Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

2. Kapitel - Vom Wort oder Herz Gottes

Vom Wort oder Herz Gottes.

2.1. Dies ist es nun was St. Johannes sagt: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. (Joh. 1.1)« Das Wort „Im“ ist der Wille des Ungrundes. „Anfang“ ist das Fassen des Willens, wenn er sich selber faßt und in einen ewigen Anfang hineinführt. Und das „Wort“ ist dann das Gefaßte, das im Willen ein Nichts ist, aber mit dem Fassen eine Gebärung wird: Das war im Anfang beim Willen und im Willen. Doch mit der Lust des Willens nimmt es seinen Anfang in der Fassung des Willens, und darum heißt es „Herz“, als ein Zentrum oder Lebenskreis, darin der Ursprung des ewigen Lebens ist.

2.2. Und Johannes sagt weiter: »Durch dasselbe sind alle Dinge gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.« Hier, oh Mensch, nimm nun dieses Lebenslicht (des Bewußtseins), das im Wort war und ewig ist, und beschaue das Wesen aller Wesen, und besonders dich selbst, weil du des unergründlichen Gottes Bild, Leben und Wesen bist und ein Gleichnis nach ihm. Hier bedenke Zeit und Ewigkeit, Himmel, Hölle und Welt, Licht und Finsternis, Leid und Qual, Leben und Sterben, Ichts und Nichts (Sein und Nichtsein)! Hier prüfe dich, ob du das Leben und das Licht des Wortes in dir hast, so daß du alles sehen und verstehen kannst. Denn dein Leben ist im Wort gewesen und ist im Bild (das Gott erschuf) offenbar geworden. Es ist ihm vom Geist des Wortes eingeblasen worden. Nun erhebe deine Vernunft im Licht deines Lebens, und beschaue das geformte Wort, betrachte seine innerliche Gebärung, denn im Licht des Lebens steht alles offenbar.

2.3. Sprichst du: „Ich kann nicht, ich bin verdorben.“ So höre: Dann bist du auch noch nicht aus Gott wiedergeboren. Denn wenn du dieses Licht wiederhättest, dann könntest du es. Nun wohlan, wir mangeln wohl alle des Ruhms, den wir an Gott haben sollen, aber ich will dir etwas weisen. Habe nur acht und fasse es, und sei kein Spötter, wie es die verwirrte Babel (mit ihrem Gedankenturm) ist. Siehe, wenn wir vom Wesen aller Wesen reden wollen, dann sagen wir: „Von Gott und durch Gott ist alles.“ Denn auch St. Johannes sagt: »Ohne ihn ist nichts gemacht, was gemacht ist.«

2.4. Nun fragt der Verstand. „Woraus oder wie hat Gott Gutes und Böses gemacht, Leid und Qual, Leben und Tod? Ist denn in Gott ein solcher Wille, der Böses macht?“ Hier beginnt der (gedankliche) Verstand zu spekulieren und will es fassen, geht aber nur äußerlich im Kreis herum und kann nicht hinein, denn er ist außen und nicht im Wort des Lebenskreises.

2.5. So siehe dich nur selbst an, was du bist, und siehe die äußere Welt mit ihrem Regiment an, was diese ist. Dann wirst du finden, daß du mit deinem äußerlichen Geist und Wesen die äußere Welt bist. Du bist eine kleine Welt aus der großen, und dein äußeres Licht ist ein Chaos der Sonne und des Gestirns, sonst könntest du durch das Sonnenlicht nicht sehen. Denn die Sterne geben die Essenz der Unterschiedlichkeit im verständlichen Sehen. Und dein Leib ist Feuer, Luft, Wasser und Erde, und darin liegt auch die metallische Eigenschaft. Denn wessen die Sonne mit dem Gestirn ein Geist ist, dessen ist die Erde mit den anderen Elementen ein Wesen, eine geronnene Kraft (bzw. Energie). Was das Obere ist, das ist auch das Untere, und so sind alle Kreaturen dieser Welt dasselbe.

2.6. Wenn ich einen Stein oder Erdklumpen aufhebe und ansehe, dann sehe ich das Obere und das Untere, ja die ganze Welt darin, nur daß an einem jeden Dinge irgendeine Eigenschaft größer (und bestimmend) ist, danach es auch benannt wird. Aber auch die anderen Eigenschaften liegen alle miteinander darin, nur in unterschiedlichen Graden und Zentren, und doch sind alle Grade und Zentren nur ein einziges Zentrum. Denn es gibt nur eine einzige Wurzel, daraus alles herkommt, und es unterscheidet sich nur in der Verdichtung (bzw. Verkörperung), darin es geronnen wird. Sein Ursprung ist wie ein Rauch oder Dunst vom großen Mysterium des ausgesprochenen Wortes, das an allen Orten im Wiederaussprechen steht. Und das ist im Wiederaushauchen ein Gleichnis nach sich selbst, ein Wesen nach dem Geist.

2.7. Nun können wir aber nicht sagen, daß die äußere Welt Gott sei, oder das sprechende Wort, das in sich ohne solches Wesen ist, sowie auch der äußere Mensch nicht, sondern es ist alles nur das ausgesprochene Wort, das sich in seinem Wiederfassen (zum selber Sprechen) so geronnen hat und noch immerfort mit den vier Elementen durch den Geist der Begierde gerinnt und in ein solches Weben und Leben hineinführt, nach Art und Weise, wie das ewige sprechende Wort ein (geistiges) Mysterium in sich macht. Und dieses Mysterium nenne ich das Zentrum der ewigen Natur, wo sich das ewigsprechende Wort in eine Gebärung hineinführt, und auch eine solche geistige Welt in sich macht, wie wir im ausgesprochenen Wort eine materialistische sind.

2.8. Denn ich sage, die innere Welt ist der Himmel, darin Gott wohnt, und die äußere Welt ist aus der inneren ausgesprochen und hat nur einen anderen Anfang als die innere, aber kommt doch aus der inneren. So ist sie aus der inneren ausgesprochen (durch Bewegung des ewigsprechenden Wortes) und in einen Anfang und ein Ende gesetzt.

2.9. Und die innere Welt steht in dem ewigen sprechenden Wort, und das ewige Wort hat sie als ein großes Mysterium seit Ewigkeit aus seiner Kraft, Farbe und Tugend (durch die Weisheit) in ein Wesen gesprochen, und dieses Wesen ist auch nur wie ein Aushauchen vom Wort in der Weisheit, das seine Wiederfassung (zur Gebärung) in sich hat und sich mit der Fassung auch gerinnt und in Formungen hineinführt, je nach Art der Gebärung des ewigen Wortes, nämlich wie sich die Kräfte, Farben und Tugenden im Wort (durch die Weisheit) gebären, oder wie ich sagen möchte, aus der Weisheit im Wort.

2.10. Darum ist vor Gott nichts nah oder fern, eine Welt ist in der anderen und sie sind alle nur die einzige Welt. Aber eine ist geistig und die andere ist leiblich, gleichwie Leib und Seele ineinander sind, und auch Zeit und Ewigkeit nur Eins sind, aber in unterschiedlichen Anfängen. Die geistige Welt im Inneren hat einen ewigen Anfang, und die äußere einen zeitlichen, und eine jede hat ihre Geburt in sich. Aber das ewigsprechende Wort herrscht durch alles, und kann doch weder von der geistigen noch der äußeren Welt ergriffen oder gefaßt werden, damit es stillstünde, sondern es wirkt seit Ewigkeit in Ewigkeit, und nur sein Gewirke wird gefaßt. Denn dies ist das geformte Wort, und das wirkende (bzw. verursachende) Wort ist sein Leben und unfaßbar, denn es ist jenseits von allem Wesen, nur bloß wie eine Idee oder eine Kraft, die sich in ein Wesen hineinführt.

2.11. In der inneren geistigen Welt faßt sich das Wort in ein geistiges Wesen, nämlich in ein einiges (ganzheitliches bzw. heiliges) Element, darin die vier Elemente verborgen liegen. Als aber Gott durch das Wort dieses einige Element bewegte, da offenbarten sich die verborgenen Eigenschaften, so daß dann vier Elemente wurden.


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