Die drei Prinzipien Göttlichen Wesens

(Text von Jacob Böhme 1619, deutsche Überarbeitung 2021)

26. Kapitel - Die Herabkunft des Heiligen Geistes

Vom Pfingstfest, von der Sendung des Heiligen Geistes und von seinen Aposteln und Gläubigen. - Die heilige Pforte von der göttlichen Kraft.

26.1. So fragt der Verstand: „Wenn Christus mit dem Leib, den er am Kreuz aufopferte, so auffuhr, wann ist er dann mit seinem Leib verklärt worden? Oder wie ist sein Leib? Ist er jetzt so, wie ihn seine Jünger in den Himmel fahren sahen?“ Mein lieber Verstand, meine irdischen Augen sehen das nicht, aber die geistigen in Christus wohl. Die Schrift sagt: »Er ist verklärt ein Herr über Alles. (Apg. 10.36)« So wollen wir dir die Pforte der großen Wunder eröffnen, damit du siehst, wie wir sehen.

26.2. Siehe, als Gott der Vater (das Volk) Israel zum Berg Sinai in die Wüste geführt hatte und ihnen Gesetze geben wollte, in denen sie leben sollten, hieß er Moses auf den Berg zum Herrn steigen, aber die anderen Ältesten mußten fernbleiben und das Volk unten am Berg. So stieg Moses allein zum Herrn auf den Berg. Da erschien die Klarheit des Herrn, und am siebenten Tag rief er Moses und sprach mit ihm von allen Gesetzen, und Moses Angesicht (bzw. Wesen) wurde vom Herrn verklärt (und erleuchtet), so daß er vor ihm stehen und mit ihm reden konnte. (2.Mose 24.1) So geschah es auch dem Menschen Christus in der heiligen Dreifaltigkeit (Ternarius Sanctus), als er in seinen Thron aufgefahren war und am neunten Tage mit der Heiligen Dreiheit (Trinität) glorifiziert wurde.

26.3. Verstehe es recht: Nicht nur seine Seele in der Kreatur, sondern sein ganzer Leib oder fürstlicher Thron (wurde glorifiziert). Allda ging im Zentrum der Heiligen Dreifaltigkeit der Heilige Geist aus. Und du siehst klar, daß diejenigen, welche Christi Geist angezogen hatten, hoch erleuchtet wurden: Denn der Heilige Geist ging aus dem Zentrum der Heiligen Dreiheit aus, nämlich im ganzen heiligen Element Gottes, und wallte in der Barmherzigkeit Gottes. Und wie er im Leib von Jesus Christus triumphierte, so auch in seinen Jüngern und Gläubigen. Da gingen alle Türen der großen Wunder auf, und die Apostel sprachen mit den Zungen aller Völker. (Apg. 2.4)

26.4. So sieht man klar, daß der Geist Gottes alle Zentren aller Essenzen aufgetan hatte und aus allen sprach. Denn Christus war der Herr und das Herz aller Essenzen. Darum kam auch der Heilige Geist aus allen Essenzen und erfüllte die Essenzen aller Menschen, die ihre Ohren mit Begierde dahin wandten. In diese alle drang er ein, und ein jeder von ihnen hörte in seiner Essenz und Sprache den Geist Gottes aus den Jüngern reden. So wurde der Heilige Geist in allen leiblich geboren, die zuhörten und ihren Ernst allein darauf richteten. Sie alle wurden erfüllt. Denn der Geist drang ihnen durch das Herz, wie er aus dem Zentrum der Heiligen Dreiheit in den ganzen Leib und fürstlichen Thron von Jesus Christus drang und auch im Äußeren alles mit Klarheit erfüllte.

26.5. So wurde auch die Seele aller Heiligen erfüllt, so daß ihr ganzer Leib in allen Essenzen von der teuren Kraft lebendig gemacht wurde, die in Wunder und Taten ausging, die da geschahen. So wurde uns hier (1.) die Kraft des Vaters im Feuer in seiner strengen Allmacht auf dem Berg Sinai vorgestellt, und dann (2.) die stille liebliche Kraft des Sohnes Gottes (im Licht der Liebe) in der Liebe und Barmherzigkeit, damit wir sehen, daß wir im Vater in der Qual-Qualität des Feuers niemals so (heilig) hätten leben können: Darum zerbrach Moses die Tafeln, und das Volk fiel von Gott ab. (2.Mose 32.19)

26.6. Als aber jetzt die Sanftmut im Vater war, da hielt die Liebe den Zorn gefangen, und aus des Vaters Qual-Quell ging im Sohn ein ganz freudenreicher paradiesischer Quell aus, und der war der Heilige Geist im Wunder. Hier stand die teure Himmels-Jungfrau der Weisheit Gottes mit ihrem Perlenkranz in ihrer höchsten Zierde. Hier stand Maria in der Heiligen Dreifaltigkeit, davon der Geist der Alten wunderlich gesprochen hatte, und hier wurde Adam wieder ins Paradies eingeführt.

26.7. Weil wir aber von Christi Verklärung reden wollen und von seinem Leib, den er sichtbar und in der Gestalt, wie er auf Erden wandelte, in die Höhe geführt hatte, so müssen wir von der Gestaltung reden, nämlich wie die Liebe des Herzens Gottes den Zorn des Vaters versöhnt hat und ihn sogleich als gefangen in sich hält. So auch hat die Heilige Dreifaltigkeit den äußerlichen, harten (materiellen) und begreifbaren Leib Christi, nämlich das Reich dieser Welt, in sich gefaßt, als wäre er ganz verschlungen, obwohl er doch nicht verschlungen ist. Sondern die Qual-Qualität dieser Welt ist im Tod zerbrochen, und die Heilige Dreifaltigkeit hat den Leib Christi angezogen, nicht wie ein Kleid, sondern kräftig in den Essenzen. Und das ist, als wäre er verschlungen, allein für unsere Augen so zu denken, obwohl er doch wahrhaftig ist und am Jüngsten Tag wiederkommen und sich in seiner eigenen, hiergehabten Gestalt offenbaren wird, damit ihn alle Menschen sehen können, die Guten wie die Bösen, und er wird auch in dieser Gestalt das Gericht der Scheidung halten. Denn in seiner göttlichen glorifizierten Gestalt könnten wir ihn vor unserer Verklärung (bzw. Erleuchtung) nicht anschauen, und gleich gar nicht der Gottlose. Dann aber werden ihn alle Arten der Menschen sehen und erkennen, und die Ungläubigen werden darüber heulen und weinen, daß sie so von ihrem Fleisch und Blut in eine andere Qualität ausgegangen sind, obwohl sie in ihren eigenen Essenzen Gott hätten anziehen sollen und können. Doch so haben sie das grimmige Reich des göttlichen Zorns mit dem Teufel angezogen, und denselben in ihre Essenzen der Seele hereingelassen und sich selbst verdorben.

26.8. Also sagen wir, daß in der Seele Christi in ihren Essenzen die klare Gottheit ergriffen ist, nämlich das Licht (bzw. Bewußtsein) Gottes, und das hat den Zorn im Qual-Quell der Seele gelöscht. So verklärt (bzw. erleuchtet) das Licht die Seele, und so wird durch die Kraft des Ausgangs aus der Seele immer die Tinktur geboren, und das Schöpfungswort in den Essenzen macht es begreiflich und faßlich. Und das ist die Heilige Dreifaltigkeit (Ternarius Sanctus) oder die heilige Erde, und das ist das heilige Fleisch, denn Gott erleuchtet in diesem Leib Alles in Allem. (siehe Anhang 28.22/23)

26.9. Auf diese Weise wurde sein irdischer Leib in Gott verschlungen, obwohl er nie einen ganz irdischen Leib wie wir gehabt hatte, denn er war nicht vom Samen eines Mannes gezeugt. Sondern wir reden nur von der Begreifbarkeit und Sichtbarkeit für unsere Augen, nach denen er unser Bruder ist. Und er wird sich in unserer fleischlichen Gestalt in göttlicher Kraft am Jüngsten Tage wieder darstellen als ein Herr über alles. Denn alle Kräfte sind ihm im Himmel und in dieser Welt untertan, und er ist ein Richter über alles, ein Fürst des Lebens und Herr des Todes.

26.10. So ist das Himmelreich seines eigenen Leibes und des ganzen fürstlichen Thrones seines Prinzips ein Paradies, in dem die holdselige Frucht in der Kraft Gottes aufgeht. Denn der Heilige Geist ist die Kraft dieses Gewächses, wie die Luft (bzw. der Lebensatem) in dieser Welt. So ist der Heilige Geist die Luft und der Geist für die Seele in Christus und all seinen Kindern, denn es gibt keine andere Luft im Himmel im Leib Christi, und Gott der Vater ist Alles in Allem. Also leben und sind wir alle in Christus im Vater, und keine Seele forscht aus der Tiefe (des Qual-Quells), sondern wir leben alle in Einfalt, großer Demut und Liebe miteinander und freuen uns wie die Kinder vor ihren Eltern. Und zu diesem Ziel hat uns Gott auch geschaffen.

26.11. Also, meine liebe Seele, suche und aneigne dich in Christus, dann empfängst du den Heiligen Geist, der dir deine Seele neugebären und dich erleuchten, führen und leiten wird. Er wird dir Christus offenbaren. Laß nur ab von allem Menschen-Tand und Fündlein (interessante aber unnütze Dinge), denn das Reich Gottes ist dir nahe, ja es ist inwendig in dir, wie Christus selbst sagt (in Luk. 17.21). Und so halten dich nur dein eigener Unglaube und deine bösartigen Werke wie Geiz, Stolz, Neid, Zorn und Falschheit (Illusion) außerhalb von Gott, denn all dies ziehst du an, und so stehst du im Kleid des Teufels getrennt von Gott.

26.12. Wenn du aber all dieses ablegst und mit der Begierde deines Herzens in die Barmherzigkeit Christi eingehst, dann gehst du in den Himmel in Gott, den Vater, und wandelst im Leib Christi im reinen Element. Und der Heilige Geist kommt aus deiner Seele und führt dich in alle Wahrheit, und der alte verdorbene Mensch hängt dir nur noch an. Diesen wirst du im Tod zerbrechen und den Zorn des Vaters mit deiner Liebe in Christus in deiner Seele stillen, überwinden und gefangennehmen. So wirst du dann mit deinem neuen Menschen durch den Tod grünen und am Jüngsten Tag darin hervorgehen.

Die Pforte zu Babel, oder vom Ursprung der vielen Sekten und Streitigkeiten in der Religion

26.13. Wenn wir uns nun der vielen Sekten und Streitigkeiten in der Religion entsinnen, woher sie kommen und entspringen, dann ist das sonnenklar, und man findet diese tatsächlich im Werk, denn es werden große Kriege und Empörungen wegen des Glaubens angerichtet, und darin entstehen viel Neid und Haß, und ein jeder verfolgt den andern wegen seiner Meinung. Und wenn er nicht seiner Meinung ist, dann darf er wohl sagen, er sei des Teufels. Und das Allerelendeste ist, daß dies sogar durch die Gelehrten der Schulen dieser Welt geschieht.

26.14. So will ich dir, dem einfältigen Menschen, ihr Gift zeigen. Denn siehe, jedermann unter den Laien sieht auf sie und denkt: „Das muß ja recht sein, weil es unser Pfarrherr sagt. Er ist Gottes Diener, sitzt an Gottes Statt, und der Heilige Geist spricht aus ihm.“ Aber St. Johannes sagt: »Prüft die Geister! Denn man muß nicht jedermanns Lehre glauben. (1.Joh. 4.1)« Und Christus spricht: »An ihren Werken sollt ihr sie erkennen! Denn ein guter Baum trägt gute Frucht, und ein schlechter Baum trägt schlechte Frucht. (Matth. 7.16)« Und er lehrt uns treulich, nicht der Weissagung zu widerstreben, die aus Gott kommt, sondern an der Frucht sollen wir die Lehre prüfen.

26.15. Wir reden nicht von vollkommenen Werken des Körpers, der im Geist dieser Welt gefangen ist, sondern von ihrer Lehre, daß wir sie prüfen, ob sie aus Gott geboren ist. Denn wenn der Geist Lästerung und Verfolgung lehrt, so ist er nicht von Gott, sondern vom (egoistischen) Geiz und Hochmut des Teufels. Denn Christus lehrt uns, sanftmütig in einer brüderlichen Liebe zu wandeln. Damit können wir den Feind überwinden, dem Teufel seine Macht nehmen und ihm sein Reich zerstören.

26.16. Aber wenn man zu Schwert, Feuer und Verwüstung von Land und Leuten greift, da ist kein Christus, sondern der Zorn des Vaters, und der Teufel ist der Anfacher. Denn das Reich Christi läßt sich so nicht finden, sondern nur in der Kraft, wie das die Beispiele der Apostel Christi ausweisen, die nicht Rache lehrten, sondern sich verfolgen ließen und zu Gott beteten, der ihnen Zeichen und große Wunder gab, so daß die Völker haufenweise hinzukamen. So wuchs die Kirche Christi mächtig, so daß sie fast die ganze Erde überstrahlte. Nun, wer ist dann der Verwüster derselben? Siehe und öffne die Augen recht weit, es ist am Tag und muß an den Tag kommen, denn Gott will es wegen der Lilie haben: Es ist der überhebliche Stolz der Gelehrten!

26.17. Als der Heilige Geist mit Kräften und Wundern in den Heiligen sprach und sie kräftig bekehrte, da kamen die Menschen herzu, und sie erwiesen ihnen große Ehre, verneigten und verbeugten sich vor ihnen, als wären sie Gott. Nun, bei den Heiligen war es gut, denn man gab die Ehre Gott, und so wuchs die Demut und Liebe, denn es war alles eine freundliche Ehrerbietung, wie den Kindern Gottes gebührt und es sein soll.

26.18. Als aber die Heiligen ihre Lehre in Schriften faßten, damit man auch in ihrer Abwesenheit verstehen könnte, was sie lehrten, da kam auch die Welt dazu, und ein jeder wollte ein solcher Lehrer sein, und sie dachten nun, die Kunst stecke im Buchstaben. Da kamen sie gelaufen, neue und alte, die größtenteils nur im alten Menschen steckten und keine Erkenntnis von Gott hatten. Sie lehrten also nach ihrem Dünkel (bzw. Denken) entsprechend den aufgeschriebenen Worten und legten diese nach ihrem Gutdünken aus.

26.19. Und als sie sahen, daß man den Lehrern große Ehre erwies, da steckten sie im Ehrgeiz und Stolz, und dann auch im Geldgeiz, denn die Einfältigen trugen zu und meinten, der Heilige Geist steckte im Lehrer, obwohl doch der Teufel des überheblichen Stolzes in ihnen wirkte. So kam es dahin, daß sich ein jeder nach seinem Meister nannte: Einer wollte Paulisch sein, der andre Apollisch, der dritte Petrisch, und so fort. Und weil die Heiligen nicht alle einerlei Worte in Lehre und Schrift führten, obwohl es doch aus einem Geist kam, so fing der natürliche Mensch (welcher von Gott ohne Gottes Geist nichts weiß) allerlei Streit und Sektierertum an. So setzten sich allerlei Leute zu Lehrern ein, nicht alle um Gottes, sondern um zeitlicher Ehre, Reichtum und Wollust willen, damit sie gute Tage haben konnten, denn es war kein schweres Handwerk, dem bloßen Buchstaben so anzuhängen. Daraus entstanden Zank und Streit unter ihnen, so daß man sich gegenseitig aufs heftigste anfeindete. Und von ihnen war keiner aus Gott geboren, sondern ihre Eltern hielten sie zur Schrift an, damit sie Lehrer werden sollten, um durch sie große Ehre und gute Tage zu erleben.

26.20. Auf diese Weise trieb man es, so daß sich ein jeder den größten Zulauf machen wollte, und er bei den Leuten gesehen würde. Damit wurden diese „Mund-Christen“ immer mehr, so daß man die herzliche Begierde zu Gott vergaß und auf die Mund-Pfaffen sah, welche nur Streit und Zank anrichteten. Ein jeder brüstete sich mit seiner Kunst, die er in der Schule gelernt hatte, und rief: „Da ist Christus! Lauft hierher, denn so hat Paulus geschrieben!“ Der andere sagt: „Nein, lauft dorthin, dort ist Christus, denn so hat Petrus geschrieben! Er war ja Christi Jünger und hatte den Schlüssel des Himmelreichs. Es kann in mir nichts falsch sein, deshalb folgt mir nach, denn alle anderen betrügen euch!“

26.21. So sah das arme und unverständige Volk auf die Mund-Pfaffen und Geizhälse, welche nur Larven-Pfaffen waren (die eine Maske trugen), und so verloren sie ihren lieben Immanuel, den Christus in ihnen, von dem der Heilige Geist ausgeht, der den Menschen in alle Wahrheit leitet und führt. Und der sie am Anfang mit Kraft und Wunder geboren hatte, der mußte nunmehr eine Historie sein, und sie wurden nur Historien-Christen. Solange die Apostel lebten und ihre wahrhaften Jünger, wehrten sie diesem und straften das, um den wahren Weg zu weisen. Doch wo sie nicht waren, da verbreiteten die Historien-Pfaffen Irrtum, wie genug an den Ephesern zu sehen war. (Apg. 19.32, Eph. 4.14, Offb. 2.2)

26.22. Auf diese Weise wuchs das Reich Christi nicht allein in der Kraft, sondern meistenteils in der Historie. Die Heiligen, die in Christus geboren waren, mußten das oft mit ihren großen Wundern bestätigen, und die Baals-Historien-Pfaffen bauten dann immer etwas darauf, mancher etwas Gutes zu guten Sitten und Tugenden, mancher nur Dornen und Disteln zu Krieg und Streit, und mancher zu großer Ehre, Amtswürde und Herrlichkeit, die man der Kirche Christi und ihren Dienern antun sollte, wie das am Papsttum genug zu sehen ist, aus welcher Wurzel es wuchs. Und es war des Treibens so viel! Besonders mischte man die jüdischen Zeremonien mit ein, als ob die Rechtfertigung des armen Sünders darin steckte, weil es ein göttliches Gesetz wäre. Wie auch die Apostel das erste Konsilium aus diesem Grund zu Jerusalem hielten, obwohl doch der Heilige Geist beschloß, man sollte nur an Christus in rechter Liebe untereinander hängen, und das allein wäre die Rechtfertigung vor Gott.

26.23. Aber es half nichts, der überhebliche Stolz wollte seinen (Herrscher-) Stuhl erbauen und sich über Christus setzen. Der Teufel wollte Gott sein, und sie machten Glossen (Interpretationen des Bibeltextes), wie sie das zuwege bringen könnten, damit es der Einfältige nicht merke. Da mußte der Schlüssel von Petrus Statthalter sein, und sie legten sich mit diesem Schlüssel göttliche Gewalt zu und achteten die göttliche Kraft in Wundern und Taten nicht mehr. Denn sie wollten auf Erden reich und fett sein, und nicht arm mit Christus, der in dieser Welt (wie er selbst bezeugte) nichts hatte, wo er sein Haupt hinlegte. Doch solche Christen in Kraft und Wunder wollten sie nicht sein, gleichwie Adam, der wollte auch nicht in dieser Kraft leben, sondern in einem großen Haufen (persönlicher Anhäufung), damit er (viel) zu fassen hatte. So sieht man hier wahrlich unser Elend, in das uns Adam führte, so daß unsere Essenzen immerfort nach dem Geist dieser Welt greifen und sich allein mit großen Haufen füllen wollen, davon Adam und uns allen ein solch angeschwollener und tölpischer Leib in Krankheit und stetem Widerwillen entsteht.

26.24. Als nun die historische Christenheit neben den wahrhaften Christen wuchs, da stand das Zepter allezeit bei den Gelehrten. Diese erhoben sich und machten sich mächtig, und der Einfältige gab ihnen alles Recht. Und weil gleichwohl eine Begierde zum Reich Gottes im Menschen gefunden wurde, nämlich das edle Wort Gottes, welches sich in der Verheißung ins Lebenslicht eingebildet hatte und durch Christus lebendig wurde, das sie doch ebenfalls trieb, so daß sie Gott fürchten sollten, dafür baute man große steinerne Häuser, rief jedermann dahin und sprach, der Heilige Geist wäre hier kräftig und man müßte hier hineingehen. Und sie glaubten wohl auch, als sie sich bösartig und falsch benahmen, der Heilige Geist wäre sogar kräftig im Mund des Gottlosen.

26.25. Oh du Heuchler, du lügst! Wenn du gottlos bist, kannst du keinen Toten aufwecken, und du kannst keinen bekehren, der im Geist dieser Welt in Sünde gefallen ist. Du regst wohl durch deine Stimme das Herz des Gläubigen, so daß sein Geist wirkt, aber du gebierst keinen jenseits des Todes. Das ist ein unmögliches Ding. Denn wenn du den armen Sünder, der in Sünde gefallen ist und im Zorn gefangenliegt, bekehren willst, dann muß in deinem Mund der Heilige Geist sein, und deine Essenzen müssen seine einfangen. So wird dein Licht in ihm leuchten, und du wirst ihn aus dem Tod der Sünden aufwecken und mit deiner Liebe in deiner Tinktur einfangen. Dann wird er zu dir kommen mit herzlichem Flehen und Begehren nach dem Himmelreich. Denn so bist du sein Beichtvater und hast den Schlüssel von Petrus. Wenn du dies aber nicht hast, dann hast du auch keinen Schlüssel.

26.26. Doch wie die Beichte ist, so ist auch die Absolution: Ist der Patient ein Historicus (ein Historien-Christ) und so auch der Arzt, dann ist in beiden eine Mund-Heuchelei. Ist aber der Patient kräftig, dann bläst (bzw. wirkt) die Stimme auch auf seine Kraft, nicht aus der Kraft des Arztes, sondern in der Kraft Gottes, der auch mit seiner Kraft in einem Dornenbusch das Gedeihen macht, so daß er grünt. Diese ist die Kraft in allen Wesen, also auch in einer Stimme, die in sich selbst keine Macht hat.

26.27. So ging es nun gewöhnlich, daß jedermann an steinerne Tempel gebunden wurde, und der Tempel Gottes in Christus blieb zumeist ledig stehen. Als man aber die Verwüstung im Zank sah, da veranstaltete man Konsilien und machte Gesetze, die jedermann halten sollte, sonst müßte er sein Leben verlieren. So wurde aus dem Tempel Christi ein steinerner Tempel gemacht, und aus dem Zeugnis des Heiligen Geistes ein weltliches Gesetz. Dort sprach nicht mehr der Heilige Geist frei, sondern er sollte nach ihren Gesetzen sprechen. Und wenn er ihre Irrtümer strafte, dann verfolgten (und verdrängten) sie ihn. Damit wurde der Tempel Christi in menschlicher Erkenntnis immer blinder. Und wenn einer aus Gott geboren wurde und im Heiligen Geist lehrte, was ihren Gesetzen nicht ähnlich war, dann mußte er ein Ketzer sein.

26.28. So wuchs nun ihre Macht und jedermann sah auf sie, und sie stärkten ihre Gesetze in der Macht von St. Petrus immerfort, bis sie sich so hoch setzten, daß sie sich als Herren auch ganz unverschämt vor Gott über die Lehre der Apostel setzten und vorgaben, Gottes Wort und die Lehre der Heiligen müßte von ihrem Rat den Wert empfangen, und was sie festsetzten, das täte Gott, denn sie wären Gottes Statthalter im Wort. Man müßte also ihr Gesetz glauben, denn es wäre der Weg der Rechtfertigung des armen Sünders vor Gott.

26.29. Wo bleibt dann die neue Wiedergeburt in Christus durch den Heiligen Geist? Bist du nicht Babel, eine Behausung aller Teufel im überheblichen Stolz? Wie hast du dich geschmückt, nicht für Christi, sondern für deinen selbsteigenen Stolz und deinen Abgott im Bauch, und bist ein Fresser? Aber dein Bauch ist stinkend geworden und hat eine grimmige Qual bekommen. So ist ein Feuer der großen Angst in deiner Qual, denn du bist vor Gott offenbar und stehst wie ein unzüchtiges Weib. Was hängst du, armer Laie, an dieser Hure? Ihre selbsteigene (egoistisch) ergriffene Macht ist ihr Tier, auf dem sie reitet. Schaue sie doch in der Offenbarung von Jesus Christus an, wie sie der Heilige Geist malt.

26.30. Willst du Christi Apostel sein? Du willst nur ein Bauchdiener sein und nur nach deiner Kunst lehren. Wen lehrst du dann? Deinen Bauch, damit du dich davon nährst und fett wirst. Zwar sollst du dich davon nähren und man soll dich pflegen, wenn du Christi Jünger bist. Aber dein Geist soll nicht im (egoistischen) Geiz stecken, sondern in Christus. Du sollst dich nicht allein auf deine Kunst verlassen, sondern dich Gott ergeben, so daß Gott aus dir spricht. Dann bist du im Tempel Gottes, und nicht im Tempel der Gesetze des Menschen-Tands.

26.31. Siehe St. Petrus am Pfingsttag an, der dreitausend Menschen in einer Predigt bekehrte. (Apg. 2.41) Er redete nicht aus dem Gesetz der Pharisäer, sondern aus dem Geist Moses und der Propheten, aus dem Tempel des Heiligen Geistes. Das drang durch und erleuchtete den armen Sünder. Also bedenke, der du jetzt nur Verfolgungen lehrst: Woraus bist du darin gewachsen? Aus dem ersten Wurzelstock (des ersten Prinzips), wo man aus dem Tempel Christi in Menschen-Tand fiel, wo man Lehrer aufblies, nach denen die Ohren juckten, und nur zum Schein, damit du in deinem überheblichen Stolz groß werden kannst. Und weil du nur solches gesucht hast, so hat dich auch Gott in verkehrten Sinn fallenlassen, so daß aus dir jene geworden sind, welche der wahren Lehre von Christus lästern.

26.32. Siehe! Woraus ist der Türke gewachsen? Aus deinem verkehrten Sinn! Als man sah, daß man nur noch nach überheblichem Stolz trachtete und um den Tempel Christi zankte, und daß alles auf Menschen-Grund und Fund stehen sollte, da kam Mohamet hervor und suchte einen Fund, der der Natur ähnlich wäre, weil jene nur nach Geiz trachteten und vom Tempel Christi wie auch vom Licht der Natur in eine Verwirrung des überheblichen Stolzes fielen, wie man den antichristlichen Stuhl am besten schmücken könnte. Und so machte er sich auch selber Gesetze und Lehren aus dem Verstand.

26.33. Oder meinst du, es sei vergebens (bzw. zufällig) geschehen? Ja, der Geist der großen Welt hat ihn so im Wunder geschaffen, weil jene nicht besser waren, und so mußte dieweil das Licht der Natur im Wunder stehen, wie ein Gott dieser Welt, und so war dieser Gott so nahe wie der andere. Auch deine Zeichen im Testament Christi, die du treibst, welche uns Christus zu einem Bund ließ, die standen im Zank, denn dazu hast du sie durch deinen Stolz verkehrt und nach deinem Gesetz umgebogen. Denn es ging dir nicht um den Bund in Christus, sondern um deinen Brauch, und der Brauch sollte es auch tun. Und wie doch ein Holz ohne Glut kein Feuer mehr ist, obwohl es nach dem Anzünden bereits ein Feuer war, so ist auch der Bund ohne Glauben wie ein Holz ohne Glut, das man Feuer nennen wollte.

26.34. Oder soll es dir der Geist nicht unter die Augen stellen, du Unzüchtige? Siehe, wie hast du den Ehestand zerrissen und eine Pforte der Hurerei aufgetan, so daß man es für keine Sünde mehr achtet! Bist du nicht auf deinem Tier geritten, so daß jedermann auf dich geschaut hat und dir nachgeritten ist? Oder bist du vielleicht noch schöner? Meinst du, wir stellen es dir vergebens dar? Das Urteil steht über dir, denn das Schwert ist geboren und will fressen. Gehe aus Babel heraus, dann lebst du! Obwohl wir ein Feuer in Babel sahen und Babel brannte, so wird es doch den nicht verbrennen, der herausgeht.


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