Aurora oder Morgenröte im Aufgang

(Text von Jacob Böhme von 1612, deutsche Überarbeitung 2021)

1. Kapitel - Das göttliche Wesen der Natur

Von der Erforschung des göttlichen Wesens in der Natur.

Von zwei Qualitäten

1.1. Das göttliche Wesen kann man natürlich durch Fleisch und Blut nicht ergreifen, sondern nur durch den (ganzheitlichen bzw. heiligen) Geist, wenn er von Gott erleuchtet und angezündet wird. Wenn man aber von Gott reden will, was Gott sei, dann kann man nur fleißig die Kräfte in der Natur erwägen, dazu die ganze Schöpfung, Himmel und Erde, wie auch die Sterne und Elemente, sowie die Kreaturen, die aus ihnen entstanden sind, wie auch die Engel, Teufel und Menschen in Himmel und Hölle.

1.2. In solcher Betrachtung findet man zwei Qualitäten, eine gute und eine böse, die in dieser Welt in allen Kräften in den Sternen und Elementen wie auch in allen Kreaturen ineinander sind, wie ein einziges Wesen. Und so besteht auch im natürlichen Leben keine körperliche Kreatur, ohne diese beiden Qualitäten an sich zu haben.

1.3. Hier muß man nun betrachten, was das Wort „Qualität“ bedeutet oder ist. Qualität ist die Beweglichkeit und das Quellen oder Treiben eines Dinges, wie da die Hitze ist, die alles brennt, verzehrt und treibt, was in sie kommt und nicht ihrer Eigenschaft entspricht. Dagegen erleuchtet und erwärmt sie auch alles, was da kalt, naß und finster ist und macht das Weiche hart. So hat sie also zwei Arten in sich, nämlich das Licht und die Grimmigkeit, von denen zu erkennen ist:

1.4. Das Licht oder das Herz der Hitze ist in sich selbst ein lieblicher und freudenreicher Anblick, eine Kraft des Lebens, eine Erleuchtung und Anblick eines entfernten Dinges. Es ist ein Stück oder Quell des himmlischen Freudenreichs, denn es macht in dieser Welt alles lebendig und beweglich. Alles Fleisch und auch Bäume, Laub und Gras wachsen in dieser Welt durch die Kraft des Lichtes und haben ihr Leben darin, wie in einem Guten.

1.5. Hinwiederum hat sie (die Qualität) auch die Grimmigkeit in sich, so daß sie brennt, verzehrt und verdirbt. Diese Grimmigkeit quillt, treibt und erhebt sich im Licht und macht das Licht beweglich. Es ringt und kämpft miteinander in seinem zweifachen Quell wie ein Wesen, und es ist auch ein einziges Wesen, aber es hat einen zweifachen Quell in sich.

1.6. So besteht das Licht in Gott auch ohne Hitze, aber in der Natur besteht es nicht so, denn in der Natur sind alle Qualitäten ineinander, wie eine einzige Qualität, in gleicher Art und Weise, wie auch Gott alles ist. Und wie von Ihm alles herkommt und ausgeht, so ist Gott das Herz oder der Quellbrunnen der Natur, aus dem alles herrührt.

1.7. Entsprechend herrscht nun auch die Hitze in allen Kräften der Natur und erwärmt alles und ist ein Quell in allem. Wenn das nicht wäre, dann wäre das Wasser viel zu kalt, die Erde würde erstarren und es gäbe auch keine Luft.

1.8. Die Hitze herrscht also in allem, auch in Bäumen, Kraut und Gras, und macht das Wasser beweglich, so daß durch des Wassers Quell das Kraut und Gras aus der Erde wächst. Darum heißt sie eine Qualität, weil sie in allem quillt und alles erhebt.

1.9. Und das Licht in der Hitze gibt allen Qualitäten die Kraft, so daß alles lieblich und wonnereich werden kann. Hätte die Hitze kein Licht, dann wären alle anderen Qualitäten ohne Nutzen, sondern nur ein Verderben des Guten und ein böser Quell, denn in der Grimmigkeit der Hitze verdirbt alles. Also ist das Licht in der Hitze ein lebendiger Quellbrunn, in den der Heilige Geist geht, aber nicht in die Grimmigkeit der Hitze. Dagegen macht die Hitze das Licht beweglich (kreativ), so daß es quillt und treibt, wie man im Winter sieht (wenn die Hitze fehlt). Dann ist zwar auch das Licht der Sonne auf Erden, aber die Strahlen der Sonnenhitze können den Erdboden nicht erreichen, und darum wächst auch keine Frucht.

Von der Qualifizierung der Kälte

1.10. Die Kälte ist auch eine Qualität wie die Hitze. Sie qualifiziert in allen Kreaturen, was aus der Natur geworden ist, und in allem, was sich darin bewegt: in Menschen, Tieren, Vögeln, Fischen, Würmern, Laub und Gras. Die Kälte ist der Hitze entgegengesetzt und qualifiziert in derselben, als wäre es ein einziges Wesen, aber sie wirkt der Grimmigkeit der Hitze entgegen und stillt die Hitze.

1.11. Die Kälte hat aber auch zwei Arten in sich, von denen zu erkennen ist, daß sie einerseits die Hitze besänftigt und alles fein und lieblich macht. So ist sie in allen Kreaturen eine Qualität des Lebens, denn es kann keine Kreatur ohne die Kälte bestehen, weil sie eine quellende und treibende Beweglichkeit in allen Dingen ist.

1.12. Die andere Art ist die Grimmigkeit, denn wenn die Kälte zuviel Gewalt bekommt, dann drückt sie alles nieder und verdirbt alles, wie auch die Hitze alles verderben kann. Es kann also kein Leben in ihr bestehen, wenn ihr die Hitze nicht entgegenwirkt. So ist die Grimmigkeit der Kälte ein Verderben alles Lebens und ein Haus des Todes, wie auch die Grimmigkeit der Hitze.

Von der Qualifizierung der Luft und des Wassers

1.13. Die Luft (auch im Sinne von Wind) hat ihren Ursprung von der Hitze und Kälte. Denn Hitze und Kälte treiben gewaltig von sich und erfüllen alles, daraus eine lebende und webende Bewegung entsteht. Wenn aber die Kälte die Hitze besänftigt, dann wird die Qualität von beiden dünn (bzw. feinstofflich) und die bittere Qualität zieht es zusammen, so daß es tropfend (wäßrig) wird. Dagegen hat die Luft ihren Ursprung und größte Bewegung aus der Hitze, wie das Wasser von der Kälte.

1.14. Nun ringen diese zwei Qualitäten stets miteinander. Die Hitze verzehrt das Wasser, und die Kälte bezwingt die Luft. Nun ist aber die Luft eine Ursache und Geist allen Lebens und aller Bewegung in dieser Welt, sei es im Fleisch oder in allem, was aus der Erde wächst. So hat alles sein Leben von der Luft (dem Lebensatem), und nichts kann ohne Luft bestehen, was in dieser Welt ist und sich bewegt.

1.15. Auch das Wasser quillt in allen lebendigen und webenden Dingen dieser Welt. Im Wasser besteht der Leib aller Dinge und in der Luft der Geist, sei es im Fleisch oder in den Gewächsen der Erde, und beides (Leib und Geist) kommt aus der Hitze und Kälte und qualifiziert untereinander wie ein einziges Wesen.

1.16. Nun sind aber auch in diesen beiden Qualitäten zwei besondere Arten zu erkennen, nämlich die lebendige und die tödliche Wirkung. Die Luft ist eine lebendige Qualität, wenn sie sanft in einem Ding wirkt, denn der Heilige Geist herrscht in der Sanftmut der Luft, und alle Kreaturen sind darin fröhlich. Sie hat aber auch die Grimmigkeit in sich, so daß sie durch ihre grausame Erhebung töten und verderben kann. Die Qualifizierung nimmt aber von der grimmigen Erhebung ihren Ursprung, so daß es in allem quillt und treibt. Daraus hat das Leben seinen Ursprung und besteht darin, und darum muß beides in diesem Leben sein.

1.17. Auch das Wasser hat einen grimmigen und tödlichen Quell in sich, denn es tötet und verzehrt, dazu muß alles Lebende und Webende im Wasser verfaulen und verderben.

1.18. So sind Hitze und Kälte eine Ursache und Ursprung für das Wasser und die Luft, darin alles wirkt und besteht. Alles Leben und Bewegliche steht darin, darüber ich in der Erklärung der Sterne noch deutlicher schreiben will.

Von den Einflüssen der anderen Qualitäten in den drei Elementen von Feuer, Luft und Wasser

Von der bitteren Qualität

1.19. Die bittere Qualität ist das Herz in allem Leben. Wie sie in der Luft das Wasser zusammenzieht und auch zertreibt, so daß es unterschiedlich (und erkennbar) wird, so geschieht es auch in allen Kreaturen, wie auch in den Gewächsen der Erde, denn Laub und Gras haben ihre grüne Farbe von der bitteren Qualität. Wenn nun die bittere Qualität in einer Kreatur sanft wohnt, dann ist sie ein Herz der Freude in ihr, denn sie zerschneidet (bzw. zerstreut) alle anderen bösen Einflüsse und ist ein Anfang oder eine Ursache der Freuden und des Lachens.

1.20. Denn wenn sie bewegt wird, dann macht sie eine Kreatur erregt und freudenreich und erhebt sie mit ganzem Leib. Denn es ist wie ein Anblick des himmlischen Freudenreichs, eine Erhebung des Geistes, ein Geist und eine Kraft in allen Gewächsen aus der Erde und eine Mutter des Lebens.

1.21. Der Heilige Geist wallt und treibt mächtig in dieser Qualität, denn sie ist ein Stück des himmlischen Freudenreichs, wie ich dann noch beweisen will. Sie hat aber auch noch eine andere Art in sich, nämlich die Grimmigkeit, die ein wirkliches Haus des Todes ist, ein Verderben von allem Guten, eine Verderbnis und Verzehrung des Lebens im Fleisch. Denn wenn sie sich in einer Kreatur zu sehr erhebt und sich in der Hitze entzündet, dann zertrennt sie Fleisch und Geist, und so muß die Kreatur des Todes sterben. Denn sie quillt und zündet das Element Feuer an, in dem kein Fleisch in der großen Hitze und Bitterkeit bestehen kann. Wenn sie sich aber im Element Wasser entzündet und darin quellend wird, dann treibt sie das Fleisch in Siechtum und Krankheit und schließlich auch in den Tod.

Von der süßen Qualität

1.22. Die süße Qualität ist der bitteren entgegengesetzt und ist eine holdselige liebliche Qualität, eine Erquickung des Lebens und eine Besänftigung der Grimmigkeit. Sie macht alles lieblich und freundlich in allen Kreaturen. Die Gewächse aus der Erde macht sie wohlriechend und wohlschmeckend mit schönen gelben, weißen und rötlichen Farben. Sie ist ein Anblick und Quell der Sanftmut, eine Wonne des himmlischen Freudenreichs, ein Haus des Heiligen Geistes, eine Qualifizierung der Liebe und Barmherzigkeit und eine Freude des Lebens. Dagegen hat sie aber auch einen grimmigen Quell des Todes und Verderbens in sich, denn wenn sie in der bitteren Qualität im Element Wasser entzündet wird, dann gebiert sie Krankheit und aufgeschwollene Pestilenz und Verderbnis des Fleisches. Und wenn sie in der Hitze und Bitterkeit entzündet wird, dann infiziert sie auch das Element Luft, und daraus gebiert sich die geschwind fliegende Pestilenz und ein jäher Tod.

Von der sauren Qualität

1.23. Die saure Qualität ist der bitteren und süßen entgegengesetzt und gleicht alles fein aus. Sie ist also eine Erquickung und Löschung, wenn sich die bittere oder süße Qualität zu sehr erhebt. Sie ist eine Begierde im Geschmack, eine Lust des Lebens, eine quellende Freude in allen Dingen, eine Begierde, Sehnsucht und Lust des Freudenreichs, eine stille Wonne des Geistes, und solches temperiert sie (ausgleichend) in allen lebendigen und quellenden Dingen. Sie hat aber auch einen Quell des Bösen und Verderbens in sich, denn wenn sie sich zu sehr erhebt oder in einem Ding zu sehr quillt, so daß sie sich entzündet, dann gebiert sie Traurigkeit und Melancholie, wie einen Gestank im Wasser, rührig und brüchig, ein Vergessen alles Guten, eine Traurigkeit des Lebens, ein Haus des Todes, ein Anfang der Traurigkeit und ein Ende der Freude.

Von der herben oder gesalzenen Qualität

1.24. Die gesalzene Qualität ist ein guter Ausgleich zur bitteren, süßen und sauren und macht alles fein lieblich, wehrt dem Aufsteigen der bitteren Qualität, wie auch der süßen und sauren, damit sie sich nicht entzünden. Sie ist eine scharfe Qualität, eine Lust des Geschmacks, ein Quell des Lebens und der Freuden. Dagegen hat sie aber auch die Grimmigkeit und das Verderben in sich, denn wenn sie im Feuer entzündet wird, dann gebiert sie eine harte, reißende und steinerne Art, eine grimmige Qual und ein Verderben des Lebens. Davon wächst auch im Fleisch der Stein, dadurch der Körper große Marter erleidet. Wenn sie aber im Wasser entzündet wird, dann gebiert sie im Fleisch böse Rauden (Ausschlag), Geschwüre, Franzosen (Syphilis), Krätze und Aussatz und schafft ein Trauerhaus des Todes, ein Elend und Vergessen alles Guten.


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