Von der Gnadenwahl

(Text von Jacob Böhme, am 8. Februar 1623 vollendet, deutsche Überarbeitung 2021)

Vorrede des Verfassers an den Leser

1. Wenn der Verstand von Gott reden hört, was er nach seinem Wesen und Willen sei, dann bildet er sich gern ein, daß Gott etwas Fernes und Fremdes sei, der außerhalb der Orte dieser Welt hoch über den Sternen wohne und deshalb nur durch seinen Geist mit einer allgegenwärtigen Kraft im Ort dieser Welt regiere. Und seine Majestät der Dreifaltigkeit, in der Gott besonders offenbar sei, wohne im Himmel außerhalb des Ortes dieser Welt.

2. Und daher fällt er auch in einen kreatürlichen Wahn, als ob Gott etwas Fremdes sei und vor Zeiten der Schöpfung der Kreaturen und dieser Welt einen Ratschluß in sich selbst durch die Weisheit in seiner Dreiheit gefaßt habe, was er machen wollte und wozu alles Wesen entstehen solle. Und so habe er in sich selber einen Vorsatz geschöpft, wohin er ein jedes Ding ordnen wollte.

3. Daraus ist der umstrittene Wahn vom (schicksalhaften) Ratschluß über die Menschen entstanden, als hätte Gott aus seinem Vorsatz einen Teil der Menschen zum Himmelreich in seine heilige Wonne auserkoren und den anderen Teil zur ewigen Verdammnis, in denen er seinen Zorn offenbaren wollte, und hingegen an den anderen Auserwählten seine Gnade. Und so habe Er aus seinem Vorsatz einen Unterschied gemacht, seine Macht in Liebe und in Zorn sehen zu lassen. Und deswegen müßten alle Dinge notwendig also geschehen, und der Teil des Zorns aus Gottes Vorsatz werde so verhärtet und verworfen (bzw. versündigt), daß keine Möglichkeit mehr zur Gnade Gottes sei, hingegen in dem anderen keine Möglichkeit zur Verdammnis.

4. Und obwohl die Heilige Schrift mit fast ähnlichen Sprüchen redet, in die auch der kreatürliche (unterscheidende) Verstand mit einstimmt, der nicht erkennt, was Gott ist, so redet sie doch anderseits viel mehr vom Gegenteil, nämlich daß Gott nichts Böses wolle oder aus seinem Vorsatz gemacht habe. Um diese beiden Gegensätze wieder zu vereinen, wollen wir nun dem christlichen unparteiischen Leser, den Suchern des Grundes und den Liebhabern der Wahrheit, eine kurze Andeutung zum Nachsinnen geben, wie das eigentlich im Grunde zu verstehen sei und mit wahrer (ganzheitlicher) Vernunft ergründet werden kann. So wollen wir ihm unsere empfangenen Gaben, wie sie in Gnade des höchsten Gutes ergriffen wurden, wohlmeinend zur Erwägung darstellen. Nicht mit der Meinung, jemanden dadurch anzugreifen oder wegen seiner ergriffenen Meinung zu verachten, sondern zu christlicher und brüderlicher Vereinigung unserer Gaben, die wir untereinander aus göttlicher Gnade empfangen haben.

5. Wie die Äste und Zweige eines Baumes einander nicht in allen Dingen förmlich gleichen und doch in einem Stamm stehen und einer dem anderen Wesen und Kraft gibt und einführt, und sich auch alle an einem Stamm erfreuen, blühen und Frucht tragen, und keine Mißgunst wegen der Stärke und Ungleichheit ist, und ein jeder Ast zu seiner Frucht und Ernte arbeitet, so kann es wohl auch mit unseren ungleichen Gaben geschehen. Dazu sollten wir unsere Begierde in die rechte wahre Mutter, als in unseren Stamm, hineinführen. Ein Ast des Baumes sollte dem anderen immerdar seine Kraft in gutem Willen geben, und wir sollten uns nicht in eine Ichheit und eigene Lust in eigener Liebe, nämlich in überheblichen Stolz hineinführen. Auch keine Willkür über unsere Mutter hegen, in der wir stehen, und über alle ihre Kinder erhoben und ein eigener Baum sein wollen, noch des Teufels Gift der Eigenheit und der falschen magnetischen Impression (der illusorisch anhaftenden Einbildung) in uns nehmen, daraus Streit und Widerwillen, auch Spaltungen und Trennungen entstehen. Denn wenn sich je ein Zweig des menschlichen Baumes vom anderen abtrennt und ihm sein Wesen und seine Kraft nicht gönnt, oder auch für abtrünnig und falsch verleumdet, sich aber selber auch nur wie ein abtrünniger Zweig seinen Brüdern im falschen Schein darstellt und von ihnen entsprechend erkannt wird, dann entstehen daraus die vielen Streitigkeiten unter den Menschen.

6. Denen allen wollen wir andeuten, was des Streites Ursprung sei und woraus die Meinungen und Spaltungen natürlich entstehen, auch was der wahre Grund der Einigen Religion sei, daraus so viel Meinungen und Spaltungen entstanden sind und woher das Gegensätzliche der Welt hergekommen sei, um den göttlichen Willen nach Liebe und Zorn besser und gründlicher zu verstehen.

7. Der liebhabende Leser sei aufgerufen, sich in göttlicher Demut in Gott und der Gemeinschaft seiner Brüder wie die Äste an einem Einigen Baum zu versenken. Dann kann er unseren empfangenen tiefen Sinn und Begriff wohl ergreifen und von allen Irrungen in die wahre Ruhe eingekehrt werden, in der alle Dinge im Wort und der Kraft Gottes innerlich ruhen. So empfehlen wir ihn der wirkenden Liebe im Wesen Christi und unserem wohlgemeinten Willen und der Begierde in seinem Willen. Amen.

1. Kapitel - Der Einige Gott

Eine Einführung zum Einigen Willen Gottes und des Wesens seiner Offenbarung. Was der Einige Gott sei.

1.1. Gott spricht in Moses zum Volk Israel in einer offenbarten Stimme. Mit dieser Stimme offenbarte er sich aus seiner Verborgenheit in einen hörbaren Schall auf formhafte kreatürliche Art, so daß ihn die Kreatur wahrnehmen konnte. Und Moses hörte: »Ich, der Herr, dein Gott, bin ein Einiger Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir ehren. (2.Moses 20.3 / 5.Moses 6.4)« Und Moses sagt auch: »Der Herr unser Gott ist ein zorniger, eifriger Gott und ein verzehrend Feuer.« Aber an anderem Ort: »Gott ist ein barmherziger Gott.« Oder auch: »Sein Geist ist eine Flamme der Liebe (5.Moses 4.24/31)«.

1.2. Diese aufgezählten Sprüche scheinen im Widerspruch zu stehen, wenn sich Gott einen zornigen Gott und ein verzehrend Feuer nennt und dann wieder eine Flamme der Liebe, der doch nichts als nur gut sein kann, sonst wäre er nicht Gott als das Einige Gute.

1.3. Denn man kann von Gott nicht sagen, daß er dies oder das sei, böse oder gut, so daß er in sich selber Unterschiede habe. Denn er ist in sich selbst naturlos, sowohl affekt- und gestaltlos. Er hat keine Neigung zu etwas, denn es ist nichts vor ihm, dazu er sich neigen könnte, weder Böses noch Gutes. Er ist in sich selbst der Ungrund, ohne einen Willen gegen die Natur und Kreatur, wie ein ewiges Nichts. Es ist keine Qual (oder auch Qualität) in ihm, noch etwas, das sich zu ihm oder von ihm neigen könnte. Er ist das Einige Wesen, und nichts ist vor ihm oder nach ihm, daran oder darin er sich einen Willen schöpfen oder fassen könnte. Er hat auch nichts, das ihn gebärt oder gibt (erschafft). Er ist das Nichts und das Alles, und ist ein Einiger Wille, in dem die Welt und die ganze Schöpfung liegt. In ihm ist alles gleich-ewig ohne Anfang, in gleichem Gewicht, Maß und Ziel. Er ist weder Licht noch Finsternis, weder Liebe noch Zorn, sondern das ewige Eine. Darum sagt Moses: »Der Herr ist ein Einiger Gott.«

1.4. Dieser unergründliche, unfaßliche, unnatürliche und ungestaltete Wille, welcher nur Einer ist und nichts vor sich noch hinter sich hat, welcher in sich selbst nur Eines ist, welcher wie ein Nichts und doch Alles ist, der ist und heißt der „Einige Gott“, der sich in sich selbst erfaßt und findet und „Gott“ aus Gott gebiert.

1.5. Nämlich so: Der erste anfangslose Einige Wille, der weder böse noch gut ist, gebiert in sich das Einige ewige Gute als einen faßbaren Willen, der des unergründlichen Willens Sohn ist und doch im anfangslosen Willen gleich-ewig. Und dieser zweite Wille ist des ersten Willens ewige Empfindlichkeit und Findlichkeit (Wahrnehmung und Bewußtsein), wenn sich das Nichts in sich selbst zu Etwas findet. Und das Unfindliche (Unbewußte), nämlich der unergründliche Wille, geht durch sein ewig Gefundenes aus und führt sich in eine ewige Beschaulichkeit seiner selbst.

1.6. Also heißt der unergründliche Wille „ewiger Vater“. Der gefundene, gefaßte und geborene Wille des Ungrundes heißt „Wesen (Ens)“, darin sich der Ungrund als ein Grund faßt. Der Ausgang des unergründlichen Willens durch den gefaßten Sohn oder auch das Wesen heißt „Geist“, denn er führt das gefaßte Sein aus sich heraus in ein Weben oder Leben des Willens, als ein Leben des Vaters und des Sohnes. Und das Ausgegangene ist die Lust, als das Gefundene im ewigen Nichts, wenn sich der Vater, Sohn und Geist innerlich sieht und findet, und es heißt „Gottes Weisheit oder Beschaulichkeit“.

1.7. Dieses dreifaltige Wesen (von Vater, Sohn und Geist) in seiner Geburt, in seiner Selbst-Beschaulichkeit der Weisheit, ist von Ewigkeit her gewesen und besitzt in sich selbst keinen anderen Grund noch Stätte als nur sich selbst. Es ist ein Einiges Leben und ein Einiger Wille ohne Begierde, und ist weder dick noch dünn, weder hoch noch tief. Es ist weder Raum, Zeit noch Stätte, besitzt auch in sich weder Dickes noch Dünnes, weder Höhe noch Tiefe noch Raum oder Zeit, sondern besteht durch Alles in Allem, und ist diesem Allem doch wie ein unfaßbares Nichts.

1.8. Gleichwie der Schein der Sonne in der ganzen Welt in Allem und durch Alles wirkt, kann dieses All der Sonne doch nichts nehmen, sondern muß sie ertragen und mit der Sonne Kraft wirken. Auf solche Weise kann auch Gott betrachtet werden, was er jenseits von Natur und Kreatur in sich selber sei, nämlich in einem selbstfaßbaren Chaos (einem Meer der Möglichkeiten) außerhalb von Grund, Zeit und Stätte, da sich das ewige Nichts in ein Auge oder ewiges Sehen zu seiner Selbst-Beschaulichkeit, Selbst-Empfindlichkeit und Selbst-Findlichkeit faßt (Selbst-Wahrnehmung und Selbst-Bewußtheit). Und so kann man nicht sagen, daß Gott selbst zweierlei Willen hat, wie einen zum Bösen und den anderen zum Guten.

1.9. Denn in der unnatürlichen und ungestalteten Gottheit ist nichts mehr als ein Einiger Wille, welcher auch der „Einige Gott“ heißt. Der will auch in sich selbst nichts mehr als nur sich selbst finden und fassen und aus sich selbst ausgehen, um sich mit dem Ausgehen in eine Beschaulichkeit (des sinnlichen Bewußtseins) zu führen. Darin kann man die Dreiheit der Gottheit samt dem Spiegel seiner Weisheit verstehen, nämlich dem Auge seines Sehens. Darin können auch alle Kräfte, Farben, Wunder und Wesen in der ewigen Einigen Weisheit in gleichem Gewicht und Maß ohne Eigenschaften verstanden werden, als ein Einiger Grund des Wesens aller Wesen. Wie auch eine in sich selbst gefundene Lust oder Begierde zu Etwas - eine Lust zur Offenbarung oder Findung von Eigenschaften, welche göttliche Lust oder Weisheit in sich selbst ist - im ersten Grund noch ganz ohne Eigenschaften ist. Denn wären da Eigenschaften, dann müßte auch etwas sein, das diese Eigenschaften gäbe und verursachte. Nun gibt es aber keine Ursache für die göttlichen Kräfte und für die göttliche Lust oder Weisheit, als allein der Einige Wille, nämlich der Einige Gott, der sich selbst in eine Dreiheit führt, als in eine Greifbarkeit (Wahrnehmbarkeit) seiner selbst. Diese Faßlichkeit ist das Zentrum als das ewige gefaßte Eine. Deshalb wird das Herz der Sitz des ewigen Willen Gottes genannt, wo sich der Ungrund in einem Grund besitzt, der die eigene Stätte Gottes ist, ohne Teilbarkeit oder Unterschiedlichkeit, auch ganz unermeßlich ohne jegliche Form oder Gleichheit, denn es ist nichts davor, mit dem es vergleichbar wäre.

1.10. Dieses Herz oder Zentrum des Ungrundes ist das ewige Gemüt als ein Wollen, und hat doch nichts vor sich, das es wollen kann, als nur den Einigen Willen, der sich in diesem Zentrum faßt. So hat auch der erste (ursprüngliche) Wille zu diesem Zentrum nichts, was er wollen könnte, als nur diese Einige Stätte seiner Selbst-Findlichkeit (Selbst-Bewußtheit). Also ist der erste Wille der Vater seines Herzens oder der Stätte seines Findens, und ein Besitzer des Gefundenen als seines eingeborenen Willens oder Sohnes.

1.11. Der unergründliche Wille, welcher der Vater und Anfang aller Wesen ist, gebiert sich in sich selbst zu einer Stätte der Greifbarkeit, besitzt diese Stätte, und diese Stätte ist der Grund und Anfang aller Wesen und besitzt wiederum den unergründlichen Willen, welcher der Vater des Anfangs zum Grund ist.

1.12. Also ist der Vater und sein Sohn, als die Stätte einer Selbstheit, ein Einiger Gott eines Einigen Willens. Und es ist dieser Einige Wille, der in der gefaßten Stätte des Grundes aus sich selbst aus der Fassung ausgeht, wo er mit seinem Ausgehen ein Geist genannt wird. So scheidet sich der Einige Wille des Ungrundes mit der ersten, ewigen und anfangslosen Fassung in dreierlei Wirkung (Vater, Sohn und Geist), und bleibt doch nur ein Wille. Also wirkt der erste Wille, der nun „Vater“ heißt, in sich den Sohn als die Stätte der Gottheit. Und die Stätte der Gottheit, welche des Vaters Sohn ist, wirkt in sich in der Findlichkeit (Bewußtheit) die Kraft der Weisheit. Diese Kräfte entstehen alle im Sohn, und doch sind hier alle Kräfte nur eine Einige Kraft, und die ist die empfindliche und findliche (bewußte) Gottheit in sich selbst, in einem Einigen Willen und Wesen und in keiner Unterschiedlichkeit.

1.13. Diese gefundenen (bewußten), geborenen und gewirkten Kräfte als das Zentrum aller Wesen Anfänge haucht der erste Wille, welcher Vater heißt, in der Empfindlichkeit seiner selbst aus der Einigen Kraft, welche sein Sitz oder Sohn ist, aus sich heraus. Das geschieht in gleicher Art, wie die Strahlen der Sonne aus dem magischen Feuer der Sonne aus sich herausschießen und der Sonne Kraft offenbaren. Also ist derselbe Ausgang ein Strahl der Kraft Gottes als ein bewegendes Leben der Gottheit, welches sich der unergründliche Wille in einen Grund hineingeführt hat, als in eine wallende Kraft. Dieselbe haucht der Wille zur Kraft aus der Kraft aus, und der Ausgang heißt der „Geist Gottes“ und macht die dritte Wirkung als ein Leben oder Weben in der Kraft.

1.14. Die vierte Wirkung (der göttlichen Selbsterkenntnis) geschieht nun in der ausgehauchten Kraft als in der göttlichen Beschaulichkeit oder Weisheit, da der Geist Gottes, welcher aus der Kraft entsteht, mit den ausgehauchten Kräften als mit einer Einigen Kraft mit sich selber spielt, da er sich in den Gestaltungen der Kraft in der göttlichen Lust hineinführt, gleich als wollte er ein Bild dieser Gebärung der Dreiheit in einen besonderen Willen und Leben hineinführen, wie eine Gestaltung der Einigen Dreiheit. Und dieses gestaltete Bild ist die Lust der göttlichen Beschaulichkeit (bzw. Selbst-Erkenntnis). Darunter soll man aber nicht ein greifbares geschaffenes Bild einer Abbildung verstehen, sondern die göttliche Imagination selbst als den ersten Grund der Magie, daraus die Schöpfung ihren Anfang und Ursprung genommen hat.

1.15. Auch wird in dieser (überbildlichen) Gestaltung oder magischen Fassung in der Weisheit das englische und seelische wahre Bild Gottes verstanden, zu dem Moses sagte: »Gott schuf den Menschen in seinem Bilde (1.Moses 1.27)« Das heißt: Er schuf ihn im Bilde dieser göttlichen Gestaltung nach dem Geist, und zum Bild Gottes nach der Kreatur der geschaffenen körperlichen Bildlichkeit. Also ist auch die Schöpfung der Engel zu verstehen, nämlich nach dem göttlichen Wesen aus göttlicher Weisheit. Der kreatürliche Grund aber soll im Folgenden angedeutet werden, darin die Eigenschaften liegen.

1.16. In dieser obigen Erklärung verstehen wir nun kurzgefaßt, was Gott jenseits von Natur und Kreatur sei, da er in Moses sprach: »Ich, der Herr, dein Gott, bin ein Einiger Gott.« Dessen Name heißt dem geistigen Sinn nach „Jehova“, weil sich diese göttliche Gebärung in den Kräften der Einigen Weisheit in ein gefaßtes Bildnis seiner selbst hineinführt, wie eine ergriffene Lust des Nichts in ein Etwas, oder auch das ewige Eine, welches irgendwann auf eine gestaltete Art entworfen werden möchte, nämlich mit einer solchen Bildung △ (der drei Wirkungen von Vater, Sohn und Geist). Obwohl es doch kein meßbares oder abgetrenntes Bild oder Wesen ist, sondern nur ein Nachsinnen des Gemüts.

1.17. Denn diese Selbst-Einbildung ist in sich weder groß noch klein und hat nirgends einen Anfang noch ein Ende, als nur dort, wo sich die göttliche Lust in ein Wesen seiner eigenen Beschaulichkeit hineinführt, nämlich in der Schöpfung. Aber in sich selbst ist diese Bildung unendlich und die Formung unumschrieben (unbestimmt und dauerhaft). Gleichwie die Einbildung des menschlichen Gemüts unermeßlich in dauerhafter Form besteht, weil sich unzählig viele sinnliche Vorstellungen in dem einen Gemüt gestalten und fassen können, die in der irdischen Kreatur doch meistens aus der Phantasie des weltlichen Sternen-Gemüts entstehen und nicht aus den Kräften des inneren Grundes göttlicher Weisheit.

1.18. Hier wollen wir nun den Leser daran erinnern, daß Gott in sich selber, soweit er „Gott“ jenseits von Natur und Kreatur heißt, nicht mehr als nur einen Einigen Willen habe, und der ist, daß er sich selber gibt und gebiert. Gott Jehova gebärt nichts als Gott. Das heiß: Es gebärt sich nur ein Vater, Sohn und Heiliger Geist in die Einige göttliche Kraft und Weisheit.

1.19. Gleichwie die Sonne nur einen einzigen Willen hat, und der ist, daß sie sich selber gibt und mit ihrer Begierde in allen Dingen ausdringt und wächst, und damit allem Leben Kraft und sich selber dahinein gibt. In gleicher Weise ist auch Gott jenseits von Natur und Kreatur das Einige Gute, das nichts als Gott oder das Gute geben kann noch will.

1.20. Er ist jenseits der Natur die größte Güte und Demut, darin weder ein Wille zu guter noch böser Neigung spürbar wird, denn es ist weder Böses noch Gutes vor ihm. Er ist selbst das Einige ewige Gute und ein Anfang alles guten Wesens und Willens. Es ist auch nicht möglich, daß etwas Böses in ihn eindringen könnte, soweit er das Einige Gute ist, denn er ist allen Dingen ein Nichts, die außerhalb von ihm sind (und eindringen könnten). Er ist eine in sich selbst wirkliche, wesentliche und geistige Kraft, die allerhöchste einfältigste Demut und Wohltat, nämlich ein Liebefühlen, Liebeschmecken und Wohlschmecken im Sinne der süßen Gebärung und ein Wohlhören und Gernhören.

1.21. Denn alle Sinne qualifizieren (und vereinen) sich in gleicher Harmonie, und es ist nichts, als nur ein liebliches Wallen des Heiligen Geistes in der Einigen Weisheit. Hier kann man nicht von einem „zornigen Gott“ sprechen, auch nicht von einem „barmherzigen Gott“, denn hier ist keine Ursache zum Zorn, auch keine Ursache für Barmherzigkeit, denn Er ist die Einige Liebe selbst, der sich in reiner Liebe in die Dreifaltigkeit hineinführt und gebiert.

1.22. Der erste Wille, der „Vater“ heißt, liebt seinen Sohn als das Herz seiner Selbst-Offenbarung, weil er seine Findlichkeit (Bewußtheit) und Kraft ist. Wie die Seele den Leib liebt, in gleicher Weise ist auch der gefaßte Wille des Vaters seine Kraft und sein geistiger Leib als das Zentrum der Gottheit oder des göttlichen Etwas, darin der erste Wille ein Etwas ist.

1.23. So entsteht der Sohn aus dem ersten Willen, nämlich aus des Vaters (Güte und) Demut, und begehrt deshalb wiederum so mächtig des Vaters Willen, denn ohne den Vater wäre er ein Nichts. Und er wird zu Recht des Vaters Lust oder Begierde zur Offenbarung der (Sinnes-) Kräfte genannt, nämlich des Vaters Geschmack, Geruch, Gehör, Gefühl und Sehen. Doch sollte man hier keine (absoluten) Unterschiede verstehen, denn alle Sinne liegen in gleichem Gewicht in der Einigen Gottheit. Denkt nur, daß diese Sinne aus dem Grunde der Natur entstehen, indem der Vater diese Kräfte aus sich in eine Unterschiedlichkeit ausspricht.

1.24. Und der Heilige Geist wird darum heilig und eine Flamme der Liebe genannt, weil er die ausgehende Kraft aus dem Vater und Sohn ist, nämlich das bewegende Leben im ersten Willen des Vaters und im zweiten Willen des Sohnes in seiner (sinnlichen) Kraft, und daß er ein Gestalter, Wirker und Führer in der ausgegangenen Lust des Vaters und des Sohnes ist, als in der Weisheit.

1.25. Also, ihr lieben Brüder, ihr armen, von Babel verwirrten Menschen (durch himmelstrebende Gedankengebäude, die in begrifflicher Verwirrung enden), die euch durch des Satans Neid verwirrt hat, merkt dieses: Wenn man von drei Personen der Gottheit und vom göttlichen Willen zu euch spricht, dann wisset, daß der Herr, unser Gott, ein Einiger Gott ist, welcher nichts Böses wollen kann noch will. Denn wollte er etwas Böses und dann auch etwas Gutes in sich selbst, dann wäre eine Trennung in ihm, und so müßte auch etwas sein, das eine Ursache dieses Gegensatzes wäre.

1.26. Weil aber nichts vor Gott ist, so kann ihn auch nichts zu etwas bewegen. Denn wenn ihn etwas bewegte, dann wäre es eher und größer als er selber. Könnte es geschehen, daß Gott in sich selber uneinig und zertrennt wäre, dann müßte diese Bewegung aus einer anderen Ursache kommen, weil es sich sonst nicht bewegen könnte.

1.27. Wir aber sagen euch bezüglich des Einen, daß Gottes Wesen, soweit es der „Einige Gott“ heißt, jenseits von Grund, Stätte und Zeit in sich selbst wohnend verstanden und an keinem besonderen Orte mit einer besonderen Wohnung betrachtet werden sollte. Willst du aber wissen, wo Gott wohnt, so nimm Natur und Kreatur weg (bzw. schaue hindurch), dann ist Gott Alles. Nimm das ausgesprochene geformte Wort weg, dann siehst du das ewigsprechende Wort, das der Vater im Sohne ausspricht. So siehst du die verborgene Weisheit Gottes.

1.28. Sprichst du aber: „Ich kann nicht die Natur und Kreatur von mir wegnehmen (bzw. durchschauen), denn wenn das geschähe, so wäre ich ein Nichts. Darum muß ich mir die Gottheit durch Bilder so einbilden, weil ich sehe, daß in mir Böses und Gutes ist, wie es auch in der ganzen Schöpfung so verstanden wird.“

1.29. Dann höre, mein Bruder, wie Gott in Moses sprach »Du sollst dir kein Bildnis eines Gottes machen, weder im Himmel, auf Erden noch im Wasser oder in etwas... (2.Moses 20.4)«, um anzudeuten, daß Er kein Bild sei, auch keine Stätte zu einem Sitz bedürfe, und man Ihn nirgends an einem Ort suchen solle, als nur in seinem geformten ausgesprochenen Wort, nämlich im Bild Gottes, im Menschen selbst, wie auch geschrieben steht: »Das Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und Herzen. (Röm. 10.8)« Und das ist der nächste Weg zu Gott, daß das Bild Gottes (der Menschen) in sich selbst allen eingebildeten Bildern entsinke und alle Bilder, Gegensätze und Streitigkeiten in sich verlasse und dem eigenen Wollen, Begehren und Meinen entsage, um sich bloß allein in das ewige Eine als in die lautere Einige Liebe Gottes zu versenken und zu vertrauen, die Er durch Christo nach des Menschen Fall wieder in die Menschheit hineingeführt hat.

1.30. Dieses habe ich etwas weitläufig vorbereitet, damit der Leser den ersten Grund verstehen lerne, was Gott sei und wolle, und daß er nicht einen bösen und guten Willen in dem Einigen unnatürlichen und ungeschaffenen Gott suche, und damit er aus den (äußeren) Bildern der Schöpfung herausgehe, wenn er Gott, seinen Willen und sein ewig sprechendes Wort betrachten will, auch wenn er erkennen will, woraus Böses und Gutes entsteht, wegen dem sich Gott einen „zornigen und eifrigen Gott“ nennt, so daß Er sich dann zur ewigen Natur als zum ausgesprochenen, gefaßten und geformten Wort wende, und danach zur Natur als zur anfänglichen, zeitlichen (und vergänglichen) Natur, darin die Schöpfung dieser Welt liegt.

1.31. So wollen wir nun dem Leser weiter von Gottes Wort berichten, das Er aus seinen Kräften ausspricht, und ihm die Unterscheidung andeuten als (1.) den Ursprung der Eigenschaften, daraus ein guter und böser Wille entsteht, und (2.) zu welchem Ziel solches unvermeidlich sein müsse, und (3.) wie alle Dinge in der Unvermeidlichkeit stehen, und (4.) wie die Bosheit in der Kreatur entsteht.

Verwendete Quellen zur deutschen Überarbeitung

Von der Genaden-Wahl oder dem Willen Gottes über die Menschen, Jacob Böhme, 1682
De electione gratiae von der Gnaden-Wahl, Jacob Böhme, 1730
Jakob Böhmes sämmliche Werke, Band 4, Johann Umbrosius Barth, 1842


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