Von der Gnadenwahl

(Text von Jacob Böhme, am 8. Februar 1623 vollendet, deutsche Überarbeitung 2021)

11. Kapitel - Weitere Erklärung der Wahl-Sprüche

Weitere Vergleiche und Erklärungen der Sprüche von der Wahl

11.1. St. Paulus spricht: »Die Gerechtigkeit aus dem Glauben sagt: „Sprich nicht in deinem Herzen: Wer könnte hinauf gen Himmel fahren?“ Das ist nichts anderes, als Christus herabzuholen. Oder: „Wer könnte hinab in die Tiefe fahren?“ Das ist nichts anderes, als Christus von den Toten heraufzuholen. Aber was sagt sie (die Gerechtigkeit aus dem Glauben)? „Das Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und deinem Herzen.“ Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen. (Röm. 10.6)« — Erklärung: Wer könnte uns von einer fremden angenommenen Gnade predigen, so daß das Wort nur allein vom Glauben ist, das in unserem Mund und Herzen in der Kraft schwebt?

11.2. Wie könnte der Gottlose durch den fremden Schein einer angenommenen Kindschaft bekehrt werden, wenn er das Wort, das er in seinem Munde führt, um Christus zu bekennen, nicht in sein Herz nimmt, so daß es die Seele in ihrem allerinnersten Grund erfasse? Was ist die angenommene Kindschaft, ohne daß das Wort im Herzen der Seele wurzelt und wohnt? Wo nimmt Gott die in Sünde toten Menschen an, in denen nur sein Zorn lebt, und zwingt sie durch eine absonderliche Wahl in den Vorsatz seiner Gnade? Er läßt das Wort im Mund des Gottlosen schweben, wie auch in seinen Ohren. Wenn es aber sein Herz in der Seele nicht erfaßt, dann läßt er das Licht im Wort in den Ohren und Herzen der Gottlosen verlöschen, und zwar darum, damit der Gottlose im Vorsatz seines Zorns ergriffen werde, weil die Seele das Leben der Finsternis mit ihrer angeerbten und eingeführten Eitelkeit erweckt und entzündet hat, so daß es ein Distel- und Schlangen-Leben ist, mit dem sich das Wort Gottes der Liebe nicht vereinigt.

11.3. Wenn uns nun das Wort, das in unserem Mund und Herzen schwebt, zu Kindern des Glaubens machen soll, dann kann keine fremde Annehmung durch einen besonderen, von außen erwählten Schein gelten, sondern das Eingeborene und wieder aus der selben Eingeburt aussprechende Wort, wenn Christus aus seinem Grund mit der Seele und durch die Seele spricht, das ist die Kindschaft der Annehmung. »Denn wenn du mit deinem Mund Jesus bekennst, daß er der Herr sei, und in deinem Herzen glaubst, daß ihn Gott von den Toten auferweckt hat, dann wirst du selig. (Röm. 10.9)« Aber nicht durch einen absonderlichen Wahn, sondern der Geist Christi muß in dir bekennen, daß Jesus Christus in dir von den Toten auferstanden sei. Dein Maulbekennen, ohne die Auferstehung Christi in dir, hilft dir nichts, denn Christus sprach: »Ohne mich könnt ihr nichts tun.« Oder auch: »Niemand kann Gott einen Herrn heißen, ohne Christus in ihm.« Denn er ergreift das Wort „Herr“ ohne Christus nicht in der Kraft, darum ist sein Herr-Heißen ohne Leben. »Denn es ist kein Unterschied unter Juden und Griechen, es ist allzumal ein Herr, reich über alle, die ihn anrufen. (Röm. 10.12)«

11.4. Und danach wird gesagt: »Denn wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll selig werden. (Röm. 10.13)« — Erklärung: Hier macht St. Paulus keinen Unterschied zwischen den Völkern, sondern wer Gott in seinem Herzen begehrt, dem gibt er die Seligkeit, die er in Christus anbietet.

11.5. Wo bleibt hier nun das auserwählte Volk, das sich rühmt, Gott habe es vor anderen Völkern auserwählt, so daß es von Christi Menschheit reden kann, wenn er sein Reich unter Juden und Griechen hat und daß nur der ein Jude und Christ sei, der es im Herzen der Seele ist? Wo ist denn die äußerlich zugerechnete Gnade ohne die Kindschaft der Seele? Wann hat Gott einen Teufel erwählt und zum Kind Gottes gemacht? Wohl niemals.

11.6. Also erkenne: Die Gnade kommt nicht aus dem Verdienst der Werke, sondern allein aus dem Lebensbrunnen Christi. Aber die Werke bezeugen, ob die Gnade in Christus in der Seele lebendig sei. Denn folgt das Werk nicht, dann ist Christus in dir noch nicht aus dem Tod auferstanden. Denn wer aus Gott geboren ist, der tut göttliche Werke, wer aber aus der Sünde ist, der dient der Sünde mit seinen Werken.

11.7. Es soll sich keiner als „Christ“ rühmen, er begehre denn göttliche Werke in der Liebe Christi zu wirken, ansonsten ist es nur ein fremder Schein ohne das Leben Christi.

11.8. Die Wahl zur Kindschaft geht allein über diese, die in der Gnade lebendig sind und in der Gnade gute (heilsame) Werke wirken. Die anderen aber, die sich der Kindschaft durch eine Gnade-Annehmung trösten, aber in ihren Herzen nur Greuel wirken, die verstockt der Vorsatz des göttlichen Zorns. Von ihnen, die nicht aus der Gnade geboren sind und durch ihre eigenen Werke und Verdienste dazu kommen wollen, die auswendig strahlen und inwendig tot sind und nur scheinbar so strahlen, sagt St. Paulus:

11.9. »Wie denn nun? Was Israel sucht, das erlangt es nicht. Die Wahl aber erlangt es, und die anderen sind verstockt, wie geschrieben steht: „Gott hat ihnen einen erbitterten Geist gegeben, Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören, bis auf den heutigen Tag.“ Und David spricht: „Laß ihren Tisch zu einem Strick werden und zu einer Berückung und zum Ärgernis und ihnen zur Vergeltung. Verblende ihre Augen, daß sie nicht sehen, und beuge ihren Rücken allezeit. (Röm. 11.7-10)«

11.10. Erklärung: Welche von Israel meint hier der Geist von St. Paulus, die nicht unter der Wahl sind, so daß sie Gott in seinem Zorn solcherart verstocken wolle? — Antwort: Er meint jene, die das Wort, wenn sie es hören, nur in ihre Ohren nehmen und als Lehre des (gedanklichen) Verstandes auffassen, und es nicht in die Seele führen, so daß es in der Tiefe wurzelt. So erreicht es nicht die erste einverleibte Gnade, denn ihr Stolz und ihre Eigenheit liegen davor, wie auch die Sorge des Bauches. Der Geiz ist wie ein Riegel davor, und der überhebliche Stolz der Ichheit, die eigene Körperliebe, hat sich an Gottes Statt gesetzt.

11.11. Diese prahlen äußerlich mit der Gnade und erfassen diese mit dem Werk ihrer Hände und wollen die Gnade durch das eigene Werk verdienen, wie die falschen Juden es taten, die allein am Werk hingen und den Glauben nicht im Grund der Seele hatten. Von denen sagt St. Paulus: »Was Israel im Werk sucht, das erlangt es nicht. Die Wahl aber erlangt es…« Denn die Wahl ging nur auf jene Juden, die in der Tiefe der Seele Juden waren und aus dem Glaubenssamen geboren wurden, also aus dem verheißenen Samen, nämlich aus dem eingesprochenen Wort im Bund Abrahams und Adams, und welche durch das Wort in ihrem Herzen beschnitten wurden.

11.12. Denn nicht die Beschneidung der Vorhaut am Fleisch galt vor Gott, sondern die im Herzen. Die im Fleisch aber war das Siegel und Zeichen des innerlichen Grundes, wie die Gnade die Sünde von der Seele abschneide. Bei denen aber, die nur mit äußerem Werk umgingen, war es nicht so, denn sie waren unter Israel wie Unkraut unter dem Weizen, das sich über den Weizen ausbreitet und groß daher flattert und gesehen sein will, daß es ein großes Gewächs sei. Aber es trägt keine gute Frucht und ist auch sonst zu nichts nütze, so daß man es zur Erntezeit verbrennt, denn es sticht nur um sich und nimmt den Raum ein.

11.13. So setzt sich wohl auch der falsche Mensch in den Tempel Gottes und nennt sich einen Christen, aber treibt viele Scheinwerke, durch die er das Ansehen haben will, als sei er der beste Christ. Er lernt Kunst, studiert und weiß viel von Gott zu reden. Er lehrt andere, aber um seines Nutzens und Ehre willen, wie die Pharisäer es taten, die große Heiligkeit vorgaben und große Säume an den Pfaffenröcken trugen und lange Gebete zum Schein äußerlicher Frömmigkeit verwendeten.

11.14. Aber Christus sagte: »Sie fressen sich durch die Häuser der Witwen und ziehen durch Land und Wasser, um Judengenossen zu machen, und wenn sie einen gemacht haben, dann machen sie aus ihm ein Kind der Hölle, doppelt so viel, als sie selbst. (Matth. 23.15)« Das sind nun diejenigen, welche solchen großen Schein vorgeben und behaupten, sie sitzen an Christi Stätte und ihre Worte seien Gottes Wort. Diese breiten sich aus und ziehen sich selber groß und trachten im Herzen nur nach Ehren, Geiz und Stolz. Was sie sagen, soll man halten, als ob es Gottes Stimme vom Himmel sei. Und wenn sich auch die Stimme aus falschem Gemüt in das geschriebene Wort gesetzt hat und unter dem Buchstaben des Wortes wie Unkraut unter dem Weizen wütet, soll es doch Gottes Wort sein. Und wer dagegenredet und das falsche Kind andeutet, den schreit ihr überheblicher Stolz an: „Er ist ein Schwärmer und verachtet das Amt! Hütet euch vor ihm, denn er verführt euch! Kommt nur zu mir her, denn hier ist das rechte Amt, das von Gott eingesetzt ist!“ Und wenn sie auch nicht von Gott, sondern durch Menschengunst eingesetzt wurden, und auch Gott nicht dienen, sondern ihrem Bauch, ihrem Stolz und der Eigenliebe, so sind sie doch in ihrem Gemüt das schöne Kind der Gnade, das vermeint, so viel Gnade im Überfluß zu haben, daß sie diese aus der Gewalt vermeintlicher großer Heiligkeit an andere für Geld teuer verkaufen können. Doch wer das kauft, der kauft mit guten Samen eine Distel.

11.15. Der andere Teil der falschen Israeliten von Abrahams natürlichem Samen sind jene, welche durch die Macht der Natur zu Fürsten und Regenten in allen namhaften Ämtern vom größten bis zum kleinsten über Israel eingesetzt werden, so daß sie Beschützer der Gerechtigkeit sein sollen. Sie alle geben einen großen Schein unter der Wahrheit vor und ziehen sich unter den Ämtern so hoch in Eigendünkel, daß sie meinen, eigenmächtige Götter zu sein. Sie tun, was sie wollen, und so sei es recht. Ihr Amt habe die Gewalt, daß man alles recht heißen müsse, was sie tun. Doch sie suchen nicht die Gerechtigkeit Gottes in seinem Vorsatz der natürlichen Ordnung, viel weniger die Gerechtigkeit in der Liebe, die er durch die Gnade Christi offenbart hat, sondern setzen ihre eigene erdichtete Gerechtigkeit zu ihren eigenen Ehren der fleischlichen und wollüstigen Überheblichkeit an die Stelle göttlicher Gerechtigkeit und Wahrheit. Sie schweben nur im Munde mit dem Gesetz Gottes, das Herz aber hat sich in das Recht einer Distel gefaßt, die über das gute Kraut flattert, um sich sticht und sich weit ausbreitet, aber selber keinen guten Samen trägt.

11.16. Diese beiden Teile, ausgenommen die Kinder Gottes, soweit sie noch darunter sind, bilden nun die Hure und das Tier in der Offenbarung des Johannes, durch die der Teufel ein Fürst dieser Welt unter den Menschen ist, so daß der Engel in den Abgrund des Schwefelpfuhls stürzt. Sie sind keine wahren Israeliten, die aus dem Samen der Verheißung geboren wurden, und erreichen die Kindschaft nicht. Denn diese Kindschaft erreicht nur die Wahl, die allein die Kinder des Glaubens in der Gerechtigkeit der Gnade sucht und annimmt. Die Hure samt dem Tier aber sind in ihren Gelüsten von Bosheit, Stolz, Geiz, Neid, Zorn und Ungerechtigkeit verstockt, und sie sind wie der Antichrist als Titel- und Maulchrist ein Teufel in Engelsgestalt, wie Luzifer im Himmel war, der als falscher Samen hinausgeworfen wurde. So geschieht es auch ihnen.

11.17. Denn die Wahl des Hausvaters aller Wesen sucht nur guten Samen. Sie wählt keinen Distelsamen und macht Weizenkorn daraus, wie der Verstand meint, Gott nehme den falschen (illusorischen) Samen und mache ein Kind Gottes daraus, so daß er damit seinen Reichtum der Gnade eines besonderen Vorsatzes sehen ließe. Nein, das geschieht nicht. Der Gottlose, das heißt, wer aus einem wahren Samen entsprossen ist, aber durch seine angeerbte Konstellation die Neigung der Greuel in sich hineingeführt hat, der tue Buße und gehe in seinen innerlichen Grund und werde aus der Gnade geboren, dann kann es geschehen.

11.18. Denn Gott sagte zu Mose: »Ich will wohltun an denen, die mich lieben und meine Gebote halten, bis ins tausendste Glied (der Generationen). (2.Mose 20.6)« Dieses Wohltun ist nichts anderes als eine Pflanzung des Gnadenbundes mit ihrem Samen, wie Abraham, Isaak, Jakob und David verheißen wurde, so daß er ihren Samen nach der verheißenen und einverleibten Gnade so sehr segnen und mehren wollte, daß er nicht mehr gezählt werden könne.

11.19. Aber das Reich der Natur in Gottes Vorsatz der Gerechtigkeit stand auch mit in diesem Samen nach der seelischen Eigenschaft. Das sollte mitwirken, aber in vielen wandte sich der Wille der Seele vom Reich des Vorsatzes der Gnade ab, so daß diese Seelen nun im Reich der Natur im Zorn ergriffen wurden und in die Disteln wuchsen. Aber das war nun nicht die Schuld Gottes, sondern der Erfahrung des seelischen Grundes aus dem ewigen Grund zur Natur, nämlich des freien Willens des Ungrundes zum Naturgrund der Seele.

11.20. Hier liegt der erste Grund der Distelkinder, welche die einverleibte Gnade des eingesprochenen Wortes mit den Füßen ihrer falschen Lust treten und keine Kinder der Gnade sein wollen, dazu Christus als Pforte der Gnade selbst sagt: »Er wäre wie ein Weingärtner, der da nachliest. (Mich. 7.1)« Oder auch: »Er habe in Israel seine Kinder oft versammeln wollen wie eine Gluckhenne ihre Küchlein unter ihre Flügel, aber sie haben nicht gewollt. (Matth. 23.37)«

11.21. Da spricht der Verstand: Sie haben nicht gekonnt, ja sie können nicht. — Antwort: Warum? — Verstand: Sie sind Distelkinder. — Antwort: Warum? — Verstand: Das geschieht aus Gottes Vorsatz. — Antwort: Ja, aus dem Vorsatz göttlicher Gerechtigkeit nach der Ordnung der natürlichen Schöpfung, nämlich aus der Unterschiedlichkeit des Sprechens im Wort, wenn sich die Ichheit-Erfahrung des Ungrundes in ihren ersten Grund faßt. Das ist es. Denn daselbst faßt sich Gottes Grimm im Zentrum der Natur im Samen der Menschen aus ihren angeerbten Sünden wie auch nachfolgend bewirkter Greueltaten mit ein, weil Gottes Zorn öfters eine Wurzel aus den Sünden der Eltern macht, die sich in die Erfahrung des Ungrundes einfaßt. Daraus entsteht dann im Samen eine Distelwurzel, weil Gott die Sünde der Eltern an ihrem Samen bis ins dritte und vierte Glied straft, wie die Schrift berichtet.

11.22. Diese Distel-Kinder kommen dann auch von Israel, aber nicht aus der Gnade. Das heißt, die Gnade, wie sie im Paradies in ihnen einverleibt wurde, wächst ihnen innerlich zum Gericht, gleichwie sich das hitzige Wesen der Sonne auch in die Distel gibt, aber nicht nach der Liebe-Tinktur, sondern nach der Distelart. Denn die Distel kann sie nicht anderes einnehmen als in ihrem gleichen Wesen, wie eine giftige Kröte auch aus gutem Wesen nur das Gift saugt.

11.23. Und wie der Sonne Hitze die Distel schließlich ausdorrt und in ihrem Leben hinrichtet, so sitzt auch Christus mit seiner einverleibten Gnade im gottlosen Menschen auf seinem Richterstuhl. Es läßt ihn den heiligen Namen Gottes eine Zeitlang zum Schwur seiner Falschheit mit seinem Mund mißbrauchen und sich unter Christi Verdienst in seinem vermeintlichen Amt als ein wahrer Christ rühmen, in dem er meint, Gott zu dienen und die Gnade zu erwecken. Er läßt ihn heucheln und glänzen wie er will, läßt ihn auch in Christi Namen weissagen wie Kaiphas, welcher riet, es wäre besser, daß ein Mensch für das Volk stürbe, als daß es gar verderbe. Er läßt ihn auch in seinem pharisäischen Amt sich mästen und großziehen. Er gibt ihm auch die berufene Gnade in seinen Testamenten, gleichwie sich die Sonne mit ihrer guten Kraft der Distel gibt, und so läßt sich die Distel darin mästen und großziehen bis zur Erntezeit. Doch dann dörret sie diese aus und richtet sie zum Tod, denn sie hat falschen Samen in sich geboren. Darum jätet sie der Hausvater aus und wirft sie ins Feuer.

11.24. Davon spricht auch St. Paulus und zitiert den Propheten Jesaja aus Kapitel 6.10 (»Verstocke das Herz dieses Volkes und laß ihre Ohren hart sein und blende ihre Augen…«) und den königlichen Propheten David aus Psalm 69.23: »Laß ihren Tisch zu einer Berückung werden…« Das heißt, sie essen in ihrem Mund von Gottes Wort, aber es wird ihnen von ihrem Herzen der Seele weggerückt, damit das Heilige nicht in die Distel hineingehe. Und der Satan, sagt Christus, reißt das Wort von ihren Herzen, daß sie nicht glauben und selig werden, denn der Satan sitzt in der Distel im Grunde der Seele. Und hier nennt ihn Christus einen Fürsten dieser Welt.

11.25. Und der Zorn Gottes hat ihnen einen verbitterten Geist gegeben, wie auch Augen, mit denen sie den Grund der Gnade nicht sehen, und Ohren, mit denen sie Christis lebendige Stimme nicht hören. Darum sagt Christus zu den Pharisäern: »Ihr seid von unten her, von dem Vater dieser Welt, dem Teufel… und hört meine Worte nicht, denn ihr seid nicht von Gott. Wer von Gott geboren ist, der hört Gottes Wort. Darum hört ihr nicht, denn ihr seid nicht von Gott. (Joh. 8.44

11.26. So sind auch die jetzigen Streiter, Zänker und Verächter der Kinder Gottes nicht von Gott, sondern nur aus dem Mundgeschwätze, aus der pharisäischen Wurzel, und hören Christus nicht in ihnen lehren. Sie wollen auch nicht, sondern stoßen ihn vorsätzlich von sich und setzen sich an seine Stelle. Sie sind keine Apostel Christis, noch ihre Nachfolger, sondern dienen ihrem Abgott Mausim (dem „Gott der Festungen“, siehe auch Dan. 11.38), der in ihrem Mund schwebt wie eine Distel über dem Weizen. Sie laufen, und niemand hat sie gesandt als nur ihres Herzens Dichtung zur Wollust menschlicher Ehren, und sie dienen dem Amt Mausim des Antichrists, den sie zu Christis Stellvertreter gemacht haben. Christus nennt sie reißende Wölfe (Joh. 10.12), welche die einfältige Herde mit ihrem Lästern fressen und mit ihrem Gift der Spötterei Christi töten und sich als Disteln unter dem Weizen emporschwingen und in menschliche Lehre setzen, und damit die Welt verwirren und verursachen, daß die Distelkinder Krieg und Verwüstung der Länder und Leute anrichten, dazu sie mit ihrem giftigen verbitterten Geist getreulich helfen, raten und dienen.

Darum sind sie jene, von denen St. Paulus in Röm. 11.8-10 spricht und den Propheten David zitiert: »Laß ihren Tisch zu einem Strick werden und zu einer Berückung und zum Ärgernis und ihnen zur Vergeltung! Verblende ihre Augen, daß sie nicht sehen, und beuge ihren Rücken allezeit.« Das heißt, daß sie sich einander selber in ihrer Blindheit vergelten, indem sie in Christis Amt nur nach Macht und Wollust trachten, daß sie einander verfolgen, schmähen, verachten und in sich Christis Namen dem Teufel zuschreiben, und auf ihrem Lager nur danach trachten, wie sie einander mit List begegnen wollen und ihre Sache mit der Schrift beschönigen, als täten sie das aus göttlichem Eifer der Wahrheit, um Gott zu gefallen und ihren Brüdern damit zu dienen.

11.27. Diese laufen wie rasende Hunde, Wölfe und böse Wahnsinnige im Grimm des entzündeten Zorns Gottes und fressen den Namen Christi aus dem Mund der Laien, und füllen ihre Herzen und Münder mit der Lästerei von falschen Dichtungen ihrer Herzen, so daß wegen ihrer erdichteten Meinung ein Mensch den anderen um Christi Namen verachtet, lästert und verketzert und für unfähig hält. Doch sie fressen sich auf diese Weise nur selber auf, so daß eine Partei die andere ausrottet, und vergelten einander ihre Bosheit und Falschheit, wie hier David sagt (in Psalm 69.23: »Ihr Tisch werde vor ihnen zum Strick, zur Vergeltung und zu einer Falle…«).

11.28. Diese sind es nun, von denen Christus spricht, die in der Schule (bzw. Kirche) obenan sitzen und sich gern auf dem Markt (der Welt) grüßen lassen (Matth. 23.6), welche verständigen Schein vorgeben, aber ihre Herzen sind voll bitterer Galle. Und ihre Wege sind schädlich (unheilsam), Ottergift ist hinter ihren Lippen, und sie dienen mir vergeblich, sagt der Prophet. Diese alle sind nicht unter der Wahl der Kinder Gottes, sondern nur jene, über die Christus sagt: »Liebet einander! Daran wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid. (Joh. 13.35)« Oder auch: »Wenn ihr in meiner Rede bleibt, selig seid ihr, wenn ihr das tut. (Joh. 13.17)« Oder auch: »Wer nicht verläßt Häuser, Geld, Gut, Weib, Kinder und verleugnet sich selber und folgt mir nach, der ist nicht mein Diener. (Luk. 14.26)« Das Herz muß alles hingeben und nichts für sich behalten, sondern denken, daß er nur ein Diener Gottes und seiner Brüder sei, in seinem Stande und mit allem, was er zu verwalten hat. Daß man also handeln sollte, wie es Gott von einem fordert und haben will, und nicht den Mantel Christi mit seinem Verdienst über sich decken und darunter ein Geiziger, Stolzer, Neidiger und Zorniger bleiben.

11.29. Diese alle, so viele derer sind und so lange sie solche sind, gehören zu jenen, über die St. Paulus und David hier sagen, sie seien wohl berufen, aber nicht unter der Wahl der Gnade, es sei denn, sie kehren in Zeiten der Gnade um und verlassen in ihrem Herzen alles und folgen Christus nach.

11.30. Keine von außen zugerechnete Gnade nimmt sie an, wenn sie nicht innerlich Kinder der Gnade werden. Nur dann nimmt sie die zugerechnete Gnade in sich auf, die Christus ist. Ohne Christus gibt es nur Pharisäer und Heuchler, denn sie heucheln mit der zugerechneten Gnade, wie sie wollen, und so sind es Wölfe, vor denen uns Christus warnt. Auch wenn sie behaupten „Hier ist Christis Kirche!“, so ist das alles nichts, denn an ihren Werken sollt ihr sie erkennen, und folgen sie Christus nicht nach, dann sind sie Diebe und Mörder, sagt Christus. Auch wenn sie behaupten, daß das Amt Menschen zu hohen Priestern mache, welche Schwächen haben und sich damit decken wollen, so gilt das alles nichts. Das Herz muß in Christus sein und wandeln. Und obwohl St. Paulus sagte, »daß dem Fleisch die Lust anhängt und die Sünde im äußeren Fleisch wohnt (Röm. 7.17, so sieht man doch wohl, welche die Lust zu töten oder Christus nachzufolgen begehren. Denn wo innerlich Geiz und überheblicher Stolz sind, da ist ein Pharisäer zur Herberge. Entschuldige dich, wie du willst, du hast ihn doch am Halse.

11.31. Ferner heißt es: »Wenn der Juden Verlust (bzw. Verzicht) der Welt die Versöhnung sei, was wäre das anderes, als das Leben von den Toten nehmen?! Ist der Ansatz heilig, dann ist auch der ganze Teig heilig, und wenn die Wurzel heilig ist, dann sind auch die Zweige heilig. (Röm. 11.15)« — Erklärung: Allein dieser Text wirft alle Meinungen, daß Gott dem Gottlosen die Gnade zurechne, zu Boden und setzt es auf den Grund der Wurzel und deutet an, daß Gott nicht aus seinem Willen viele verstocke, so daß er durch dieselben beweisen wolle, was seine Gnade sei. Denn so sagt St. Paulus: »Was wäre das anderes, als das Leben von den Toten nehmen?!« Dann setzt er die Verstockung auf die Wurzel, nämlich daß ein bösartiger Baum bösartige Früchte trage und ein heiliger Baum heilige Zweige, und daß der Zorn Gottes die Kinder des Zorns gebäre, und zwar aus der Sünde und Eitelkeit der Menschen, welches doch (sogar) den Heiden zum Licht dienen muß. Wie er auch in Röm. 8.28 sagt: »Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen, weil sie aus dem Vorsatz der Gnade berufen und geboren sind.«

11.32. Die Vergebung der Sünde - dazu die Schrift sagt, er vergibt ihnen die Sünde und rechnet ihnen die Gnade zur Rechtfertigung zu - geht allein über jene Menschen, in deren innerem Grund Christus lebt und denen die Sünde nur noch im Fleisch anhängt, wie David und anderen mehr, so daß sie oft noch fallen, aber ihnen hilft die Gnade in ihrem Inneren wieder auf und tilgt die Sünde und Übertretung.

11.33. Doch den Verstockten ohne Buße und ernsthafter Umkehr betrifft das nicht. Sie dürfen nicht deshalb sündigen und in ihrem Willen in Sünde totliegen, damit Gott wegen ihrer Verdammung seine Gnade an ihnen mit einem besonderen Ruf und Zwang zeige, um sie zu bekehren, als ob er durch besonderen Vorsatz aus einem Teufel einen Engel mache, sonst hätte das Luzifer mit den Seinen auch zu hoffen. Sondern er läßt ihnen seine Sonne den ganzen Tag ihres Lebens in ihren Mündern und Ohren scheinen, und ruft sie und sagt: »Verstockt eure Herzen nicht mit bewirkter Sünde, damit das Wort (Gottes) in eure Herzen schallen und wurzeln könne.«

11.34. Denn es ist wohl möglich, daß ein armer toter Sünder bekehrt werde, wenn er von den Bildern (der Welt) stillstehen und nur einen Augenblick hören will, was der Herr in ihm spricht. Aber der verstockte und verbitterte Geist will des Herrn Stimme in sich selbst nicht hören, sondern sagt nur: „Buchstabe, Buchstabe! Das geschriebene Wort sei es allein (die ganze Wahrheit).“ Das zieht ihn hin und her, und er rühmt sich dessen, aber das lebendige Wort, das den Buchstaben ausgesprochen hat, das will er in sich nicht dulden noch hören. Soll er aber zur (wahren) Erkenntnis kommen, dann muß er sich zuvor von den Buchstaben töten lassen. Erst danach macht ihn der Geist der Buchstaben wahrhaft lebendig. Das heißt, er muß allen Buchstaben absterben und sich selbst für so unwürdig halten, daß er des Buchstabenwortes nicht wert sei, wie der arme Zöllner im Tempel, und daß er keine Gerechtigkeit mehr im Buchstabenwort finde, als hätte er alles verloren und sei es nicht wert, die Augen zu Gott zu erheben und daß ihn die Erde trage und er unter die Zahl der Kinder Gottes gerechnet werden solle. Nur dann hat er alles verloren und in sich die Buchstaben getötet, denn er gibt sich so ganz in Gottes Gericht hinein. Hierbei muß er nur auf die reine Barmherzigkeit Gottes ohne alle seine Würdigkeit hoffen und in diese sich hineinversenken wie ein Toter, der kein Leben in sich hat, was auch immer sie mit ihm tue, und muß allen seinen Werken entsagen und sich nur mit der Hoffnung in die allerinnerste, lauterste Gnade Gottes versenken.

11.35. Das muß die Seele tun. Und wenn sie das tut und nur einen Augenblick darin verharren kann, dann ergreift sie der erste einverleibte Bund als die geschenkte Gnade und gibt sich der Seele hinein. Jetzt, sobald das geschieht, steht der Geist Christi als das innerlich sprechende lebendige Wort in der Seele auf und beginnt, Gottes Wort zu sprechen. Zur gleichen Zeit geht allda der Heilige Geist vom Vater und Sohn aus und vertritt die Seele in Gottes Gerechtigkeit mit unaussprechlichem Seufzen im Gebet, wie auch geschrieben steht (in Röm. 8.26).

11.36. Wir, das heißt, die (wahrhaft) arme Seele, weiß nicht, was sie beten soll, sondern der Geist Gottes vertritt sie mit unaussprechlichem Seufzen, wie es Gott gefällt. Und allda macht der Buchstabe, der sie im Gesetz der Gerechtigkeit Gottes getötet hat, wieder lebendig und setzt sie zum Lehrer seines Wortes ein, beides in der Kraft des lebendigen Wortes und dem Buchstabenwort. Denn erst danach gehen diese zur Tür in den Schafstall Christi ein, und die Schafe hören ihre Stimme, wie Christus sagt.

11.37. Die anderen aber, alle miteinander, wessen Namen sie auch sind, die nicht durch die Tür des lebendigen Wortes durch das Buchstabenwort eingehen, die steigen anderswo hinein und sind Diebe und Mörder (Joh. 10.1), wie Christus sagte, und die Schafe hören ihre Stimme nicht.

11.38. Denn Christus allein ist die Tür, das heißt, der lebendige Christus in seinem Leben und Sprechen in und aus der Seele. Der geht durch das Buchstabenwort in die Herzen der Menschen wie durch die Predigt von Petrus am Pfingsttag. Wer sich auf andere Weise zu einem Lehrer des Buchstabenwortes aufspielt, der ist nicht von Gott gesandt und kommt nur, weil er stehlen will, nämlich die Ehre von Christus will er stehlen und ihm nehmen.

11.39. Auf diese Weise kann der arme und in Gottes Zorn getötete Mensch wieder lebendig werden, auch wenn er gleichsam schon tot war. Denn Christus ist gekommen, die Sünder zur Buße zu rufen und nicht die Gerechten. Und wenn ein solcher im Zorn Gottes verschlossener armer Sünder kommt, dann ist vor Gottes Engeln mehr Freude im Himmel als über neunundneunzig Gerechte (Luk. 15.7), die da ergriffen und Zweige der Heiligen sind und solchen Grundes gar nicht erst bedürfen, sondern der Grund liegt bereits in ihnen. Bei jenen aber wird der Grund in Gottes Zorn offenbar. Und hier beweist Gott an ihnen, wie das Leben aus dem Tod aufersteht und wie Christus das Reich des Teufels zerstöre und die Hölle zerbreche.

11.40. Darum ist das unser wahrer Schluß, daß über keinem Menschen ein vorsätzlicher Schluß zur Verdammnis gemacht sei, so daß es unmöglich wäre, ihn zu bekehren. Denn obwohl der Mensch sich selber nicht bekehren kann, so hat aber seine Seele von ihrem Ursprung aus der ewigen Erfahrung des Ungrundes her die Macht, sich in den Abgrund (die geistige Tiefe) zu schwingen, in den Grund, darin Gott sein Wort gebiert und spricht. In diesem Abgrund der Kreatur liegt das Gnadengeschenk in allen Menschen und neigt sich mehr zur Seele, als sich die Seele nach dieser tiefgründigen Gnade neigt. Hier kann die Seele in Gottes Gnade wohl ergriffen werden, so daß sie Christus in die Arme fällt, der ihr das Können und Vermögen viel lieber gibt als sie es begehrt.

11.41. Wenn nun einer sagen wollte, die Seele könne sich nicht in den Abgrund schwingen, der redet wie einer, der noch lange nichts vom Geheimnis Gottes versteht, was die Seele und was ein Engel ist, und den Zweig vom Baum abbrechen will, auf dem er sitzt.

11.42. Die Seele ist aus dem Abgrund in eine Kreatur gesprochen worden. Wer will nun der Ewigkeit ihr Recht brechen, daß der ewige Wille der Seele, der aus dem ewigen Einigen Willen in eine Kreatur gegangen ist, sich mit demselben Willen der Kreatur nicht wieder in seine Mutter einschwingen dürfte, aus der er gekommen ist?

11.43. In das Licht, das dem Willen erloschen ist, kann er sich in eigenem Vermögen nicht einschwingen. Aber in die Ursache zum Licht, in der weder Böses noch Gutes ist, kann er sich schwingen, denn er selbst ist dieser Grund. Wenn er sich nur aus seiner Bildlichkeit in sich selbst im Abgrund (der geistigen Tiefe) versenkt, dann ist er schon da. Und in diesem Abgrund liegt sein Perlein (des göttlichen Samens), und Christus steht hier vom Tode auf und sitzt zur Rechten in der Kraft Gottes im Himmel im Menschen. Mögen wir doch schließlich erkennen wollen, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt!

11.44. Oh ihr Menschen, seid doch nicht so blind! Wie tut euch Gott seine Gnadentür so weit auf, erkennt es doch mit Achtsamkeit. Betrachtet die Zeit, denn eure Heimsuchung ist geboren. Tretet doch das Gnadengeschenk göttlicher Gnadenoffenbarung nicht mit den Füßen eures trägen Verstandes.

11.45. Weil der Mensch lebt, so hat er eine offene Gnadenpforte für ihn. Es gibt über ihn keinen Beschluß aus göttlichem Willen zum Tode, denn der Vater hat den Beschluß seiner Gerechtigkeit in die Gnade Christi als seinen Sohn gegeben. Eure Verstockung kommt aus euch selber. Gottes Zorn verstockt euch in euren angeerbten und bewirkten Sünden, und kein fremder eindringender Wille.

Verwendete Quellen zur deutschen Überarbeitung

Von der Genaden-Wahl oder dem Willen Gottes über die Menschen, Jacob Böhme, 1682
De electione gratiae von der Gnaden-Wahl, Jacob Böhme, 1730
Jakob Böhmes sämmliche Werke, Band 4, Johann Umbrosius Barth, 1842


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