Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

72. Kapitel - Josef offenbart sich seinen Brüdern

Wie sich Josef vor seinen Brüdern offenbarte, und was darunter zu verstehen sei. (1.Mose 45)

72.1. Moses spricht weiter: »Da konnte Josef nicht länger an sich halten vor allen, die um ihn her standen, und er rief: „Laßt jedermann von mir hinausgehen!“ Und so stand kein Mensch bei ihm, als sich Josef seinen Brüdern zu erkennen gab. Und er weinte laut, daß es die Ägypter und die Diener des Pharaos hörten, und sprach zu seinen Brüdern: „Ich bin Josef. Lebt mein Vater noch?“ Und seine Brüder konnten ihm nicht antworten, so erschraken sie vor seinem Angesicht.« Die innere Bedeutung versteht so:

72.2. Gott gab Israel das Gesetz und gebot ihnen dadurch, wieder heim ins Paradies zu gehen, wie dann hier die Bildung mit dem gelobten Land (dahinein sie gehen sollten, aber lange Zeit nicht konnten, bis sie Josua hineinführte) als ein Vorbild der wahren Hinführung durch Jesus stand. Und unter dem Gesetz hatten sie auch den paradiesischen Gnadenbund sowie die Propheten, welche sie durch Gottes Erbarmen führten.

72.3. Aber sie konnten durch keines von ihnen wieder in ihr erstes adamisch-paradiesisches Vaterland zur Ruhe kommen. Gottes Gerechtigkeit beschuldigte sie ohne Unterlaß und forderte das Können und Vermögen, daß sie dem Gesetz und Bund vollen Gehorsam leisten sollten.

72.4. Als es aber nicht sein konnte, so daß sie weder das Gesetz noch der Bund heimführen konnte, da offenbarte sich der himmlische Josef aus dem Bund. Denn er konnte sich wegen dem Elend der Menschen nicht länger enthalten und führte seine große Barmherzigkeit durch den Bund ins Gesetz, die durch Josefs großes Weinen angedeutet wurde, als er sich vor seinen Brüdern nicht mehr enthalten konnte und weinte, daß es auch die Ägypter und die Diener des Pharaos hörten. Was andeutet, daß dieses Weinen, als die Erbarmung Gottes durch Christus, auch die Ägypter, das heißt, alle Heiden und Völker hören und annehmen sollten. Wie dann auch geschah, als Christi Weinen und Erbarmen unter alle Völker schallte, so daß sie es alle in ihre Herzen nahmen und sich zu diesem Josef wandten, welcher sie alle annahm und das Gesetz samt dem Bund erfüllte.

72.5. Daß aber Josef rief »Laßt jedermann von mir hinausgehen!«, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab, so daß »kein Mensch bei ihm stehen sollte«, deutet dies an: Als sich Jesus Christus, als die höchste Erbarmung Gottes, aus dem Bund offenbarte, da mußte das Gesetz mit allen Zeremonien samt dem Bund aufhören und weggehen, auch aller Menschen Können und Vermögen, samt allem Wollen, Laufen und Rennen mußten hinausgehen.

72.6. Denn es trat jener aus dem Bund und Gesetz hervor, der den Bund und das Gesetz erfüllte, und stellte sich anstatt des Bundes und Gesetzes zwischen und in Gott und den Menschen ins Mittel, als ein Gottmensch und Menschgott, der allein Adam in das Paradies führen und die Sünde tilgen sollte. Es sollte niemand mit ihm sein, denn er allein wollte und sollte sich der Menschheit zu einem Licht (Joh. 8.12) und zu einem neuen Leben offenbaren.

72.7. Und das ist die Darstellung, wie der bußfertige Mensch zu Gott kommen muß. Denn er muß alles von sich wegtun: Alle seine Werke und Taten können nicht an der Spitze stehen, und er muß nun ganz in die Gelassenheit und Verlassenheit gehen und sich von aller Kreatur Trost und Hilfe abwenden, daß er bloß und allein vor die allerreinste Erbarmung Gottes in Jesus Christus trete.

72.8. Keine Heuchelei oder Menschentrost, mit denen man sich kitzelt, gilt vor diesem Angesicht Josefs, sondern nur eine völlige Verlassenheit aller Kreaturen, darin alles verlassen ist, bis auf die reine Seele: Die muß sich vor diesem Angesicht des himmlischen Josefs in all ihrem Willen in sich versenken und sich ihm ganz frei überlassen, und nichts ohne seinen Willen wollen und keinen anderen Mittler oder anderes Mittel an die Spitze stellen, denn das gilt alles nichts.

72.9. Das ganze kreatürliche Leben muß gelassen und seines Willens verlassen sein, damit der kreatürliche Wille wieder vom unkreatürlichen Willen eingenommen und gereinigt werde, so daß der Wille Gottes und des Menschen Ein Wille werde. Dann ist Gott alles in allem in ihm, nach der inneren und äußeren Welt, in jeder Welt nach ihrer Eigenschaft, nämlich nach dem ewig sprechenden Wort in der Seele und nach der tierhaften Seele im Weltgeist (Spiritus Mundi), in allem als ein Werkzeug Gottes.

72.10. Wenn dies nun geschieht, dann spricht der himmlische Josef in seiner Barmherzigkeit: „Ich bin Jesus in dir!“ Und öffnet ihm das innerliche Auge, so daß er ihn im gleichen Augenblick erkennt, und spricht der Seele freundlich ein und sagt: »Lebt mein Vater?« Das heißt, lebt des Vaters Natur noch in der Seele? Ist noch ein Odem (lebendiger Atem) des göttlichen Lebens in ihr?

72.11. Vor dieser Offenbarung erschrickt nun der seelische eigene Wille, so daß er in eigener Macht kein Wort mehr reden oder in der Ichheit sprechen kann. Denn in diesem Schreck geht die Eigenheit des Wollens zugrunde. Denn mit dieser Einsicht geht Gottes Wollen auf und tötet der Seele eigenes Wollen. Gleichwie Josefs Brüder so sehr vor seinem Angesicht erschraken, daß sie kein Wort mehr sprechen konnten, denn all ihr Vermögen entfiel ihnen, als wären sie ganz verstummt. So wird auch der Gottlose am Jüngsten Gericht vor Gottes Angesicht verstummen und zum ewigen Tod erschrecken, so daß sein Leben nur eine schreckliche Angst des bösen Gewissens sein wird, das ihn ewig nagen wird.

72.12. »Josef aber sprach zu seinen Brüdern: „Tretet doch her zu mir!“ Und sie traten herzu, und er sprach: „Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Und nun bekümmert euch nicht und denkt nicht, daß ich darum zürne, weil ihr mich hierher verkauft habt. Denn um eures Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt.« Die heilige Bedeutung versteht so:

72.13. Wenn Christus mit seiner Offenbarung die Seele so erschreckt, daß der Seele eigener Wille im Tod seines Wollens und Könnens erschrickt, dann spricht er sein Gnadenwort in sie ein und gibt ihr Kraft und spricht in der seelischen Essenz: „Tritt doch her zu mir und erhebe dein Angesicht vom Schreck des Todes. Komm in meiner Kraft und in meinem Wollen zu mir! Ich zürne nicht mehr mit dir, daß ich in deinen Tod verkauft worden bin. Gott hat mich euch vorhergesandt, daß ich euch in eurem Hunger des Elends, als im Hunger des göttlichen Zorns, ernähren soll, bis ihr den irdischen Leib loswerdet, in welchem der große Hunger und die göttliche Hungersnot im Zorn Gottes liegt.“

72.14. „Denn um eures Lebens willen hat mich Gott in eure Menschheit und Seele gesandt, denn es wird in eurem Fleisch noch fünf Jahre Hungersnot sein, das heißt, der göttliche Hunger wird noch in euren fünf Sinnen des irdischen Verstandes bleiben. So hat mich Gott zuvor, ehe diese Welt aufhört, zu euch und in euch gesandt, damit er euch in euren irdischen Sinnen mit einer gewaltigen Errettung errette, weil meine Kraft in der Hungersnot in den fünf irdischen Sinnen die arme Seele errettet und speist. Gott hat mich eurer Natur zum Vater gesetzt und zum Herrn und Fürsten, damit ich sie regieren soll, wie Josef über Ägyptenland. Ich bin ein Herr über all euer Haus und was ihr habt und geworden seid, damit ich euch in eurer Hungersnot mit göttlicher Speise meines Fleisches und Blutes ernähren soll. Seid nicht mehr verzagt, ich bin bei euch in der Not des irdischen Lebens, und ich will euch erretten und zu Ehren machen.“

72.15. Und Josef sprach weiter: »Eilt nun und zieht hinauf zu meinem Vater und sagt ihm: Das läßt dir Josef, dein Sohn, sagen: Gott hat mich zum Herrn über ganz Ägypten gesetzt. Komm herab zu mir, säume nicht! Du sollst im Land Gosen wohnen und nahe bei mir sein, und deine Kinder und Kindeskinder, dein kleines und großes Vieh und alles, was du hast. Ich will dich dort versorgen, denn es sind noch fünf Jahre Hungersnot, damit du nicht verdirbst mit deinem Haus und allem, was du hast.«

72.16. »Siehe, eure Augen sehen es und die Augen meines Bruders Benjamin, daß ich leibhaftig mit euch rede. Verkündet meinem Vater alle meine Herrlichkeit in Ägypten und alles, was ihr gesehen habt. Eilt und kommt wieder hierher mit meinem Vater! Und er fiel seinem Bruder Benjamin um den Hals und weinte, und Benjamin weinte auch an seinem Hals, und er küßte alle seine Brüder und weinte um sie. Danach redeten seine Brüder mit ihm.«

72.17. Dies ist nun die Darstellung, daß, wenn die Seele des himmlischen Josefs Angesicht gesehen hat, dadurch sie getröstet und wieder erfreut wurde, dann spricht das göttliche Wort in ihr: Eile nun und bringe auch deinen Vater, das heißt, deine Natur und dein ganzes Leben mit all deinem Wandel in deinem Stand zu mir. Du sollst mit deinem äußeren Leben nahe bei mir wohnen, und ich will dich ernähren und pflegen, samt allem, darüber du gesetzt bist. Zieh mit all deinen Sinnen und Werken zu mir hinab nach Ägypten, das heißt, in die Niedrigkeit und Demut. Dieses Land will ich dir zur Wohnung geben, das heißt, in der Niedrigkeit und Demut soll deine Wohnung sein. Dort kannst du in deinem zeitlichen Stand mit zeitlicher Nahrung und in zeitlicher Habhaftigkeit bei mir wohnen. Dort sollen eure Augen meine Güte sehen, daß ich euch in der Hungersnot eurer Irdischkeit wohltun will.

72.18. Denn das Land Gosen (oder auch Goschen, vermutlich am Nil-Delta) deutet eine Fettigkeit (bzw. Fülle) vom Segen Gottes in dieser Irdischkeit an. Darin sehen eure Augen und auch die Augen meines Bruders Benjamins, als des innerlichen neuen Menschen, daß ich in euch leibhaftig, das heißt essentiell, mit euch rede. Denn wenn der Mensch zur neuen Geburt kommt, dann redet Christus essentiell, das heißt, wirklich in ihm, und die Augen der Seele samt dem innerlichsten Grund, in dem Christus als das Wort wesentlich ist, sehen und empfinden es.

72.19. Aber die äußeren fünf Sinne können es in dieser Irdischkeit noch nicht ganz ergreifen, sondern sie wohnen nahe dabei. Denn die innerlichen Augen sehen durch die äußeren Sinne, wie die Sonne ein Glas durchscheint, aber das Glas bleibt doch noch ein Glas. Und so bleibt auch die äußere Natur während dieser Zeit der fünf kommenden Hungerjahre der irdischen Essenz in ihrem Recht, bis die Seele den Leib verläßt. Dann soll am Jüngsten Tage auch der wahre adamische Leib der fünf Sinne zur Seele wiederkommen. Aber die Grobheit des irdischen Tierwesens hat dann keine Stätte mehr, denn alles Zeitliche scheidet (bzw. entscheidet) sich in das Mysterium Magnum (das ganzheitliche Geheimnis), daraus es gekommen ist.

72.20. Daß aber Josef seinem Bruder Benjamin um den Hals fiel und weinte, und er sie alle küßte, ist diese Darstellung: Wenn Christus im innerlichen Benjamin, als im Bild und Wesen der himmlischen Welt, das in Adam verblich, wieder offenbar wird, dann küßt der heilige Name Jesus als Gottes große Liebe den einverleibten Gnadengrund und durchdringt dieses Bild mit seiner weinenden Liebe, nämlich mit Gottes großer Süßigkeit, als den Tempel Christi, und küßt dadurch die Essenzen der kreatürlichen Seele und dringt auch mit der weinenden Liebe durch sie, und dann bekommen sie ihr Leben wieder und reden mit Gott in Jesus Christus.

72.21. Denn allein in dieser Rede oder Stimme wird die Seele von Gott erhört (bzw. vor Gott hörend), denn in diesem Kuß wird der Seele ihr Gehör wiedergegeben, so daß sie Gottes Wort hört und lehrt. Denn der Seele Sinne stehen nun im Wort des Lebens und hören, was der Herr in ihnen durch Christus aus dem innerlichen Grund spricht. Und das ist es, was Christus zu den Pharisäern sagte: „Wer aus Gott ist, der hört Gottes Wort. Darum hört ihr nicht, denn ihr seid nicht aus Gott. (Joh. 8.47)«

72.22. Wenn die jetzige Zank-Babel den Kuß Christi in sich hätte, dann würde sie sich mit Josefs Brüdern zum himmlischen Josef wenden und in großer Demut und Niedrigkeit mit Josef reden, und würde Gottes Wort in Josefs Liebe hören und demütig mit ihm reden. Dann würde sie nicht um zeitliche Ehre, fette Bäuche und Herrschaften zanken und das Land Gosen auf heidnische Art verwüsten.

72.23. Oh Babel! Deine Schande ist vor dem Allerhöchsten ins Gericht gestellt worden! Du bist derselbe Antichrist, von dem St. Paulus gesagt hat: „Du rühmst dich des göttlichen Wortes im Lehren und Hören, aber dein Grund ist nicht aus Gott, sondern aus dem Turm zu Babel. Du willst mit Buchstaben ohne das lebendige Wort in dir Gottes Wort lehren, aber die Schafe hören deine Stimme nicht, denn sie kommt nicht aus dem Kuß Josefs.“

72.24. Und Moses spricht weiter: »Und als das Gerücht in des Pharaos Haus kam, daß Josefs Brüder gekommen wären, gefiel es dem Pharao wohl und allen seinen Knechten. Und der Pharao sprach zu Josef: „Sage deinen Brüdern: Macht es so, beladet eure Tiere und zieht hin, und wenn ihr ins Land Kanaan kommt, dann nehmt euren Vater und all die Euren und kommt zu mir. Ich will euch Güter geben in Ägyptenland, so daß ihr das Mark im Land essen sollt.“ Und Josef gebot ihnen: „Macht es so, nehmt mit euch aus Ägyptenland Wagen für eure Kinder und Frauen und führt euren Vater und kommt. Und bekümmert euch nicht um den Hausrat, denn die Güter des ganzen Landes Ägypten sollen euer sein.« Diese Darstellung versteht so:

72.25. Wenn Josef, als Christi Schall, in der Seele erschallt, dann dringt dieser Schall in die Eigenschaft des göttlichen Vaters, denn die Seele ist in ihrer Natur aus der ewigen Natur im Wort aus des Vaters Feuereigenschaft. So wird sie wieder im Vater, von dem sich ihr Wille abgebrochen hatte, offenbar, und der spricht in ihre Lebensessenz hinein, denn es gefällt ihm wohl, daß die Seele in Christus offenbar geworden ist, und gebietet der Seele, sich mit allen ihren Eigenschaften durch Josefs als Christi Geschäfte wieder in das Paradies hineinzuführen. Er gibt ihr Wagen und alles, was sie dazu bedarf, welche Wagen sein Geist im Wort sind, der sie führt, und gibt ihr das ganze Ägyptenland, das heißt, das ganze Paradies oder Himmelreich zum Eigentum. Dies stellt der Geist Gottes unter dieser Historie gewaltig dar.

72.26. »Und die Kinder Israels taten so. Und Josef gab ihnen Wagen nach dem Befehl des Pharaos und Zehrung auf den Weg, und gab ihnen allen, einem jeglichen ein Feierkleid, aber Benjamin gab er dreihundert Silberlinge und fünf Feierkleider. Und seinem Vater sandte er dazu zehn Esel, mit Gut aus Ägyptenland beladen, und zehn Eselinnen mit Getreide, Brot und Speise für seinen Vater auf den Weg. So entließ er seine Brüder, und sie zogen hin. Und er sprach zu ihnen: „Zankt nicht auf dem Weg!“« Diese Darstellung versteht so:

72.27. Christus nimmt den Vorrat, ähnlich wie die Wagen, als den Heiligen Geist vom Vater, den er seinen Kindern sendet, wie Josef die Wagen und Geschenke vom Pharao nahm, und er gibt ihnen auch Zehrung auf den Weg ihrer Pilgerstraße, nämlich seinen Leib und sein Blut zur Speise und zum Trank.

72.28. Das Feierkleid, welches Josef jedem Bruder gab, deutet den Tempel Christi an, darin die Seele feiert und ruht (im Sinn von „Feierabend“). Und Josefs fünf Feierkleider, die er seinem Bruder Benjamin gab, sind die fünf Wunden Christi, darin der innere Mensch in Gottes Liebe feiert. Aber die dreihundert Silberlinge, die er Benjamin gab, sind die Gaben des Wortes aus dieser großen Liebe, mit denen dieser Benjamin wechseln und handeln soll und seinem Herrn und Bruder, dem himmlischen Josef, viel gewinnen, denn mit Geld handelt man. So soll auch der innerliche Benjamin mit seinen Gaben der dreihundert Silberlinge, als mit den Gaben Christi, handeln, das heißt, lehren und Gottes Wunder verkündigen, denn er ist Christi Knecht und Gehilfe, ja sein wahrer Bruder.

72.29. Aber die zehn Esel, mit Gut aus Ägyptenland beladen, welche Josef seinem Vater schickte, deuten in dieser Darstellung die zehn Gebote im Gesetz der Natur an, die Josef mit Gut beladen hatte, das heißt, Christus hat sie mit seiner Gnade beladen und schickte sie Gottes Gerechtigkeit im Gewissen, davon sich die arme Natur ernähren konnte.

72.30. Aber die zehn Eselinnen mit Getreide deuten die zehn Gestaltungen des seelischen und natürlichen Feuerlebens an, auf welche Christus der Seele Speise lädt, wenn sie in seinem Prozeß steht. Und das Brot und die Speise auf dem Weg deuten das Wort Gottes an, davon der arme alte Adam essen muß, damit er leben kann.

72.31. Dieses gibt Christus seinen Kindern und Brüdern auf den Weg ihrer Pilgerstraße, wenn sie im Prozeß Christi wieder heimwandern, so daß sie Zehrung haben und die Natur, als der alte Vater, davon ißt. Und er befiehlt ihnen, sie sollen auf diesem Weg nicht miteinander zanken, sondern in Liebe und Frieden heim ins Paradies ziehen.

72.32. Oh Israel! Wo ist jetzt dein Frieden? Es sieht aus, als hättest du allen Vorrat Josefs verzehrt und müßtest jetzt hungern, weil du so sehr um diese Speise zankst und solch ein Morden darum angerichtet hast. Wahrlich, du hast unterwegs deinen Bruder Benjamin ermordet, und darum stehst du im Streit und willst nicht heimziehen, denn du fürchtest dich. Aber die Hungersnot wird dich weitertreiben, oder du verhungerst.

72.33. »So zogen sie hinauf von Ägypten und kamen ins Land Kanaan zu ihrem Vater Jakob und verkündeten ihm und sprachen: „Josef lebt noch und ist ein Herr im ganzen Ägyptenland!“ Aber sein Herz blieb kalt, denn er glaubte ihnen nicht. Da sagten sie ihm alle Worte Josefs, die er zu ihnen gesagt hatte. Und als er die Wagen sah, die ihm Josef gesandt hatte, um ihn zu holen, wurde der Geist Jakobs, ihres Vaters, lebendig, und Israel sprach: „Ich habe genug, daß mein Sohn Josef noch lebt. Ich will hin und ihn sehen, ehe ich sterbe.“« Diese Darstellung versteht so:

72.34. Als Christi Apostel mit diesem Geschenk beladen waren, gingen sie damit in ihres Vaters Haus, nämlich unter die Brüder im Reich der Natur in deren Unglauben, und verkündigten ihnen die große Herrlichkeit und das Geschenk Jesu Christi, das er ihnen gegeben hatte und das sie ihnen bringen sollten. Aber ihr Herz glaubte es nicht, daß diese einfältigen Männer, die Apostel, von Gott durch diesen Josef mit solchem großen Gut beladen und gesandt waren, bis sie die Wagen des Heiligen Geistes sahen, der das Geschenk in großer Kraft und Wundertat führte, und die kräftigen Worte Jesu Christi mit Wundern und Taten aus ihrem Mund hörten. Da sprach Israel: „Jetzt habe ich genug, nun kann ich glauben. Ich will auch mit zu Christus, damit ich ihn sehe.“ Wie der alte Jakob sagte: »Ich habe genug, daß mein Sohn Josef noch lebt. Ich will hin, damit ich ihn sehe, ehe ich sterbe.«

72.35. So kommen auch diese Wagen von Gottes Kindern bei den Ungläubigen an, welche zuerst nicht glauben wollen. Wenn sie aber diese Wagen und das Geschenk in ihnen fühlen, dann sagen auch sie: „Ich habe genug und will mit nach Ägypten in die Buße gehen, damit ich auch meinen Heiland sehe und erkenne.“ Denn auch ihr Geist wird lebendig, wie Jakobs Geist.

72.36. Wo sind jetzt diese Wagen im Mund der Lehrer, auf denen der Heilige Geist fährt und das Herz Israels berührt, so daß sein Geist lebendig wird? „Ja“, sagt Babel, „der Geist Christi wirkt jetzt nicht so kräftig in unseren Worten. Wir haben nun die Erkenntnis vom Reich Christi, mehr bedarf es nicht. Wir müssen nur die Worte glauben, die uns Christi Apostel hinterlassen haben, das ist genug.

72.37. Denn, wenn wir so kräftig lehren sollten, dann müßten wir auch so armselig leben, wie die Apostel Christi, und die Welt verlassen. Dessen bedarf es nicht, denn Christi Reich muß jetzt im Ansehen stehen (in Pracht und Herrlichkeit).“

72.38. Oh! Wie wird dich der arme Christus, der auf Erden nichts hatte, wo er sein Haupt hinlegte, unter aller Augen schelten (bzw. anklagen), daß du seinen Bund in so falschen Mund genommen hast! Der Ernst ist niemals nötiger gewesen, als eben jetzt und hier, wo alle Wagen umgestoßen und in großer Verwirrung sind.


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