Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

70. Kapitel - Jakobs Söhne ziehen vor Hunger erneut nach Ägypten

Wie Jakobs Söhne wegen der Hungersnot wieder nach Getreide ins Ägyptenland zu Josef ziehen und Benjamin mitnehmen, wie sie Josef in sein Haus führen ließ und von seinem Tisch Essen zutragen, und was darunter zu verstehen ist. (1.Mose 43)

70.1. Dieses ganze Kapitel stellt uns nun das sehr schöne Bild vor, wie erstlich die äußere Natur in solchem Prozeß, wenn sie ihren Willen hingeben soll, daß ihre Lebensessenz nach Ägypten, das heißt, in den Tod Christi eingehen soll, ganz blöde (bzw. träge) und zaghaft ist und doch schließlich darin einwilligt, daß alle ihre Lebensgestaltungen in das Sterben ihrer Ichheit, als in das rechte Ägypten, mit göttlichem Vertrauen eingehen mögen, so daß sie der Wille Gottes mit sich dahinein führe.

70.2. Und dann, wie sich die Lebensgestaltungen vor Josef, das heißt, vor Gottes Angesicht fürchten, weil sie das böse Gewissen in sich fühlen, wie Jakobs Söhne sich vor Josef fürchteten. Denn sie dachten immerzu, Gott würde sie wegen Josef strafen, davor sie erzitterten.

70.3. Und zum Dritten, wie Gott mit den Gestaltungen der seelischen Natur zuerst so freundlich umgehe und ihnen Himmelsbrot von seinem Wesen gebe, aber doch noch in fremder Gestalt, wie Josef seine Brüder zu Gast lud und von seinem Tisch speiste, damit sie aßen und tranken und fröhlich wurden, und sie danach in Frieden ziehen ließ, aber alsbald mit der schrecklichen Versuchung hinterherkam, indem er seinen Becher in Benjamins Sack legen ließ und ihnen nachjagen und sie zurückholen. Welches alles gewaltig in der Bildung des bußfertigen Sünders steht, wie es mit ihm geht, bis sich ihm Gott in der Liebe zu erkennen gibt.

70.4. Moses Worte gehen so weiter: »Die Hungersnot aber bedrückte das Land. Und als verzehrt war, was sie an Getreide aus Ägypten gebracht hatten, sprach ihr Vater zu ihnen: „Zieht wieder hin und kauft uns ein wenig Speise!“ Da antwortete ihm Juda und sprach: „Der Mann schärfte uns das hart ein und sprach: ‚Ihr sollt mein Angesicht nicht sehen, es sei denn, euer Bruder ist mit euch!‘ Willst du nun unseren Bruder mit uns senden, dann wollen wir hinabziehen und dir zu essen kaufen. Willst du ihn aber nicht mitsenden, dann ziehen wir nicht hinab, denn der Mann hat zu uns gesagt: Ihr sollt mein Angesicht nicht sehen, wenn euer Bruder nicht mit euch ist.“« Diese Darstellung versteht so:

70.5. Die Seele des Menschen steht in drei Prinzipien, nämlich in der ewigen Feuersnatur und in der Feuersnatur des ewigen Lichtes, als im Liebefeuer, das in Adam verlosch und darum nun der Streit ist. Und zum dritten steht sie im Weltgeist (Spiritus Mundi) im Reich dieser Welt, nämlich in der Sterblichkeit und Wiederbringung.

70.6. So versteht uns nun recht: Wenn sich der innere seelische Grund, als die ewige Seele, aus der Eigenschaft des Vaters im göttlichen Wort wieder zurückwendet und sich nach ihrem Perlein, als nach dem zweiten Prinzip der Eigenschaft der englischen Welt umsieht, dann wird sie gewahr, daß es in Adam verloren worden ist. Daraus entsteht ihr Jammer und das Zurückkehren. Und sobald sie zurückkehrt, gibt ihr Gott seine Gnade wieder ein, aber ihr unerkannt und unverstanden, und begehrt, daß sich die innere Feuerseele, als das Zentrum der ewigen Natur, mit der im Paradies eingesprochenen Gnadenstimme, welche ganz einverleibt wurde, wieder zu Gott wenden soll.

70.7. In welcher göttlichen Begierde diese große Unruhe in der Seele entsteht, daß sie entsprechend in die Buße geht. Denn wenn sie sieht, daß sie ihr Vermögen verloren hat, dann kann, mag und soll sie auch in keinem anderen Weg ihr ursprünglich gehabtes Perlein wiedererlangen und zu göttlicher Huld kommen, sie wende sich denn mit ihrer Feuersmacht wieder ganz in den einverleibten Gnadengrund und ergebe sich diesem.

70.8. Und wenn dies nun die äußere sterbliche Seele sieht (als die Natur des dritten Prinzips im Reich dieser Welt), dann ist sie zaghaft, wie Jakob bezüglich seiner Kinder, und denkt immerzu, sie werden um Leib und Leben oder um Gut und Ehre kommen, und ihre Lebensgestaltungen werden ihrer äußerlichen Macht beraubt werden, die sie in dieser Welt haben.

70.9. So mag auch die innere feurige Seele ihren innerlichen Grund als den wahrhaften Benjamin nicht erheben und mit nach Ägypten vor Josef bringen, das heißt, in die ernste Buße vor Jesus. Es sei denn, die äußere Seele vom Weltgeist werde dazu gebracht und ganz übertäubt, daß sie schließlich auch darin einwilligt, daß sich die feurige innerliche große Seele in allen drei Prinzipien bewegen soll und damit den innerlichen Grund als Josefs Bruder in Form der einverleibten Gnadenpforte samt allen äußerlichen Essenzen der äußeren Seele erheben und mit in die Bußwirkung vor den wahren Josef oder Jesus bringen kann.

70.10. Denn der feurigen Seele wird von Josef, das heißt von Jesus gedroht: Wenn sie in ihrer Annäherung den innerlichsten Grund nicht mitbringt, als den Bruder Josefs oder Christi, der in seiner Offenbarung der Tempel Christi wird, dann soll ihr Band an Gottes Zorn nicht gelöst werden, und ihr Bruder Simeon soll im Gefängnis bleiben, bis sie auch Josefs Bruder als den innerlichsten Grund erhebt und mitbringt.

70.11. Auch sollen ihre Säcke nicht mit himmlischem Manna zu ihrer Speise gefüllt werden, das heißt, ihre Glaubensbegierde soll leer und hungrig bleiben und nicht von göttlicher Kraft erfüllt werden, es sei denn, sie bringt den wahren Tempel Christi als die richtigen Säcke mit, dahinein der himmlische Josef seine Speise füllt.

70.12. Dies steht nun in diesem Text in der Bildung, wie es den alten adamischen Menschen, als den alten Jakob, dünkt, sehr schwer zu sein, daß er alle seine Lebenskräfte mit nach Ägypten, das heißt, vor Josef oder Jesus in die Buße hineinführen lassen soll, zumal er sieht, daß er seinen Willen brechen soll und darum alles Zeitliche verlassen, wie der alte Jakob alle seine Kinder um dieser Speise willen verlassen mußte.

70.13. Es ging ihm schwer ein, und doch drückte ihn die Hungersnot, daß er schließlich einwilligen mußte, daß alle seine Söhne nach Ägypten zogen, und auch sein jüngster Sohn mitzog und er allein war wie einer, der kein Kind hätte. So ganz mußte sich die äußere Natur verlassen, daß sie in sich ist, als hätte sie keine Gewalt mehr zu irdischen Dingen, und mußte ihre Ichheit der inneren Seele, die im Zug Gottes steht, übergeben, so daß die innere Seele den äußeren Seelenwillen mit in die Umkehr nimmt. Dann bleibt der alte Jakob, das heißt, der alte irdische adamische Leib, allein in seinem Haus in Trauer und weiß nicht, wie es ihm nun ergehen werde, wenn sein Geist mit in die Umkehr gehen muß. Dann denkt der irdische Luzifer in ihm, als die fleischliche Begierde: „Hiermit wirst du um zeitliche Ehre und Gut kommen und der Welt Narr werden. Und dies wird nicht zu deiner Lust dienen.“

70.14. Aber die große Hungersnot drückt als die Sünde das arme Leben in allen drei Prinzipien, so daß es sich aufmachen und nach Ägypten, das heißt, in die Buße gehen muß, um göttliche Speise zu suchen und diese vom wahren Haushalter Josef oder Jesu zu erbitten und zu begehren. Und so muß das arme Leben in solcher Bitte und Begierde auf sein Angesicht der großen Demütigkeit vor Josef oder Jesu fallen und von ihm Speise begehren.

70.15. Daß aber Jakobs Söhne für das Getreide zweimal nach Ägypten ziehen mußten, und zum erstenmal zwar Getreide empfingen, aber dadurch in Not kamen und gepfändet wurden, hat im Inneren diese Bedeutung: Wenn sich der Mensch zum erstenmal in die Buße wendet, dann steht zuerst die schreckliche Bildung seiner Sünden vor ihm. Denn sie wachen in ihm auf, und das Gewissen steht im Zorn Gottes.

70.16. Wie die Brüder Josefs zum erstenmal vor Josef standen, als er sie nur für Kundschafter hielt, so steht auch der Mensch vor Gott wie ein Kundschafter göttlicher Gnade, wenn er denkt, er will für diesmal in die Buße eingehen, daß ihm die alten Sünden vergeben werden sollen. Aber er hat seinen Willen noch nicht so hart bezwungen, daß der Wille gedenkt, sein Lebtag, solange der Leib währt, in solcher angefangenen Buße zu bleiben, sondern er gedenkt, nur einmal so die Sünde im Gewissen zu tilgen und die alte Sünde in Buße und Reue zu ersäufen.

70.17. Und es kommt auch dazu, daß sein Gewissen, auch wenn es gleich zuerst erschreckt wurde, schließlich befriedigt wird, und daß ihm göttliche Speise vom himmlischen Josef in die Säcke seiner Begierde gegeben wird, und daß ihn der Zorn Gottes hinziehen läßt. Aber der Zorn Gottes in seiner Gerechtigkeit nimmt ein Pfand vom Gewissen und behält dies, ob der Mensch an dieser eingeladenen Speise bleiben und daran genug haben wollte. Wenn nicht, dann habe er sein erstes Recht an Seele und Leib.

70.18. Wie es uns armen Menschen dann so geht, daß wir die erste Speise, die uns der himmlische Josef in der Buße gibt, gar leichtlich wieder verzehren und wieder in große Hungersnot und Elend des Gewissens kommen und wieder darben müssen, und zwar darum, weil wir nicht gleich zum erstenmal unseren Benjamin als den allerinnerlichsten Grund mitbringen, so daß unser Wille noch nicht ganz gebrochen ist und wir gedenken, bis an unser Ende in der Buße und göttlicher Gelassenheit zu bleiben. Wenn das in der ersten Buße geschähe, dann müßte Gottes Gerechtigkeit im Zorn kein Pfand von uns nehmen, sondern müßte uns ganz freilassen.

70.19. Dies stellt nun diese Geschichte dar, daß Jakobs Kinder für die Speise zweimal nach Ägypten zu Josef ziehen mußten, und erst zum zweiten Mal wurde ihnen Josef offenbar, und zum dritten Mal nahmen sie Weib und Kind, Habe und Gut, samt ihrem Vater mit. Das heißt, wenn der Mensch durch die Sünde die erste göttliche Speise verzehrt hat, so daß er im Gewissen wieder hungern und darben muß, weil ihn das Gewissen bedrückt und anklagt, wie ein hungriger Bauch nach Speise klagt, dann denkt er wieder an die erste Buße, wie ihm Gnade widerfahren ist.

70.20. Denn sein innerlichster Grund, als das Band von Gottes Zorn, klagt ihn an und verdammt ihn, weil er die Gnade nicht bewahrt hat. Er verklagt ihn als einen meineidigen treulosen Menschen, der zwar Gottes Gnade geschmeckt hat, die ihm aus lauter Barmherzigkeit geschehen sei, aber um der Fleischeslust willen alles wieder verdorben und verloren hat. So steht er dann wie einer, der es nicht wert sei, daß ihn die Erde trage und er den Himmel schauen soll, weil er ein solches um schnöder Fleischeslust willen wieder verscherzt hat, aber bedenkt, wie er doch noch mit dem armen Zöllner und Sünder und mit dem verlorenen Sohn, dem Sauhirten, wieder umkehren wolle und zu Gottes Huld kommen könne. Dann wird es erst ein wahrer Ernst, und dann ziehen Jakobs Söhne alle miteinander zum zweiten Mal nach Ägypten in die Buße, um himmlisches Getreide (als Samen der Gnade) zu kaufen, und so muß der alte adamische Jakob, als der Leib, daheim in Trübsal bleiben.

70.21. Erst in diesem Ernst wird Benjamin als der innerliche Grund mitgenommen. Jetzt wird der vorhergehende Wille gebrochen und geht nicht mehr in solchen Vorsatz wie zum ersten Mal. Und so kommen jetzt keine Kundschafter mehr vor Josef, sondern ernsthaft hungrige Menschen, nämlich ein hungriges Leben, das aus allen Kräften nach Gottes Barmherzigkeit hungert, nach der Speise Jesu Christi.

70.22. Hier beginnt nun der Ernst in Zittern und Furcht, und dies ist der rechte (wahre und wirkliche) Auszug nach himmlischer Speise, wenn das Gewissen in Ängsten steht und der Verstand an seinem Vermögen verzagt und denkt: „Ach! Gott ist über mich erzürnt. Wo soll ich Gnade suchen? Ich bin ihrer nicht wert, denn ich habe sie mit Füßen getreten. Ich muß mich vor Gott schämen. In welche Tiefe soll ich gehen, wo ich mein Antlitz vor Gott erheben und ihm meine Not klagen darf?“

70.23. So kommt dann das arme Gewissen in Not und Zittern vor Gott und hat nicht viel Beichte oder Worte, denn es achtet sich unwürdig, ein Wort vor Gott zu sprechen, sondern tritt vor sein Angesicht und beugt sich zum Grund und versinkt so in sich selbst in die allerlauterste und tiefste Barmherzigkeit Gottes in Christi Wunden, Leiden und Tod hinein. Und beginnt, aus seinem allerinnerlichsten Grund zu seufzen, in die Gnade zu flehen und sich gänzlich zu ergeben, wie Josefs Brüder zum zweiten Mal vor Josef kamen und vor ihm niederfielen.

70.24. Und als Josef sie sah, daß sie alle da waren und so demütig vor ihm standen, da erbarmte er sich so sehr in sich über sie, daß er auch kein Wort sprechen konnte, sondern wandte sich ab und weinte. Und dies ist die Stätte, wo der innerliche, in Adam verblichene Grund vom Wesen der himmlischen Welt, in dem Gott sein Wort der Gnade im Paradies wieder zu einem Banner und Ziel einsprach, wieder in dieser Barmherzigkeit lebendig wird, darin Christus im Menschen wahrhaftig in diesem Grund geboren wird und nun auch durch sein Leiden vom Tod im Menschen aufersteht und damit zur Rechten seines Vaters sitzt (welche Rechte die feurige Seele aus des Vaters Eigenschaft im Wort der ewigen Natur ist), und in diesem Grund die Seele vor Gottes Zorn vertritt und diesen mit Liebe erfüllt.

70.25. Und hier beginnt der Christ ein Christ zu sein, denn er ist es in Christus, und ist kein Kundschafter und Mundchrist mehr, sondern im innerlichsten Grund. Und hier wird Simeon befreit, und nichts Verdammliches ist mehr an diesem, der da so in Jesus Christus ist. Wenn auch der äußere Leib in dieser Welt ist und der Eitelkeit unterworfen, so schadet ihm nun nichts mehr, sondern alle Fehler, die er nun im Fleisch macht, müssen ihm zum Besten dienen. Denn er beginnt nun, das Geschäft des Fleisches zu töten und den alten Adam immerfort zu kreuzigen, denn sein ganzes Leben wird nun eine reine Buße, und Christus in ihm hilft ihm nun Buße wirken und führt ihn zu seinem herrlichen Mahl, wie Josef seine Brüder, als sie wieder zu ihm kamen und er es zurichten ließ und ihnen von seinem Tisch gab.

70.26. So speist nun Christus die bekehrte Seele mit seinem Fleisch und Blut, und in dieser Vermählung ist die wahrhaftige Hochzeit des Lammes. Wer hier ein Gast gewesen ist, der versteht unseren Sinn, und kein anderer, sondern allesamt sind sie nur Kundschafter. Auch wenn sie meinen, sie verstehen es, so ist doch kein wahrer Verstand von diesem Mahl in irgendeinem Menschen, er sei denn dabeigewesen und hat es selbst geschmeckt. Denn es ist mit dem Verstand ganz unmögliches zu ergreifen, ohne Christi Geist in sich selbst, der bei diesem Josefs-Mahl selbst die Speise ist.

70.27. Und so wird dir, oh Babel, in deiner Auskundschafterei durch Josefs Mahl gesagt, daß du die Christenheit betrügst, indem du sie mit diesem Mahl zur Auferstehung der Toten weist. Du irrst! Hier muß ein Christ das Fleisch des Menschensohns essen, oder er hat kein Leben in sich. In der Auferstehung wird Gott Alles in Allem sein. Doch hier sitzt Christus zur Rechten Gottes im Menschen und vertritt ihn mit seinem Leib und mit seinem unschuldigen vergossenen Blut. Das deckt er über die Seele und flößt es in sie, wenn sich Gottes Zorn wegen der Begierde des Fleisches erregen will.

70.28. Oh du armer alter Jakob der kundschaftenden Christenheit! Laß doch deine hungrigen Söhne, die ganz mager vor großem Hunger im Gewissen sind, zu Josef ziehen! Halt sie doch in deiner Furcht nicht mehr auf! Was ist denn deine Furcht? Du fürchtest, wenn dieser Grund ans Licht der Welt kommt, dann wirst du deine Söhne verlieren, die du liebst. Wer sind denn deine Söhne? Es ist deine eigene Ehre, indem du vermeinst, an Christi Statt auf Erden zu sitzen. So ist es dein Luzifer der fleischlichen Ehre. Und du hast Sorge, dein Ansehen falle und man würde ein apostolisches Leben von dir fordern und dich im Prozeß Christi suchen. Deshalb gefällt es dir, daß du in Fleischesehren und Wollust in der Kundschafterei lebst und deinen Bauch ehrst und die arme Christenheit unter einer Decke führst.

70.29. Oh du armer alter Jakob, betrübe dich doch nicht so um zeitliche Dinge! Sieh doch, wie es dem alten Jakob erging, als er alle seine Söhne von sich zu Josef ziehen ließ, und wie ihn Josef zu sich holen ließ und ihm samt seinen Kindern so viel Gutes tat, in der Hungersnot ernährte und in ein besseres Land setzte. So wird es auch dir ergehen, wenn du deine Söhne zu Josef ziehen läßt. Wirst du sie nun aber noch länger aufhalten, dann mußt du samt deinen Kindern verhungern und im Elend verschmachten! Das sagt der Geist der Wunder durch Josefs Mahl.

70.30. Oh Israel, erkenne diesen Text richtig: Es trifft dich und hat dich schon getroffen, auch wenn du in deinem hungrigen Elend noch blind bist und auf das Schwert der Verwirrung wartest, das dich aufwecken soll. Denn so willst du es haben.

70.31. Ein jeder denkt, wenn nun drei Teile der Menschen untergingen, dann wollte ich mit den übrigen gute Tage haben, und dann wollten wir fromm werden und ein gerechtes frommes Leben führen! Das heißt, man gafft immerzu, wo doch das Heil herkommen werde, von dem man so viel schreibt und sagt, und man denkt, das Heil werde von außen in die Fleischeslust einfahren. So gafft man immerfort nach einem irdischen Reich Christi.

70.32. Oh Israel, würdest du diese jetzige Zeit wirklich erkennen, in der du blind lebst, du tätest Buße im Sack und in der Asche. Du siehst (und suchst) nach dem Signatstern (der dich führen soll), doch er ist schon erschienen und leuchtet. Wer Augen hat, der kann ihn sehen: Er ist doch so groß wie die Welt ist, wenn man nicht blind sein will. Das sei den Unseren genug.

70.33. Und als Jakobs Kinder mit ihrem Vater wegen Benjamin viel geredet und ihm versprochen hatten, ihn wiederzubringen, sprach er zuletzt: »Muß es nun so sein, dann tut es, und nehmt von des Landes besten Früchten in eure Säcke und bringt dem Mann Geschenke hinab, ein wenig Balsam und Honig, Gewürze und Myrrhe, Datteln und Mandeln. Nehmt auch neues Geld mit euch, und das Geld, das euch oben in euren Säcken wiedergegeben wurde, nehmt auch wieder mit. Vielleicht ist da ein Irrtum geschehen. Dazu nehmt euren Bruder, macht euch auf und geht wieder zu dem Mann. Aber der allmächtige Gott gebe euch Barmherzigkeit vor dem Mann, daß er euch euren anderen Bruder und Benjamin lasse! Ich aber muß wie einer sein, der seiner Kinder ganz und gar beraubt ist.«

70.34. Dies ist nun die Geschichte, wie oben erklärt wurde. Aber wir sehen noch ein sehr schönes Bild darin, wie Jakob seinen Söhnen gebot, von den köstlichen Früchten des Landes mitzunehmen und dem Josef zu bringen. Darin stellt der Geist in der Geschichte dar, wie die christliche Kirche, wenn sie sich in solcher Trübsal und geistigen Hungersnot sieht und jetzt auf dem Weg der Buße ist, solche guten Früchte vor Gott mitbringen soll, nämlich Hoffnung, Glauben und göttliche Zuversicht, und nicht die wilden Früchte von Geiz, Eigenlust und Heuchelei, sondern einen Vorsatz zur Wahrheit, Gerechtigkeit, Keuschheit, Liebe und Sanftmut.

70.35. So muß der alte Mensch sich einen Vorsatz vornehmen, daß er in solchem Willen zu Josef wandeln will, das heißt, zu Christus. Dann übergibt er alle seine Söhne dieser Pilgerstraße und spricht: „Nun bin ich aller meiner Söhne beraubt. Ich habe nichts mehr in wollüstig fleischlicher Begierde, denn ich habe alles in Gottes Willen gegeben.“

70.36. Auch sehen wir in dieser Darstellung, wie Jakob gebot, das unrechte Geld, das sie in den Säcken zurückgebracht hatten, mitzunehmen und wiederzuerstatten. So muß auch ein Mensch, der ein wahrer Christ werden und sein will, alles Unrecht wieder von sich tun. Alles, was er mit List und Unrecht an sich gezogen hat, das soll er zurückgeben oder zumindest den Armen geben.

70.37. Denn was er den Armen und Notleidenden gibt, das gibt er Josefs hungrigen Brüdern. Und der himmlische Josef nimmt es in seinen hungrigen Brüdern und Mitgliedern an und gibt es ihm vielfältig wieder, wie Josefs Haushalter ihnen das Geld, das sie zum erstenmal wieder heimgebracht hatten, in den Säcken wiedergab und sagte: „Gehabt euch wohl, denn der Gott eures Vaters hat euch einen Schatz beschert.“

70.38. Alles Unrechte muß ein Mensch von sich tun, wenn er zur Hochzeit Jesu Christi eingehen will. Es gilt kein Heucheln und Trösten, es muß Ernst sein. Denn dies ist es, was die Menschen vom Weg Gottes abhält, so daß sie scheinheilige Wege gehen und sich selber heucheln, wenn sie vom Unrecht und Wucher ablassen sollen und das Falsche zurückgeben. So haben sie Christi Purpurmantel mit der Genugtuung über den Schalk gedeckt, nur damit der Dieb darunter leben kann.

70.39. Oh du arme Christenheit, wie hat dich der Antichrist mit dieser Decke betrogen! Fliehe von ihm, es ist Zeit! Die Decke hilft keinem Schalk und Ungerechten. Solange er das ist, ist er des Teufels Knecht.

70.40. Ein Christ ist eine neue Kreatur im Grund seines Herzens. Sein Sinn steht nur nach Wohltun, nicht nach Stehlen, sonst wäre Christus ein Dieb im Menschen. Laß nur den Mantel Christi fallen und gib zurück, was du gestohlen und mit Unrecht vermehrt hast, und wirf die alten Lumpen alle von deiner Seele, und tritt nackt und bloß unter das Kreuz, an dem Christus hängt, und siehe seine bluttriefenden Wunden an, und fasse sein Blut in deine hungrige Seele. Dann bist du genesen und wirst von aller Not erlöst werden. Anders hilft dir kein Trösten der Genugtuung. Aller Trost liegt nur darin, daß sich ein Christ tröstet, er werde in solcher Buße in Jesus Christus einen gnädigen Gott erlangen. Und das soll eben auch sein Trost sein, daß er nicht verzage.

70.41. Die Genugtuung, mit der sich der Ungerechte tröstet und spricht „Meine Werke gelten nichts, denn Christus hat es getan, und ich kann nichts mehr tun!“, und so unter solchem Trost in Sünde bleibt, das ist eben des Teufels Fischhaken, mit dem er unter Christi Mantel seine Fische fängt.

70.42. Christus hatte den Purpurmantel nur um, als er in seinem Leiden stand. Als er aber am Kreuz hing, hatte er ihn nicht mehr, viel weniger in seiner Auferstehung. So soll auch ein Mensch diesen Mantel nur tragen, wenn er in Christi Leiden und Tod in die Buße geht. In der Buße ist er allein gültig und sonst nirgendwo, so daß sich die arme Seele dahineinwickle, wenn sie sich in ihren Sünden vor Gottes Angesicht schämt.

70.43. Alles, was anders lehrt und glaubt, ist Betrug, Phantasie und Babel. Alle Lehrer, die anders lehren, sind nur des Bauches und des Teufels Fischerknechte und Betrüger der Welt. Vor denen hüte sich ein Mensch! Denn wer ein Lehrer sein will, der muß auch ein wahrer Christ sein, so daß er in Christus entsprechend leben könne. Anders ist er der Dieb und Mörder, der anderswo in den Schafstall hineinsteigt, von dem Christus spricht.

70.44. Und Moses spricht weiter: »Da nahmen sie die Geschenke und das Geld zweifach mit sich, dazu Benjamin, machten sich auf, zogen nach Ägypten und traten vor Josef. Da sah sie Josef mit Benjamin und sprach zu seinem Haushalter: „Führe diese Männer ins Haus und schlachte und richte zu, denn sie sollen zu Mittag mit mir essen.“ Und der Mann tat, wie ihm Josef gesagt hatte, und führte die Männer in Josefs Haus.«

70.45. Dies ist es nun, daß der Hehler (bzw. Betrüger) unter dem Mantel hervor muß und sein ungerechtes Gut zurückgeben und vor das Angesicht des himmlischen Josefs treten und mit seiner Ichheit, ohne eigenes Können, nackt und bloß kommen und den wahren Benjamin in sich mitbringen muß. Dann naht sich ihm Josef, sieht ihn an und befiehlt seinem Haushalter, als dem Geist der Kraft, daß er diesen Menschen in sein Haus führen soll, als in seine (ganzheitliche) Menschheit. Dort soll das Lamm Gottes zugerichtet werden, und dieser Mensch soll mit den Lebensessenzen der wahren Seele an Josefs Tisch mit ihm zu Mittag essen, nämlich im hohen Gnadenlicht, wenn das Licht am Mittag in der Seele scheint. Und hier werden Josefs Brüder versöhnt, wenn sie mit Josef, das heißt mit Christus, von seiner Speise essen.

70.46. Dies ist das Abendmahl (Offb. 3.20). Hier legt man den Mantel ab, wird ein Bruder Josefs und bedarf keines Tröstens mehr, sondern wird ein Christ in Christus sein, der mit Christus seiner Sünde abgestorben ist, in ihm lebendig wurde und in ihm auferstanden ist, und mit ihm lebt, mit ihm an seinem Tisch ißt und kein Knecht der Sünde mehr ist, der sich abermals fürchten müsse. Sondern der ein Sohn im Haus ist, dem das Erbe vermöge der Heiligen Schrift gehört.

70.47. Doch als sie nun Josefs Haushalter in Josefs Haus führte, fürchteten sie sich noch und erzählten ihm vor der Tür von dem Geld, das sie in den Säcken gefunden hatten. »Er aber tröstete sie und sprach: „Seid guten Mutes, fürchtet euch nicht! Euer Gott hat euch so einen Schatz in eure Säcke beschert.“ Und er führte Simeon zu ihnen heraus und führte sie in Josefs Haus, gab ihnen Wasser, daß sie ihre Füße wuschen, und gab ihren Eseln Futter. Sie aber bereiteten das Geschenk vor, bis Josef gegen Mittag kam. Denn sie hatten gehört, daß sie dort das Brot essen sollten.«

70.48. Dies ist nun die Darstellung des betrübten Menschen, der nun in Josefs Haus eingeht und das Unrechte, weil er viel Unrecht getan hat und nichts zurückzugeben hat, mit seinem Herzen vor Josefs Haus in wahrer Beichte und Bekenntnis wiedergibt und gern mit der Hand zurückgeben wollte, wenn er es nur vermöchte. Zu diesem spricht Josefs Haushalter: „Fürchtet euch nicht mehr, ich habe es schon in eurer Buße empfangen. Christus hat es für euch in seinem Blut bezahlt und erstattet, so daß alles hin ist und nichts mehr vorhanden und ihr in Armut und Elend seid. So behaltet das Wenige, das ihr habt, um euer Leben zu fristen. Auch wenn ihr es zu Unrecht habt und in dieser Welt nichts Eigenes haben solltet, so hat euch doch Gott einen Schatz beschert. Nehmt Wasser und wascht eure Füße, das heißt, reinigt den Wandel eurer Hände und Füße, und tut nicht mehr übel, und behaltet nicht was unrecht ist, sondern nur das Wenige, das ihr noch zu Recht habt, damit ihr das Unrechte nicht bezahlen müßt.“

70.49. Das sei aber nicht so verstanden, daß er nicht von dem Seinen, das er neben dem ungerechten Gewinn zu Recht hat, das Unrecht wieder erstatten sollte, wenn er es vermag. Wir reden von dem Armen, der nichts mehr hat als nur ein Stück Brot für sein Leben. Denn vor Gott gilt keine Unterschlagung: Das Gewissen muß rein geworden sein, oder du bist ein Dieb. Denn in der Geschichte steht hier auch: »Der Haushalter hatte auch ihren Eseln Futter gegeben.« Das deutet auf den irdischen Leib, daß ihm Christus durch seine Haushalter Futter und Speise geben lassen will.

70.50. Diese Haushalter sind hier fromme Leute in der Welt, die ihn doch pflegen helfen sollen, so daß er lebe, auch wenn er zuvor ein falscher Mensch gewesen wäre und nun von Herzen fromm wurde.

70.51. Nicht, wie die falsche Welt richtet, die einen kleinen Mangel an einem bekehrten Menschen kennt, den er gehabt hat, und ihn dafür noch immer als unrecht verurteilt und verdammt, von welcher Teufelei die Welt voll ist: Daß, wenn man einen Menschen sieht, der umgekehrt ist, man ihm alle alten Dinge vorwirft, die doch ein jeder Mensch in Fleisch und Blut an sich hat, und ihn danach richtet. Und sie sehen nur auf das, was er gewesen war, und nicht auf das, was er nun geworden ist. Dazu sagte Christus: »Richtet nicht, dann werdet ihr auch nicht gerichtet!«

70.52. »Als nun Josef das Haus betrat, brachten sie ihm das Geschenk in ihren Händen ins Haus und fielen vor ihm nieder zur Erde. Er aber grüßte sie freundlich und sprach: „Geht es eurem alten Vater gut, von dem ihr mir sagtet? Lebt er noch?“ Sie antworteten: „Es geht deinem Knecht, unserem Vater, gut und er lebt noch.“ Und sie verneigten sich und fielen vor ihm nieder.«

70.53. Dies ist nun der Zustand, wenn die Seele geläutert vor Gottes Augen tritt und ihre Geschenke in das Leiden und den Tod Christi eingewickelt hat und diese in ihren Händen mit der Bildung der Nagelmale Christi vor Gott trägt. Dazu gehören der Wille zur Gerechtigkeit, Wahrheit, Keuschheit, Liebe, Geduld, Hoffnung, Glauben und Sanftmut. Diese sind nun im Willen der Seele, und diese gibt die Seele dem himmlischen Josef und fällt vor ihm in Demut nieder.

70.54. Dieser Josef aber grüßt die Seele, das heißt, er spricht sein Gnadenwort in sie und redet freundlich im Gewissen mit ihr von ihrem alten adamischen Jakob ihres Leibes und fragt: „Lebt er noch?“ Das heißt, solange er noch lebt und nicht ganz tot ist, soll ihm wohl Rat werden. Davon wird die Seele erfreut und antwortet: »Es geht deinem Knecht, meinem Vater, gut und er lebt noch.«

70.55. »Und Josef erhob seine Augen und sah seinen Bruder Benjamin, den Sohn seiner Mutter (Rahel), und fragte: „Ist das euer jüngster Bruder, vom dem ihr mir sagtet?“ Und sprach weiter: „Gott sei dir gnädig, mein Sohn!“ Und Josef eilte hinaus, denn sein Herz entbrannte ihm für seinen Bruder, und er suchte, wo er weinen könnte, und ging in seine Kammer und weinte daselbst. Und als er sein Angesicht gewaschen hatte, ging er heraus und hielt an sich und sprach: „Tragt Brot auf!“«

70.56. Dies ist nun das schöne Bild, wie oben erklärt, wie Benjamin, das heißt, der innerlichste Grund, darin die Gnadenpforte des Paradieses liegt, vor Christi Augen offenbar wird, in welchem sich die große Barmherzigkeit entzündet. So spricht Gott in Christus die lebendige Barmherzigkeit ein, wie hier Josef in Benjamin, als er sagte: »Gott sei dir gnädig, mein Sohn!« Und dieses Weinen des himmlischen Josefs zündet dieses verblichene Paradiesbild mit dieser weinenden Demut Christi wieder an, so daß aus Christi Weinen in diesem Bild die ewige Freude aufgeht. Dann trägt Christus Brot auf, damit dieses Bild mit ihm esse.

70.57. Und Moses spricht weiter: »Und man trug Josef besonders auf, und jenen auch besonders, und den Ägyptern, die mit ihm aßen, auch besonders. Denn die Ägypter dürfen das Brot nicht mit den Hebräern essen, denn das ist ein Greuel für sie. Und man setzte sie ihm gegenüber, den Erstgeborenen nach seiner Erstgeburt und den Jüngsten nach seiner Jugend. Darüber verwunderten sie sich untereinander. Und man trug ihnen Essen auf von seinem Tisch, aber Benjamin bekam fünfmal mehr als die anderen. Und sie tranken und wurden betrunken mit ihm.«

70.58. Diese Darstellung ist nun der allerheimlichste Grund und das höchste Geheimnis zwischen Gott und Menschen. Auch wenn es äußerlich zu sein scheint, als hätte sich Josef so vor seinen Brüdern verbergen wollen, daß er auch ein Hebräer aus deren Stamm sei, so hat doch der Geist hier ein solch tiefes Geheimnis dargestellt, daß es kein Verstand sehen kann.

70.59. Denn Josef steht an diesem Ort in der Bildung Christi, der besondere Speise hat, davon sie nichts wissen. Wie beim Jakobsbrunnen zu sehen war, als ihn seine Jünger zum Essen mahnten und er sagte, er hätte eine Speise, davon sie nichts wußten, und daß er täte den Willen dessen, der ihn gesandt hatte. Denn seine Speise war des heidnischen Weibleins Glaube.

70.60. Denn Christus nach dem ewigen Wort der Gottheit ißt nicht vom Wesen des Himmels, wie eine Kreatur, sondern des Menschen Glaube und ernstes Gebet sowie das Lob Gottes der Seele des Menschen sind seine Speise, die das ewige Wort ißt, das Mensch wurde, als ein Besonderes, das keinem Menschen oder sonst einer Kreatur gebührt, und sie dieses auch nicht essen können. Und indem er den Glauben und das Gebet samt dem Lob Gottes von unseren Seelen ißt, wird der menschliche Glaube samt dem Gebet und Lob Gottes im Wort der Kraft wesentlich, und ist mit dem Wesen der himmlischen Leiblichkeit Christi Ein Wesen, alles nur der einige Leib Christi, zugleich Gott und Wesen, als Gott, Mensch und Wesen ganz Eines.

70.61. In diesem Wesen, das mit seiner, von uns angenommenen Menschheit Ein Wesen ist, darin er sein Blut vergossen hat, welches zugleich göttliche und menschliche Wesenheit ist, nämlich übernatürliches Fleisch und Blut, und dann auch von der menschlichen Kreatur Fleisch und Blut, ausgenommen die Irdischkeit unserer Menschheit, gibt er nur dem menschlichen Glauben wieder zu essen und zu trinken.

70.62. Denn der Glaube in seiner Hungersbegierde ist der Mund, der es in sich empfängt und einnimmt, in welchem Einprägen, Einfassen oder Einnehmen der Glaube das Fleisch und Blut Christi ißt und trinkt, welches Essen und Trinken in das innerliche Paradiesbild, das in Adam verblich und in Christus wieder lebendig wird, eingefaßt und behalten wird, wo das menschliche Paradieswesen und Christi Fleisch und Blut ein ganzheitliches Wesen ist und ewig bleibt. Welcher inwendige Mensch nun nicht mehr Adam, sondern Christus heißt, als ein Glied an Leib und Wesen Christi, darin der Tempel des Heiligen Geistes besteht und Gottes heiliges Wort wesentlich ist. Und das ist eine Form der unbildlichen (formlosen) Gottheit, als das gebildete Wort Gottes, ein Ebenbild Gottes.

70.63. Dieses gebildete Wort oder Ebenbild Gottes ist nun der wesentliche Glaube und Christus selbst im Menschen, der im Menschen bleibt und des Menschen Leben und Licht ist: Das ist der Tempel des Heiligen Geistes, der in uns wohnt, wie St. Paulus sagt: »Wißt ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid? Daß der Geist Gottes in euch wohnt? (1.Kor. 3.16)« Dieser wesentliche Glaube gehört auch der Rebe am Weinstock Christi, welche Kraft den ganzen Menschen durchdringt, wie die Sonne ein Kraut. Aber nicht, daß solche Gewalt im Leben des Menschen bestünde, so daß er Gottes Wesen in eigener Kraft nehmen könnte. Nein, es wird ihm aus Gnade gegeben, gleichwie sich die Sonne dem Kraut aus ihrem Willen gibt, das Kraut aber darum nicht sagen kann „Ich bin die Sonne!“, weil die Sonne in ihm wirkt. So auch kann der Mensch nicht sagen „Ich bin Christus!“, weil Christus in ihm wohnt und wirkt als in seinem Ebenbild oder geformten Wort Gottes.

70.64. Dies ist nun eben die Darstellung, daß man Josef besonders auftrug, und auch seinen Brüdern besonders, so daß noch ein Unterschied sei zwischen Christus und seinem Essen und dem Menschen und seinem Essen. Aber der Unterschied ist nicht nach der kreatürlichen Menschheit Christi von uns, sondern zwischen (uns und) dem ungeformten ewigsprechenden Wort in ihm, darin der ganzheitliche Gott wirkend und gebärend ist, nicht eingeschlossen, sondern aussprechend in voller Allmacht, nicht kreatürlich, sondern göttlich.

70.65. Denn in uns Menschen, so viel der Mensch in der Habhaftigkeit in eigenem Wesen von Gott und Christus in sich hat, ist das Wort geformt und wesentlich. Und dieses geformte wesentliche Wort ißt wieder vom geformten Wort Gottes, nämlich von Christi Fleisch und Blut, darin doch auch das ungeformte Wort samt der ganzen Fülle der Gottheit wohnt.

70.66. Aber der menschlichen Kreatur nicht in eigener Habhaftigkeit und Eigenheit, wie in Jesus Christus, sondern als ein Gefäß und Wohnhaus Gottes, in der Art nach dem Gleichnis, wie ein Feuer ein Eisen besitzt und durchglüht, so daß es ganz feurig ist, und doch das Feuer nicht in eigener Macht oder Gewalt hat. Denn wenn das Feuer erlischt, dann bleibt das Eisen ein finsteres Eisen. Oder wie die Sonne ein Kraut durchdringt und sich im Kraut mit aufzieht und wesentlich wird, und doch der Sonnengeist nur eine Kraft im Kraut bleibt und ist, und der Körper des Krautes nicht zur Sonne wird: So ist es auch zwischen Gott und Menschen zu verstehen.

70.67. Daß aber Moses sagt »Und man trug auch den Ägyptern besonders auf, denn die Ägypter durften ihr Brot nicht mit den Hebräern essen.«, hat auch seine Bedeutung, auch wenn es wohl an sich selbst äußerlich so gewesen sein konnte, daß sie nicht mit ihnen essen durften, welches wir in seinem Wert ungetadelt lassen, wie auch alles andere. Wir lassen es als eine Geschichte stehen, aber wollen doch dem Verstand deuten, warum es der Geist Gottes so genau aufzeichnen ließ.

70.68. Wenn wir dieses nun erforschen wollen, dann müssen wir einen natürlichen adamischen Menschen betrachten. Von welchem Geschlecht oder Namen er auch sei, sei er nun ein Heide, Türke, Jude oder Mund- und Titelchrist, sie sind hier alle gleich und keiner ist anders. Sie alle dürfen nicht mit einem wahren Christen essen, wie mit Josefs Brüdern. Warum? Sie haben keinen Mund zu solcher Speise, denn dieser Mund ist ihnen noch verschlossen und sie können die Speise des Leibes Christi nicht genießen. Sie sind ein Greuel dafür und haben wiederum einen Ekel davor. Wie man auch sieht, daß es den Juden, Türken und Heiden eine greuliche Rede ist, wenn ein Christ sagt, er esse Christi Fleisch und trinke sein Blut.

70.69. So ist es jetzt auch der Titelchristenheit ein Greuel, weil sie einerseits die wesentliche Nutznießung des Leibes Christi nicht glaubt, sondern es nur geistig haben will, doch anderseits den Mund des adamischen sterblichen Menschen voll haben und mit demselben fassen will. Und doch ist auf keiner Seite eine wahre Wissenschaft oder ein wahres Verständnis, und sie sitzen zwar zu Tisch, aber wie die unwissenden Josefs-Brüder, die Josef nicht erkannten, so daß zwar ihr Glaube ißt, aber ihr Verstand den Josef in seinem Mahl nicht erkennt.

70.70. So spricht nun der Verstand: „Weil die Juden, Türken und unwissenden Heiden keinen Mund zu solcher Speise haben, aber Christus sagt »Wer nicht ißt das Fleisch des Menschensohns, der habe kein Leben in sich. (Joh. 6.53)«, so müssen sie doch allesamt verdammt sein.“ Oh Israel, wie blind bist du hier und weißt so wenig wie sie, oder wie Josefs Brüder von Josef wußten.

70.71. Die Türken, Juden und fremden Völker, deren Begierde und Gebet zu dem einigen Gott geht, haben wohl einen Mund, aber nicht so, wie ein wahrer Christ. Denn wie die Begierde als der Mund ist, so ist auch die Speise im Mund. Sie begehren (nur) den Geist Gottes, und so ist auch ihr Essen, und zwar in gleicher Art und Weise wie vor der Menschheit Christi im Vater und Sohn, nämlich im Wort.

70.72. Doch ein wahrer Christ hat einen eingefleischten Mund. Denn die seelische Begierde oder vielmehr der wesentliche Christus, als die Jungfrau Sophia (der „Weisheit“), hat einen Mund des wesentlichen Wortes, jene aber des unwesentlichen Wortes (des Verstandes). Sie begehren die Eigenschaft des göttlichen Vaters als des einigen Gottes, und den (Vater) empfangen sie auch, aber hier ist die Gnade (des Sohnes) nicht offenbar.

70.73. Weil aber der Vater die Menschen seinem Sohn Christus gegeben hat, wie Christus sagt (Joh. 17.6), und die Gnade in Christus offenbart hat und sie allein Christus anbietet, so daß außer Christus kein Heil ist, so gibt er ihm auch die Gebete der ernsthaft Anrufenden, welche Christus von seinem Vater annimmt und in sich faßt und ißt, und er erfüllt sie mit seiner Menschheit, Leiden, Tod und Blutvergießen, und so sind sie mit ihrem Geist in Christus wesentlich, aber (er ist) in ihnen wie sich selbst verborgen.

70.74. Denn sie begehren nicht wiederum das Fleisch des Menschensohns: Darum haben sie in ihrer Ichheit keinen Mund für Christi Fleisch und Blut, denn sie haben keine Begierde dazu. Aber mit ihrem Geist sind sie wesentlich in Christus. Doch ihre innerliche, in Adam verblichene paradiesische Menschheit, darin die einverleibte Gnade im Paradies liegt, bleibt ihnen verborgen und ohne ein bewegliches (wirksames) Leben.

70.75. Denn Christus wohnt nicht wesentlich darin, wie in einem wahren Christen. Ihr Glaubenswesen ist aber in Christus verborgen bis zum Tag der Wiederbringung dessen, was in Adam verlorenging, wenn ihr Paradiesbild, das während dieser Zeit nicht offenbar wird, das Wesen ihres Glaubens in Gottes geschenkter Gnade, die von einem auf alle geht, aus Christi Geist anziehen wird. Denn diese einverleibte Gnade, als das eingesprochene Wort, steht auch in ihnen und sehnt sich nach Christi Wesenheit.

70.76. Weil aber ihre Wesenheit im Wort jenseits dieser Stätte (ihres weltlichen Leibes?) in Christus ist, so daß Christus in sich ihren Glauben an Gott erfüllt, so wird auch ihr wesentlicher Glaube in Gott das einverleibte Wort im Paradiesbild samt demselben in der Offenbarung Jesu Christi anziehen und damit auch den ganzen (ganzheitlichen) Menschen.

70.77. Denn die Schrift sagt: »Aus Gnade seid ihr selig geworden, und das nicht aus euch selber. (Eph. 2.8)« Also nicht durch euer Wissen, sondern durch Gottes Erbarmen. Denn es liegt nicht am Wissen, so daß das Wissen Christus nehmen könnte, sondern es liegt am Gebet, als an der Gnade, die Christus den Unwissenden in ihrem Glauben in Gott gibt, sowie auch den Wissenden in ihrer Begierde, denn ihnen beiden geschieht es aus Gnade.

70.78. Denn Adam ging aus dem einigen Gott in eine Ichheit in die Unwissenheit und führte uns alle mit sich in dieselbe Unwissenheit. Aber die Gnade kam wieder aus demselben einigen Gott und bietet sich allen Unwissenden an, den Heiden wie den Juden.

70.79. Bei den Juden aber stand das Bild der Gnade in der Bildung, wie die Gnade die Menschen wieder annehmen wollte. Nun hatten aber jene unter der Bildung, als die Juden, nicht mehr Anteil an der Gnade als jene, bei denen sich das Bild nicht offenbart hatte, denn das Vorbild sah (allein) auf Christus. Die Juden drangen mit ihrem Glauben und Gebet durch das Vorbild in die einige Gnade, welche in Gott war und welche Gott Adam und seinen Kindern schenkte. Doch die Heiden, die das Gesetz nicht hatten, aber ohne Beschneidung an die einige verheißene Gnade Gottes glaubten, die drangen ohne Vorbild in die Gnade ein.

70.80. Denn das Können wurde einem Volk wie dem anderen gegeben: Kein Volk konnte aus sich selber, sondern die Gnade nahm den Willen für das Können und gab ihnen gleiches Vermögen, den Juden wie den gläubigen Heiden. Aber der Unglaube und das Nichtwollen waren beide bei den Juden und Heiden ihre Verdammnis, so daß sie ihren Willen in der Ichheit und Verstockung behielten und anderen Götzen nachhurten. So waren nicht die Beschneidung und die Opfer der Juden Seligkeit, sondern die Gnade, die sich mit solcher Bildung zur Menschheit Christi darstellte, weil die Gnade die Bildung erfüllen wollte, und die künftige Erfüllung war ihre Seligkeit.

70.81. So ist es auch jetzt: Die Christen haben die Bildung der Gnade unter dem Evangelium in der Erfüllung. Aber sie können nicht in eigenem Vermögen die Erfüllung nehmen, sondern die Gnadenerfüllung bietet sich ihnen an, und wenn sie sich dahinein ergeben wollen, dann wird ihnen der Mund in der Gnade gegeben.

70.82. Aber die andern führen ihren Willen zur Gnade Gottes, welches eben auch der Christen Gnade ist, und nichts mehr. Doch die wesentliche Gnade im Bild der Erfüllung kennen sie nicht. Aber die Gnade nimmt ihren Willen mit der Begierde in sich und gibt der Begierde in der Gnade einen Mund, welcher der Kreatur bis zum Tag der Offenbarung Jesu Christi verborgen bleibt.

70.83. Darum ist zwischen ihnen kein anderer Unterschied, als die wesentliche Bewegung im Paradiesbild, weil das Paradiesbild Christus im Wesen noch nicht angezogen hat, wie bei den wahren Christen, und doch ist ihr Glaube in der Gnade Gottes in Christus wesentlich. Aber nicht im Eigentum des Menschen, sondern in Gott, der alle Dinge erfüllt und durch Alles ist und wohnt. So ist den gläubigen Juden und Türken die wesentliche Gnade nahe und in ihnen, aber ihrer Kreatur nach unergriffen.

70.84. Sie haben Christus in sich, aber sie ergreifen ihn nicht, es sei denn, ihr Wille geht in die wesentliche Gnade Christi ein. Dann offenbart sich Christus in ihrer Kreatur, wie auch in den Christen. Denn den gläubigen Juden und anderen Völkern ist die Gnade in Christus beigelegt, denn sie schwebt durch sie, und ihr Wille zu Gott ist darin und wandelt darin.

70.85. Ein Titelchrist ohne göttlichen Willen ist weiter davon entfernt als ein gläubiger Jude, Türke, Heide oder wer auch immer, der sein Vertrauen in Gott setzt und Gott seinen Willen übergibt. Dieser ist viel näher (an der Gnade) und wird den Titelchrist verdammen, und zwar darum, weil dieser sich des Wissens rühmt und der Gnade tröstet, aber nur in seinem bösartigen Willen ohne die Gnade bleibt und seinen Schalk in Gottes Gnade setzen will.

70.86. Da sprichst du: „Die fremden Völker sind doch nicht auf Christus getauft, und so sind sie auch keine Kinder der Gnade des Bundes.“ Antwort: Wenn die Beschneidung die Seligkeit allein gewesen wäre, dann wäre es auch die Taufe, denn eines ist wie das andere. Aber Gott fordert einen Juden, der innerlich im Herzen beschnitten ist. Die Beschneidung war nur das Bild, wie Christus die Sünde abschneiden wollte, welches dann Christus erfüllt hat. So taucht auch der Geist Christi mit diesem Bund in das Paradiesbild in die einverleibte Gnade und zündet einen Zunder an.

70.87. Er fordert aber ein Sein (Ens) des Glaubens, das des Eintauchens fähig ist und von den Eltern und durch das ernste Gebet derer kommt, die mit diesem Werk umgehen. Ansonsten wird der Bund verachtet, und es ist keine Beschneidung des Herzens und Geistes. Denn die Macht, mit welcher der Heilige Geist tauft, steht nicht bei den Menschen, sondern in Gott. Wer seinen Bund verachtet und nicht mit Ernst mit beschnittenem Herzen betreibt, den tauft er in seinem Zorn, wie St. Paulus vom Abendmahl Christi sagt, daß es der Gottlose zum Gericht empfange.

70.88. So hat ein gottloser Priester keine Macht, mit dem Heiligen Geist zu taufen, denn er hat nur das Wasser und ist des Amtes selbst unfähig. Aber das Sein des Kindes und der gläubigen Eltern und derer, die dazu das Werk fördern, (sind dazu fähig,) denn deren Ernst und Gebet reichen mit ihrer Glaubensbegierde dem Täufling den Bund dar.

70.89. Aber der gottlose Priester ist dazu nicht nützlicher als der Taufstein, der das Wasser hält. So führt er nur das Wasser und die Zeremonien, welches auch ein Türke ohne Glauben tun könnte.

70.90. Ein Fremder aber, der die Taufe nicht hat und davon nichts weiß, kann in seinem Glauben im Herzen beschnitten werden. Und damit taucht der Heilige Geist in seine Glaubensbegierde und tauft ihn auf die Offenbarung Jesu Christi, in der auch sein Glaube den wesentlichen Bund in der Gnade anziehen soll.

70.91. Oh Babel, wie blind bist du! Wie haben sich deine Ordensleute an Christi Statt gesetzt! Aber sie dienen nicht alle Christus, sondern sich selber zu ihren fleischlichen Ehren. Oh Babel, kehre um, die Tür ist offen, sonst wirst du ausgestoßen! Die Zeit ist geboren. Oder du wirst ins Licht gestellt und geprüft werden, und dann stehst du in Schande vor allen Völkern.

70.92. Mehr noch hat der Geist Gottes in diesem Text eine gewaltige Darstellung, indem Josef seine Brüder ihm gegenüber nach der Ordnung ihrer Geburt setzen ließ, und seinem Bruder Benjamin ließ er fünfmal mehr auftragen als den anderen. Dies zeigt uns erstlich den Unterschied im Reich Christi, wie sie in der Wiedergeburt ungleich sein würden, wie auch St. Paulus davon sprach: »Sie werden einander mit Klarheit übertreffen wie Sonne, Mond und Sterne. (1.Kor. 15.41)«

70.93. Denn dort wird kein gewesener König, Fürst, Herr, Adliger oder Gelehrter gelten, sondern wer die größte Kraft in sich hat. Wer die Gnade im Namen Jesu am reinsten in seinem Ringen der Buße erreicht haben wird, der wird dort der Größte sein. Denn diese Ordnung deutet uns nur an, wie sie in göttlicher Hoheit ungleich sein werden, nämlich in der Kraft, wie auch die Engel an Kraft und Schönheit einander übertreffen.

70.94. Daß aber Benjamin fünfmal mehr Essen aufgetragen wurde, deutet in dieser Darstellung auf den inneren Menschen. Denn Benjamin steht in dieser Bildung, weil er Josefs Bruder ist und Josef hier in der Bildung Christi steht. So gebührt diesem inneren Menschen, von seinem Bruder Christus die Speise aus seinen fünf Wunden zu essen. Das deutet hier diese teure Darstellung an, wer es sehen kann.

70.95. Daß aber der Geist sagt »Sie tranken und wurden alle betrunken.«, das deutet an, daß im Reich Christi eine allgemeine Nutznießung und Freude ist und dort kein Unterschied mehr herrscht, und daß sie sich in solchem Unterschied alle in Einem Gott erfreuen werden. Denn ihre Trunkenheit deutet hier die ewige Freude an, darin wir in solcher Kraft gleichsam wie betrunken sein werden. So wird der innere Mensch aus der süßen Gnade trinken und essen, die in den fünf Wunden Christi offenbar geworden ist, und sich damit der feurigen Seele einergeben, die in ihrer Feuersessenz mit dieser Süßigkeit den Triumph des göttlichen Freudenreichs erwecken wird, und damit wird die edle Braut ihren Bräutigam als die Seele herzlich lieben.


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