaltung in der Natur ist die Anzündung des Feuers, mit welchem erst das fühlende und verständige Leben aufgeht und sich der verborgene Gott offenbart. Denn ohne die Natur ist er allen Kreaturen verborgen, aber in der ewigen und zeitlichen Natur ist er offenbart und empfindbar.

3.19. Und diese Offenbarung geschieht erstlich durch die Erweckung der Kräfte, nämlich durch die oben genannten drei Eigenschaften von Sulphur, Mercurius und Salz, und darin ist das Öl („Kohlen-wasser-stoff“), in welchem das Leben brennt und scheint. In der vierten Gestaltung, als im Feuer und Licht, wird erst das wahre Leben offenbar, nämlich im Feuer das natürliche Leben, im Licht das ölig geistige Leben, und in der Kraft des Lichtes das göttlich vernünftige Leben.

3.20. Oh Leser, erkenne es richtig! Ich verstehe hier mit dieser Beschreibung der Natur die ewige, nicht die zeitliche. Ich weise dir darunter nur die zeitliche, denn sie ist aus der ewigen ausgesprochen. Und darum sehe mir darin keine Kälber, Kühe oder Ochsen, wie es die Unvernunft von Babel zu tun pflegt (die aufgetürmten Gedanken, die den Himmel erreichen sollen, aber in Verwirrung enden).

3.21. Erstlich erkenne dies, daß sich die göttliche Vernunft darum ins Feuer hineinführt, damit ihre ewige Lust majestätisch und ein Licht werde. Denn die göttliche Vernunft nimmt keine Qual-Qualität in sich, und sie bedarf auch keine zu ihrem eigenen Wesen, denn das Alles bedarf des Etwas (Ichts) nicht. Das Etwas ist nur ihr Spiel. Und damit das Alles spielt und damit ihr das Ganze als das Alles selbst offenbar werde, führt sie ihren Willen in Eigenschaften hinein. So wollen wir als eine Kreatur von den Eigenschaften schreiben, als vom offenbarten Gott, nämlich wie sich das Alles als die unergründliche ewige Vernunft offenbart.

3.22. Zum Zweiten führt sich die unergründliche und göttliche Vernunft darum in einen ängstlichen Feuerwillen und ein Leben hinein, auf daß ihre große Liebe und Freude, welche „Gott“ heißt, offenbar werde. Denn wenn alles nur Eines wäre, so wäre sich das Eine nicht selbst offenbar. Aber durch die Offenbarung wird das ewige Gut erkannt und ergibt ein Freudenreich. Denn wenn keine Angst wäre, dann wäre sich die Freude selbst nicht offenbar, und es wäre nur ein einiger Wille, der immer nur ein Ding hätte. Wenn er sich aber in Gegensätzlichkeit hineinführt, dann wird in diesem Streit die Lust der Freude zu einer Begierde und zu seinem Liebesspiel, so daß sie zu wirken und zu tun hat, menschlich gesprochen.

3.23. Der Ursprung des ewigen Geist- und Naturfeuers geschieht durch eine ewige Verbindung oder Zusammenfügung, keines gesondert, sondern beides zugleich. Nämlich das göttliche Feuer, welches ein Liebe-Brennen ist, und zum zweiten das Naturfeuer, welches ein Leiden und eine verzehrende Qual ist. Und dies geschieht so:

3.24. Das eine Teil, als der Wille des Vaters oder des Ungrundes, führt sich in die größte Schärfe der Herbigkeit hinein, darin er ein kaltes Feuer ist, eine kalte leidvolle Qual, und sich durch die herbe stachlige Angst schärft. Und in dieser Angst wird er nach der Freiheit begehrend, als der freien Lust oder Sanftmut. Und das andere Teil ist die freie Lust, welche begehrt, offenbar zu sein. Diese sehnt sich nach des Vaters Willen, der sie jenseits der Natur geboren hat und zu seinem Spiel gebraucht. Und diese begehrt hier wieder den Willen, und der Wille hat sich hier wieder gefaßt, um aus der Angst wieder in die Freiheit zu gehen, nämlich in die freie Lust.

3.25. Versteht, das ist der wiedergefaßte Wille, der nach der freien Lust Gottes begehrt. Nun hat er aber in sich die grausame, herbe, harte, stachlige und ängstliche Schärfe angenommen, und die freie Lust ist eine große Sanftmut gegenüber der grimmigen Natur, wie ein Nichts, obwohl sie doch ist. Und diese beide gehen nun gegeneinander und ineinander. Der scharfe Wille ist nun mächtig begehrend nach der freien Lust, und die Lust begehrt den strengen Willen, und indem sie ineinander gehen und einander fühlen, geschieht ein großer Schreck, wie ein Blitz, in gleicher Art, wie sich am Firmament das Feuer oder ein Blitz entzündet.

3.26. Und in diesem Schreck geschieht die Anzündung des Feuers. Denn die herbe strenge Finsternis, welche eine Kälte ist, erschrickt vor dem Licht und der großen Sanftmut der freien Lust und wird in sich ein Schreck des Todes, darin die Grimmigkeit und kalte Eigenschaft in sich zurückgeht und sich wie tot verschließt. Denn im Schreck wird das finstere Gemüt wesentlich, es rafft sich als ein Eigenes in sich zusammen, wie eine große Furcht vor dem Licht oder eine Feindschaft des Lichtes. Und das ist der wahre Ursprung der finsteren Welt, nämlich der Abgrund, in den die Teufel verstoßen worden sind, und den wir auch „Hölle“ nennen.


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