Das Mysterium Magnum

(Text von Jacob Böhme 1623, deutsche Überarbeitung 2022)

6. Kapitel - Vom Wesen der Leiblichkeit

Siebente Gestaltung der Natur, Anfang und Ende (Mond/Saturn)

6.1. Wir erkennen, daß Gott in seinem eigenen Wesen kein Wesen ist, sondern nur bloß eine Kraft oder Vernunft (bzw. universale Intelligenz) zum Wesen, als ein unergründlicher ewiger Wille, in dem alles liegt, und der selbst Alles ist und doch nur Eines, aber sich zu offenbaren und in ein geistiges Wesen hineinzuführen begehrt, welches durch das Feuer in der Liebebegierde durch die Kraft des Lichtes (bzw. Bewußtseins) geschieht.

6.2. So ist doch das wahre göttliche Wesen nichts anderes als der offenbarte Ursprung oder die Formung der Kräfte und steht in der Begierde, das heißt, in der Liebebegierde, darin eine Kraft die andere im Geschmack, Geruch, Gefühl, Gehör und Sehen in der Essenz und Qualität der Eigenschaften erkennt, daraus das große (ganzheitliche) sehnliche Begehren entsteht. In diesen Eigenschaften wird der geoffenbarte Gott verstanden, wie in einer feurigen Flamme der Liebebegierde, darin ein reines Wohlschmecken, Wohlriechen, Gernhören, liebliches und freundliches Sehen und sanftes Wohltun oder Fühlen ist. Und das ist doch nur ein einziges geistiges Wesen, darin nur die Kräfte, die sich durch die Verdichtung in Eigenschaften hineingeführt haben und durch das Feuer im Licht offenbart werden, auf diese Weise in einem Liebesspiel in und miteinander ringen, gleich einem lieblichen Gesang, einer gebärenden Harmonie oder einem Freudenreich. So ist dieses nur des geoffenbarten Gottes Geist-Wesen, wie sich das kräftige allwesende Wort in seinem eigenen Selbstgebären aus sich offenbart, darin das Spiel der göttlichen Weisheit verstanden wird.

6.3. Wenn wir aber von himmlischer oder göttlicher Wesenheit reden wollen, darin sich die göttlichen Kräfte wieder in eine Formierung in einen äußerlichen Grad hineinführen, dann müssen wir sagen, daß sich die Kräfte des geformten und offenbarten Wortes in ihrer Liebesbegierde wieder in ein äußerliches Wesen hineinführen, nämlich entsprechend den Eigenschaften aller Kräfte, darin sie ihr Liebespiel wie in einem Gehäuse verbringen können, so daß sie etwas haben, damit und darin sie mit ihrem ringenden Liebespiel mit sich spielen. Und das wird nun so verstanden:

6.4. Wir wissen ja, daß eine mineralische Kraft in der Erde liegt, die von der Sonne angezündet wird, davon sie qualitativ zu quellen beginnt. So wird sie nach den Kräften der Sonne begehrend und zieht diese in sich, aber faßt sich in solchem Begehren selber und formt sich zu einem Körper, wie eine Wurzel oder dergleichen, aus welcher in dieser hungrigen Begierde ein solcher Leib oder ein Kraut auswächst, wie die erste Kraft war. In gleicher Weise formieren sich auch die offenbarten Kräfte Gottes in einen äußerlichen Grad, wie in ein Wesen oder eine Leiblichkeit, gegenüber dem Geist betrachtet, obwohl hier auch nur ein geistliches Wesen verstanden sein sollte. Doch gegenüber dem Geist der Kräfte erscheint es leiblich oder wesentlich, gleichwie das Wasser ein dickeres Wesen als die Luft ist. Denn die Luft durchdringt das Wasser, und ähnlich sind auch die göttlichen Kräfte und Wesen zu verstehen.

6.5. Die Kräfte stehen in einer öligen (brennbaren) Eigenschaft offenbar, aber die ölige steht (nach dem Verbrennen im Feuer) in einer wäßrigen Eigenschaft offenbar. Darum steht das Wesen der göttlichen Kräfte in einem geistigen Wasser, nämlich im heiligen Element, aus dem diese Welt mit vier Elementen nach einem äußerlicheren Grad geboren und in ein förmliches Wesen erschaffen wurde.

6.6. Und in diesem heiligen Element oder geistigen Wasser verstehen wir das heilige Paradies, in welchem die offenbarten Kräfte Gottes wirken. Dieses heilige Element war im Anfang dieser äußeren Welt durch die vier Elemente durchgedrungen und gegrünt, in welcher Kraft auch solche Frucht wuchs, darin die Eitelkeit des Grimms nicht offenbar war. Aber das verscherzte der Mensch, so daß das Grünen des heiligen Elements durch die vier Elemente und durch die Erde aufhörte, indem der Fluch der Eitelkeit im Quellen und Grünen aus der Erde offenbar wurde.

6.7. So verstehen wir in der siebenten Gestaltung der ewigen Natur das ewige Himmelreich, darin die Kraft Gottes wesentlich ist, welches Wesen vom Glanz und der Kraft des Feuers und des Lichtes geprägt wird. Denn der Glanz vom geistigen Feuer und Licht ist das wirkende Leben in diesem Geistwasser, nämlich im heiligen Element. Denn dieses Wasser, als das gefaßte Wesen der göttlichen Kräfte, ist webend, aber gegenüber den göttlichen Kräften ist es doch noch wie eine Unvernunft, denn es ist einen Grad äußerlicher, wie es auch ein jedes Wesen oder Körper unter dem (reinen) Geist ist. Das ölige Wesen ist der (wirkende) Geist des Wassers, nämlich des Wassergeistes (ähnlich dem brennbaren Kohlenwasserstoff). Und die offenbarten Kräfte Gottes sind der Geist des Öles oder öligen Geistes, und die ewige Vernunft (bzw. universale Intelligenz) des Wortes ist der Anfang der offenbarten Kräfte, und so kommt jeweils ein Grad aus dem anderen, und doch ist alles Wesen nichts anderes als der geoffenbarte Gott.

6.8. Wenn wir betrachten, was vor Zeiten dieser äußeren Welt im Reich dieser Welt für ein Leben, Weben und Regiment gewesen war, was doch die Ewigkeit ist, dann finden wir (im sehenden Geist), daß ein solches Leben, Weben und Regiment gewesen war und auch in Ewigkeit sein wird, wie oben beschrieben wurde.

6.9. Diese äußere vier-elementische Welt mit dem Gestirn ist eine Bildung der innerlichen Kräfte der geistigen Welt und wurde durch die Bewegung Gottes, als er die innerliche geistige Welt bewegte, ausgesprochen oder ausgehaucht und von der göttlichen Begierde der inneren Kräfte gefaßt und in ein Geschöpf hineingeführt, nämlich aus der inneren geistigen finsteren Welt und der heiligen Lichtwelt.

6.10. So ist diese äußere Welt wie ein Rauch oder Dunst vom Geistfeuer und Geistwasser, der aus beiden, sowohl aus der heiligen und dann auch aus der finsteren Welt ausgehaucht wurde. Darum ist sie gut und bös, und steht in Liebe und Zorn, und ist nur wie ein Rauch oder Nebel gegenüber und vor der geistigen Welt. Und sie hat sich mit ihren Eigenschaften wieder in Form der Kräfte zu einer Gebärerin hineingeführt, wie an Sternen, Elementen und Kreaturen, sowohl an wachsenden Bäumen und Kräutern zu sehen ist. Sie macht in sich mit ihrer Geburt ein anderes (drittes) Prinzip oder einen (zeitlichen) Anfang. Aber diese Gebärerin der Zeit ist ein Modell der ewigen Gebärerin, und so steht die Zeit in der Ewigkeit. Damit ist diese äußere Welt nichts anderes, als daß sich die Ewigkeit mit ihrer wunderlichen Geburt in ihren Kräften und Vermögen solcherart in einer Form oder Zeit schaut (sozusagen eine bestimmte Ebene des Bewußtseins).

6.11. Und wie wir nun erkennen, daß in der geistigen heiligen Welt ein Wesen ist, als ein faßbares Wesen, das im geistigen Sulphur, Mercurius und Salz steht, in einem öligen und wäßrigen Grund, darin die göttlichen Kräfte spielen und wirken, in gleicher Weise ist in der finsteren Welt eine solche Eigenschaft, aber alles widersinnig und widerwärtig, feindlich, neidig und bitter stachlig. Sie hat auch ein Wesen von ihrer Begierde, aber eine ganz rauhe wäßrige (bzw. eisige) Art, scharf und streng, gleich der Eigenschaft der rauhen harten Steine oder der wilden Erde, auch kalte oder hitzige, finstere oder feurige Eigenschaften, alles ein Gegensatz zur Liebe, auf daß erkannt werde, was Liebe oder Leid sei.

6.12. Damit sich das ewige Freudenreich in sich selbst erkenne, dazu muß die Schärfe der Qual eine Ursache des Freudenreichs sein und die Finsternis eine Offenbarung des Lichtes, auf daß das Licht offenbar sei, welches in dem Einen nicht sein könnte.

6.13. Damit ich aber dem Leser dies alles kurz und rund vermittle, nämlich die sieben Eigenschaften der ewigen Natur, welche drei Prinzipien oder Welten machen, so will ich ihm aus Liebe um der Einfalt willen die Gestaltungen noch einmal zusammengefaßt darstellen, als ein ABC zum Nachzusinnen.

Erste Gestaltung: Herb, Begierde (Anziehung)

6.14. Erkenne: Die Begierde des ewigen Wortes, welches Gott ist, ist der Anfang der ewigen Natur, und das ist die Fassung des ewigen Nichts in Etwas. Sie ist die Ursache aller Wesen, auch der Kälte und Hitze sowie des Wassers und der Luft, und die Formung der Kräfte, und eine Ursache des Geschmacks und die Mutter aller Salze (sozusagen von allen, was sich kristallisiert).

Zweite Gestaltung: Bitter, Stachlig (Haß, Abstoßung)

6.15. Die Beweglichkeit (bzw. Gegenbewegung) der Begierde des Anziehens ist die zweite Gestaltung der Natur, eine Ursache alles Lebens und Regens sowie der Sinne und Unterschiedlichkeit.

Dritte Gestaltung: Angst, Empfindlichkeit

6.16. Das ist die Angst als eine Empfindlichkeit und eine Ursache des Gemüts, darin die Sinne rege werden.

Vierte Gestaltung: Feuer, Geist, Verstand und Begierde

6.17. Das Feuer ist eine Ursache des wahren Geistlebens, darin die heiligen Kräfte der freien Lust von der herben Rauhigkeit erlöst werden. Denn das Feuer verschlingt in seiner Essenz das verfinsternde Wesen der Verdichtung und führt es aus sich heraus in geistige Kräfte des Lichtes.

Fünfte Gestaltung: Licht, Liebe

6.18. Das ist die heilige geistige Liebebegierde, dazu sich der heilige Wille Gottes in der strengen Verdichtung geschärft und durch das Feuer mit der Kraft der Allmacht offenbart hat. Dieser Wille führt sich nun durch das Feuer im Licht heraus, und hat sich so in den Kräften durch Leben und Bewegung in eine Begierde hineingeführt, darin die heilige Gebärung und das Freudenreich der großen Liebe Gottes steht und offenbar ist.

Sechste Gestaltung: Schall, Hall, Wort

6.19. Das ist der Schall des göttlichen Wortes aus den göttlichen Kräften, der sich in der Liebebegierde formt und in ein lautbares Wort aller Kräfte hineinführt, darin die Offenbarung des göttliches Freudenreichs in der freien Lust der Weisheit Gottes steht.

Siebente Gestaltung: Wesen, Gehäuse

6.20. Das ist das geformte Wesen der Kräfte, als eine Offenbarung der Kräfte. Was die ersten sechs Gestaltungen im Geist sind, das ist die siebente im begreiflichen Wesen, wie ein Gehäuse all der anderen oder ein Leib des Geistes, darin der Geist wirkt und mit sich selbst spielt. So ist er auch eine Speise des Feuers, davon sich das Feuer eine Essenz zu seiner Nahrung holt, darin es brennt. Und das ist der siebente (Geist), das Reich der Herrlichkeit Gottes, und diese sieben heißen wie folgt:

6.21. Die sieben Geister Gottes oder Kräfte der Natur, wie sich diese in Liebe und Zorn, im Himmlischen und Höllischen, sowie im Reich der Welt zeigen und offenbaren.

Offenbarung der sieben Geister Gottes oder Kräfte der Natur (in drei Prinzipien):

6.22. Günstiger Leser, verstehe den Sinn richtig und gut! Es hat nicht den Verstand, als wären die sieben Eigenschaften geteilt und eine wäre neben der anderen oder eher als die anderen. Sie sind alle sieben nur wie Eine, und keine ist die erste, zweite oder letzte, denn die letzte ist wieder die erste. Gleichwie sich die erste in ein geistliches Wesen hineinführt, so auch die letzte in ein leibliches Wesen, und die letzte ist der Leib der Ersten. Aber man kann im Stückwerk nur so reden, damit man es aufschreiben und für die Sinne entwerfen kann, dem Leser zum Nachsinnen. Sie sind allesamt nur die Offenbarung Gottes, nach Liebe und Zorn, nach Ewigkeit und Zeit.

6.23. Aber dieses ist wohl zu erkennen, daß eine jede Eigenschaft auch wesentlich ist. Im Himmelreich ist dasselbe Wesen untereinander wie ein (ganzheitliches) Wesen, und es ist ein Mysterium, aus welchem himmlische Gewächse aus der Eigenschaft jeder Kraft wachsen. Gleichwie die Erde ein Mysterium aller Bäume und Kräuter ist, sowie des Grases und der Würmer, und die vier Elemente ein Mysterium aller Lebewesen sind, und das Gestirn ein Mysterium aller Wirklichkeit in den Lebewesen und Wachsenden.

6.24. Eine jede Eigenschaft ist für sich selbst wesentlich, hat in ihrem Wesen auch das Wesen der anderen sechs Gestaltungen und bewirkt das Wesen der anderen Gestaltungen durch ihr eigenes Wesen wesentlich, wie wir dies an Erde und Steinen sehen, besonders auch an Metallen, darin oft in einer Verbindung aller sieben Metalle ineinander liegen, und nur eine Eigenschaft die Oberste ist, welche die anderen alle in sich gerinnt und gefangenhält. So ist jeweils eine mehr offenbar als die andere, je nachdem eine jede Eigenschaft in einem Ding stark ist. So ist es auch in den Wachsenden zu verstehen, so daß in einem Kraut oder Holz oft Herb oder Sauer ist, bitter Ängstlich oder schweflig Feurig, süß Lasch oder Wäßrig.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter