Vom dreifachen Leben des Menschen

(Text von Jacob Böhme 1620, deutsche Überarbeitung 2021)

12. Kapitel - Vom christlichen Leben und Wandel

Vom christlichen Leben und Wandel, und was dem Menschen in diesem Jammertal zu tun sei, damit er Gottes Werk wirke und dadurch das ewige höchste Gut erlange.

12.1. Dem Menschen ist in diesem Jammertal auf Erden nichts nötiger und nützlicher, als daß er sich selbst erkennen lerne, was er sei, von woher er kommt und wohin er will, was er werde und wohin er gehe, wenn er stirbt. Das ist einem jeden am nützlichsten zu wissen. Denn der äußere Wandel bleibt in dieser Welt, aber was das Herz faßt, das nimmt der Mensch mit.

12.2. Denn der Wille des Seelengeistes ist ewig, und was in den Willen des Seelengeistes eingefaßt wird, das nimmt die Seele mit, wenn sich Leib und Seele scheiden. Darum ist es uns not, daß wir nach etwas Gutem trachten, darin die Seele ihr ewiges Spiel verbringen könne und darin sie ihre Freude habe, denn die Werke unserer Seele folgen uns nach, und die Werke der Hände und des äußerlichen Geistes bleiben in dieser Welt. Denn die Seele ist in der Ewigkeit, und was sie sich hier macht und einbildet, das steht immer vor ihr, es sei denn, daß sie es wieder zerbricht. Dann ist es wie ein zerbrochenes Werk, mit dem sie kein Suchen mehr verbringt, weil sie davon weggegangen ist. Denn das Ewige schnitzt ein ewiges Modell, und das Zerbrechliche und Anfängliche schnitzt ein zerbrechliches Modell. So werden alle Dinge dieser Zeit in ihrem jeweiligen Modell stehen, und was der ewige Wille faßt, bekommt eine unzerbrechliche Bildung, falls er es nicht selbst (in der Zeit) zerbricht.

12.3. Darum ist es dem Menschen gut, daß er sich in diesem (vergänglichen) Leben das Beste erwähle, in dem er ewige Freude haben kann. Denn wenn du dir auch Schönheit und Ehre oder Reichtum erwählen wolltest, dann bist du doch deinen Brüdern und Schwestern, die in dieser Welt arm sind, damit unwert. Denn die Schönheit dieser Welt verachtet das Einfältige, und der Reichtum ringt dem Armen seinen Schweiß ab, und große Macht drängt und drückt den Niedrigen und Armen, und große Ehre verachtet das Einfältige und gleicht sich nicht dem Bedürftigen an.

12.4. Wenn dann in jenem (jenseitigen) Leben viele einfältige, elende und in dieser Welt verachtete, arme und mühselige Seelen erscheinen werden, dann wird in ihren Gestaltungen nicht viel Überheblichkeit, Schönheit und Begehren nach Macht und Ehre eingefaßt sein. Denn ihre Seelen haben sich in diesem Jammertal nur in die sanfte Liebe Gottes eingeschlossen und sich in das Einfältige und Niedrige hineinbegeben, und durften mit Macht, Pracht und großen Ehren keine Gemeinschaft haben, denn daran haben sie sich nie angeglichen.

12.5. Und wenn es dann so ist, daß die Seelen in jenem (jenseitigen) Leben Freude miteinander haben sollen und sich jeder des anderen Gaben und Tugenden erfreut, aber den Seelen ihr hier eingefaßtes Wesen in ihrem ewigen Willen als eine Bildung erscheinen wird, dann ist es uns ja ganz herzlich und inniglich zu betrachten, daß wir doch in dieser Welt weder Pracht und Hochmut, noch Geiz und Bedrängung des Armen in unsere Herzen fassen, denn wir können mit all diesem nicht in die (ganzheitliche) Gemeinde Christi eingehen. Sie nehmen uns nicht in ihre Gesellschaft, weil wir ein gegensätzliches Wesen haben.

12.6. Denn im Himmelreich ist nichts als eine Liebe und Eintracht. Ein jedes eignet dem anderen seine Liebe und Gunst an, und so freut sich ein jedes des anderen Gaben, Kraft und Schönheit, die sie aus der Majestät Gottes erlangt haben. Und alle danken Gott dem Vater in Jesus Christus, daß er sie zu Kindern erwählt und angenommen hat, denn die mächtige Kraft des Starken freut sich des Schwachen, daß Gottes Geist auch in ihm ist, und daß er auch in den Wundern im ewigen Willen ist.

12.7. Darum, ihr lieben Kinder und Brüder in Christus, laßt uns doch unsere Herzen, Sinne und Willen voller Demut in einer Liebe in dieser Welt zusammenschließen, so daß wir doch eins in Christus seien! Bist du zu Macht, Gewalt und Ehre hoch erhoben, dann sei demütig, verachte nicht das Einfältige und Arme! Bedenke, daß sie in jenem Leben neben dir in einer Hoheit sind. Bedänge nicht den Bedrängten, und betrübe nicht den Betrübten, daß solches seine Seele nicht einfasse und dir die Himmelspforten versperre. Bist du schön am Leib, dann sei nicht stolz, und verachte den nicht, der nicht deinesgleichen ist, so daß die Seelen deiner einfältigen Brüder und Schwestern einen Ekel an dir haben und dich aus ihrem Gemüt werfen. Sei demütig, so daß sich Bruder und Schwester an dir erfreuen und deine Schönheit zu Gottes Lob bringen, der so eine schöne, züchtige und demütige Kreatur geschaffen hat. Sei züchtig und freundlich mit Worten und Werken! Oh Reicher, laß deine Bächlein in das Haus des Armen fließen, damit seine Seele dich segne! Oh Gewaltiger, beuge nicht das Gericht, um dem Mächtigen zu gefallen, auf daß dich der Bedrängte in deiner Gerechtigkeit segne, denn so bist du auch in Christi Gemeinde. Bist du hoch, laß deinem Herzen keinen Raum zum Höhenflug! Demütige dich in die Gemeinde Christi, dann wird dich die Gemeinde segnen und in ihre Liebe fassen.

12.8. Oh, wie wohl geschieht dem Reichen und Gewaltigen, wenn ihn die geringe und einfältige Gemeinde Christi liebt und Gottes Heil wünscht! Oh, wie wohl geschieht einem Lehrer und Prediger, der ein wahrhafter Diener Christi ist, der seinen Schäflein, die ihm anvertraut sind, Christi Speise und Trank gibt und sie damit erquickt, so daß sich ihre Seelen in seinen Gehorsam geben, ihn von Herzen lieben und ihm alle Wohlfahrt wünschen! Oh, wie selig und leuchtend ist dieser in Christus und was für ein schöner Hirte ist er, denn seine Schäflein folgen ihm und er führt sie zum Erzhirten! Oh, wie übel steht der, dem sie aus Verdienst in der Wahrheit fluchen, denn von ihm wird das schöne Kleid weggenommen, und er zieht eine Lasterlarve an! Aber wer um der Gerechtigkeit willen verflucht wird, der dringt aus, wie das Gold aus dem Stein, und setzt Christi Marterkrone auf, an der sich alle heiligen Seelen an jenem Tag hoch erfreuen werden, weil er ein standhafter Jünger Christi geblieben ist, der nicht auf Ehre und Gewalt oder Geld und Gut gesehen hatte, sondern Christi Schafe wahrhaft geweidet hat.

12.9. Ihr lieben Brüder und Schwestern in der Gemeinde Christi, vertragen wir uns doch! Laßt uns doch ein wenig mit euch freuen! Wir lieben euch doch und reden aus dem Geist unserer Mutter. Wir wollen freundlich mit euch von unserer Mutter und von unserem Vaterland reden. Wir wollen von den großen Wundern reden, wie es uns allen untereinander ergeht. So wollen wir uns trösten, denn wir sind in einem fremden Land. Wir wollen uns bereden und alle einig werden, und wollen heim in unser Land, zu unserer Mutter gehen. Oh, wie wird sie sich freuen, wenn sie ihre Kinder sieht! Wir wollen ihr von den großen Trübsalen erzählen, die wir in Jericho hatten, und von der großen Gefährlichkeit wollen wir reden, als wir unter vielen bösartigen Tieren waren. Wir wollen von dem Treiber reden, der uns so lange gefangenhielt, und wollen erzählen, wie wir von ihm frei geworden sind. Laßt uns doch einig sein, damit unsere Mutter nicht betrübt werde und einen Ekel an uns habe!

12.10. Freut euch, ihr Himmel, mit uns, und du Erde jauchze, denn des Herrn Lob geht über alle Berge und Hügel! Er öffnet uns die Tür zur Mutter, damit wir eingehen. Wir wollen uns freuen und fröhlich sein, denn wir waren blind geboren und sind nun sehend geworden. Öffnet die Tore des Herrn, ihr Knechte Gottes, damit die Jungfrauen mit ihrem Spiel einhergehen. Denn es ist ein Reigen, in dem wir uns mit den Jungfrauen freuen und fröhlich sein sollen. Das sagt der Geist des Herzens und des Herrn.

12.11. Ihr lieben Menschenkinder, die ihr alle von Adam hergekommen und geboren seid in allen Inseln und Ländern, wo ihr auch wohnt oder welchen Namen ihr folgt, erkennt: Der Gott des Himmels und der Erde, der uns alle geschaffen und aus einem Leib gezeugt hat, der uns Leben und Atem gibt, der uns Leib und Seele erhält, der ruft uns alle in Eine Liebe! Ihr seid weit in die Irre gegangen, denn ihr seid dem Menschentand gefolgt, und der Teufel hat euch betrogen, so daß wir uns untereinander hassen, ermorden und anfeinden. Öffnet eure Augen und seht: Haben wir doch alle einen Lebensatem und sind aus einer Seele geboren. Wir alle haben einen Gott, den wir ehren und anbeten, und dieser Einige Gott hat uns alle geschaffen. Dazu haben wir einen Himmel, und der ist Gottes, und Gott wohnt darin. Und wir werden an jenem (Jüngsten) Tag alle zusammenkommen, die wir in Gott vertraut haben. Warum streiten wir so lange um Gott und seinen Willen?

12.12. Wenn wir unser Herz in ihn erheben und uns ihm in Gehorsam ergeben, dann sind wir alle in seinem Willen und es kann uns niemand herausstoßen. Wir stehen hier in diesem Leben in einem Acker und wachsen, und die Sterne und Elemente sind der Acker, in dem wir wachsen. Gott hat uns hineingesät, denn Adam war das erste Korn, das Gott selber säte, und aus diesem Korn wachsen wir alle. Wir sind alle von einem Samen, und so sind wir allesamt leibliche Brüder und Schwestern. Aber der Teufel hat Unkraut unter uns gesät. Er hat zwar keine Menschen gesät, denn das kann er in Ewigkeit nicht, sondern er hat uns verblendet und Stolz, Neid, Zorn, Geiz und bösen Willen in unser Gemüt gesät, um uns zu verderben. Denn er gönnte uns die Ehre nicht, daß wir an seiner Statt Gottes Kinder wurden, was er zuvor war. Denn er ist durch überheblichen Stolz, Zorn und Neid von Gott abgefallen, und hat sich von Gott abgewandt, und darum will er auch uns verführen, nur damit sein Reich größer werde.

12.13. Oh ihr lieben Kinder Gottes, traut dem Satan nicht, denn wo Gott seinen guten Samen sät, da kommt der Teufel hinterher und sät Unkraut hinein. Das seht ihr an Moses und der Lehre der Propheten, sowie an Christi Lehre, die alle den Weg Gottes in einer Liebe predigten und uns zum lebendigen Gott verwiesen, so daß wir von unseren bösartigen Fleischesgelüsten, von Lügen und Falschheit, von Unreinheit, von Geiz, Mord und Diebstahl weggehen sollen, in ein reines, züchtiges, demütiges und gottesfürchtiges Leben, und uns ihm als seine Kinder gänzlich anvertrauen und ihn als unseren Vater erkennen. Dann will er uns Regen und Segen an Leib und Seele geben, und will uns nach diesem Leben zu sich in sein Reich nehmen, wo wir alle von unserer Trübsal auf ewig erlöst sein werden.

12.14. So und nicht anders ist die Lehre von Moses, allen Propheten und auch von Christus, daß wir uns untereinander lieben sollen, wie ein Leben, und Gott in uns. Aber seht, was hat der antichristliche Teufel dahinein gesät? Er hat überheblichen Stolz und eigene Ehre mit Macht und Pracht hinein gesät. Er hat sich selber auf den Stuhl von Moses und den Propheten sowie in Christi Gewalt eingesetzt, und hat uns irre gemacht, so daß wir uns zertrennt haben. Er hat eine Wahl aufgeworfen und hat aus dem Geist Gottes, der sich doch im Menschen oft mit Wundern und großen Taten gezeigt hat, eine neidige Bosheit gemacht, als wenn der Geist Gottes ein Volk liebte und das andere haßte, als wenn er ein Geschlecht wollte und das andere nicht, nur damit er (der Teufelschrist und Satan) in Ehren und Wollüsten sitzt. Er hat unter den Völkern Krieg angestiftet, so daß die Völker uneins geworden sind. So sind sie in Meinungen geraten und haben Gott erzürnt, denn sie sind mit den Meinungen von Gott abgegangen. Also hat der Zorn über sie geherrscht und sie oft vertilgt, denn wo nichts Gutes ist, das will Gott in seinem Reich nimmer dulden, sondern er gibt es dem Zorn. Obwohl sie selber dahinein laufen und das Schwert wetzen, so daß ein Volk das andere gefressen hat.

12.15. Von der Welt her ist aller Zank und Krieg sowie Neid und Haß durch den Antichrist entstanden, der als ein Gott in Engelsgestalt geehrt sein will, aber in ihm steckt der Teufel. Diesen Antichristen seht ihr schon bei Kain und Abel, wie Kain um des Glaubens willen seinen Bruder erschlug. Denn Abel hatte sein Herz in Gott gesetzt und sich ihm ergeben, und den liebte Gott und nahm sein Opfer an. Kain aber hatte sein Herz in diese Welt gesetzt, und er wollte ein Herr auf Erden sein, und sein Mund gab Gott gute Worte, aber sein Herz steckte in irdischer Meinung. Er liebte den Geist des Mammons (verführerischen Reichtums) dieser Welt, und der Teufel schlüpfte in ihn hinein. So war auch sein Opfer Gott nicht angenehm, sondern der Rauch fuhr zur Erde, und der Teufel nahm sein Opfer an. Deshalb erschlug er seinen Bruder durch die Eingebung des Teufels und in falscher Meinung. Mit dieser Gewalt begehrte er Glanz und Ehre dieser Welt, während Abel die Liebe und Gnade Gottes suchte.

12.16. So seht, ihr lieben Völker auf Erden, ihr seid alle von einem Fleisch. Daß ihr euch aber zertrennt habt, das hat der Teufel durch den Antichrist angerichtet. Eure Gottesfurcht ist zu manchen Zeiten groß gewesen, doch ihr habt den Menschen allzu große Ehre angetan, zwar mit guter Meinung aus eurer Liebe als dankbare Leute für das Regiment des Heiligen Geistes, aber weil ihr den Menschen solche Ehre angetan habt, die allein Gott gehört (obwohl Gott zufrieden wäre, wenn sie auch in Gottes Liebe in Demut blieben), deshalb sind sie aus sich selbst in die Gelüste zeitlicher Ehre gegangen und haben sich gelüsten lassen, mit List und Betrug über euer Gut und eure Seelen zu herrschen. Und diese sind euch zum Fallstrick geworden, denn der antichristliche Teufel war in sie geschlossen und der Geist Gottes von ihnen gewichen, und so haben sie nicht mehr aus Gottes Geist gesprochen, sondern aus Pracht und Kunst. Dann mußten es fremde Sprachen tun, die das große Geheimnis (Mysterium Magnum) hervorbringen sollten.

12.17. Seht doch nun, ihr lieben Brüder, wie diebisch sie mit euch gehandelt haben! Sie haben sich über die Erde gesetzt und haben alle Gewalt, Macht und Ehre an sich gezogen. Sie haben Himmel und Hölle an sich gezogen und sich alle Gewalt zugemessen, und sie haben euch mit Scheinheiligkeit verblendet und aus Gott in Meinungen geführt, darin ihr nun irre geht. Sie haben euch zu Zank und Krieg verhetzt, so daß ihr einander ermordet und euer Vaterland verwüstet habt. Sie haben euch um Leib und Seele, sowie um Gut und Mut gebracht, und vorgegeben, ihr tut Gott einen Dienst damit, wenn ihr jene anfeindet, die nicht eurer Meinung sind. So wurdet ihr doch alle geblendet.

12.18. Seht nur, das sind eure Seelsorger, eure Geistlichen! Seht das Papsttum an, woraus ist es gewachsen? Aus dem Teufel zu Rom! Der hat Asien, Afrika, Syrien, Persien und Griechenland verursacht, daß sie durch seinen Trug abgewichen sind. Denn der antichristliche Pfaffenteufel hat die ganze Welt verblendet und nur in Traditionen und Meinungen gebracht und von der einhelligen Liebe abgewandt. Er hat einen Orden mit seiner Meinung heiliger gemacht als die anderen, und die Orden der hohen Stände für Geld verkauft. Welcher Orden viel eintrug, der mußte dem obersten Teufel viel geben, damit er doch fett und ein Herr auf Erden wurde. Der einfältige Laie wurde beredet, es wäre Heiligkeit, und betete so vor dem Drachen aus der Offenbarung, und suchte dort Ablaß. Oh, wie war der gemeine Mann an sie gebunden! Wer dagegenredete, wurde als ein Ketzer betrachtet, und man verbrannte ihn im Feuer. So handelte das einfältige Volk und meinte, sie täten Gott einen Dienst damit. Oh du einfältige Heiligkeit, du bist nicht schuld daran. Es wird dir auch an jenem Tag nicht zugerechnet werden, soweit du darin blind mitgegangen bist. Trotzdem werden dir an jenem Tag die heiligen Märtyrer vor Augen gestellt werden, denn du hast blind um Gott geeifert. Doch die teuren Märtyrer, die das Licht Gottes gesehen haben, werden dich darum nicht aus ihrer Gemeinde verwerfen, zumal du solches nicht erkannt hast, sondern so blind geführt worden bist.

12.19. Seht doch und erkennt, was (schon) der eifrige Wille vermag, wenn der Mensch mit allen Begierden in Gottes Willen geht, auch wenn er ihn noch nicht kennt und in fremder Meinung eifert, aber sein Herz in Gott gerichtet ist und unwissend ganz fest glaubt, es gefalle Gott so! In dieser Meinung sind unter des Antichrists Reiche große Wunder und Taten geschehen, denn dem starken Glauben ist kein Ding unmöglich. In diese Wunder hat sich der Antichrist eingewickelt und fast so viel Meinungen gemacht, als es Tage im Jahr gibt, daraus dann in den Gläubigen, die so in Blindheit durch ihre Meinung geglaubt haben, auch Wunder geschehen sind. Doch diese hat der Antichrist der (besonderen) Meinung zugeschrieben, obwohl doch die Meinung nicht einmal eine Mücke bewegt hat, sondern der feste und starke Glaube, der aus der Meinung in Gott gegangen ist, der hat die Wunder erweckt. Denn der Geist Gottes ist im (ganzheitlichen) Glauben und nicht in der (gegensätzlichen) Meinung, und der Glaube ist aus Gott. Denn die Seele richtet sich durch die Meinung in Gott und ergreift Gottes Geist. Die Meinung ist das Feuer, aber die Seele bleibt nicht im Feuer, sondern dringt heraus in Gott. Sie blüht aus dem Feuer, wie eine schöne Blume.

12.20. Die Meinungen waren in Gott zu dulden gewesen, und Gott verwarf sie nicht. So lange die Seele durch die Meinung Gott suchte, so lange stand auch die Kirche Christi in einem Regiment. Als sich aber der Teufel dahinein schloß und sich ein glänzendes Reich daraus machte, so daß die Pfaffen nur noch Ehre, Geist und Wollust darin suchten und die Menschen von Gott weg nur in ihre Werke führten, da wurden die Meinungen ganz blind, denn sie gingen selber von Gott weg in die Werke ihrer Hände und erdichteten Wege hinein. Darum ließ sie Gott auch gehen, weil sie sich von seinem Geist nicht ziehen lassen wollten.

12.21. Und darum sind Asien und Afrika sowie Griechenland selig zu schätzen, weil sie aus Menschenwerken wieder in den Einigen Gott eingegangen sind. Auch wenn sie am Reich Christi wohl blind gewesen waren, so ist doch ihr Gemüt in dem Einigen Gott geblieben, und sie in Eintracht, so daß man einander nicht so heftig um des teuren Namens Christi willen geschmäht und gelästert hat, wie es eben jene getan haben, die in der Finsternis ihrer Werke blind geführt worden sind. Sie haben nicht allein jene geschmäht, die von ihnen abgewichen sind, sondern sie haben sich selbst in ihren Meinungen gebissen und gelästert, wie die Hunde um einen Knochen, und haben den Laien verführt, der im Finstern tappend geht und nicht weiß, welche Meinung am besten ist. So hängt ihr an der Meinung, und seid Gott meineidig.

12.22. Doch wenn so ein einfältiger Mensch sterben muß, dann weiß er nicht, wo er seine Seele hingeben soll. Er hängt an seinen Werken und an der Meinung, und verläßt den Willen Gottes und bleibt so außerhalb von Gott. Wo meinst du nun, wird die arme Seele bleiben, wenn sie außerhalb von Gottes Willen ist? Siehe, wir wollen es dir sagen, denn wir erkennen es gewiß, denn der Geist unserer Mutter eröffnet es uns, so daß wir mit beiden Augen (körperlich und geistig) sehen.

12.23. Siehe, Christus spricht: »Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. (Matth. 6.21)« Siehe, die Seele, die in eine Meinung verwickelt ist, läuft damit zu dem Patron, der sie so belehrt hat und sucht ihn. Und wenn sie ihn nicht findet, dann stellt sie sich leidig und hat keine Ruhe, und schwebt so zwischen Himmel und Hölle, aber wollte dem Teufel gern entfliehen.

12.24. Darum hat es sich zugetragen, daß die armen Seelen öfters wieder in der Gemeinde oder sonst in Häusern, Feldern oder Kirchen erschienen sind und mit ihrem Gebet die Gemeinde um Hilfe angerufen und sich in die Orden begeben haben, und vermeinten so eine Linderung zu empfangen, daraus das Fegfeuer gemacht worden ist. Denn die Seele hat wirklich das Fegefeuer, solange sie nicht Gottes Willen erreichen kann. Und in solchem inbrünstigen Eingeben in die Meinungen ist sie durch die Meinung darin versunken, und doch in die stille Ewigkeit gekommen. Hier verstehen wir aber jene Seelen, die in ihren Meinungen so nach dem Reich Gottes imaginierten, und nicht des Betrügers Seelen, die ihren Nutzen und Wollust darin suchen. Diese sind alle beim Antichristen zum Huren, denn sie sind ihm mit Eid verbunden. Und wenn sie auch bei ihm zum Huren im höllischen Feuer sitzen, dennoch heucheln sie ihm noch und lästern Gott, als täte er ihnen Unrecht.

12.25. Denn was die Seele hier in dieser Zeit macht, darin sie sich verwickelt, und was sie in ihren Willen nimmt, dasselbe nimmt sie in ihrem Willen mit und kann es nach Änderung (und Zerbrechen) des Leibes nicht wieder loswerden, denn sie hat danach nichts mehr als dasselbige. Und wenn sie auch in dasselbige fährt und es entzündet und mit Fleiß sucht, so bleibt es nur eine Aufwicklung (und Verwicklung) desselben Wesens, und daran muß sich die arme Seele genügen lassen. Allein in der Zeit des Leibes kann sie etwas, das sie in ihren Willen gewickelt hat, wieder zerbrechen. Und das steht danach wie ein zerbrochenes Rad, das zerbrochen und zu nichts nütze ist. Und dahinein geht keine Seele mehr, und sie sucht auch nichts mehr darin.

12.26. So sagen wir euch, daß die antichristlichen Seelen nach dem Zerbrechen (bzw. Vergehen) des Leibes nicht die Tür Christi suchen, denn sie wissen auch nichts davon, weil sie nur von dem wissen, was sie hier eingefaßt haben. In dieser Meinung versinken die Seelen in tiefsten Grund, viel tiefer als sie ihn hier gefaßt haben. Denn was in derselben Meinung in vielen erkannt wird, was viele oder alle in derselben Meinung wissen, das weiß dann die Seele nur noch allein. Denn hier (in der Welt) ist sie ein Leib mit all denen, die derselben Meinungen sind, und sie haben ein Herz in vielen Gliedern, darin ein jedes sein Geschäft treibt. Das steht dann so (in der Seele allein) bis zum Gericht Gottes, und der wird es danach entscheiden. Dann werden alle Völker auf Erden vor ihm heulen und weinen, wenn sie den Richter erkennen werden, den sie hier verachtet haben.

12.27. Höre, du verfluchter Antichrist, was willst du antworten, warum du die Völker vom Glauben an Gott und von der Rechtfertigung des Leidens und Sterbens Jesu Christi in deine trügerische Scheinheiligkeit verführt hast, in Meinungen, nur für deinen überheblichen Stolz, deiner Ehre und deinen Geiz? Du hast sie beredet, daß sie sich, auch mancher in seiner Jugend und Unverstand, dir verpflichtet haben. Was hast du getan? Siehe, du hast getan, was Christus zu den Pharisäern sagte: »Wehe euch Pharisäer, die ihr Land und Wasser durchzieht, bis ihr einen Juden und Judengenossen macht! Und wenn ihr ihn gemacht habt, dann macht ihr ein Kind der Hölle aus ihm, doppelt mehr als ihr es seid. (Matth. 23.15)« Das tut auch der Antichrist.

12.28. Man meint zwar, daß man jetzt in Deutschland vom Antichristen und seinen Streitigkeiten weggegangen sei, aber so ist es noch nicht. Denn die den Antichrist jetzt verfluchen und ihm seine Schande unter die Augen stellen, sind auch aus des Antichrists Baum gewachsen und sind des Antichrists Bären und Wölfe, die ihn aussaugen und fressen. Denn der Geist dieses Prinzips hat sie dazu befohlen, und so müssen sie das tun, denn sie sind wie eine Posaune unter den sieben Engeln in der Offenbarung. So blasen sie in ein Horn und schallen, daß sich die Erde bewegt. Doch wenn danach der entsprechende Donner folgen wird, dann wird das Geheimnis des Reichs Gottes wieder offenbar, und unsere Gnadentür in Christus tut sich wieder auf, die der Antichrist versiegelt hat, denn er wird in den Abgrund gestürzt. Erkenne dies!

12.29. Denn die Meinungen um den Kelch und die Person Christi, die jetzt in Deutschland umgehen, sind auch aus dem antichristlichen Baum gewachsen, und sind des Antichrists Kinder, die er fein subtil einherführt. Oh, wie ist der Teufel ein Künstler! Werdet ihr nicht die Augen öffnen, dann währt es bis ans Ende.

12.30. Deshalb wird dem Einfältigen gesagt, daß er die Augen öffne, aber nicht auf Meinungen sehe. Denn in Meinungen stecken lauter Ketzereien. Auch wer in seiner Meinung eifert, durch die Meinung zu Gott eindringt und damit Gott und Himmelreich erlangt, der hat doch einen Schwanz vom Antichristen an sich hängen. Denn er eifert über andere und lästert und verfolgt sie, die nicht seiner Meinung sind. Das erkennt, ihr Fürsten und Oberen, und laßt euch nicht verführen! Treibt die Lehrer in die Kirchen, und gebietet ihnen den Willen Gottes aus Seiner Liebe zu lehren, aber macht sie nicht zu gewaltigen Herren! Gestattet ihnen nicht, Aufsätze zu machen, denn sie hängen sonst dem Geiz an, und in jedem Geiz steckt der Antichrist. Mach es, wie du willst, du hast ihn am Hals.

12.31. Seht zu, ihr Fürsten, daß ihr Männer hört, die aus Gott gelehrt sind, und nicht allein aus der Kunst. Denn wo große Kunst ist und das Herz nicht demütig zu Gott geneigt, sondern eigene Ehre und Geiz sucht, dort ist der allergewisseste Antichrist. Denn in der Kunst stecken der überhebliche Stolz und die eigene Ehre, welche die Welt regieren und viel haben wollen. Denen traut nicht, denn sie sind keine Hirten Christi.

12.32. Werdet ihr dem nicht folgen, was euch geoffenbart wird, dann wird der letzte Antichrist ärger sein als der erste, und es wird dazu kommen, daß ihn die Welt auf einen Haufen (kehren und) in den Abgrund werfen muß, welches ihnen Daniel und die Offenbarung genug zeigt, und wie auch wir erkannt haben, daß es ihnen so ergehen wird. Denn sie sind jetzt wie Besen und Ruten für den alten Antichristen, ihren Großvater. Aber ein anderer kommt, der sie auch gürten und ihnen die Wahrheit darstellen wird.

12.33. Erkennt es, ihr Kinder Gottes, das ist ein Zeichen des letzten Antichristen: In seinem Reich und seinen Meinungen verleugnet man den Leib und das Blut Christi, darin wir in Gott geboren werden. Erhebt eure Häupter und seht doch, denn eure Erlösung naht sich! Laßt euch nicht so verführen und einwiegen (bzw. einschläfern)! Seht nicht so mit fremden Augen, sondern öffnet eure eigenen und flieht vom Antichristen in den Geist Christi! Es ist nicht mehr als ein Einiger Weg, um in Christi Reich einzugehen, und so wird er vollbracht:

Eine Pforte: Der Weg durch diese Welt in Gottes Reich, und wie man ihn gehen soll

12.34. Ihr müßt aus eurem (gedanklich-gegensätzlichen) Verstand und aus dem körperlichen Geist ausgehen und eure Herzen, Sinne und das Gemüt gänzlich in den Gehorsam Gottes hineinführen, und euren Willen in Gottes Willen ergeben und keine eigenen Wege durch den Verstand erdichten oder fragen: „Wo ist Christus?“ Richtet euren Weg in Christus und erkennt gewiß, daß er in eurem Herzen ist. Ihm ergebt euch in großer Demut, werft all euer Tun und Vorhaben in seinen Willen und Gefallen, und denkt nicht anders, als daß ihr alle Zeit und Stunden vor dem klaren Angesicht Gottes steht und Christus in euch auf dem Regenbogen zur Rechten Gottes sitzt. Und denkt, daß ihr alle Augenblicke vor der heiligen Dreizahl steht, und daß Gott, die heilige Dreizahl, den Grund eures Herzens immer prüft und sieht. Und denkt, daß ihr in kein tiefes Sinnen oder Forschen eingehen müßt, als nur rein in seine Liebe und Barmherzigkeit. So denkt auch, daß ihr nimmermehr davon abgehen wollt, sondern ewig so darin bleiben.

12.35. Und dann denkt auch anderseits, daß ihr Gott den höchsten Wohlgefallen tut, wenn ihr eure Brüder und Schwestern in dieser Welt, wer immer sie sind oder wessen Namen und Meinung sie folgen, mit eurer Liebe sucht und in eure Herzen einschließt und für sie betet, um ihnen im Kampf gegen den Teufel zu helfen, und sie auch, wenn es möglich ist, fein demütig unterrichtet. Wenn sie das aber nicht annehmen wollen, dann zieht das Röcklein Christi an und geht ihnen mit gutem Beispiel voran. Seid ihnen dienstwillig, und vergebt ihnen, wenn sie euch beleidigen. Wenn sie euch schelten, dann segnet sie. Und wenn sie euch Gewalt antun und ihr es nicht zum Gutem wenden oder ihnen entfliehen könnt, dann laßt es geschehen und denkt, daß ihr hier nur Gäste seid. Entzieht eure Liebe niemandem, denn auch euer Gott, in dem ihr lebt, entzieht sich niemandem, der ihn sucht und begehrt. Seid auch dem Widersacher gewogen, damit er sich irgendwann bekehrt. In Handel und Wandel habt Gerechtigkeit lieb und bedenkt, daß ihr eure Werke in Gott betreibt. Wir müssen in dieser Welt in diesem mühseligen Jammertal mit Werben und Werken umgeben, und sollen uns nicht in Löcher, Klausen und Winkel verkriechen, denn auch Christus spricht: »Laßt euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie euren Vater in euren Werken preisen. (Matth. 5.16)« Tut alles von ganzem Herzen mit reinem Gemüt und denkt, daß ihr es Christus tut und daß es Christi Geist in euch tut. Seid alle Stunden bereit und des Bräutigams gewärtig. Gebt eurem Herzen keinen anderen Raum, auf irgendeine andere Meinung zu sinnen oder zu forschen. Viel Wissen ist euch kein Nutzen. Ein jeder lerne sein Werk, mit dem er seinen Leib ernährt, sei er ein Oberer oder ein Laie.

12.36. Der Obere lerne Gerechtigkeit und das Falsche vom Reinen zu unterscheiden, denn er ist Gottes Amtmann: Was er tut und richtet, das richtet er in Gott, und Gott durch ihn. Der Laie sei demütig und sittlich vor Gottes Ordnung. Geschieht ihm Unrecht mit Gewalt, so daß es nicht anders sein kann (weil es nicht zu ändern ist), der denke, daß er um der Wahrheit willen Unrecht erleide und daß es ihm in Christus vor Gott eine große Ehre ist.

12.37. Stellt euch in all eurem Wesen, Wandel, Handel und Tun allezeit das Gericht Gottes vor Augen, und denkt immer so, daß ihr hier unschuldig leben könnt. Denn diese Zeit ist kurz, und ihr steht hier in einem Acker im Wachsen. Seht zu, daß ihr eine gute Frucht Gottes werdet, an der alle Engel und Himmelsheere ein Wohlgefallen haben! Tragt auf niemanden einen Haß, denn wer Haß trägt, der lädt den Teufel zur Herberge ein. Seid nüchtern und mäßig! Laßt euch nicht von der Sucht dieser Welt übereilen, und wenn es geschieht, dann verharrt nicht darin, sondern geht alle Stunden aus dem Tod ins Leben. So kreuzigt euch selbst in rechter Buße und Umkehr vom Bösen.

12.38. Wenn man euch wegen eurer Gottesfurcht schmäht und übel nachredet, und sie damit lügen, dann freut euch zum Höchsten, daß ihr würdig geworden seid, um Christi Lehre und Ehre willen Schmach zu erleiden! Wenn es euch übel geht, dann verzagt nicht, sondern denkt, daß ihr in Gottes Willen seid, der euch nicht mehr auferlegen läßt, als ihr tragen könnt. Wendet eure Augen von Geiz, Hochmut und Pracht ab und gafft ihnen nicht gern nach, damit ihr nicht gefangen werdet. Denn der Teufel stellt seinen Vögeln mit Pracht und Hochmut nach. Geht nicht in sein Netz, sondern seid allezeit vorsichtig und niemals sicher, denn dieser Vogelsteller geht stets um euch und schaut, wo er einen fangen kann.

12.39. Wo man ehrliche Leute verspottet, da geht nicht hin. Macht euch ihrer Laster nicht teilhaftig. Laßt es nicht zu euren Ohren herein, damit der Teufel eure Herzen nicht mit dem Lachen der Torheit kitzle und ihr damit infiziert werdet! In Summe, ergebt euch Gott in Christus, und betet Gott den Vater im Namen und auf die Verheißung Christi um seinen Heiligen Geist an. Begehrt diesen auf Christi Verheißung, dann empfangt ihr ihn, denn er ist wahrhaftig, der es verhießen hat. Er lügt nicht, ihr bekommt ihn gewiß! Nur ergebt euch ihm gänzlich, das ist das Größte und Beste. Stellt alles in seinen Willen. Wenn ihr diesen habt, dann lehrt er euch wohl, was ihr tun und lassen sollt. Er lehrt euch reden, er gibt euch Mut und Vernunft, wie ihr euch verhalten sollt. Sorgt nicht um das Tun, wie ihr mit Leuten tun sollt (und was sie darüber denken), sondern befehlt ihm euer Tun, und er wird wohl in euch tun, was Gott gefällt. Und wenn er auch eiferte und Himmelsfeuer vom Herrn über die Gottlosen brächte, dann ist es ihm so gefällig, denn der Gottlose hat dies erweckt.

12.40. Geht nur in Gottes Kraft einher, so ist all euer Tun Gott wohlgefällig. Denn wenn sich einer in der Not seines Feindes ohne andere Begierde erwehrt, dann ist es Gott nicht zuwider, denn wem sein Haus brennt, der löscht es. Er hat doch auch Israel erlaubt, sich zu wehren. Wer aber einen Krieg anfängt und verursacht, der ist des Teufels Amtmann. Denn alle Kriege werden von Gottes Zorn getrieben, darin der Teufel wohnt. Gott selbst hat niemals einen Krieg angestiftet, denn er schuf uns in der Liebe, daß wir als liebe Kinder im Paradies in freundlicher Liebe beisammen sein sollten. Aber der Teufel mißgönnte uns das und führte uns in den Geist dieser Welt, der Kriege und alles Übel im Zorn Gottes erweckt, so daß wir uns selber anfeinden und ermorden.

12.41. Wie wir nun in diesem Jammertal so von Feinden umgeben sind und unter Dornen und Disteln wachsen, so können wir uns wohl wahrnehmen, doch wir sollen uns auch vor dem Feind hüten, den wir im Busen tragen. Er ist der ärgste, nämlich unser Gemüt mit den Sinnen, denn der Teufel hat auch sein Raubschloß darin, und es gehört große Mühe dazu, denselben auszutreiben. Er schlüpft oft in unser Gemüt und führt uns auf einem scheinheiligen Weg, so daß wir meinen, wir sind in Gott, und unser Weg sei richtig. Da sollen wir stets den Prüfstein bei uns haben, und das ist die holdselige Liebe zu Gott und Menschen.

12.42. Wir sollen nicht selber (eigennützig) ein Wohlgefallen an uns tragen, sondern so wandeln, daß Gott und Menschen wegen unserer Tugend ein Wohlgefallen an uns haben. Und wenn wir so in Gottes Liebe und Gerechtigkeit wandeln, und auch im Gehorsam des Glaubens, dann ziehen wir Christus an, der uns die schöne Perlenkrone aufsetzt, nämlich die Krone des großen ganzheitlichen Geheimnisses (Mysterium Magnum). Er krönt uns mit seiner Weisheit, so daß wir seine Wunder erkennen, in denen wir zuvor blind waren, wie es auch dieser Hand ergangen war, die vor der Zeit der Zehnerzahl, als sie noch in den Einern war, so einfältig (bzw. einäugig) in den Geheimnissen war, wie der Allergeringste. Aber wie das Gold durch das Feuer bewährt sein muß, so ist es auch ihr ergangen. Es hat an Anfechtungen nicht gefehlt, denn ein jeder wollte das einfältige Kind mit Füßen treten, als ihm zum erstenmal ein Kränzlein aufgesetzt wurde. Oh, welch große Mühe hatte der Teufel, als er es besudeln wollte, und wie geschäftig war er! Wenn ich mich daran entsinne, kann ich mich nur zuhöchst wundern und Gott zu Recht danken, der mich erhalten hat. Oh, wie trachtete der Teufel danach, daß er das Kränzlein zerreißen könne! Wie hetzte er den Antichristen auf, damit er diese Hand verfolgte und ein jeder ein Greuel darüber haben sollte.

12.43. Aber es ging dem Teufel wie mit Christus, als er den pharisäischen Antichristen erregte, so daß sie Christus kreuzigten. Dann dachte der Teufel: „Er ist ja weg, nun werde ich wohl Frieden vor seiner Lehre haben, die mir mein Reich zerstörte.“ So war es auch hier. Doch damit erweckte er erst den ernsten Sturm, und Christus stürmte ihm die Hölle und nahm ihn im Zorn gefangen. So wird ihm auch mit dieser Hand erst sein Rauchloch aufgemacht (vermutlich ein Raum voller Rauch der Illusion), welches er nicht wieder zumachen kann, bis zu seinem Gericht. Das schreiben wir dem Leser zu einem Beispiel, damit er wisse, was er auf diesem Weg (von der Welt) zu erwarten habe, nämlich nichts anderes als Spott und Verachtung.

12.44. Doch seid getrost, ihr lieben Kinder Gottes, helft nur getreulich und ritterlich zu ringen! Denn wir ringen alle in diesem Leben um eine Engelskrone, welche Herr Luzifer auf seinem Kopf hatte. Sollte der nicht zürnen, der Land und Königreich verloren hat, wenn ein anderer kommt und ihm seine Krone nimmt, ihn zu Boden stößt und gefangenhält? Ringt nur getrost, ihr lieben Brüder Christi, es geht um eine kleine Zeit, dann haben wir Zepter und Krone erlangt. Besser ein Herr, als ein gefangener Knecht! Das Leiden dieser Welt, wie es auch immer sein soll, ist nicht wert, daß es ein Leiden genannt wird, gegenüber der großen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Wir stehen hier zwischen Himmel und Hölle in einem Acker, und entweder wächst ein Engel oder ein Teufel aus uns. Wer nun das Himmelreich liebt und gern ein Engel sein wollte, der mag wohl auf sich achten, denn es ist schnell um einen Menschen geschehen. Du hast einen freien Willen: Wo du hingehst, da bist du, was du aussäst, das erntest du. Das laß dir gesagt sein!


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