Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

11. Kapitel - Die Heimlichkeit der Schöpfung

11.1. Der Verstand des äußeren Menschen fragt: „Wie kommt es, daß Gott den Menschen die Schöpfung der Welt nicht offenbart hat, so daß Moses und die Kinder Gottes so wenig davon geschrieben haben, obwohl es das allergrößte und vorzüglichste Werk ist, darin alles besteht?“

11.2. Ja, lieber Verstand, riech in deinen Busen! Wonach riechst du? Beschaue dein Gemüt! Wonach gelüstet es? Vielleicht nach der Gaukelei des Teufels. Hätte der Teufel diesen Grund (der Schöpfung) nicht gewußt, dann wäre er vielleicht noch ein Engel. Hätte er diese magische Geburt nicht in seinem hohen Licht gesehen, dann hätte er nicht begehrt, ein eigener Herr und Macher im Wesen zu sein.

11.3. Warum verdeckt Gott seine Kinder, die seinen Geist der Erkenntnis empfangen, bis heute mit dem Kreuz und wirft sie in Trübsal und den Morast der Eitelkeit? Gewiß darum, daß sie das Miserere („Erbarme dich!“) spielen und in der Demut bleiben, und diese Zeit nicht im Licht der Natur spielen. Denn wenn sie für sich erblickten, was die göttliche Magie (Magia divina) ist, dann könnten sie wohl auch begehren, dem Teufel nachzukünsteln, wie es Luzifer tat. Und deshalb ist es ihnen verborgen. Und so durfte es weder Moses noch ein anderer klarer beschreiben, bis der Anfang der Schöpfung das Ende der Welt in sich wiederfindet, denn dann muß es offenbar stehen.

11.4. So soll uns niemand darum schelten, denn die Zeit ist geboren, daß Moses seine Decke von seinen Augen wirft, welche er vor sein Gesicht hing, als er mit Israel redete, nachdem der Herr mit ihm gesprochen hatte. Moses begehrte es zu sehen, indem er sagte: »Herr, habe ich Gnade vor dir gefunden, dann laß mich dein Angesicht sehen.« Aber der Herr wollte nicht, und antwortete: »Du wirst mir nachsehen, denn mein Angesicht kann niemand sehen. (2.Mose 33.20)«

11.5. Nun ist aber in Moses und den Kindern der Heiligen das Auge Gottes gewesen. Denn sie haben im Geist Gottes gesehen und geredet, aber das Schauen der geistigen Geburt haben sie nicht gehabt, als nur zu Zeiten, wenn Gott Wunder wirken wollte, wie bei Moses, als er die Wunder in Ägypten tat. Da stand ihm die göttliche Magie offen, in gleicher Art und Weise wie in der Schöpfung.

11.6. Und eben das war auch der Fall Luzifers gewesen, so daß er ein Gott der Natur sein wollte und in der Verwandlung leben. Und eben dies war auch der Heiden Abgötterei gewesen. Indem sie die magische Geburt verstanden, fielen sie vom einigen Gott auf die magische Geburt der Natur und erwählten sich aus den Kräften der Natur Abgötter.

11.7. Um dessentwillen ist die Schöpfung so dunkel geblieben, und Gott hat seine Kinder, in denen das wahre Licht schien, durch Trübsal verdeckt, so daß sie sich nicht selber offenbar geworden sind. Und weil auch Adam nach derselben Magie der Lust zu erkennen und zu prüfen imaginierte und wie Gott sein wollte, so ließ es ihm Gott zu, daß er sein himmlisches Bild mit der Eitelkeit der Natur füllte und ganz finster und irdisch machte, wie auch Luzifer mit dem Zentrum der Natur tat, so daß er aus einem Engel einen Teufel machte.

11.8. Damit will ich den Leser gewarnt haben, daß er die Magie richtig gebrauche, nämlich in einem wahrhaften Glauben und in Demut vor Gott, und die große Verwirrung (Turbam magnam) nicht auf magische Art berühre, wenn es nicht Gottes Ehre und dem menschlichen Heil zugute kommt.

11.9. Denn wir können mit Wahrheit sagen, daß das Schöpfungswort noch heute im Schaffen ist. Auch wenn es wohl keine Sterne und Erde schafft, so wirkt es doch noch in derselben Eigenschaft, formt und gerinnt. Der Natur ist alles möglich, so wie ihr im Anfang möglich gewesen war, Steine und Erde zu gebären, sowie die Sterne und vier Elemente, und solche aus einem einigen Grund herausgeführt hat. So geschieht es noch heute. Durch die starke Begierde (welche der magische Grund ist) kann alles vollbracht werden, wenn man die Natur in ihrer Ordnung zu einem Werk gebraucht.

11.10. Alle Wesen stehen in den sieben Eigenschaften. Wer nun das Wesen erkennt, der kann es durch denselben Geist derselben Essenz, daraus es ein Wesen geworden ist, in eine andere Form verwandeln, auch in ein anderes Wesen hineinführen, und so auch aus einem Guten ein Böses oder aus einem Bösen ein Gutes machen.

11.11. Doch die Dinge zu verändern, muß durch die Gleichheit geschehen, nämlich durch sein Eigenes. Denn das Fremde ist sein Feind. Und so muß durch die Gleichheit auch der Mensch in seiner verlorenen Heiligkeit der göttlichen Wesenheit wieder durch göttliche Wesenheit in der Gleichheit neu geboren werden.

11.12. Und wie der falsche Magier den Menschen durch Verwünschung mit der Gleichheit beschädigt und ihm Böses durch sein Böses hineinführt, nämlich in die Gleichheit durch die Begierde, und wie auch der gerechte heilige Glaube oder die göttliche Begierde in die Gleichheit eingeht und den Menschen davor beschirmt, daß die falsche Begierde nicht anhaftet:

11.13. So steht alles in der Gleichheit, und ein jedes Ding kann in seine Gleichheit hineingeführt werden. Und wenn es in seine Gleichheit kommt, dann erfreut es sich in seiner Eigenschaft, sei es gut oder bös, und beginnt zu qualifizieren, wie man das am Guten und Bösen sieht.

11.14. Ich gebe ein Beispiel: Man nehme ein klein wenig Gift ein, und das Giftige im Leib, welches zuvor ruhte, wird dieses sogleich mit großer Begierde annehmen und sich darin stärken und zu qualifizieren beginnen, und in seiner Widrigkeit das Gute verderben und zerstören. Und was nun das Böse in seiner Eigenschaft tun kann, das kann auch das Gute in seiner Eigenschaft: Wenn es vom Grimm erlöst wird, dann kann es seine Gleichheit auch in die wirklich wahre Freude hineinführen.

11.15. So steht das Wesen dieser Welt im Bösen und Guten, und eines kann ohne das andere nicht sein. Aber das ist das große Übel dieser Welt, daß das Böse das Gute überwiegt, so daß darin der Zorn stärker wurde, als die Liebe. Und die Ursache dafür ist die Sünde des Teufels und der Menschen, welche die Natur durch ihre falsche Begierde erregt haben, so daß sie mächtig im Grimm qualifiziert, wie ein Gift im Leib.

11.16. Ansonsten, wenn die Natur in ihren Gestaltungen im Gleichgewicht der Eigenschaften stünde, in gleicher Konkordanz (Übereinstimmung), dann wäre keine Eigenschaft vor der anderen offenbar. Hitze und Kälte wären in der Qualifizierung im Gleichgewicht, und so wäre das Paradies noch auf Erden, und wenn es auch nicht außerhalb des Menschen wäre, so aber im Menschen. Wenn seine Eigenschaften im Gleichgewicht ständen, dann wäre er unzerbrechlich und unsterblich.

11.17. Denn das ist der Tod und das Leiden der Menschen und aller Kreaturen, daß die Eigenschaften streiten und eine jede in sich selber erhebend und in eigenem Willen qualifizierend ist, dadurch Krankheit und Schmerz entstehen. Und dies alles ist daraus entstanden, weil sich das einige Element in vier Eigenschaften offenbart und beweglich (bzw. veränderlich) gemacht hat. Daraufhin hat eine jede Eigenschaft ihre Gleichheit begehrt, nämlich ein Wesen nach und aus sich, welches das herbe Schöpfen verdichtet und geronnen hat, so daß in den Eigenschaften Erde und Steine geboren wurden.

11.18. Nun ist uns aber hier die größte Heimlichkeit der äußeren Welt zu betrachten, zwischen den Elementen und dem Gestirn. Der elementische Geist ist vom Sternengeist unterschieden und doch nicht abgesondert. Sie wohnen ineinander wie Leib und Seele, aber keines ist das andere. Sowohl der Sternengeist als auch der elementische macht seine Verkörperung, und solches in allen Kreaturen, in lebendigen und wachsenden.

11.19. So haben alle Dinge dieser Welt einen zweifachen Leib, nämlich einen elementischen von Feuer, Luft, Wasser und Erde, und einen geistigen Leib vom Gestirn, wie auch einen zweifachen Geist vom Gestirn und den Elementen.

11.20. Der Mensch aber hat allein (unter den Irdischen) einen dreifachen Leib und Geist. Denn er hat auch die innere geistige Welt in sich, welche auch zweifach ist, als Licht und Finsternis, und zwar auch in Leib und Geist. Dieser Geist ist die Seele, und der Leib ist vom Wasser des heiligen Elements, das in Adam erstarb, das heißt, seines Lebens verblich, als die göttliche Kraft von ihm wich und nicht in der erweckten Eitelkeit wohnen wollte.

11.21. Dieser heilige Leib muß neugeboren werden, wenn sein Geist Gott schauen will. Anders kann er Ihn nicht schauen, er werde denn wieder aus dem Wasser des heiligen Elements im Geist Gottes neugeboren (der sich in Christus mit diesem Wasserquell offenbart hat), so daß sein verblichener Leib im heiligen Wasser und Geist lebendig werde. Sonst ist er in Gottes heiligem Leben unfühlend und unsehend.

11.22. Diese zweierlei äußerlichen Verkörperungen sind uns wohl zu erwägen, wenn wir die Natur verstehen wollen, und ohne dieses Verständnis sollte sich keiner Meister nennen. Denn in ihnen liegt das Regiment aller äußerlichen Kreaturen und Wesen, und sie sind einander oft widerwärtig (und feindlich), davon Krankheit, Verderben und Sterben im Körper entstehen, so daß sich einer vom anderen scheidet.

11.23. Der siderische Leib ist der höchste im Menschen, außer dem göttlichen. Und der elementische ist nur sein Knecht oder Wohnhaus, gleichwie die vier Elemente nur ein Leib oder Wohnhaus des Regiments der Sterne sind.

11.24. Der elementische Geist und Leib ist stumm und unverständig. Er hat nur Lust und Begierde in sich, und das Wachsen ist sein wirkliches Leben. Denn die Luft hat kein Verständnis ohne das Gestirn. Erst das Gestirn gibt das (weltliche) Verständnis des Unterschieds der Erkenntnis aller Wesen in den Elementen.

11.25. Aber das innere Licht und die Kraft des Lichtes gibt im Menschen das wahre göttliche Verständnis, denn im siderischen Geist ist kein wahrhaft göttlicher Begriff, weil das Gestirn ein anderes Prinzip hat. Und der siderische Leib wohnt im Elementischen, gleichwie die Lichtwelt in der Finsternis, und ist das wahre (bzw. wirkliche) verständige Leben aller Kreaturen.

11.26. Das ganze Gestirn ist nichts anderes als das äußerlich ausgesprochene Wort im Schall. Es ist das Werkzeug, dadurch das heilige ewig-sprechende Wort äußerlich spricht und formt. Es ist wie eine große Harmonie unerforschlicher vielerlei Stimmen, wie von allerlei Instrumenten, die vor dem heiligen Gott spielen.

11.27. Denn es sind nur Kräfte, die mit ihrer Wirkung ineinander gehen, davon es in der Essenz schallt. Und diesen Schall faßt die Begierde als das Schöpfen und macht ihn substantiell. Diese Substanz ist ein Geist der Sterne, den die Elemente in sich einfassen und gerinnen, und ihn ausbrüten, wie eine Henne die Eier. Daher kommt das wirkliche Verstandesleben in den Elementen, und so wird auch der siderische Geist in allen Kreaturen ausgebrütet und geronnen.

11.28. Denn Männlein und Weiblein säen einen Samen ineinander, und das ist nur ein Sulphur („Seele-Körper“) des Gestirns und der vier Elemente. Danach wird es in der Matrix (dem Mutterleib) ausgebrütet und zu einem lebendigen Geist geronnen.

11.29. Denn wenn sich das Feuer in der Matrix im gesäten Samen entzündet, dann scheidet sich der Geist abermals vom Leib, als ein Eigenes, gleichwie das Licht vom Feuer nach dem Recht der ewigen Natur. Und so werden zwei in einem offenbar, nämlich ein geistlicher Leib vom Gestirn und ein fleischlicher von den vier Elementen.

11.30. Und dieser siderische Geist ist die Seele der großen Welt, die am Punkt der Sonne hängt, und ihr Licht und Leben von ihr nimmt. Wie alle Sterne (bzw. Planeten) ihr Licht und ihre Kraft von der Sonne nehmen, so auch ihr Geist.

11.31. Die Sonne ist das Zentrum des Gestirns, und die Erde das Zentrum der Elemente. Sie sind zueinander wie Geist und Leib, oder wie Mann und Frau. Obwohl das Gestirn eine andere Frau hat, darin es sein Wesen ausbrütet, nämlich den Mond, denn dieser ist die Frau (bzw. das weibliche gebärende Wesen) aller Sterne (vor allem aber der Sonne), in der Essenz der Wirkung betrachtet.

11.32. Man sollte also nicht verstehen, daß das ganze Gestirn aus dem Punkt der Sonne entstanden sei, wenn ich sie das Zentrum der Sterne nenne. Sie ist das Zentrum der Kräfte, die Ursache, daß sich die Kräfte der Sterne in der Essenz bewegen. Sie eröffnet ihre Kräfte und gibt ihre Kraft in sie hinein, wie ein Herz der Kräfte, und in ihrer Essenz erfreuen sie sich, so daß sie in ihrer Essenz beweglich und begehrend werden.

11.33. Und eben darin besteht die große Heimlichkeit der Schöpfung, daß sich das Innere als Gott mit seinem ewig-sprechenden Wort, das es selber ist, so offenbart hat. Das Äußere ist ein Bild des Inneren. So ist Gott nichts Fremdes, denn in ihm leben und weben alle Dinge, ein jedes in seinem Prinzip und Grad.

11.34. Die äußeren Eigenschaften wohnen in sich selber im Äußeren, als im ausgesprochenen Wort, und sind ganz äußerlich, so daß sie in ihrem eigenen Vermögen die Kräfte der heiligen Welt nicht erreichen können. Doch die heilige Welt durchdringt sie, und sie wohnt auch in sich selbst. Aber im Punkt der Sonne ist die achte Zahl offen, als die ewige Natur, das ewige magische Feuer, und in diesem Feuer die ewige Tinktur, welche die neunte Zahl ist, und in der Tinktur das Kreuz, darin sich die Gottheit offenbart, welches die zehnte Zahl ist. Und jenseits dieser Offenbarung ist die ewige Vernunft (der universalen Intelligenz), als das Eine, und das ist Gott Jehovah, nämlich der Ungrund.

11.35. Nicht daß Gott geteilt sei. Wir reden nur von seiner Offenbarung, aus welcher Gewalt und Kraft die Sonne ihren Schein hat, und daß derselbe unwandelbar sei, so lange die Zeit währt, nämlich aus dem Glanz der feurigen Tinktur des ewigen, geistigen und magischen Feuers.

11.36. So hat der Glanz oder Schein der Sonne einen Grad tieferen Ursprung als die äußere Welt in sich offenbar ist. Dieses haben auch die weisen Heiden erkannt und die Sonne vor Gott geehrt, weil ihnen der wahre Gott, der jenseits aller Natur in sich selbst wohnt, nicht bekannt war.


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