Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

45. Kapitel - Die wunderliche Führung Abrahams

Wie Gott Abraham so wunderlich geführt hat, und wie er immerdar in Versuchung stand, und wie ihn der Herr beschirmt habe, und was dabei zu verstehen sei. (1.Mose 20)

45.1. Abraham mußte auf Erden nur wie ein Pilger sein und von einem Ort zum anderen ziehen, und in Hütten wohnen, und wurde überall versucht. Wie ihm auch zweimal seine Frau Sara genommen wurde, aber von Gott wunderlich beschirmt und bewahrt, nämlich vom Pharao in Ägypten und vom Abimelech, König zu Gerar, aber beidemal von Gott beschirmt.

45.2. Und daß nun Abraham, als der Stamm und Anfang des gefaßten Glaubens-Wesens, in dem Christus verstanden wurde, so von einem Ort zum anderen wandern mußte und keine bleibende Stelle auf Erden haben konnte, und dazu immerfort in Furcht und Versuchung stand, das ist das wahre Vorbild der Christenheit auf Erden, wie diese an keine bestimmte Stätte gebunden sein würde, nicht an irgendein Volk allein, das sich Gott besonders dazu erwählt hätte, sondern daß Christus mit seinem Evangelium vom Reich Gottes allen Völkern gegeben worden sei.

45.3. Und wie er mit seiner Erkenntnis von einem Volk zum anderen wandern werde, und nirgends eine immerwährende Stätte bei einem Volk habe, sondern unter den Völkern mit seinen Kindern auf Erden nur wie ein Gast oder Fremdling sei, und wie man immerfort versuchen würde, wie man die Christenheit unter den Völkern vertilgen und zuschanden machen könne, wie man auch Sara, Abrahams Frau, zuschanden machen wollte.

45.4. Und wie die Christen immerfort von den Völkern versucht würden und mit Streit und Krieg geplagt werden, auch wie Christus mit seinem Evangelium von einem Volk zum anderen wandern würde, bis sie dessen überdrüssig sein würden und es nur noch für eine Gewohnheit halten, so daß sie blind daran werden, in ein Geschwätz-Werk treten und Christus totdiskutieren wollen.

45.5. Dann werde er mit Vernunft und Geist von ihnen zu einem anderen Volk weichen, das auch nur fleischlich sein würde und Christus äußerlich für einen puren Menschen halten und ansehen wird, wie Pharao und dieser König Abimelech Abraham und seine Sara ansahen und sich mit Sara wegen ihrer Schönheit fleischlich vereinigen wollten, welches eine Andeutung war, daß sie zwar Christus im Fleisch anziehen wollten, aber nur auf tierische Art, und nicht in Kraft und Geist.

45.6. Wie dann hier bei Abimelech und auch beim Pharao zu sehen ist: Wenn sie Sara fleischlich erkennen wollten, dann war der Herr mit Strafen und Plagen in sie getreten und hat ihnen sein zorniges Angesicht gezeigt, sie verschlossen und erstarrt, als würde er sie mit den Ketten seiner Macht binden. So hat er ihre Frauen unfruchtbar gemacht und sie in Visionen und Vorbildungen geschreckt, wie diesen Abimelech, dem er den Tod im Traum androhte und ihm andeutete, daß Abraham ein Mann Gottes wäre und wie er von Gott gesegnet sei.

45.7. Durch diese Mittel hat Gott die Völker zum Glauben gebracht. Wenn er zu einem fleischlichen ungläubigen Volk eingezogen war, dann hat er sich in Kraft und Wundern gezeigt, welches dann die fleischlichen Völker gesehen haben und sich bekehrten und zu Gott wandten.

45.8. So mußte Abraham ein Vorbild des Reiches Christi auf Erden sein und von einem Volk zum anderen wandern, so daß sich diese hinterbliebenen Völker noch lange des Abrahams rühmten und sich nach ihm benannten, aber nur historische Kinder waren, von fremden Frauen geboren, ohne Abrahams Glauben und Geist.

45.9. So ist es auch der Christenheit ergangen: Weil sie des Geistes Christi überdrüssig wurden und nur noch ein Geschwätz-Werk daraus gemacht haben, so ist der Geist Christi von ihnen gewichen und hat sich vor ihnen verborgen. Dann standen diese Völker nur noch in der Historie und haben sich als Christen gerühmt, sind aber nur Kinder der Magd gewesen, wie von Hagar, und Söhne der Spötterei, darin man einander mit Disputieren um Christi Namen und Willen verspottet, verachtet, verketzert und gelästert hat. Und so sind doch nur Ismaels aus ihnen geworden.

45.10. Wie es auch heutzutage ist, wenn man vom Spotten zum Mordschwert greift, und sogar Christus ermorden und ausrotten will, um den babylonischen Turm an Christi Statt zu setzen, mit dem man im eigenen Willen und Vermögen in den Himmel steigen will, so daß man nicht durch das Sterben des alten bösartigen Menschen eingehen muß, sondern daß man so fein mit der Ichheit des bösartigen Menschen hineinkommen könne. Oder daß man sich als von außen angenommene Kinder mit Christi Purpurmantel so bedeckt, daß doch der Wille der Ichheit zu Gott kommen möchte.

45.11. Und wie nun diese Völker danach gerichtet wurden, als Abraham von ihnen wich, weil sie nur Spötter der Kinder Abrahams wurden, wie an Pharao und auch den Heiden zu sehen war, besonders im Land Kanaan, so ist es auch den Christen ergangen, daß diese Völker, die nur unter Christi Namen blieben, aber im Herzen heidnisch gewesen waren, immer wieder von solchen heidnischen Völkern gerichtet und vertrieben wurden, wie an Asien, Ägypten, Griechenland und anderen mehr zu sehen ist. Nämlich wie ihnen Gott den Mantel Christi als Mundheuchler und Spötter Christi abgezogen hat und ein verfinstertes Herz und entsprechenden Verstand vom Reich Christi gab, und ihnen den Leuchter wegstieß, so daß sie nicht mehr sagen durften: „Wir sind Christen und gehören Christus an.“ Sondern Türken und barbarische Völker, aus dem wilden Baum der Natur geboren.

45.12. So sollte Christus hier in dieser Welt nur als ein Licht von einem Volk zum anderen wandern, zum Zeugnis über alle Völker. Und so wird dir, oh Deutschland, (das du lange unter dem Mantel Christi mit einem heidnischen Herzen gegangen bist und dich der Kindschaft gerühmt hast, aber nur in Bosheit des Fleisches lebtest), sowie den Völkern, von denen du mit dem Namen Christi geboren bist, jetzt angezeigt, daß dein Gericht bevorsteht.

45.13. Denn der Gerichtsengel ruft im Schall der Posaune zu den übrigen Kindern Abrahams in Christus: „Geht aus von Sodom! Abraham in Christus ist von euch weggewandert. Ihr habt nichts mehr von Christus als einen leeren Atem und ein diskutierendes Mundgeschwätz, eine Spötterei, da ein Bruder den anderen um Christi Erkenntnis willen nur spottet und verachtet. Und damit tötet ihr nur Christus in seinen Gliedern. Die Stadt Jerusalem und Babylon, darin du prächtig geglänzt hast, soll untergehen. Amen.“

45.14. Siehe, ein Stern scheint von Morgen bis Mitternacht, der dich verblenden und den Turm deiner hohen Mauern in Jerusalem und Babylon abbrechen wird! Denn du heißt nicht mehr Jerusalem, sondern Babel. Und die Kinder, die da im Schatten der Nacht sitzen und die da im Gefängnis zu Babylon liegen, sollen erlöst werden und herzukommen und in die Stadt Gottes eingehen, welche er den Völkern und Zungen der Erde aufgetan hat, auf daß seine Herrlichkeit erkannt werde, ein Licht vor allen Völkern.

45.15. So ist diese Darstellung mit Abraham, Sara und Abimelech (1.Mose 20) ein gewaltiges Bild der Christenheit, wie sie in eigener Kraft schwach sein würden und allein von Gott errettet werden. Wie auch Abraham sehr schwachmütig wurde, als er zu diesen Völkern ziehen sollte, und seine Sara bat, daß sie doch von ihm sagen wollte, er wäre ihr Bruder, damit sie ihn nicht um ihretwillen ermordeten. Um anzudeuten, daß ein Christ in seinem eigenen Vermögen nichts tun könnte oder sich den Geist Christi, der da Mut macht, nehmen könnte, sondern daß er nur nackt mitten unter seine Feinde treten solle, ohne sich auf sich selber und sein Wissen zu verlassen, sondern nur allein auf Gottes Gnade.

45.16. Denn er selber kann nicht bestehen, nur Christus allein muß in ihm sein Mut und Beistand sein. Wie hier auch Abraham vor dem Pharao und Abimelech in eigenen Kräften zweifelhaft und immerfort furchtsam um sein Leben war und nur zusehen mußte, wie Gott ihn und seine Sara behütete. Und so ist diese Geschichte meisterlich und eigentlich vom Reich Christi durch Esra in der Vision des Geistes Christi beschrieben, als ob der Geist mit Fleiß diese Geschichte vom Reich Christi so bildete, denn sie paßt ganz darauf.

45.17. Denn der äußere Mensch versteht gar nichts vom Reich Christi, wie bei Sara zu sehen war: Als sie schwanger geworden war und Isaak geboren hatte, sagte sie: „Der Herr hat mich lächerlich gemacht.“ Das heißt, die Leute werden darüber lachen, daß die alte neunzigjährige Sara noch ein Kind säugte. Sie verstand das Bild Christi noch nicht, sondern der Geist Christi in ihr verstand es, und nicht der natürliche Mensch in der Ichheit. Sondern der ergebene Wille, der in Gott gelassen war, der allein ergriff den Bund und den Geist Christi.

45.18. Aber der (gedankliche) Verstand, als der icheigene Wille, war stumm daran, und es erschien ihm nur lächerlich, denn er sah nur auf sich selber, was er wäre. Wie dann auch Abrahams Wille in seiner Icheigenheit nur auf sich selber sah und sich entsetzte, obwohl doch in ihm die große Macht über alle Gewalt und Herrschaft war, aber sie gehörte nicht der menschlichen Eigenheit.

45.19. Wie dann auch Christus in seinen Kindern nicht der menschlichen Eigenheit gehört, als des icheigenen Willens, und sich ihm auch nicht übereignet, sondern dem demütig gelassenen Willen, dem übereignet er sich und beschirmt dann auch öfters den eigenen Willen dadurch.

45.20. Denn der eigene Wille ist von der Natur dieser Welt aus Fleisch und Blut, aber der gelassene Wille stirbt der Welt ab und wird in Gott zum (ewigen) Leben geboren. So ist uns auch in Abraham und in allen Christen zweierlei Willen zu verstehen, nämlich einer von dieser Welt, der immerfort in Angst steht, und dann der Wille der armen gelassenen Seele nach dem zweiten Prinzip, als nach dem Himmelreich, der sich in Gottes Erbarmen in die Hoffnung vertieft.


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