Von sechs theosophischen Punkten

(Text von Jacob Böhme 1620, deutsche Überarbeitung 2021)

8. Kapitel - Die wahre Essenz des Menschen

Von wahrer menschlicher Essenz aus Gottes Wesen.

8.1. Die wahre menschliche Essenz ist weder irdisch noch aus der finsteren Welt, denn sie wird allein in der Lichtwelt geboren und hat keine Gemeinschaft weder mit der finsteren noch der äußeren Welt, denn dazwischen ist ein großer Abschluß, nämlich der Tod.

8.2. Das bedeutet aber nicht, daß von der wahren Essenz nichts im äußeren Menschen liegt. Sie liegt darin, denn sie wurde Adam in sein Bild gegeben, aber sie ist verschlossen, liegt im Tod und kann nicht qualifizieren. Sie hat auch kein Regen noch Bewegen in sich, es sei denn, daß sie in der Kraft der Gottheit rege wird. Gleichwie sie in der Jungfrau Maria durch Gottes Bewegen und Eingehen rege wurde, wo die wahre menschliche Essenz wieder zum Leben kam.

8.3. So wird auch in uns die wahre menschliche Essenz nicht rege (bzw. lebendig), es sei denn, wir werden in Christus aus Gott geboren.

8.4. In der Taufe der Kinder vermählt sich das Wort der Gottheit und läßt sich mit ihnen in einem Bund ein. Das ist die erste Regung in dieser Welt, wie ein Zunder in einem Holz, der zu glimmen beginnt, aber das Döchtlein wird danach oft verfinstert und verlöscht. Auch ist es wohl in manchen nicht fähig, die von ganz gottloser Essenz gezeugt wurden.

8.5. Denn Christus sprach: »Laßt die Kindlein zu mir kommen, denn ihnen gehört das Reich Gottes. (Mark. 10.14)« Nicht Hunde, Wölfe, Kröten oder Schlangen, sondern Kinder, in denen die Essenz nicht ganz teuflisch ist, weil manches Kind auch im Zorn Gottes getauft wird, daran die Eltern Schuld haben. Denn ein bösartiger Baum bringt bösartige Früchte, sagt Christus.

8.6. Und obwohl er in diese Welt gekommen ist, um selig zu machen, was verloren war, so liegt es doch auch an der Essenz, was sich helfen lassen will. Denn auch ein Tier-Mensch kann wohl die Bildung erreichen, wenn er umkehrt und sich vom Wort (das Mensch wurde) ziehen läßt. Doch wenn nicht, dann bleibt er in seiner tierischen Essenz ein bösartiges Tier.

8.7. Das bedeutet aber nicht, daß die Taufe den ersten Grund zur menschlichen Essenz lege und ganz der erste Zunder des göttlichen Feuers sei. Nein, das ist es nicht, denn ein Kind wird aus der Essenz der Eltern ein Geist, dazu Fleisch und Blut durch Vermählung mit der Konstellation des Geistes der großen Welt (Majoris Mundi).

8.8. Zur selben Zeit, wenn ein Kind im Mutterleib das Leben bekommt, glimmt sogleich auch göttliche oder höllische Essenz aus dem ersten Ursprung und Herkommen.

8.9. Und wenn nur ein kleiner Zunder der göttlichen Essenz rege ist, dann ist das Kind der Taufe fähig. Selbst wenn es gleich stürbe und nicht getauft würde, so ist doch der Zunder in Gottes Mysterium und glimmt in Gottes Reich. So wird es im Feuer Gottes entzündet, denn es stirbt im Mysterium des Vaters und glimmt auf in das Mysterium des Sohnes, der Mensch wurde.

8.10. Der Eltern Taufe und Bund ist seine Taufe und Bund, und damit ist die Versöhnung im menschlichen Blut geschehen, in der wahren menschlichen Essenz. Denn Gottes Wort oder Herz hat sich in die eingeschlossene tote menschliche Essenz hineingegeben, nicht in die irdische, gleich gar nicht in den irdischen Teil, sondern in den himmlischen Teil. Nicht in den Teil, den Adam mit seiner Imagination hineinführte und welcher Erde ist, sondern in den Teil, der Adam aus der englischen Welt gegeben wurde, den er aber mit der irdischen Sucht verdarb und vergiftete, so daß daraus in der Sucht irdisches, tölpisches und tierisches Fleisch wurde.

8.11. Dieses Anteil hat die wahre menschliche Essenz, und in diesem Teil ist Gott Mensch geworden, und dieses Teil hat den Grund der englischen Welt, denn es entsteht aus der englischen Welt.

8.12. Wenn sich aber gottlose Eltern öfters ganz im Zorn Gottes vertiefen und so im Zorn Kinder zeugen, dann ist ja ihr Samen im Tod eingeschlossen und hat nichts von wahrer menschlicher Essenz in sich, die sich regte, als nur das, was die Konstellation im Geist der großen Welt in sich hat. Da ist zwar die göttliche Kraft etwas rege, aber die Kraft des Zorns ist ihr Gegensatz und wiegt schwerer. Dennoch ist es möglich, denn in allen Seelen ist Gottes Menschwerdung im Lebenslicht entgegengesetzt.

8.13. Aber die Taufe enthält noch ein anderes: Gottes Essenz (das Wasser des ewigen Lebens, das aus Gottes Sanftmut geboren wurde) muß die durch Adam in den Tod eingeschlossene wahre menschliche Essenz erregen und sich dort wie ein neues Leben (oder eine lebendige Essenz) hineinergeben. Gottes Wasser muß taufen, und der Heilige Geist muß Werkmeister sein.

8.14. Aber ich sage nach meiner Erkenntnis, daß sich das Wasser des ewigen Lebens, in dem der Heilige Geist aufschwebt, schwerlich in das Gift des Grimms und Todes hineinergeben wird, wenn nicht eine Essenz der (heiligen) Begierde darin ist.

8.15. Ich sage so, wie ich es erkenne, daß auch ein Kind (sobald es das Leben im Mutterleib bekommt), sofern die göttliche Essenz (die im himmlischen Teil besteht) rege ist, schon vom Heiligen Geist getauft ist und die Menschwerdung Christi erreicht. Denn die Taufe steht nicht in der Gewalt des Priesters, so daß der Heilige Geist auf ihn warten müßte. Die Menschwerdung Christi wartete nicht auf Menschengewalt, sondern auf das Ziel, das Gott in seinen Bund steckte, dieses Ziel wurde gesegnet. Darum sagte der Engel zu Maria: »Du bist die Gesegnete unter den Frauen.« Denn das Ziel steckte in ihr, und das war gesegnet, und das segnete sie auch, als Gottes Herz das Ziel rege (bzw. lebendig) machte.

8.16. Dieses Ziel reicht hinter sich bis auf Adam und vor sich bis auf den letzten Menschen. Und als Gott Mensch wurde, da wurde das Ziel im himmlischen Teil rege gemacht. Nicht allein in Maria, sondern auch in Adam und Eva und all ihren Kindern, die sich in Gott hineinergeben hatten, die wurden alle für dieses Ziel gesegnet.

8.17. Denn das ist der Bund der Gnade, den Gott mit Adam und Eva aufrichtete. Dieser Bund steht in aller menschlichen Essenz, aber nicht in teuflischer Essenz.

8.18. Die Taufe aber ist das Siegel, das Gott dem Bund anhing, wie im alten Testament die Beschneidung. Gott gibt in der Taufe dem menschlichen Geschlecht göttliches Wasser zu einem Pfand und Siegel, aber der Bund ist schon vor der Taufe da, denn er wurde im Paradies geschlossen, ja vor der Welt Gründung. Sobald eine Seele im Mutterleib rege wird, so daß das Prinzip und eine menschliche Seele geboren ist, dann ist sie im Bund, denn Christus hat sich in das Feuer Gottes, in das Prinzip hineingegeben und den Bund erfüllt. So ist er die Ausbeute des Testaments geworden.

8.19. Diese Ausbeute wartet auf keine äußerliche Ordnung oder auf den Wahn des äußeren Menschen, sondern sobald eine Seele aus dem Prinzip geboren ist, so ist sie in der Ausbeute des Testaments, sofern das göttliche Leben in der Seele rege ist. Aber nicht in gottlosen Seelen, wo das göttliche Leben erst geboren werden muß. So verschlingt Gottes Zorn manche Seele schon in der Essenz, bevor sie das Prinzip erreicht, weil sie aus falscher Essenz vom bösen Samen der Eltern ist.

8.20. Da fragt der Verstand: „Was kann ein Kind dafür, wenn die Eltern gottlos sind?“ Ja, was kann denn Gott dafür? Steht es doch in der Gewalt der Eltern, ein Kind zu machen. Was kann Gott dafür, wenn Huren und Buben zusammenkriechen? Obwohl der falsche Baum nicht einfach so aus dieser Linie allein entsteht, sondern auch in der Ehe. Der Mensch ist doch frei. Erweckt er kein Leben, dann bleibt sein Samen eine Essenz. Soll darum Gott, um des Kindes Unschuld willen, die Perlen vor die Säue werfen? Steht doch das Himmelreich vor ihm, und es kann eingehen, denn Gott verschließt es niemandem.

8.21. Ein bösartiger Mensch ist doch in Leib und Seele eingeschlossen, warum nicht auch schon im Samen, denn der Samen ist ja seines Leibes Frucht. Wenn man guten Weizen ernten will, sät man natürlich Weizen aus. Wird aber Distelsamen gesät, dann wächst eine Distel daraus. Soll sie denn Gott in Weizen verwandeln? Hat nicht der Sämann die Macht, auf seinem Acker zu säen, was er will? Oder wolltest du fragen: „Was kann die Distel dafür, daß sie eine Distel ist und sticht?“ Gehört sie doch nicht unter den Weizen, sondern sie wächst selber mit auf.

8.22. So wäre wohl Gott zufrieden, wenn gleichsam kein Distelkind wüchse, denn es ist nicht seine Ordnung. Sondern der Teufel sät das Unkraut unter den Weizen, nämlich in das Gemüt des Menschen. Warum läßt der Mensch das zu und verdirbt sich, so daß seine Essenz ein Distelsamen wird und Unkraut zum Feuer im Grimm Gottes trägt? Es liegt auch nicht alles am Samen, sondern auch am Acker. So verdirbt manch edles schönes Korn in der Essenz eines bösartigen Ackers. Denn der Himmel mit der Sonne gibt allen Gewächsen Leben und Kraft. Die Sonne macht kein Unkraut, sie begehrt auch keines, aber die Essenz im Acker macht oft ein anderes und verdirbt das Gute.

8.23. So ist es auch im Menschen, denn es klebt mancher Fluch an ihm, weil einer den anderen verwünscht, wenn der andere den Fluch erregt hat und dessen fähig ist, wie solches auch unter gottlosen Eheleuten üblich ist, daß einer den anderen den Teufel und das höllische Feuer wünscht. Wenn sie dann beide gottlos sind, sollte ihnen auch ihr gottloser Wille nicht geschehen, so daß sie gottlose Kinder zeugten? Ist doch nichts Gutes in ihnen, was soll dann Gutes aus ihnen kommen? Aber was kann Gott dafür? Stellt er ihnen doch sein Wort und seine Lehre vor und kündigt ihnen das Verderben an. Wollen sie nicht, dann fahren sie hin, wo sie hinwollen. Entsprechend ist auch ihr Samen, und so wird manches Kind eine Distel und wie ein bösartiges Tier geboren, und wird im Zorn Gottes getauft.

8.24. Denn wessen Essenz der Seelengeist ist, in einer solchen Essenz sät er auch das göttliche Wesen im Bund: Einer in der Kraft des Lichtes und der Liebe, der andere in der Kraft des Grimms und der Finsternis.

8.25. Der Bund mit der Taufe besteht, und ein jedes Kind wird im Bund getauft. Denn der Geist Gottes tauft ein jedes, wenn man den Brauch hält, aber nach des Kindes Eigenschaft. Oft sind Vater und Mutter sowie auch der Täufer gottlos, und sind nur bösartige Tiere. Und in ihnen ist auch kein Ernst, denn es ist ihnen nur an der äußeren Pracht und am Geld gelegen. Sie verachten das Mysterium, und so hat auch das Kind nur die Eigenschaft des Zorns. Wer soll dann taufen? Niemand anderes als Gottes Zorn in seinem Bund, weil man dessen nur spottet.

8.26. So sät der Zornquell den neuen Geist, wirkt kräftig in ihm und bringt die Frucht ins Verderben, wie Sankt Paulus vom Abendmahl und dem anderen Testament sagt, daß es der Gottlose zum Gericht empfange, weil er nicht den Leib des Herrn unterscheidet (1.Kor. 11.29). Das heißt, daß er in sich den himmlischen Teil seiner Essenz nicht vom irdischen unterscheidet und seinem Willen in das Himmlische setzt und das (Irdische) Gott aufopfert. Sondern er behält es alles gemein, wie ein Ochse das Futter frißt.

8.27. Darum quillt in ihm der Zorn Gottes, weil er seinen Willen nicht vom Irdischen abbricht und in Reue über seine Bosheit geht. Und darum kann sein himmlischer Teil am Leib Gottes nicht teilhaftig werden, weil er die Essenz des himmlischen Teils nicht rege machen kann. So hat sie auch keinen Mund, Gottes Leib zu empfangen, denn der Mund liegt im Tod verschlossen. Dann empfängt zwar der irdische Teil den Leib Christi, aber nach der Eigenschaft des Zorns. Denn das Testament muß bestehen.

8.28. In gleicher Weise ist es auch in der Taufe, und wie die Essenz der Seele im Wesen ist, so genießt sie auch Gottes Bund. Besser wäre es, ein ganz gottloses Kind würde nicht getauft, und ein gottloser Mensch in seinen Sünden ohne Umkehr rührte Gottes Testament nicht an. Denn es bringt ihnen nur eine Kraft zum Verderben, weil Gottes Bund erregt wird, und das geht niemals ohne Frucht ab, denn Gott wirkt in seinem Bund nach seinem Wort.

8.29. Wie die Seele ist, die den Bund erregt, so ist auch die Arznei im Bund, und in solcher Kraft wirkt der Geist Gottes in Liebe und Zorn, denn er ist der Geist von allem Leben und vergleicht sich mit allem Leben. Er ist in jedem Ding, wie des Dinges Wille und Eigenschaft ist, denn eine Eigenschaft sät die andere: Was die Seele will, das will auch der, in den sie sich hineinwendet.

8.30. Es ist alles magisch, und was der Wille eines Dinges will, das empfängt er. Eine Kröte nimmt nur Gift an sich, auch wenn sie in der besten Apotheke säße, desgleichen auch eine Schlange, denn ein jedes Ding nimmt nur entsprechend seiner Eigenschaft in sich. Und wenn es auch das Wesen guter Eigenschaft äße, so macht es doch in sich alles zu seiner Eigenschaft. Auch wenn eine Kröte Honig fräße, so wird es doch in ihr zu Gift. Wie auch der Teufel ein Engel war, aber als er nichts Gutes wollte, da wurde ihm sogar sein himmlisches Wesen zum Höllengift, und sein böser Wille blieb böse, das eine wie das andere Mal.

8.31. So sollten wir unser Leben höchst betrachten, was wir tun wollen und vorhaben, denn wir haben Böses und Gutes in uns, und in welchem wir unseren Willen schöpfen, dessen Essenz wird in uns rege, und solche Eigenschaft ziehen wir auch von außen in uns herein. Wir haben beide Mysterien, göttlich und teuflisch, von beiden ewigen Welten in uns, sowie auch der äußeren Welt. Was wir aus uns machen, das sind wir. Was wir in uns erwecken, das ist in uns rege (und lebendig). Führen wir uns zum Guten, dann hilft uns Gottes Geist. Führen wir uns aber zum Bösen, dann hilft uns Gottes Grimm und Zorn. Was wir also wollen, zu dieser Eigenschaft bekommen wir einen Führer, und dahinein führen wir uns. Es ist doch nicht der Wille der Gottheit, daß wir verderben, sondern sein Zorn durch unseren eigenen Willen.

So verstehen wir den fünften Punkt, wie ein Leben verdirbt, und wie aus Gutem ein Böses und aus Bösem ein Gutes wird, wenn sich der Wille umkehrt.


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