Von sechs theosophischen Punkten

(Text von Jacob Böhme 1620, deutsche Überarbeitung 2021)

6. Kapitel - Der reine Spiegel des göttlichen Lichtes

6.1. Wenn wir all diesem nachsinnen und aus der inneren Welt in diese äußere sichtbare gehen, dann finden wir, daß das Wesen der äußeren Welt aus dem Inneren gekommen ist, nämlich aus der Imagination und dem Begehren der inneren Welt. Und wir werden in der äußeren Welt die Eigenschaften aller beiden inneren Welten finden, und dazu auch, wie der Willen beider Eigenschaften in der äußeren Welt rege und offenbar ist. Und dann, wie all das Gute, als das Wesen, das aus der Lichtwelt hergekommen ist, mit in den Zorn und Tod eingeschlossen ist, und wie die göttliche Kraft alles rege macht, damit alles aus dem Grimm des Todes heraus- und durchwächst.

6.2. Denn die irdische Tinktur (der Erde) hat keine Gemeinschaft mit der himmlischen in der Lichtwelt. Wir finden aber eine andere Tinktur in der Erde, welche mit der himmlischen Gemeinschaft hat und doch (in der Erde) mit eingeschlossen ist, wie in den edlen Metallen.

6.3. So Verstehen wir die Bewegung und die Schöpfung (Fiat) beider ewigen Welten, nämlich der finsteren und lichten, denn eine jede hat sich nach Wesen gesehnt. Und als sich Gott einmal bewegte, da konnte eine Welt ohne die andere nicht bewegt werden.

6.4. Denn die finstere Welt enthält innerlich das erste Zentrum der Natur, und die Lichtwelt das andere Zentrum, als das Herz Gottes oder das Wort der Kraft der Gottheit. Und so ist eine Welt von der anderen nicht getrennt.

6.5. Daran können wir erkennen, in welcher Gefahr wir stehen, und sollten bedenken, wo wir uns mit unserem Willen hineinschwingen wollen. Denn schwingen wir uns in die irdische Sucht, dann fängt sie uns, und dann ist die Qual des Abgrunds unser Herr und die Sonne unser zeitlicher Gott.

6.6. Schwingen wir uns aber mit unserem Willen in die Welt jenseits dieser Welt, dann fängt die Lichtwelt unseren Willen und Gott wird unser Herr. Dann lassen wir das irdische Leben dieser Welt und nehmen mit uns mit, was aus der Lichtwelt in uns gekommen ist, das heißt, in Adam, und das wird mit dem Willen, der mit Gott ein Geist wird, aus dieser Welt herausgeführt.

6.7. Da fragt der Verstand: „Wo sind denn die drei Welten?“ Er will schlechthin eine Trennung haben, wo eine Welt außerhalb der anderen ist oder über der anderen steht, was doch nicht möglich sein kann, sonst müßte sich das ewige unergründliche Wesen zertrennen. Wie kann sich aber das zertrennen, was ein Nichts ist, was keine Stätte hat und selbst Alles ist? Das kann ja nicht in Teilung kommen, was keinen Grund hat und sich nicht fassen läßt, was in sich selbst wohnt und sich selbst besitzt. Sondern es geht aus sich heraus und offenbart sich aus sich selbst.

6.8. Es macht ein Ding aus sich, das in sich nur ein Wille ist. Denn in sich ist es ein Geist, aber macht aus sich eine Gestalt des Geistes, und die Gestaltung macht ein Wesen entsprechend der Eigenschaft des Geistes. Wie dann diese Welt ein Wesen ist, und der innere Geist besitzt sie. Er ist an allen Orten, doch begreift ihn der Ort nicht, sondern er begreift den Ort, denn der Ort weiß nichts von ihm, aber fühlt ihn, denn er ist die Kraft und der Geist im Ort. Sein Wille geht durch das Wesen, aber das Wesen hat keine Augen, ihn zu sehen. Doch er ist das Sehen des Ortes, und ist selbst kein Ort oder eine Stätte, macht sich aber eine unergründliche Stätte, wo nichts meßbar ist. Denn er ist Alles, und doch auch gleich einem Nichts, gegenüber dem Äußeren betachtet. Was er aus sich gibt, das besitzt er auch. Er fährt nicht dahinein, sondern er ist schon da, bevor das Wesen die Stätte einnimmt. Die Stätte begreift nur einen Glanz von seinem Willen, wie jemand im Spiegel seine Gestalt sieht, aber diese Gestalt nicht ergreifen kann, oder wie der Sonnenschein im Wasser nicht ergriffen wird, doch das Wasser fühlt ihn und empfängt den Glanz, oder wie die Erde die Kraft von der Sonne empfängt, so daß sie Frucht bringt. So wohnt Gott in allen Wesen und durchdringt alles, doch wird von nichts ergriffen.

6.9. Oder wie wir verstehen, daß die Erde einen großen Hunger und Begierde nach der Sonne Kraft und Licht hat, in dem sie der Sonne Kraft und Licht an sich zieht und fähig (bzw. fruchtbar) wird, was ohne Begehren nicht sein könnte. In gleicher Weise hungert das äußere Wesen nach dem inneren, denn die äußere Gestaltung entsteht durch das Innere. So empfängt das äußere Wesen die Gestaltung des inneren in sich, wie einen Glanz oder eine Kraft. Denn den inneren Geist kann das äußere Wesen nicht fangen, denn er wohnt nicht im Äußeren, sondern er besitzt sich selbst in sich im Innern.

6.10. Denn das äußere Wesen empfängt des Geistes Gestaltung mit dem Spiegel (des Bewußtseins), wie das Wasser den Glanz der Sonne. Hier sollte man aber nicht denken, daß das Innere fern vom Äußeren sei, wie der Sonnenkörper vom Wasser, obwohl das auch nicht so ist, daß die Sonne fern vom Wasser sei, denn das Wasser hat der Sonne Eigenschaft und Wesen, sonst könnte das Wasser den Glanz der Sonne nicht fangen. Auch wenn die Sonne ein Körper ist, so ist doch die Sonne auch im Wasser, aber nicht offenbar. Der Körper macht die Sonne nur offenbar, und so ist uns zu erkennen, daß die ganze Welt nur Sonne wäre und der Ort der Sonne überall sein könnte, wenn es Gott anzünden und offenbaren wollte. Denn alles Wesen in dieser Welt fängt den Glanz der Sonne. In allem ist ein Spiegel, der die Kraft und Gestaltung der Sonne in allem Belebten und Unbelebten aller vier Elemente und deren Essenz und Wesen fangen kann.

6.11. In gleicher Art und Weise ist es auch mit der inneren Lichtwelt: Sie wohnt in der äußeren Welt, und diese empfängt die Kraft von ihr. Sie grünt (bzw. wirkt) in der äußeren Kraft, aber die äußere weiß nichts davon. Sie fühlt nur die Kraft, doch das innere Licht kann sie nicht schauen. Sie empfängt in ihrem Lebens-Spiegel nur den Glanz davon, denn die innere Kraft macht in der äußeren Gestalt ein Gleichnis nach sich selbst.

6.12. So können wir jetzt auch den Menschen erkennen: Er ist die innere und äußere Welt, dazu auch die finstere Welt als Ursache der inneren (Licht-) Welt in sich selbst, was ihn anbelangt. So ist er alle drei Welten, und wenn er in gleicher (ganzheitlicher) Ordnung stehenbleibt, so daß er nicht eine Welt in die andere hineinführt, dann ist er Gottes Gleichnis.

6.13. Er soll die Gestaltung als den Spiegel der Lichtwelt in die äußere und auch in die allerinnerste Finsterwelt hineinführen, und die Kraft der mittleren oder Licht-Welt in den Spiegel führen, dann ist er des göttlichen Lichtes fähig. Denn das (greifbare) Wesen fängt nicht das Licht, sondern nur die Kraft des Lichtes. Aber der Spiegel der Kraft fängt das Licht, gleichwie das Wasser die Sonne, denn das Wasser ist wie ein heller Spiegel im Vergleich zur Erde.

6.14. Wenn nun das Wasser mit der Erde vermischt wird, dann fängt es das Sonnenlicht nicht mehr. So fängt auch der menschliche Geist oder die Seele das Licht Gottes nicht, es sei denn, er bleibt rein und setzt sein Begehren in das Reine, nämlich in das Licht. Denn wonach das Leben imaginiert, das fängt es. Das Leben des Menschen ist die Gestaltung der beiden inneren Welten: Begehrt das Leben „Sulphur“ (Schwefel) in sich, so ist das „Phur“ (des Körpers) aus dem „Sul“ (des Geistes) seine Verfinsterung. Begehrt es aber allein „Sul“, dann empfängt es des Lichtes Kraft, und in der Kraft das Licht mit seiner Eigenschaft. Denn im „Phur“, als in der grimmigen Natur, kann das Leben nicht hell wie ein Spiegel bleiben, aber im „Sul“ wohl. Dann ist das Leben des Menschen ein wahrhafter Spiegel der Gottheit, in dem sich Gott schaut. Er gibt seinen Glanz und seine Kraft in den menschlichen Spiegel und findet sich im Menschen, sowie in den Engeln und den Gestalten der Himmel.

6.15. Die Essenz der Lichtwelt ist seine Findung oder Offenbarung (der „Selbsterkenntnis“), und die Essenz der finsteren Welt ist sein Verlieren. Er sieht sich in der finsteren Welt nicht, denn sie hat keinen Spiegel, der des Lichtes fähig wäre, weil alles, was nach der finsteren Welt Essenz und Eigenschaft imaginiert, der finsteren Welt Eigenschaft fängt und den Spiegel Gottes verliert. Er wird von finsterem Grimm erfüllt, gleichwie man Wasser mit Erde vermischt, so daß die Sonne darin nicht mehr scheinen kann. Dann verliert dieses Wasser den Spiegel der Sonne, und die Erde muß im Wasser wieder absinken, sonst gibt es nie mehr ein Spiegel der Sonne, denn er ist in der grimmigen finsteren Erde gefangen.

6.16. So geht es auch dem menschlichen Leben: Solange es nach Gottes Geist imaginiert, empfängt es Gottes Kraft und Licht und erkennt Gott. Wenn es aber nach der Eigenschaft der Irdischkeit oder finsteren Welt imaginiert, dann empfängt es die Essenz der Irdischkeit und finsteren Welt und füllt sich damit. Dann ist der Lebensspiegel in die Finsternis eingeschlossen, verliert den Spiegel der Gottheit und muß wieder geboren werden.

6.17. Wie wir nun erkennen, daß Adam den reinen Spiegel so irdisch gemacht und Gottes Kraft und Licht verloren hat, welche Christus, Gottes Sohn, wiederbrachte und die irdische Finsternis zersprengte und den Spiegel der Gottheit mit seiner Macht wieder hereinführte.

6.18. So erkennen wir, wie der heilige (bzw. heilsame) Baum durch alles und aus allem Wesen wachse, aber von keinem Wesen ergriffen wird, als nur im Spiegel der Reinheit, nämlich im reinen Menschenleben, das diesen heiligen Baum begehrt, der in keinem finsteren Leben ergriffen werden kann. - Dies war also der vierte Punkt. (Wie der heilige und gute Baum des ewigen Lebens aus allen Gewächsen der drei Prinzipien aus und durchwachse, aber von keinem ergriffen werden kann.)


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