De Signatura Rerum

(Text von Jacob Böhme 1622, deutsche Überarbeitung 2022)

16. Kapitel - Von der ewigen Signatur und himmlischen Freude

Von der ewigen Signatur und himmlischen Freude, und warum alle Dinge in Böse und Gut hineingeführt worden sind.

16.1. Die Schöpfung oder ganze Kreation ist nichts anderes als eine Offenbarung des allwesenden unergründlichen Gottes. Alles, was er in seiner ewigen unanfänglichen Gebärung und Herrschaft ist, dessen ist auch die Schöpfung, aber nicht in der Allmacht und Kraft, sondern wie ein Apfel auf dem Baum wächst, der nicht der Baum selber ist, sondern aus der Kraft des Baumes wächst. So sind alle Dinge aus göttlicher Begierde entsprungen und in ein Wesen geschaffen worden, dazu am Anfang kein Wesen vorhanden war, sondern nur dasselbe Mysterium der ewigen Gebärung, in dem eine ewige Vollkommenheit ist.

16.2. Denn Gott hat die Schöpfung nicht geboren, damit er dadurch vollkommen würde, sondern zu seiner Selbstoffenbarung, als zur großen Freude und Herrlichkeit. Nicht, daß solche Freude erst mit der Schöpfung angefangen habe. Nein, sie ist seit Ewigkeit im großen Mysterium gewesen, aber nur als ein geistiges Spiel in sich selbst. Die Schöpfung oder Kreation ist dieses Spiel aus sich selbst, wie ein Modell oder Werkzeug des ewigen Geistes, mit dem er spielt. Und sie ist wie eine große Sinfonie vielerlei Lautenspiele, welche alle in eine Harmonie gerichtet sind.

16.3. Denn das ewige Wort oder der göttliche Hall oder seine Stimme, welche ein Geist ist, hat sich mit der Gebärung des großen Mysteriums in Formungen als in ein ausgesprochenes Wort oder Hallen hineingeführt. Und wie das Freudenspiel im Geist der ewigen Gebärung in sich selbst ist, so ist auch das Werkzeug, als die ausgesprochene Form in sich selbst, welches der lebendige Hall führt und mit seinem ewigen Willengeist schlägt, so daß es lautet und hallt. Gleichwie eine Orgel von vielen Stimmen mit einer einigen Luft angetrieben wird, so daß eine jede Stimme, ja eine jede Pfeife ihren Ton gibt, und es ist doch nur einerlei Luft in allen Stimmen, die in jeder Stimme hallt, je nachdem das Instrument oder die Orgel gemacht ist.

16.4. So ist in der Ewigkeit im ganzen Werk der göttlichen Offenbarung nur ein einiger Geist, welcher der Offenbarer im ausgesprochenen Hall sowie im sprechenden Hall Gottes ist, der das Leben des großen Mysteriums und all dessen ist, was daraus geboren wird, denn er ist der Offenbarer aller Werke Gottes.

16.5. Alle englischen Königreiche sind wie ein zugerichtetes Werk, als eine Offenbarung des ewigen Halls der Stimme Gottes, und sind wie ein Teil aus dem großen Mysterium, und sind im göttlichen ewigsprechenden Wort, Hall oder Stimme Gottes doch nur Eines, denn ein einiger Geist regiert es. Und ein jeder englischer Fürst ist eine Eigenschaft aus der Stimme Gottes und trägt den großen Namen Gottes, wie wir dessen ein Bild an den Sternen am Firmament haben und an den Königreichen und Herrschaften auf Erden unter allen Geschlechtern, darin jeder Herr den Titel seines Oberen und Namen und Amt für die Unteren trägt. So auch die Sterne am Firmament, die sind allesamt nur ein einiges Regiment und haben ihr fürstliches Regiment in der Kraft unter sich, darin die großen Sterne (bzw. Planeten) den Namen und das Amt der Gestaltungen im Mysterium der sieben Eigenschaften tragen, und die anderen nach ihnen als ein Teil der Häuser oder Abteilungen (bzw. Sternbilder), darin ein jedes als eine besondere Harmonie oder Wirkung gleich einem Königreich ist. Und doch geht alles in einer Harmonie, gleich einem Uhrwerk, das ineinander gerichtet ist, und darin alles ineinander wirkt. Trotzdem behalten die großen Fixsterne ihre besonderen Eigenschaften im Wesen der Wirkung, vor allem auch die sieben Planeten nach den sieben Eigenschaften der Natur, als eine Gebärerin entsprechend des ewigen Mysteriums oder als ein Werkzeug des Geistes aus dem ewigen Mysterium.

16.6. Diese Geburt des Gestirns gebiert in den vier Elementen, als in ihrem Leib oder Wesen, Freude und Leid, und ist doch in sich selbst überall sehr gut. Die Verwandlung (bzw. Verkehrung) der Kreatur kommt nur aus der Lust, mit welcher die Kreatur den Grimm des Feuers in den Eigenschaften in die Höhe führt und aus der Gleichheit der Harmonie (Konkordanz bzw. „Übereinstimmung“) herausführt.

16.7. Kein Ding ist böse, das in der ausgeglichenen Harmonie bleibt, denn das, was mit seiner Herausführung aus der Harmonie das Allerböseste macht, das macht in der ausgeglichenen Harmonie auch das Allerbeste. Was da Leid macht, das macht in der Gleichheit auch Freude.

16.8. Darum kann keine Kreatur ihren Schöpfer beschuldigen, daß er sie böse gemacht habe, denn es ist alles sehr gut (bzw. vollkommen). Aber mit seiner Selbsterhebung und Herausgehung aus der Gleichheit wird es böse und führt sich aus der Liebe- und Freudegestaltung in eine schmerzliche Gestaltung hinein.

16.9. König Luzifer stand im Anfang seiner Schöpfung in seinem höchsten Freudenreich, aber er ging aus der Gleichheit heraus und erhob sich aus der Harmonie in die kalte, finstere und feurige Gebärung, aus welcher die hitzige Feuer-Gebärung entsteht. Er ging aus seiner Ordnung heraus, aus der Harmonie, darin ihn Gott erschuf, denn er wollte ein Herr über alles sein. Damit ging er in die strenge Herrschaft des Feuers ein und ist nun ein Instrument in der strengen Macht des Feuers, auf welchem auch der allwesende Geist schlägt und auf seinem Instrument hallt, aber nach der Eigenschaft des grimmigen Feuers. Denn wie die Harmonie als die Lebensgestaltung in jedem Ding ist, so ist auch sein Hall oder Klang des ewigen Halls darin: in den Heiligen heilig, und in den Verkehrten verkehrt.

16.10. Alles muß den Schöpfer aller Wesen loben: Die Teufel loben ihn in der Macht des Grimms, und die Engel und Menschen loben ihn in der Macht der Liebe.

16.11. Denn das Wesen aller Wesen ist nur ein einiges Wesen, scheidet sich aber in seiner Gebärung in zwei Prinzipien, nämlich in Licht und Finsternis, in Freude und Leid, in Gutes und Böses, in Liebe und Zorn, in Feuer und Licht, und aus diesen zwei ewigen Anfängen in den dritten Anfang, nämlich in die Schöpfung zu seinem eigenen Liebespiel nach der Eigenschaft der beiden ewigen Begierden.

16.12. So geht jedes Ding in seiner Harmonie und wird von einem einigen Geist getrieben, der in jedem Ding nach dessen Eigenschaft ist. Und das ist das Uhrwerk des großen Mysteriums der Ewigkeit in jedem Prinzip, nach der Eigenschaft des Prinzips, und dann nach der instehenden Gestaltung des zugerichteten Instruments dieser Kreatur und in all diesen Anfängen.

16.13. Für alles, was zeitlich ist, ist der Tod das Scheideziel, darin das Böse zerbrechen kann. Was aber aus den ewigen Anfängen entsteht und in seiner Harmonie und Lebensgestaltung in eine andere Bildung eingeht, das geht aus Gottes Harmonie heraus, aus der wahren Ordnung, dahinein es Gott geschaffen hat, und wird aus dieser Harmonie in seine (entsprechende) Gleichheit ausgestoßen, wie ein ungleiches (mißtönendes) Spiel oder Klingen in der großen und schönen gleichstimmenden Harmonie, denn es ist ein Widerwärtiges und führt einen anderen Ton, Klang und Willen, und so wird es in seine (entsprechende) Gleichheit hineingeführt.

16.14. Und darum wurde dem Teufel die Hölle zum Haus und Wohnort gegeben, weil er seine Lebensgestaltung in Gottes Zorn und in den Feuersgrimm der ewigen Natur hineingeführt hat, so daß er das Instrument im ewigen Feuer Gottes ist. Und so schlägt der Zorngeist sein Instrument, und muß dennoch zu Gottes Ehre und Wundertat stehen und das Spiel in der Begierde und Eigenschaft des grimmigen Zorns sein.

16.15. Der Zorn und Grimm Gottes ist nun seine Freude. Nicht, daß er verzagen und trauern würde oder in Ohnmacht lebte. Nein, sondern in großer Stärke und Feuersmacht als ein gewaltiger König und Herr, aber nur in dieser Eigenschaft, die er selber ist, nämlich im ersten Prinzip in der finsteren Welt.

16.16. In gleicher Weise ist uns die englische Welt zu erkennen, als das zweite Prinzip, darin Gottes Licht und Klarheit in allem Wesen erscheint und des Göttlichen Hall oder Stimme in allen Kreaturen im größten Freudenreich aufgeht, weil der Geist aus dem göttlichen Hall ein Freudenreich und eine große immerwährende Liebebegierde in diesen Kreaturen und in allen göttlichen englischen Wesen macht. Wie im schmerzlichen Feuer ein Zittern der Angstqual ist, so ist auch im Liebe- und Lichtfeuer ein Zittern des Freudenreichs, als eine große Erhebung der Stimme Gottes, welche so in den Engeln und dergleichen Kreaturen, wie in den Seelen der Menschen, eine große Offenbarung des göttlichen Freudenreichs macht.

16.17. Die Stimme Gottes führt ihre Freude durch die Kreatur wie durch ein Instrument immer und ewig aus, denn die Kreatur ist die Offenbarung der Stimme Gottes. Was Gott in der ewigen Gebärung seines ewigen Wortes aus dem großen Mysterium des Vaters Eigenschaft ist, das ist die Kreatur in einem Bild wie ein Freudenspiel, mit dem der ewige Geist spielt.

16.18. So sind alle Eigenschaften des großen ewigen Mysteriums der Gebärung aller Wesen in den heiligen englischen und menschlichen Kreaturen offenbar. Doch nicht so zu denken, als ob die Kreaturen nur stillstünden und sich der Herrlichkeit Gottes erfreuten und nur in Freude zitterten. Nein, sondern wie der ewige Geist Gottes im großen Mysterium der göttlichen Gebärung seit Ewigkeit in Ewigkeit wirkt und die unendliche und unzählbare Weisheit Gottes immer offenbart, gleichwie die Erde immerzu schöne Blumen, Kräuter und Bäume sowie Metalle und Wesen gebiert und eines jeweils herrlicher, stärker und schöner hervorbringt als das andere, und wie bald im Wesen eines auf- und das andere untergeht, und damit eine immerwährende Nutznießung und Arbeit ist:

16.19. So ist auch die ewige Gebärung des heiligen Mysteriums in großer Kraft und Wiederbringung, darin jeweils eine göttliche Frucht der großen Liebebegierde neben der anderen im göttlichen Wesen steht. Und alles ist wie ein immerwährendes Ringen, ein Blühen der schönen Farben und ein lieblicher Geruch aus dem göttlichen Mercurius nach der Eigenschaft göttlicher Natur, und ein immer guter Geschmack der Liebe aus göttlicher Begierde.

16.20. Alles, dessen diese Welt ein irdisches Gleichnis und Spiegel ist, das ist im göttlichen Reich in großer Vollkommenheit im geistigen Wesen. Nicht nur Geist als ein Wille oder Gedanke, sondern Wesen, auch körperliches Wesen mit Saft und Kraft, aber bezüglich der äußeren Welt wie unbegreiflich. Denn aus diesem geistigen Wesen, in dem das reine Element ist, sowie aus dem finsteren Wesen im Mysterium des Grimms als dem Ursprung des ewigen lautbaren Wesens, daraus die Eigenschaften entstehen, ist diese sichtbare Welt als ein ausgesprochener Hall aus dem Wesen aller Wesen geboren und geschaffen worden.

16.21. Sie ist aber nicht aus dem ewigen Wesen gemacht worden, sondern aus dem Aushauchen des ewigen Wesens, aus Liebe und Zorn, aus Bösem und Gutem, als eine eigene Gebärung eines eigenen Prinzips in der Hand des ewigen Geistes.

16.22. Darum ist alles, was in dieser Welt ist, ein Abbild der englischen Welt. Aber nicht, daß das Böse, welches in dieser Welt neben dem Guten zugleich offenbar ist, im Himmel offenbar sei. Nein, es ist in zwei Prinzipien geschieden. Im Himmel ist alles gut: Was in der Hölle böse sowie Angst und Leid ist, das ist im Himmel gut und eine Freude, denn es steht alles in der Lichtqualität, und in der Hölle steht alles im Grimm in der finsteren Qual-Qualität.

16.23. So hat auch die Hölle, als die finstere Welt, ihre Gebärung der Früchte, und in ihnen ist ebenfalls ein solches Wesen und Regiment wie im Himmel, doch in der Art der grimmigen Eigenschaft, denn die feurige Eigenschaft macht in der Finsternis alles böse und im Licht alles gut. Und so ist in Summe in beiden ewigen Welten alles Eines.

16.24. Finsternis und Licht unterscheiden sich, so daß sie wie eine Feindschaft gegeneinanderstehen, damit erkannt werde, was gut oder böse, Freude oder Leid sowie Liebe oder Zorn sei: Es ist nur der Unterschied zwischen der Liebebegierde des Lichtes und der Zornbegierde der Finsternis.

16.25. Im Ursprung der ewigen Natur in der Eigenschaft des Vaters im großen Mysterium aller Wesen ist es ganz Eines. Dann ist doch in der englischen Welt auch dasselbe einige Feuer, aber in anderer Qualität als ein Liebefeuer, welches den Teufel und der Hölle ein Gift- oder Zornfeuer ist. Denn das Liebefeuer ist des Zornfeuers Tod, Sterben und Feindschaft, weil es dem Grimm die Gewalt nimmt, und das will der Grimm nicht. Und das kann auch nicht sein, denn wenn kein Grimm wäre, dann wäre auch kein Feuer und damit auch kein Licht. Und wenn der ewige Grimm nicht wäre, dann wäre auch keine ewige Freude. Der Grimm verwandelt sich im Licht in Freude, denn das Wesen des grimmigen Feuers nach der Finsternis erstirbt im grimmigen Feuer, und aus diesem Sterben geht das Licht- und Liebefeuer auf, wie das Licht aus einer Kerze brennt, aber Feuer und Licht der Kerze Eines sind.

16.26. So ist das große Mysterium aller Wesen in der Ewigkeit in sich selber Eines, aber in seiner Auswicklung und Offenbarung tritt es seit Ewigkeit und in Ewigkeit in zwei Wesen ein, nämlich in Böses und Gutes. Was also einem Ding böse ist, das ist dem anderen gut: Die Hölle ist den Engeln böse, denn sie sind nicht darin geschaffen worden, aber den anderen höllischen Kreaturen ist sie gut.

16.27. So ist auch der Himmel den höllischen Kreaturen böse, denn er ist ihr Gift und Tod, ein ewiges Sterben und ein ewiges Gefängnis. Darum ist es eine ewige Feindschaft, und Gott wird nur „ein Gott“ nach dem Licht seiner Liebe genannt. Er ist es wohl alles selbst, aber nach der Finsternis spricht er: „Ich bin ein zorniger eifriger Gott und ein verzehrendes Feuer.“ Deshalb soll jede Kreatur in ihrem Reich bleiben, darin sie in ihrer Schöpfung ergriffen und in ein Bild formiert worden ist, und aus dieser Harmonie nicht abweichen, oder sie wird zum Feind des Wesens aller Wesen.

16.28. Wie dann die Hölle auch ein Feind des Teufels ist, denn er ist ein fremder Gast darin, als ein Treuloser aus dem Himmel: Er will ein Herr sein in dem, darin er nicht geschaffen worden ist. Die ganze Schöpfung tadelt ihn als einen treulosen, abgefallenen und falschen Geist, der aus seiner Ordnung herausgetreten ist. Denn auch die Natur im Grimm ist sein Feind. Auch wenn er wohl von derselben Eigenschaft ist, so ist er doch ein Fremder und will Herr sein, und hat doch sein Königreich verloren, und ist nur ein Hausgenosse im Grimm Gottes. Der so reich war, ist nun so arm geworden, denn er hatte alles, als er in der Demut stand, und nun hat er nichts, und ist dazu im Schlund gefangen. Das ist seine Schande, daß er ein König ist, aber sein Königreich im überheblichen Stolz verscherzt hat. Die königliche Kreatur bleibt, aber das Regiment ist weg, und aus einem König ist ein Nach-Richter geworden. Was Gottes Zorn ergreift, darin ist er Richter als ein Amtmann von Gottes Zorn, der dennoch tun muß, was sein Herr will.

16.29. Diesem widerspricht der Verstand ohne genügende Erkenntnis und sagt: „Gott ist allmächtig und allwissend. Er hat es gemacht und mit seinem Werk getan, was er will: Wer will den Höchsten tadeln?“ Ja, lieber Verstand, jetzt hast du den Braten! Lerne zuerst das ABC im großen Mysterium.

16.30. Alles, was aus dem ewigen Willen ist und aus dem großen ewigen Mysterium aller Wesen entsteht (wie da Engel und Seelen der Menschen sind), das steht in gleicher Waage im Bösen und Guten im freien Willen, nämlich in Gott selbst, und welche Begierde in der Kreatur in die Qualifizierung aufgeht und die anderen übertrifft, von dieser Eigenschaft ist die Kreatur. Gleichwie eine Kerze ein Feuer aus sich gebiert, und aus dem Feuer den Wind, den das Feuer wieder in sich zieht und doch wieder von sich gibt. Und wenn dieser Geist vom Feuer und Licht ausgegangen ist, dann ist er vom Feuer und Licht frei, und welche Eigenschaft er annimmt, entsprechend ist er.

16.31. Das erste Mysterium, darin die Kreatur steht, ist das allwesende Mysterium, und das andere im ausgehenden Geist ist sein Eigentum und ein eigener Wille. So hat doch ein jeder Engel seinen eigenen Geist, der aus seinem Mysterium, welches aus der Ewigkeit seinen Ursprung hat, ausgeboren wird. Doch warum wird dieser Geist ein Versucher Gottes und versucht das Mysterium, welches ihn dann im Grimm fängt, wie es Luzifer geschehen ist? Er hatte den Zug zu Gottes Grimm und zu Gottes Liebe in sich: Warum bleibt dieser Geist, welcher die Gleichheit des Geistes Gottes ist, nicht in seinem Sitz im Gehorsam, wie ein Kind vor der Mutter in Demut?

16.32. Sprichst du: „Er kann es nicht!“ Das ist kein Grund. Ein jeder Geist steht dort, wo er geschaffen ist, im Gleichgewicht und hat einen freien Willen. Er ist Ein Geist mit dem allwesenden ewigen Geist, aber er kann sich eine Lust im allwesenden ewigen Geist schöpfen, wie er will, in Gottes Liebe oder Zorn. Wohinein er seine Lust führt, dessen Wesen und Eigenschaft empfängt er im großen Mysterium aller Wesen. Die Geburt ist in Gott in Liebe und Zorn offenbar. Warum nicht auch in der Kreatur, die aus Gottes Wesen und Willen, aus seiner Stimme und Hall, in ein Bild erschaffen worden ist? Welche Eigenschaft des Halls die Kreatur in sich erweckt, diese hallt und regiert in der Kreatur.

16.33. Gottes Wille zur Kreatur war doch nur Einer, als eine allgemeine Offenbarung des Geistes, wie ein jeder in der Eigenschaft des ewigen Mysteriums ergriffen wurde. Nun wurde doch Luzifer in guter englischer Eigenschaft ergriffen, und das bezeugt es genug, daß er ein Engel im Himmel war. Aber sein eigener verkörperter Willengeist schwang sich in die grimmige Mutter, um diese in sich zu erwecken und damit ein Herr über alle Geschöpfe zu sein. Nun ist doch der Willengeist frei, denn er ist der ewige Ursprung und macht, was er will.

16.34. Aber darum, weil sich der Willengeist, der doch aus Liebe und Zorn aus beiden ewigen Prinzipien entsteht, in den Grimm hineingegeben hat, mit welchem sich der Grimm empor und in das Regiment geschwungen hatte, aus der gleichen Harmonie in eine Ungleichheit erhoben, so mußte er wieder in seine Gleichheit hineingetrieben werden. Und das war sein Fall, und so ist auch der Fall aller bösartigen Menschen.

16.35. Nun zieht der eigene Verstand die Schrift heran, wo geschrieben steht: »Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. (Matth. 22.14)« Oder: »Jakob habe ich geliebt und Esau gehaßt!« Oder: »Hat nicht ein Töpfer die Macht, aus einem Ton zu machen, was er will? (Röm. 9.13/21)« Und so weiter. Auch ich sage, daß viele berufen sind, aber wenige außerwählt, denn sie wollen nicht, sondern schwingen ihren freien Willen in Gottes Zorn, und dort werden sie ergriffen, und dann werden sie zu Kindern des Zorns erwählt, obwohl sie doch in Adam alle ins Paradies und in Christus in die Wiedergeburt berufen waren. Aber sie wollten nicht, denn der freie Wille wollte nicht, sondern schwang sich in Gottes Grimm, und der ergriff ihn, und so waren sie keine erwählten Kinder. Denn Gottes Liebe erwählt sich nur die Gleichheit, und so auch Gottes Zorn. Und damit steht doch dem Gottlosen, den der Zorn Gottes ergriffen hat, die Pforte der Wiedergeburt offen. Denn der Mensch hat den Tod in sich, dadurch er dem Übel absterben kann, aber der Teufel nicht, weil er (als Engel) in die höchste Vollkommenheit geschaffen war.

16.36. So ist es auch mit Jakob und Esau. In Jakob war die Linie Christi im ringenden Rad emporgeschwungen, und in Esau der Fall Adams. Nun war doch Christus darum in die Menschheit verheißen, um den Fall Adams zu heilen und den im Grimm gefangenen Esau vom Grimm zu erlösen. Jakob bedeutet Christus, und Esau Adam. Nun sollte Christus Adam vom Tod und Zorn erlösen, darin er ergriffen war. Ist aber Esau in der Sünde geblieben? Das weiß ich nicht, auch sagt es die Schrift nicht. Der Segen gehörte Esau, das heißt Adam, aber er verscherzte ihn mit dem Fall, und so fiel der Segen auf Jakob, das heißt, auf Christus, und der sollte Adam und Esau segnen, so daß sie das Reich und den Segen wieder aus der Gnade empfangen können. Und so stand Esau, auch wenn er schon im Fluch ergriffen wurde, die Gnadentür in Jakob, das heißt, in Christus offen.

16.37. Deshalb sprach Jakob, das heißt Christus, danach, als er in Adams Seele und Fleisch eintrat: »Kommt alle her zu mir, ihr, die ihr mühselig und in Sünde beladen seid, ich will euch erquicken. (Matth. 11.28)« Oder: »Ich bin gekommen, um die Sünder zur Buße zu rufen.« Nicht Jakob, denn der bedarf dessen nicht, sondern Esau, der dessen bedarf. Und wenn Esau dahin gekommen ist, dann sagt Christus: »Es ist Freude über ihn im Himmel, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. (Luk. 15.7)« Also mehr als über neunundneunzig Jakobs, die in Christi Linie im Zentrum des Lebens Aufgang ergriffen worden sind. Denn über einen armen Sünder, den der Zorn im Zentrum des göttlichen Grimms im Anfang des Lebens ergriffen hatte und der zur Verdammnis erwählt war, ist solche Freude, wenn er mit der Sünde des Todes wieder in das Sterben der Sünde eingeht, nämlich mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

16.38. Wer sind aber die Gerechten? Denn in Adam sind wir alle Sünder geworden. Antwort: Es sind jene, welche im Aufgang des Lebens von der Linie Christi in der Menschheit ergriffen werden. Nicht, daß sie nicht fallen könnten wie Adam, sondern darum, daß sie in Christi Willengeist im ringenden Rad, darin Liebe und Zorn in gleicher Waage stehen, ergriffen sind und zum Leben erwählt worden, wie es auch Jakob, Isaak und Abel geschah. Denn diese Linie sollte Kains, Ismaels und Esaus Prediger und Lehrer sein und sie zur Buße und Umkehr aus dem Zorn ermahnen. Und diese Linie sollte sich in Adam, Kain, Ismael und Esau in ihren Zorn (der in ihnen entzündet war) hineingeben und mit der Liebe den Stachel des Teufels zerbrechen, so daß Kain, Ismael und Esau eine offene Tür zur Gnade hätten, wenn sie umkehren wollten und in Jakob sterben, das heißt, in Christi Tod eingehen und in Abel, Isaak, Jakob und Christus der Sünde absterben. Dann sollen sie in der Auserwählung in die Gnade eingenommen werden.

16.39. Jakob nahm Esaus Stelle im Segen ein. Warum geschah das? In Jakob war der verheißene Samen Abrahams und Adams, und aus dieser Linie sollte der Segen auf den sündigen Adam und Esau kommen. Jakob mußte mit Gottes Segen erfüllt werden, damit er den zornigen Adam und Esau als Erstgeborenen segne, denn in unserem Fleisch und Seele sollte der Segen als Christus geboren werden, damit des Weibes Samen der Schlange den Kopf zertreten konnte.

16.40. In der Menschheit mußte der Zorn ertränkt und gestillt werden. Kein Opfer vollbrachte das, sondern ein Eingehen in den Grimm, so daß die Liebe den Grimm ertränkte. Jakob in Christus mußte Esau in seinem Blut mit der Liebekraft ertränken, damit Esau auch ein Jakob in Christus würde. Wie aber Esau seinen Bruder Jakob nicht annehmen wollte und um die Erstgeburt gezankt hatte, das ist (bzw. bedeutet) Adam in Sünde, denn der will und kann Christus nicht annehmen. Aber er soll und muß dem sündigen Fleisch und Willen absterben. Darum hat Esau immer Streit gegen Jakob geführt, denn Jakob sollte ihn in Christus in seinem Blut ertränken, und das wollte der böse Adam in Esau nicht haben. Er wollte in seiner Selbheit leben, und darum stritt er mit dem irdischen Adam gegen Jakob.

16.41. Als ihm aber Jakob mit seinem Geschenk entgegenging (1.Mose 33.10), das heißt, als Christus mit seinem Liebegeschenk in die Menschheit kam, da fiel Esau seinem Bruder Jakob um den Hals und weinte. Denn als Christus in die Menschheit einging, da weinte Adam in Esau, und er bereute seine Sünden und sein Vorhaben, daß er Jakob töten wollte. Denn als Gottes Liebe in der Menschheit Christi in Gottes Zorn einging, da bereute der zornige Vater unsere Sünde und Elend, und Jakob mit seiner Demut trieb die weinenden Tränen aus seinem Bruder Esau, das heißt, die Liebe in der Menschheit Christi trieb das große Erbarmen aus und durch den zornigen Vater, so daß der zornige Vater mitten in seinem entzündeten Grimm in der Menschheit eine offene Tür der Barmherzigkeit über Adam und alle seine Kinder aufschloß, denn seine Liebe zerbrach ihm den Zorn, welche sich selbst in den Tod stellte und den armen Sündern eine offene Pforte im Tod zu seiner Gnade machte.

16.42. So heißt es jetzt für den armen Sünder, den der Zorn zur Verdammnis des ewigen Todes erwählt hat, daß er in denselben Tod eingehe und in Christi Tod der Sünde absterbe, denn so ertränkt sie Christus in seinem Blut und erwählt ihn wieder zum Kind Gottes.

16.43. Hier ist die Berufung: Christus ruft uns in seinem Tod in sein Sterben. Aber das will der Sünder nicht, und da ist nun im Sünder der Streit zwischen des Weibes Samen und der Schlange Samen. Welcher siegt, der empfängt das Kind: Nun kann der freie Wille greifen, wohin er will, denn beide Pforten stehen ihm offen. Viele, die auch in Christi Linie sind, werden durch die Lust in die Bosheit geführt, wie es auch Adam tat. Sie sind zwar berufen, aber in der Wahl bestehen sie nicht, denn die Wahl geht über den, der von der Sünde abgeht: Nur der wird auserwählt, der der Sünde in Christi Tod abstirbt und in Christi Auferstehung aufersteht, der Gott in Christus annimmt, nicht allein (mit Worten) im Mund, sondern in göttlicher Begierde im Willen und Gebären, nämlich ein neues Feuer-Gebären. Das Wissen ergreift es nicht, nur die ernste Begierde und Zerbrechung des sündhaften Willens, die begreift es.

16.44. So ist es mit der Gnadenwahl, wie sie der Verstand erkennt, kein genügender Grund: Adam ist zwar in Christus erwählt, aber daß mancher Zweig am Baum verdorrt, ist nicht des Baumes Schuld, denn er entzieht keinem Zweig seinen Saft. Doch der Zweig gibt sich mit der Begierde zu sehr aus und läuft in eigenem Willen, und so wird er von der Sonne und des Feuers Anzündung ergriffen, ehe er sich im Saft seiner Mutter wieder erholen und erquicken kann. So verdirbt auch der Mensch unter der Bosheit der Gesellschaft auf bösen Wegen: Gott bietet ihm seine Gnade an, und er soll Buße tun, aber die Gesellschaft und der Teufel führen ihn auf gottlosen Wegen, bis er allzu hart im Zorn gefangen wird, und dann geht es schwer zu. Er wäre wohl berufen, aber er ist bösartig. Und weil er bösartig ist, geht die Wahl an ihm vorbei, denn Gott erwählt sich nur seine Kinder. Wird er aber wieder fromm, dann fängt ihn die Wahl wieder.

16.45. So sagt die Schrift: »Viele sind berufen. (Matth. 20.16)« Aber wenn die Wahl in Christi Leiden und Tod über sie kommt, dann sind sie derselben (wegen des eigengefaßten bösartigen Willens) nicht fähig. So sind sie dann nicht auserwählt, sondern bösartige Kinder, und dann heißt es: »Wir haben euch gepfiffen, und ihr habt nicht getanzt. Wir haben euch geklagt, und ihr habt uns nicht getröstet. (Matth. 11.17)« »Oh Jerusalem, wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Gluckhenne ihre Küchlein unter ihre Flügel, doch ihr habt nicht gewollt. (Matth. 23.37)« Es lautet nicht „ihr habt nicht gekonnt“, sondern „nicht gewollt“. Und solange sie in der Bosheit der Sünde bleiben, so können sie auch nicht. Gott will das Perlein nicht vor die Säue werfen, sondern den Kindern, die sich ihm nahen, denen gibt er das Perlein und sein Brot.

16.46. Darum, wer Gott beschuldigt, der verachtet seine Barmherzigkeit, die er in die Menschheit hineingeführt hat, und zieht sich das Urteil selber auf den Hals, ja, auf sich in Leib und Seele.

16.47. Damit will ich den Leser treulich gewarnt und ihm vor Augen gestellt haben, was mir der Herr aller Wesen gegeben hat. Er kann sich innerlich und äußerlich in diesem Spiegel besehen, dann wird er finden, wer er ist. So wird ein jeder Leser seinen Nutzen darin finden, ob er gut oder böse sei (sich heilsam oder unheilsam entwickelt). Es ist eine fast helle Pforte des großen Mysteriums aller Wesen. Mit Glossieren (Kommentieren) und eigener Klugheit kann es keiner in seinem eigenen Grund ergreifen. Aber den wahren Sucher kann es umfangen und viel Nutzen und Freude schaffen, auch in allen natürlichen Dingen behilflich sein, wenn er sich recht dazu schicken und in Gottesfurcht suchen wird, welches doch die Zeit des Suchens ist.

16.48. Denn eine Lilie blüht über Berg und Tal an allen Enden der Erde: Wer da sucht, der findet. Amen.


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