Von sechs theosophischen Punkten

(Text von Jacob Böhme 1620, deutsche Überarbeitung 2021)

3. Kapitel - Der zweite Punkt

Der zweite Punkt (der sechs theosophischen Punkte)

Vom vermischten Baum des Bösen und Guten, oder das Leben der drei Prinzipien ineinander, wie sich das vereinige und vertrage.

3.1. In Gottes Reich, nämlich in der Lichtwelt, wird nicht mehr als ein Prinzip wirklich erkannt, denn das Licht hat das Regiment, und die anderen Qualitäten und Eigenschaften sind alle verborgen wie ein Mysterium, denn sie müssen alle dem Licht dienen und ihren Willen ins Licht ergeben. Darum wird die Grimm-Essenz im Licht in eine Begierde des Lichtes und der Liebe voller Sanftmut verwandelt.

3.2. Obwohl die Eigenschaften wie Herb, Bitter, Angst und das bittere Leiden im Feuer ewig bleiben, sogar in der Lichtwelt, so ist doch keine davon in ihrer Eigenschaft offenbar, sondern sie sind allesamt nur Ursachen des Lebens, der Beweglichkeit und der Freude.

3.3. Was in der finsteren Welt ein Leiden ist, das ist in der Lichtwelt ein Wohltun, und was im Finsteren ein Stechen und Anfeinden ist, das ist im Licht eine erhebliche Freude, und was im Finsteren eine Furcht, ein Schrecken und Zittern ist, das ist im Licht ein Jauchzen der Freude, ein Klingen und Singen. Und das könnte nicht sein, wenn im Ursprung keine solche ernstliche Qual-Qualität wäre.

3.4. Darum ist die finstere Welt der Grund und Ursprung der Lichtwelt, und das ängstlich Böse muß eine Ursache des Guten sein, und das ist alles Gottes.

3.5. Aber nur die Lichtwelt heißt „Gott“, und das Prinzip zwischen der Lichtwelt und der Finsterwelt heißt „Gottes Zorn und Grimm“. Wenn der erweckt wird, wie es der Teufel und alle bösen Menschen tun, dann werden sie vom Licht verlassen und fallen in die finstere Welt.

3.6. Die finstere Welt heißt Tod, Hölle, Abgrund und Stachel des Todes, eine Verzweiflung, Selbstanfeindung und Traurigkeit, ein Leben der Bosheit und Falschheit, wo man die Wahrheit und das Licht verleugnet und nicht erkennt. Darin wohnen die Teufel und verdammten Seelen, wie auch die höllischen Würmer, die das Schöpfungswort des Todes in der Bewegung des allwesenden Herrn gebildet hat.

3.7. Denn die Hölle hat in der Finsternis die größte Konstellation der ernsthaften Kraft. Bei ihnen ist alles lautbar wie ein großes Tönen, und was im Licht (harmonisch) klingt, das pocht im Finsteren, wie das an den Wesen zu ersinnen ist, auf die man schlägt, damit es einen Klang ergibt. Denn der Klang ist nicht das Wesen, wie eine Glocke, die man läutet, selber kein Klang ist, sondern eine Härte und eine Ursache des Klangs. Die Glocke empfängt den Schlag als ein Pochen, und aus dem harten Pochen geht der Klang hervor. Die Ursache besteht darin, daß in der Materie der Glocke ein Wesen ist, das in der Schöpfung durch die Bewegung des allwesenden Gottes in die Härtigkeit mit eingeschlossen wurde, wie uns an der metallischen Tinktur zu ersinnen ist, wenn man nicht so verwirrt und blind sein wollte.

3.8. So erkennen wir, daß im Abgrund der Hölle viele und mancherlei Geister sind, nicht nur allein die Teufel, sondern viele höllische Würmer, entsprechend der Eigenschaft ihrer Konstellation und ohne Vernunft. Gleichwie es in dieser Welt unvernünftige Tiere, Würmer, Kröten und Schlangen gibt, so gibt es solche auch im Abgrund der grimmigen Welt, denn alles wollte kreatürlich sein und ist in ein Wesen gegangen, so daß auch der Zorn-Spiegel seine Wunder zeigte und sich offenbarte.

3.9. Es ist wohl keine Empfindung des Leidens in den höllischen Würmern, denn sie sind von derselben Essenz und Eigenschaft (wie die Hölle), und das ist ihr Leben und ein Wesen, das der äußeren Welt verborgen liegt. Allein der Geist Gottes, der selbst in allen drei Prinzipien die Qualität nach der Eigenschaft eines jeden ist, der weiß es und offenbart es, wem er will.

3.10. Wenn wir nun sagen wollen, wie sich die drei Prinzipien ineinander vereinigen, dann müssen wir das Feuer als die höchste Stärke in die Mitte setzen, denn das bringt einem jeden Prinzip ein wohlgefälliges Leben und einen Geist, den es begehrt. Diesbezüglich ist in den Prinzipien kein Streit, denn das Feuer ist das Leben aller Prinzipien, das heißt, die Ursache des Lebens, nicht das Leben selbst. Dem Abgrund gibt es sein Leiden als den Stachel, so daß sich der Tod in einem Leben findet, sonst wäre der Abgrund eine Stille. Es gibt ihm auch seinen Grimm, der das Leben, die Beweglichkeit und der Ursprung des Abgrundes ist, sonst wäre er eine stille Ewigkeit und ein Nichts.

3.11. Auch der Lichtwelt gibt das Feuer seine Essenz, sonst wäre kein Empfinden noch Licht darin, und alles wäre nur Eins und doch außer dem Feuer ein Nichts, wie ein Auge der Wunder, das sich selbst nicht kennen würde und darin kein Verstand wäre, sondern eine ewige Verborgenheit, wo kein Suchen oder Hervorbringen sein könnte.

3.12. Und auch dem dritten Prinzip als dem Reich dieser Welt gibt das Feuer seine Essenz und Qual-Qualität, davon alles Leben und Wachsen rege wird. Denn alle Sinnlichkeit und was jemals zu etwas kommen soll, muß das Feuer haben. Es quillt nichts aus der Erde ohne die Essenz des Feuers. So ist es eine Ursache aller drei Prinzipien und alles dessen, was genannt werden kann.

3.13. Und so macht das Feuer eine Vereinigung aller drei Prinzipien und ist einem jeden die Ursache des Wesens. Kein Prinzip streitet gegen das andere, sondern die Essenz eines jeden begehrt nur sein Eigenes und ist damit immer im Streit, sonst wäre alles ein stilles Nichts. Ein jedes Prinzip gibt dem anderen seine Kraft und Gestalt, und so ist ein steter Friede zwischen ihnen.

3.14. Die finstere Welt hat das große Leiden und die Angst, die das Feuer verursacht, so daß sich der Wille nach der Freiheit sehnt, und die Freiheit sehnt sich nach der Offenbarung, nämlich nach den Essenzen, und gibt sich selbst in den Grimm, damit sie sich so offenbaren könne. So führt sie sich selbst in das Feuer, damit aus dem Grimm und der Freiheit ein Feuer entsteht, und gibt sich also dem Grimm zu verschlingen, nämlich in den Tod, und geht aber aus dem Tod mit den eingenommenen Essenzen heraus in ein Eigenes, nämlich in eine eigene Welt oder Qualität, und wohnt in sich selbst, vom Tod und der finsteren Welt nicht ergriffen, und ist ein Licht in sich selbst.

3.15. Also ist der Tod und der Grimm eine Mutter des Feuers, und auch eine Ursache der Lichtwelt, dazu eine Ursache aller Wesen des dritten Prinzips, eine Ursache aller Essenzen in allen Leben. Wie könnte dann ein Prinzip gegen das andere streiten, wenn jeweils eines das andere so heftig begehrt (bzw. liebt)?

3.16. Denn die englische Licht-Welt und auch diese unsere sichtbare Welt müssen die Essenz des finsteren Todes zu ihrem Leben und ihrer Qual haben. So ist ein steter Hunger danach.

3.17. Allein das ist es: Ein jedes Prinzip macht die Qual (bezüglich des wirkenden „Quell-Geistes“, der gestaltenden „Qualität“ und der gegensätzlichen „Qual“) nach seiner Eigenschaft. Es gibt dem Bösen sein Gutes, und einigt sich mit ihm, und macht aus Drei Eins, so daß kein Streit zwischen den drei Prinzipien ist. Aber in der Essenz ist der Streit, und das muß so sein, oder es wäre alles ein Nichts.

3.18. Allein das sollten wir betrachten, woraus die Feindschaft entsteht. Gott hat in jedem Prinzip Kreaturen aus dem Wesen und der Eigenschaft des Prinzips geschaffen, um darin zu bleiben. Aber wenn sie nicht darin bleiben, sondern durch ihre Imagination ein anderes in sich und ihre Eigenschaft führen, dann wird ihnen das eine Feindschaft und ein Leiden, wie dem Teufel und den gefallenen Menschen, die beide aus der Lichtwelt ausgegangen sind: Der Teufel ist durch überheblichen Stolz in den Abgrund der starken Grimm-Macht ausgegangen, und der Mensch in diese Welt in das Mysterium der Vielwissenheit, nämlich in die Wunder.

3.19. So hat nun der Mensch Not und Streit, um dort wieder herauszukommen, denn diese Welt, in die er gegangen ist, hält ihn fest und will ihn haben. Aber wenn er von ihr mit Macht herausgeht, dann wird sie ihm gram, schlägt auf ihn und will ihn in sich nicht leiden.

3.20. Daher kommt es, daß die Kinder dieser Welt die Kinder des Lichtes anfeinden, plagen, schlagen, töten und von sich treiben, denn der Geist dieser Welt treibt sie dazu. Dazu hilft auch der Teufel, denn er weiß, daß diese Welt auf dem Abgrund steht und daß er die Kinder dieser Welt im Zerbrechen dieses Mysteriums (der Illusion) in sein Reich bekommen wird. Darum treibt er die Kinder Gottes aus dieser Welt, damit sie ihm seine Kinder dieser Welt nicht auch noch in die Lichtwelt hineinführen.

3.21. Wenn aber der Mensch für diese Welt geschaffen worden wäre, dann ließe er sich wohl in Frieden. Doch so will er immer gern seinen königlichen Thron wieder einnehmen, den er besessen hatte und von dem er verstoßen wurde. Und wenn er es nicht erlangen kann, dann will er ihn auch den Kindern nicht gönnen, die ihn besitzen sollen.

3.22. Dieses sollte nun der Mensch zuhöchst betrachten und nicht so blind sein. Wenn der Mensch nun schon in das Mysterium dieser Welt hineingegangen ist, so sollte er deshalb nicht noch in die irdische Sucht der Einschließung des Todes als ein Gefangener hineingehen, sondern er soll ein Erkennender und Wissender (bzw. Durchschauender) des Mysteriums sein, und nicht des Teufels Eule* und Narr. Sondern soll mit der Imagination stets wieder in die Lichtwelt ausgehen, für die er geschaffen wurde, auf daß ihm das Licht den Glanz gebe, damit er sich selbst erkenne und das äußere Mysterium sehe (bzw. durchschaue). Dann wäre er ein (wahrer) Mensch, andernfalls ist er des Teufels Narr und der Lichtwelt Affe. Denn wie ein Affe klug sein, mit allen Dingen spielen und alles nachäffen will, so geschieht auch das Gaukelfechten mit der Lichtwelt des irdischen Menschen, der doch nur ein Affe ist. Wer nicht mit Ernst dahinein dringt, sondern nur damit spielt, dessen spottet der Teufel und hält ihn für einen Narren, und er ist es auch, denn er ist ein Tier-Mensch, solange er mit seinem Willen am Äußeren hängt und das Gut dieser Welt für seinen Schatz hält. Dann ist er nur ein Mensch mit dem Wesen dieser Welt, und nicht mit dem Wesen der göttlichen Lichtwelt, der seinen Leib dieser Welt gibt, nämlich der Erde, und seine Seele dem Abgrund der finsteren Welt. (* Eulen werden gewöhnlich von anderen Vögeln gehaßt, weil sie als Freßfeinde gelten.)

3.23. Also geben wir euch zu verstehen und zu erkennen, daß sich der Baum der drei Prinzipien sehr wohl miteinander verträgt, aber nicht die Kreaturen, denn die Kreaturen eines jeden Prinzips begehren (bzw. lieben) die anderen nicht. Und darum ist auch ein fester Abschluß zwischen ihnen, so daß die einen die anderen nicht erkennen noch sehen können.

3.24. Vor allem der Neid des Teufels streitet gegen das menschliche Geschlecht, denn sie haben seinen Thron besetzt. Darum heißt es: „Mensch, suche dich selbst, erkenne was du bist, und hüte dich vor dem Teufel!“ - So viel vom zweiten Punkt, wie sich die drei Prinzipien miteinander einig vertragen können. (Vom vermischten Baum des Bösen und Guten, oder das Leben der drei Prinzipien ineinander, wie sich das vereinige und vertrage.)


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