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(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)
Wie Jakob mit all seinen Kindern und allen, die bei ihm waren, samt allem Vieh nach Ägypten gezogen war. (1.Mose 46)
73.1. Moses spricht: »Israel zog hin mit allem, was er hatte. Und als er nach Beerscheba kam, opferte er Opfer dem Gott seines Vaters Isaak. Und Gott sprach zu ihm des Nachts in einer Vision: „Jakob, Jakob!“ Er sprach: „Hier bin ich.“ Und er sprach: „Ich bin Gott, der Gott deines Vaters Isaak. Fürchte dich nicht, nach Ägypten hinabzuziehen, denn dort will ich dich zum großen Volk machen. Ich will mit dir hinab nach Ägypten ziehen, und will dich auch wieder heraufführen, und Josef soll seine Hände auf deine Augen legen.« Die innere Bedeutung versteht so:
73.2. Jakob mußte in der großen Hungersnot mit allem, was er hatte, nach Ägypten ziehen, und machte sich auf, als er von Josef hörte, als ihn Josef durch seine Söhne einlud und als er die Schenkung und die Wagen Josefs sah, denn da wurde sein Geist lebendig und machte sich auf. So ist es auch in der Bildung der neuen Geburt: Wenn der adamische Mensch die Stimme des himmlischen Josefs in sich schallen hört und die Wagen des Heiligen Geistes in sich sieht, dann macht er sich mit allen seinen Kräften auf und zieht in das Ägypten der Buße.
73.3. Und wenn er nach Beerscheba kommt (dem „Brunnen des Schwurs“ oder „Brunnen der Sieben“), das heißt (in der Natursprache), in das Zerschellen seines eigenen Herzens der Seele, dann opfert er seinen Leib und seine Seele mit allem, was er hat, dem »Gott seines Vaters« auf, das heißt, er ergibt sich mit seinem Leben und allem, was er ist, in das Wort hinein, das ihn in Adam geschaffen und aus sich gemacht hat, welches der Gott seines Vaters ist. Dann »spricht« dieses göttliche Wort in ihm, das heißt, es spricht wirklich und kräftig in ihm des »Nachts in einer Vision«, das heißt hier, in der Verborgenheit des Menschen, wo sich Gott dem Verstand und der Kreatur verbirgt und aus seinem Prinzip in das Leben Trost und Kraft einspricht, und ruft ihn mit seinem Namen, wie Jakob, das heißt, er faßt seinen Namen in das Wort seines Sprechens, welches das Buch des Lebens ist, in dem die Namen der Kinder Gottes eingefaßt oder geschrieben werden.
73.4. Und wenn ihn dieser Mensch in der Kraft empfindet, dann spricht er wieder in das Wort hinein: „Hier bin ich, Herr, mache aus mir, was du willst. Ich stehe vor dir.“ Und dieses innerliche Wort Gottes spricht in der Kraft: „Ich bin Gott, der Gott deines Vaters!“ Das heißt, es gibt dem Menschen in dieser sprechenden Kraft göttliche Erkenntnis, so daß es der Mensch erkennen lernt, daß Gott in ihm wirkt und was Gott ist.
73.5. Weil aber der Leib ein finsteres Tal und dazu in ungerechter Neigung ist, so spricht das Wort in die arme Seele: „Fürchte dich nicht, wenn du nach Ägypten als in die Buße eingehst und aus dem Land Kanaan als aus der Welt Wollust, Falschheit und Ungerechtigkeit ausgehst! Auch wenn sie dich anfeinden und verfolgen werden, so fürchte dich nicht. Ich will mit dir nach Ägypten ziehen, das heißt, in deine Umkehr und deinen göttlichen Gehorsam. Ich will dir helfen, Buße zu wirken, und dich in deinem Ägypten, das heißt, in deiner Bußwirkung segnen, und will deine neue Geburt zu einem großen Baum machen, der viele gute Früchte in Gottes Reich bringen soll, wie er auch zu Jakob sagte: „Ich will dich in Ägypten zum großen Volk machen, und will dich auch wieder heraufbringen, das heißt, du sollst nicht als ein Toter oder Abgeschiedener von dieser Welt bleiben. Auch wenn du nach Ägypten in die Buße ziehst und im Gemüt die Welt verläßt, dann will ich dich doch aus der Angst und Trübsal wieder herausziehen und in deinem Stand lassen, wenn dieser recht ist.“ Das geschieht so:
73.6. Wenn der Mensch in dieses Ägypten zieht, dann muß er sein Land als alle seine zeitliche Fleischeslust verlassen und Gott übergeben und nichts mehr als Eigenes behalten, sondern denken, daß es nicht sein eigen sei, sondern daß er dessen Diener ist, damit er Gott und seinen Mitgliedern darin diene und sein Herz so ausrichte, wie ein Pilger, der da reist und in der Welt nirgends daheim ist. Er muß sich mit Jakob auf Josefs, das heißt, auf des Heiligen Geistes Wagen setzen, wohin er ihn in dieser Hungersnot führen will. Dann zieht Gott in und mit ihm und segnet ihn, daß er viele göttliche Früchte wirkt und sein Name im Wort Gottes sehr groß wird.
73.7. Aber Gott stößt ihn darum nicht aus dem zeitlichen Besitz. Er führt seinen Geist wiederum herauf in die Wirkung seiner Hände Arbeit, als in seinen weltlichen Stand, damit er Gottes Wunder tut, und auch sich selbst und seines Leibes Gliedern, als seinem Nächsten, darin dient. Es wird ihm nichts genommen, als nur die Ungerechtigkeit und Unwahrheit. Gott macht ihn nun in seinem Stand zu seinem Diener, und er kann Vieh, Habe und Gut wohl behalten und zu seiner Notdurft mitnehmen, wie Jakob tat, aber das Falsche muß er wegtun.
73.8. Und wenn er dies tut, dann spricht Gott: »Josef soll seine Hand auf deine Augen legen, damit du siehst.« Das heißt, Christus soll mit seiner Gnadenhand in dein an Gott blindes Gesicht greifen und seine Hand der göttlichen Sonne auf deine Augen legen. Dann wirst du in göttliche Beschaulichkeit und Erkenntnis in dir selbst kommen, so daß sich dein Verstand verwundern wird, woher dir ein solches Licht der tiefen Erkenntnis kommt.
73.9. Jakob ist mit 70 Seelen (in allem) in Ägypten ankommen, mit all seinen Kindern und Kindeskindern, davon 66 aus seinen Lenden gekommen waren (bzw. von ihm abstammten), welche mit ihm zogen. Denn Josef hatte noch zwei Söhne in Ägypten gezeugt.
73.10. Diese Zahl 66 ist eine große geheime Zahl, wie auch die Zahl 70, welche eine Zahl der großen Babel ist, und die Zahl 66 ist des Tieres und der Hure, in welcher Israel und ein jedes Kind Gottes ausziehen muß.
73.11. Dieser Auszug Israels (bzw. Jakobs) ist eine wahrhaftige Darstellung und Bildung des letzten Auszugs des Volkes Israels, als der rechten wahren Christen, die auch aus diesem Kanaan, als aus Babel, am Ende der Zahl des Tieres und der Hure ausziehen sollen, deren Signatstern (zur göttlichen Führung) mit dem Wagen Josefs schon erschienen ist.
73.12. Denn die große Hungersnot zu Jakobs Zeiten (als die große Hungersnot um himmlische Speise) ist vorhanden, und nicht allein ein Seelenhunger nach Himmelsbrot, sondern auch eine gar große, heftige und in der Welt bisher fast unbekannte Verdichtung der Begierde zur Eigenheit, als zu Geiz, Gewinnsucht und überheblichem Stolz.
73.13. Entsprechend ist der Hunger im Grimm Gottes nach der Eitelkeit, um sie zu verschlingen, jetzt so groß, daß er des Himmels Kräfte verdichtet, so daß aller (vernünftiger) Vorrat und Segen verschwinden, und das Gemüt der Menschen so hungrig nach Eitelkeit wird, daß gar keine Ruhe mehr auf Erden vor dieser Begierde ist.
73.14. So wird das dritte Prinzip als der Weltgeist (Spiritus Mundi) des Reiches in den vier Elementen mit verdichtet, dadurch aller Segen verschwindet und an dessen Stelle ein unersättlicher Geizhunger entstanden ist, so daß das Tier und die Hure samt ihren Anbetern so hungrig nach Stolz, Geiz, Neid, Zorn, Unzucht und Hurerei sowie tierischer Wollust sind und so hart in solcher Begierde verdichtet, daß die Zeit reif ist, daß dieses Tier samt der Hure zerbersten muß.
73.15. Und dann wird Jakobs Geist lebendig und glaubt, daß Josef ein Fürst im Ägyptenland ist, nämlich in der Bekehrung. Dort wird Josef seinen Brüdern offenbar werden, und dann müssen sie sich ihrer Falschheit schämen, daß sie Josef verdrängt und mit Lügen ins Elend verkauft haben.
73.16. Denn Josefs Angesicht soll ganz Israel und Ägypten in der Wahrheit beschauen. Denn Israel muß aus Kanaan ausziehen und Babel in der Zahl 70 verlassen. Aber der Hunger zu Babel spricht: „Ich will mir zuvor meinen Sack füllen, damit ich auf dem Weg Zehrung (bzw. Nahrung) habe!“ Er weiß nicht, daß Josef die Zehrung sowie Wagen und Kleider für Israel gegeben hat, so daß sie nur ihre Tiere mitnehmen sollen und sonst ihre Wohnung und allen Vorrat zurücklassen.
73.17. Denn die Zehrung, welche jetzt Israel in Babel einsammelt, gehört ganz der grimmigen Verdichtung des Zorns Gottes, der sie alle verschlingen soll, wenn sein Feuer entbrennt. Gott hat doch seinen Kindern schon Zehrung durch Josef vorausgeschickt, und so werden sie genug haben, wenn sie nur nicht auf diesem Weg zanken. So sind ihnen auch Feierkleider bereitet, daß sie von dieser Unruhe des Treibers feiern (bzw. ausruhen) sollen.
73.18. Aber Babel denkt: „Noch lange nicht! Israel muß mir dienen, und ich will sie plagen.“ Doch die Sündflut und das Feuer zu Sodom überfällt sie plötzlich, so daß keine Rettung mehr ist. Wer da wacht, der sei munter, daß er nicht einschlafe, denn der Bräutigam zieht vorüber! Hinterher wollen die törichten Jungfrauen ihre Lampen noch schmücken, aber das ist zu spät, der Hunger zu Babel ergreift und frißt sie in seinen Schlund. (Matth. 25.1)
73.19. Moses spricht weiter: »Und Jakob sandte Juda vor sich her zu Josef, daß dieser ihm Gosen anwiese. So kamen sie in das Land Gosen. Da spannte Josef seinen Wagen an und zog hinauf nach Gosen, seinem Vater Israel entgegen. Und als er ihn sah, fiel er ihm um seinen Hals und weinte lange an seinem Hals. Da sprach Israel zu Josef: „Ich will nun gern sterben, nachdem ich dein Angesicht gesehen habe, daß du noch lebst.« Diese Darstellung versteht so:
73.20. Juda deutet den einverleibten Bund Gottes im Menschen an, als die göttliche Gnade in Christus. Diese schickt Israel, das heißt, der ganze Mensch vorher zum himmlischen Josef und vereinigt sich mit ihm, so daß der himmlische Josef in der einverleibten Gnade das Reich der Natur im Menschen, als den alten Jakob und Adam, nach Gosen führt, das heißt, auf dem Weg der Umkehr in die Ruhe Christi hineinführt, damit er an das wahre Ziel kommt, wo er Speise für das hungrige Gewissen findet, als den wahren Weg zur Seligkeit. Denn wo wahrhaft gelehrt wird und Unterweisung ist, da ist Gosen vorhanden, wo die Seele im Fetten (in der Fülle) sitzt und sich in der fetten Weide Christi weidet.
73.21. Und wenn das der himmlische Josef als Christus sieht, daß der alte Jakob, das heißt, der adamische Mensch seinen Juda zu ihm geschickt hat und hinterherkommt, dann spannt er seinen Wagen an, das heißt, seine Wirkung mit einem kräftigen Gegenzug, und zieht dem natürlichen Menschen entgegen. Und wenn sie zusammenkommen, dann fällt dieser Josef diesem Jakobs-Adam um den Hals, das heißt, er faßt seine Begierde und Lust und erfüllt sie mit seinen Tränen, die er in seinem Leiden vergossen und in seiner Überwindung durch den Tod in die ewige Freude geführt hat.
73.22. Mit diesen Freudentränen zündet er die Seele des alten Jakobs (Adams) an, so daß Jakob vor großer Freude am Hals Josefs, das heißt, in Christi Freudentränen lange weint und seine innerliche Freude mit den Tränen Christi vermischt. Mit diesen Freudentränen wird der alte Jakob (Adam) mächtig getröstet und in sich erquickt und gestärkt, so daß er empfindet, daß sein himmlischer Josef in ihm noch lebt, daß er in der Hungersnot der Sünden nicht gestorben oder ganz von ihm gewichen ist.
73.23. So spricht dann der natürliche Mensch: „Nun will ich gern sterben und all mein Recht und Willen übergeben, weil ich nun meinen lieben Sohn Josef erkannt und gesehen habe.“ Das heißt, weil ich empfinde, daß der neue Mensch in Christus in mir offenbar geworden ist, will ich nun gern in seiner Liebekraft meinem Willen der Eitelkeit absterben, wie Jakob zu Josef sagte.
73.24. »Josef sprach zu seinen Brüdern und seines Vaters Haus (bzw. Familie): Ich will hinaufziehen und dem Pharao ansagen: „Meine Brüder und meines Vaters Haus sind zu mir aus dem Land Kanaan gekommen und sind Viehhirten, denn es sind Leute die mit Vieh umgehen, denn ihr kleines und großes Vieh und alles, was sie haben, haben sie mitgebracht.“ Wenn euch dann der Pharao rufen wird und fragen: „Was ist eure Nahrung?“ Dann sollt ihr sagen: „Deine Knechte sind Leute, die mit Vieh umgehen, von unserer Jugend an bis jetzt, wie schon unsere Väter.“ Damit ihr im Land Gosen wohnen dürft, denn alle Viehhirten sind den Ägyptern ein Greuel.« Die innere Bedeutung versteht so:
73.25. Wenn sich der himmlische Josef als Christus der Seele und dem adamischen Menschen offenbart hat, so daß sie zusammengekommen sind und einander empfangen und angenommen haben, dann dringt dieses kräftige Wort in Christi Geist, das sich im Menschen offenbart hat, wieder in dessen ewigen Vaters Eigenschaft, als in das ewige Sprechen des Vaters. Das heißt dann hier: „Ich will dem Pharao ansagen, daß meine Brüder mit dem ganzen Haus meines Vaters zu mir gekommen sind.“
73.26. Denn der Pharao steht hier als ein Bild des göttlichen Vaters, welcher der ewige König ist, und dem sagt Christus als das Wort der Liebe und Gnade an, daß seine Brüder als die Eigenschaften des menschlichen Lebens aus und mit aller Kraft zu ihm gekommen sind. Das heißt, das Wort Christi, das vom Vater in unsere Menschheit gekommen ist, spricht durch seine Kraft das natürlich-menschliche Lebenswort in das ewige Wort des Vaters ein. Und das heißt hier „dem König ansagen“.
73.27. Denn Christus ist auch des Vaters Haushalter über die Menschen, wie Josef für den Pharao. Denn so wird der Mensch wieder in Gott offenbar, wenn ihn Christus in des Vaters Wort einspricht und ansagt. Sonst könnte der Mensch Gott nicht erreichen. Denn das menschliche Leben ist zwar aus dem Wort des göttlichen Vaters gekommen, denn der Geist Gottes sprach durch und aus des Vaters Wort im Menschen. (Joh. 1.4)
73.28. Aber es hat sich, nachdem es in eine Kreatur kam und natürlich wurde, von Gottes Liebesprechen abgewandt und im Zornsprechen offenbart. Die Kraft des Liebesprechens war ihm verloschen, als das zweite Prinzip der heiligen Gebärung oder Wirkung göttlicher Kräfte, und vermochte in eigener Kraft und Macht nicht wieder in das Liebesprechen einzugehen, so daß es göttliche Liebekraft sprechen oder gebären könne. Denn es hatte sich von Gottes Liebe abgetrennt und in ein natürliches Sprechen der Ichheit und Eitelkeit hineingeführt.
73.29. Dies jammerte Gott, und er führte sein liebesprechendes Wort wieder in das kreatürlich gebildete Wort der Seele und Menschheit hinein. Das ist nun dieser Josef, den Gott vorhergesandt hat, daß er das menschliche Leben wieder in das ewigsprechende Wort einführen oder einsprechen soll und darin vor dem ewigen König offenbarmachen. Er führt das menschliche Wort in die Eigenschaften des Vaters im Wort Gottes und versöhnt das abtrünnige menschliche Wort im Zornsprechen des Vaters mit seiner Liebe. Das heißt, er verwandelt den Zorn im menschlichen Lebenswort mit seinen Liebestränen in das göttliche Freudenreich und offenbart das menschliche Leben wirklich in Gott. Das heißt hier, wie Josef sagte: „Ich will zum Pharao sagen: Meine Brüder und das ganze Haus meines Vaters sind zu mir aus dem Land Kanaan gekommen.“
73.30. Denn Christus ist unser Bruder geworden, das Wort der Liebe wurde Mensch und wohnt in uns. Es nahm Adams Natur an sich, und darum nennt er es in dieser Darstellung „das Haus seines Vaters“, als den ersten Adam. Und seine Kinder nennt er „seine Brüder“. So ganz heimlich redet der Geist Moses in dieser Darstellung Christi, sonst hätte er an dieser Stelle wohl nur gesagt „Mein Vater ist zu mir gekommen.“, wenn er nicht eine andere Bedeutung darunter hätte.
73.31. Er sagt auch »aus dem Land Kanaan« und »es sind Viehhirten«, und so wollte er es vor dem Pharao ansagen, damit sie im Land Gosen wohnen könnten. Das heißt in dieser Darstellung so viel wie: Christus zeigt im Wort des Vaters mit seinem Liebesprechen an, daß seine Brüder aus der Eitelkeit der Kanaaniter aus wild-tierischer Eigenschaft zu ihm gekommen sind, und daß sie von ihrer Jugend an, seit Adams Zeiten, nur Viehhirten waren, das heißt, das menschliche Lebenswort mußte in diesem fleischlichen Kanaan im Fleisch und Blut wohnen und mußte in dieser tierischen Eigenschaft das Fleisch hüten und pflegen.
73.32. Denn die tierhafte Seele im Weltgeist hat im Menschen viele hundert Tierwesen, die sie mit der falschen Lust in sich erweckt und offenbart hat. Diese Tierwesen muß nun das menschliche Lebenswort von Adam her immerfort hüten, und muß mit solchem Vieh umgehen und diese Tiere pflegen. So sagte nun Josef: »Damit sie mit ihrem Vieh im Land Gosen wohnen dürfen«, das heißt, an einer besonderen Stätte, und nicht beim Pharao, denn der Geist sagt: »Die Viehhirten sind den Ägyptern ein Greuel.« Das heißt, die tierhafte Eigenschaft im Menschen ist vor Gott ein Greuel. Und darum führt Christus in dieser Zeit der Tiere nur den innerlichen Paradiesgrund vor Gottes Angesicht. Aber die Tiere führt er nach Gosen, das heißt, in das ausgesprochene kreatürliche Wesen dieser Welt, in eine gesegnete Stätte Gottes.
73.33. Der tierhafte Mensch kann nicht vor dem Pharao wohnen, das heißt, in Gottes Majestät und heiliger Kraft. Josef oder Jesus läßt ihn in der äußeren Natur im Reich dieser Welt und setzt ihn in einen Segen, daß er nahe bei Gott wohne, aber ein Prinzip ist der Unterschied, wie zwischen Zeit und Ewigkeit.
73.34. Und Josef sprach mit Fleiß, er wolle ansagen, »sie haben kleines und großes Vieh mitgebracht«, um anzudeuten, daß der ganze Mensch mit all seinen Werken in die Gnade und fette gesegnete Wohnung vor Gott gebracht werde, und daß Christi Kinder mit allen ihren irdischen Werken nach Gosen gesetzt werden, wie in eine Gnadenstätte.
73.35. Und er sagt zu seinen Brüdern: »Wenn euch der Pharao fragen wird „Was ist eure Nahrung?“, dann sollt ihr antworten: „Deine Knechte sind von Jugend an Viehhirten gewesen.“« Das heißt so viel wie: Wenn euch Gottes Geist in Sinn und Gemüt erforschen und probieren wird, was ihr seid, ob ihr Engel und Gottes Diener seid, dann demütigt euch vor Gott und sagt nicht von euch vor Gottes Augen: „Wir sitzen in deinem Amt und sind Herren oder Mächtige der Welt, Reiche, Adlige, Schöne, Gelehrte, Verständige und dergleichen!“ Dünkt euch nicht selber, vor Gott gut zu sein, und sagt nicht: „Wir sind deine lieben Diener in deiner Kraft.“ Sondern sagt: „Wir, deine Knechte, sind Viehhirten von Adam her. Wir hüten unsere tierische Eigenschaft als das Werk deiner Wunder, die du gemacht hast. Wir können nicht vor dir bestehen, oh heiliger Gott! Denn wir sind untüchtige und unverständige Viehhirten deiner Wunder. Laß uns nur Gnade finden, so daß wir in diesem Gosen vor dir wohnen können. Oh Herr, wir wissen nicht, was wir vor dir tun sollen. Gebiete du und lehre uns, wie wir diese, deine Herde weiden sollen, denn wir sind deine Knechte und wollen vor dir dienen als deine Viehhirten.“
73.36. In diesem Spiegel beschaue dich, du schöne Welt, was du in deinen hohen Ständen und Ämtern bist, allesamt vom Kaiser an bis zum Bettler und Geringsten, nur Viehhirten. Ein jeder ist nur ein Viehhirte, denn er verwaltet nur ein Amt des tierhaften Menschen, und hat unter seiner Herrschaft nur über Tiere zu herrschen und nichts mehr. Denn über den inneren göttlichen Menschen kann kein weltliches Amt herrschen. So muß er in seinem Amt nur eine Menge Tiere hüten, sie regieren und pflegen, und im Gegenzug pflegen sie ihn wieder.
73.37. Mit diesem Viehhirtenamt stolziert nun der irdische Luzifer, als hätte er ein englisches Regiment, und ist doch vor Gott nur ein Viehhirte und nichts mehr.
73.38. Darum hat Gott sein Geheimnis mit solchen einfältigen Viehhirten vorgebildet, damit der Mensch sehen soll, was er in seinem Amt und Stand ist. Und daß sich nicht sein Grimm erhebe und diese Hirten verderbe, so hat er sie sich in seiner Vorbildung allesamt nur als Viehhirten vorgemodelt, damit er seine Gnade über des Menschen Unverstand ausgießen kann.
73.39. Darin beseht euch nun, ihr Gewaltigen, Adligen, Reichen und Gelehrten alle miteinander, wie euch der Geist Gottes mit den teuren Erzvätern nur in Viehhirtenamtsweise in seiner Geheimnis-Offenbarung vor sich stellt. Ihr seid vor ihm alle miteinander nichts anderes als seine Viehhirten, der Kaiser wie sein Diener, der Adlige wie sein Untertan, einer wie der andere: Einer hütet in diesem tierischen Amt, der andere in einem anderen.
73.40. Aber der Pharisäer wird sagen: „Ich hüte die Schäflein Christi!“ Doch wehe dem, der seine Schäflein einem Wolf anvertraut! Lehrt er etwas Gutes aus Christi Geist, dann geschieht dies nicht aus seiner Macht, sondern der Erzhirte Christus lehrt durch ihn. Er aber geht selber nur mit Tieren um und trägt selber ein Tier unter seiner Herde an sich, welches auch gehütet werden muß, oder der Wolf frißt es.
73.41. So hat Gott alle Ämter in das Hirtenamt gesetzt, damit je eines das andere hüten und pflegen soll, und sind doch allesamt nur Hirten vor Ihm, die das Vieh (bzw. ihr Tierwesen) hüten, und Christus allein ist der Hirte der Seele und keiner mehr.
73.42. Deshalb soll einer sein Schäflein Christi, das er in sich hat, keinem irdischen Viehhirten anvertrauen, sondern allein dem Hirten Christus. Denn in allen äußerlichen Hirtenämtern sind Wölfe, welche auf das Schäflein Christi abzielen und es fressen wollen. Unter dem Hirtenamt kann er wohl gehen, aber er sehe sich vor des Hirten Hunden vor, daß sie ihn nicht beißen.
73.43. Oh Welt in deinen hohen Ständen! Wenn du dich doch nur betrachten würdest, was du in deinen Ständen vor dem Himmel bist, und deine Stände nicht so hoch in Gottes Liebe setztest, denn sie stehen nur in seiner Wundertat im Bösen und Guten.
73.44. Wenn Gott einen weltlichen Stand in seiner Liebe vorbilden wollte, dann hat er Viehhirten dahinein gesetzt, oder auch geringe, arme, verachtete und unansehnliche Leute. Siehe Abel, Seth, Henoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Josef, Moses und David an, oder die Propheten und Apostel und alle Heiligen, durch die sich Gott jemals offenbart hat, dann wirst du sehen, daß vor ihm keine Hoheit etwas gilt. Sie ist nur ein Spiegel der Wunder im Bösen und Guten, und zugleich ein Spiel von Gottes Liebe und Zorn, eine Vormodelung der englischen Herrschaften in Licht und Finsternis, in Himmel und Hölle.