Die drei Prinzipien Göttlichen Wesens

(Text von Jacob Böhme 1619, deutsche Überarbeitung 2021)

9. Kapitel - Das Paradies und die Vergänglichkeit

Vom Paradies und auch von der Vergänglichkeit aller Kreaturen, wie alles seinen Anfang und Ende nimmt, und zu welchem Ziel es hier erschienen ist. - Die edle und hochteure Pforte der vernünftigen Seele.

9.1. Kein Geld noch Gut, weder Kunst noch Macht kann dich zur ewigen Ruhe bringen, zur ewigen Sanftmut des Paradieses, nur die edle Erkenntnis vermag das. Dahinein kannst du deine Seele wickeln, und das ist die Perle, die keine Motte frißt und kein Dieb stiehlt. Darum suche diese, dann findest du einen wahrhaft edlen Schatz.

9.2. Unser wahres Wissen und Erkennen ist uns so sehr zerronnen, daß wir keine Erkenntnis mehr vom Paradies haben, es sei denn, daß wir durch das Wasser und den Heiligen Geist wieder neugeboren werden. Sonst liegt uns immer die Decke von Moses vor unseren Augen, wenn wir seine Schriften lesen und vermeinen, das sei das Paradies gewesen, davon Moses sagt: »Gott habe Adam in den Garten Eden gesetzt, den er gepflanzt hatte, damit er ihn bebaue und bewahre. (1.Mose 2.15)«

9.3. Mein lieber Mensch, das ist nicht das Paradies, und Moses sagt das auch nicht. Sondern es ist der Garten in Eden gewesen, wo sie versucht worden sind, darüber du (im Kapitel) über den Fall Adams mehr findest. Das Paradies ist die göttliche Wonne, und diese ist in ihrem (Adam und Eva) eigenen Gemüt gewesen, als sie in Gottes Liebe waren. Als aber der Ungehorsam kam, wurden sie hinausgetrieben und sahen, daß sie nackt waren. Denn es empfing sie zur Stunde der Geist dieser Welt, darin nur Angst, Not, Kummer und Elend sind und schließlich die Zerbrechlichkeit und der Tod. Darum war es Not, daß das ewige Wort Fleisch wurde und sie wieder in die paradiesische Ruhe führte, darüber du an passender Stelle zum Fall des Menschen mehr findest.

9.4. Das Paradies hat ein anderes Prinzip, denn es ist die göttliche und englische Wonne, aber nicht ohne das Reich dieser Welt, wohl aber ohne die Kraft und Quelle dieser (vergänglichen) Welt. Der Geist dieser Welt kann es auch gar nicht begreifen, viel weniger eine Kreatur, denn dieses Prinzip steht nicht in der ängstlichen Geburt. Auch wenn es gleichsam seinen Ursprung darin empfangen hat, so steht es doch in reiner Vollkommenheit und reiner Liebe, Freude und Wonne, weil es hier keine Furcht gibt, auch keinen Tod noch Qual, und kein Teufel kann dies berühren, und kein Tier erreicht das.

9.5. Wenn wir also von der Quelle und Freude des Paradieses und seinem höchsten Wesen reden wollen, was es sei, dann haben wir kein Gleichnis in dieser Welt, und wir bedürften dazu der Engelszungen und englischer Erkenntnis. Und wenn wir diese hätten, dann könnten wir es mit dieser Zunge trotzdem nicht aussprechen. Im Gemüt wird es wohl verstanden, wenn die Seele auf dem paradiesischen Brautwagen fährt, aber mit der Zunge können wir es nicht ausdrücken. Jedoch wollen wir das ABC nicht ganz verwerfen und derweil mit den Kindern reden, bis uns ein anderer Mund zum Reden gegeben wird:

9.6. Als Gott die Tiere geschaffen hatte, brachte er diese zu Adam, damit er ihnen Namen gebe, einem jeden nach seinem Wesen und seiner Art, wie es qualifiziert war. Nun war Adam im Garten Eden in Hebron und auch zugleich im Paradies. Aber kein Tier kann ins Paradies gehen, denn das ist die göttliche und englische Wonne, darin nichts Unreines ist, auch kein Tod oder zerbrechliches Leben, viel weniger die Erkenntnis des Bösen und Guten. Und wenn Moses schreibt, daß im Garten Eden der Versuchungsbaum gewesen sei, der die (Früchte der) Erkenntnis des Bösen und Guten getragen hat (1.Mose 2.9), dann war es wohl kein anderer Baum, als wir heute noch in der Vergänglichkeit von solchen Bäumen essen, und auch kein anderer Garten, als wir heute noch haben, wo die irdischen Früchte von Böse und Gut wachsen, wie vor Augen steht.

9.7. Allein, das Paradies ist etwas anderes, und doch kein anderer Ort, aber in einem anderen Prinzip, in dem Gott und Engel wohnen und wo die Vollkommenheit ist, und reine Liebe, Freude und Erkenntnis sind. In diesem Prinzip gibt es keine Qual, denn Tod und Teufel können es nicht berühren, nicht einmal erkennen, so daß es weder Erde noch Steine als Schutzmauern braucht. Es ist aber eine solche Kluft zwischen dem Paradies und dieser Welt, daß jene, die von hier hineinfahren wollen, es nicht können, und jene, die von ihnen zu uns fahren wollen, können es auch nicht (Luk. 16.26). Denn die Hölle mit dem Reich der Finsternis ist dazwischen, und so kann niemand hinüberreichen als durch eine neue Geburt, davon Christus zu Nikodemus spricht (in Joh. 3.1). Die Seelen der Heiligen und Neugeborenen müssen durch den Tod der Finsternis hinübergeben, und der Erzhirte Jesus Christus führt sie mit den Engeln auf seinem Brautwagen hinüber, davon du an gebührender Stelle nach der Ordnung mehr findest.

9.8. Weil mir aber aus Gnade der göttlichen Kraft etwas verliehen worden ist, den Weg zum Paradies zu erkennen, und einem jeden gebührt, Gottes Werk zu wirken, darin er steht, darüber dann auch Gott von einem jeden Rechenschaft fordern will, was er in seinem Tagewerk in dieser Welt gearbeitet hat, und sein Werk, das er einem jeden gegeben, mit Nutzen einfordern und nicht leer haben will, so wird er dem faulen Knecht Hände und Füße binden und ihn in die Finsternis werfen, wo er doch wirken muß, aber in großer Ängstlichkeit und in der Vergeßlichkeit seines ihm hier gegebenen Tagewerks, darin er als ein unnützer Knecht befunden wurde.

9.9. So will auch ich mein Tagewerk nicht übergehen, sondern auf dem Weg arbeiten, soviel ich kann. Wenn es auch schwerfällt, auf diesem hohen Wege die Buchstaben zu wählen, so wird es doch so hoch sein, daß mancher sein Leben lang daran zu lernen haben wird. Und wer glaubt, daß er es richtig wisse, wird noch nicht einmal den ersten Buchstaben vom Paradies erlernt haben. Denn es werden in dieser Schule keine Doktoren auf diesem Weg gefunden, sondern nur reine Schüler.

9.10. Darum sollte sich Meister Hans unter seinem gekrönten Hütlein nicht so klug hierin dünken und seinen Spott so kühn ausschütten, denn er weiß noch nichts, solange er ein Spötter ist. Er lasse sich nur sein Hütlein nicht überheblich anstehen und rühme sich in seiner menschlichen Berufung, daß er durch göttliche Ordnung in seinem Beruf sitzt, wenn er doch nicht von Gott, sondern durch Menschengunst eingesetzt wurde. Er verbiete nicht zu viel den Weg zum Paradies, denn er kennt ihn selber nicht und wird über sein Einsitzen durch Menschengunst schwere Rechenschaft ablegen müssen. Denn wenn er sich der göttlichen Berufung rühmt, aber der Geist Gottes noch fern von ihm ist, dann wird er ein Lügner und lügt die Gottheit an.

9.11. Darum sehe ein Jeder, was er tut! Ich sage auch, wer sich ohne göttlichen Ruf und ohne Erkenntnis Gottes, zum Hirten aufdrängt, der ist ein Dieb und Mörder und geht nicht zur Tür ins Paradies, sondern kriecht mit den Hunden und Wölfen als Räuber in den Stall und denkt nur an seinen Bauch und seine eigene Ehre. Er ist kein Hirte, sondern hängt an der großen Hure, am Antichristen, und meint doch, er sei ein Hirte, aber er wird im Paradies nie erkannt.

9.12. Christus lehrt und warnt uns doch treulich vor den Zeiten, die da kommen würden, wenn ein jeder sagen wird: »Siehe, da ist Christus, dort ist er! Er ist in der Wüste! Er ist in der Kammer! - Da geht nicht hinaus und glaubt es auch nicht. Denn wie der Blitz im Aufgang aufgeht und bis zum Niedergang scheint, so wird auch die Zukunft des Menschensohnes sein. (Matth. 24.23-26)«

9.13. Darum, oh Menschenkind, siehe, ob es nicht so kommt, wenn die falschen Hirten ohne göttlichen Ruf immer nur zanken, und ein jeder ruft: „Kommt zu mir, denn hier ist Christus oder da ist Christus!“ Und einer richtet den anderen und übergibt ihn dem Teufel, zerstört die Einträchtigkeit und löscht die Liebe aus, darin der Geist Gottes geboren wird, und schafft nur Bitterkeit und verführt den Laien, so daß er glaubt, Christus sei ein Zank-Hirte, und greift mit solchen Mitteln seine Gegner an und verursacht Krieg und Mord. Das soll nun der Geist Gottes sein und der Weg zum Paradies?!

9.14. Christus sprach doch: »Liebet einander, und daran wird man erkennen, daß ihr meine Jünger seid. (Joh. 13.35)« Oder auch: »Wenn dich einer auf einen Backen schlägt, dann biete ihm auch den anderen dar. (Luk. 6.29)« Oder: »Wenn ihr um meines Namens willen verfolgt werdet, dann freut euch darüber, denn euer Lohn im Himmelreich ist groß. (Matth. 5.10)« Heute wird aber nur noch Schmähung gelehrt, und es müssen sogar jene gerichtet werden, die schon viele hundert Jahre tot und im Gericht Gottes sind, ein Teil wohl im Paradies, und diese werden von den Zank-Hirten verleumdet. Sollte wirklich der Heilige Geist aus ihnen reden, wie sie umherschreien, da sie doch voll bitterer Galle sind und nichts als Geiz und Rache in ihnen steckt? Soll das der Weg zum Paradies sein?

9.15. Darum, oh Menschenkind, siehe dich vor in dieser Zeit und laß dir nicht die Ohren kraulen, wenn du die falschen Hirten hörst, wie sie die Kinder Christi hinrichten. Es ist nicht Christi Stimme, sondern die des Antichristen. Der Weg zum Paradies hat einen ganz anderen Eingang: Dein Herz muß aus ganzen Kräften zu Gott gerichtet sein, und wie Gott will, daß allen Menschen geholfen werde, so soll einer des anderen Last tragen. Ihr sollt einander freundlich mit züchtiger Ehrerbietung im Heiligen Geist begegnen, und ein jeder soll seines Nächsten Heil mit Demut und Ernst suchen, und gern wollen, daß er von Eitelkeit frei würde und mit ihm im Rosengarten ginge.

9.16. Die Erkenntnisse sind im unendlichen Gott vielfältig. Deshalb soll sich ein jeder an den Gaben und Erkenntnissen der anderen erfreuen und denken, daß uns Gott in der paradiesischen Welt so überschwengliche Wissenschaft geben wird, von der wir hier mit den unterschiedlichen Gaben nur ein Vorbild haben. Darum sollten wir wegen der Gaben und Erkenntnisse nicht zanken, denn der Geist gibt einem jeden nach seinem Wesen die Fähigkeit, die Gestaltungen des wundvollen Gottes auszusprechen. Und das wird im Paradies in der vollkommenen Liebe ein gar wünschenswertes Liebesspiel sein, wenn ein jeder aus seiner Erkenntnis der großen Wunder in der heiligen Geburt sprechen wird.

9.17. Oh weh des Dornenstechens, das der Teufel in dieses hohe Liebesspiel gebracht hat, so daß wir in der edlen Erkenntnis einen so übermütig-stolzen Zank treiben, daß man den Heiligen Geist mit Gesetzen bindet! Was sind die Gesetze im Reich von Christus, der uns frei gemacht hat, so daß wir in ihm im Heiligen Geist wandeln sollen? Wozu sind sie sonst erdichtet, als zur Wollust des Antichristen, damit er mächtig und prächtig einhergeht und ein Gott auf Erden sei? Oh fliehe vor ihm, du Menschenkind! Die Zeit ist gekommen, vom Schlaf des Antichristen aufzuwachen, denn Christus kommt mit der schönen Lilie aus dem Paradies in Joschafats Tal. So ist es Zeit, die Lampen zu schmücken, wer zur Hochzeit des Lammes gehen will.

9.18. Die Pforte: Das Paradies steht in der göttlichen Kraft und ist nichts Leibliches oder Begreifbares, sondern seine Leiblichkeit oder Begreifbarkeit gleicht dem Engel, der ein helles und lichtvolles Wesen ist, also nur scheinbar materialistisch (bzw. körperlich). Es ist zwar auch materialistisch, aber nur aus der Kraft gestaltet, in der alles durchsichtig und strahlend ist. Und weil dieses Zentrum der Geburt auch in allen Dingen ist, darum ist die Geburt ohne Ende und Zahl.

9.19. Ich gebe dir ein Gleichnis vom Gemüt des Menschen, aus dem die Gedanken geboren werden, die auch weder Ende noch Zahl haben. Denn ein jeder Gedanke hat wieder ein Zentrum, um weitere Gedanken zu gebären. Und so besteht auch das Paradies von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn weil das Licht Gottes ewig ist und ohne Wanken oder Mangel scheint, so ist auch in der Geburt ein unwandelbares Wesen, so daß alles in reiner Vollkommenheit in großer Liebe aufgeht.

9.20. Denn das gibt der Geist der Erkenntnis, daß im Paradies solche Gewächse sind, wie in dieser Welt, in solcher Form, aber nicht mit solcher Quelle und Begreifbarkeit. Denn die Materie oder Körperlichkeit ist im himmlischen Limbus (Samen) Kraft und Wesen, und ihre Wurzel steht in der Matrix, in der weder Erde noch Steine sind, denn es ist ein anderes Prinzip. Das Feuer darin ist Gott der Vater, das Licht darin ist Gott der Sohn, die Luft darin ist Gott der Heilige Geist, und die Kraft, von der alles aufgeht, ist der Himmel und das Paradies.

9.21. Und wie wir sehen, daß hier aus der Erde alles Kraut und die Früchte wachsen, die ihre Kraft von der Sonne und dem Gestirn empfangen, so wirkt im Paradies der Himmel oder himmlische Limbus anstatt der Erde, und das Licht Gottes anstatt der Sonne, und der ewige Vater anstatt der Sterne Kraft. Die Tiefe dieses Wesens ist ohne Anfang und Ende, seine Weite ist nicht zu erreichen. Es existieren hier weder Jahr noch Zeit, keine Kälte, keine Hitze, kein Wehen der Luft, keine Sonne und Gestirne, kein Wasser noch Feuer, kein Gesicht der bösen Geister, keine Erkenntnis noch Wissenschaft vom Trübsal dieser Welt, weder Fels noch Erde, und doch besteht von allen Geschöpfen dieser Welt ein figürliches Wesen. Denn zu dem Ziel sind alle Kreaturen dieser Welt erschienen, daß sie ein ewiges figürliches Gleichnis sein sollen, und nicht, daß sie in diesem Geist in ihrer eigenen Substanz bleiben. Nein, das ist es nicht. Es gehen alle Geschöpfe wieder in ihren Äther (der Quintessenz), und so vergeht auch ihr Geist, aber Figur (bzw. Bildung) und Schatten bleiben ewiglich.

9.22. Auch alle bösen und guten Worte, die hier durch Menschenzungen geredet werden, bleiben im Schatten und figürlichen Gleichnis stehen. Denn die guten erreichen im Heiligen Geist das Paradies, und die falschen und gottlosen den Abgrund der Hölle. Darum sagt Christus, »der Mensch müsse Rechenschaft von jeglichem unnützen Wort geben. (Matth. 12.36)« Denn wenn die Ernte kommt, dann wird alles entschieden werden. Und Christus spricht auch, daß einem jeden sein Werk nachfolgen wird, und alles wird durch das Feuer der Natur bewahrt werden. Und so werden alle falschen Werke, Reden und Taten im Feuer der Natur bleiben, das eine Hölle sein wird, vor der sogar die Teufel erzittern, wenn sie dies hören.

9.23. So wird alles im Schatten (bewahrt) bleiben, und ein jedes in seiner Quelle. Darum wird dies den Gottlosen eine ewige Schande sein, daß sie in Ewigkeit alle ihre Werke und alle ihre Worte wie ein beflecktes Tuch sehen müssen, und sie werden im vollen Zorn Gottes stehen und nach ihrer Essenz und hier angezündeten Qual brennen.

9.24. Denn diese Welt gleicht einem Acker, wo guter Samen gesät wird, aber der Feind Unkraut hineinwirft und weitergeht, und beides wächst bis zur Erntezeit. Dann wird ein jedes gesammelt und in seine Scheune gebracht, davon Christus auch sagt: »Das Unkraut wird in Bündel gebunden und ins Feuer geworfen, aber der Weizen in meiner Scheune gesammelt. (Matth. 13.30

9.25. Die heilige Pforte: Der (gedankliche) Verstand, der mit Adam aus dem Paradies herausgegangen war, fragt nun: Wo ist das Paradies zu finden? Ist es weit oder nah? Oder, wo fahren die Seelen hin, wenn sie ins Paradies fahren? Ist es in dieser Welt oder außerhalb des Reiches dieser Welt über den Sternen? Wo wohnt denn Gott mit den Engeln, und wo ist das liebe Vaterland, wo es keinen Tod gibt? Wenn keine Sonne und Sterne darin sind, dann kann es ja nicht in dieser Welt sein, sonst wäre es auch längst gefunden worden.

9.26. Lieber Verstand, es kann keiner dem anderen einen Schlüssel dazu leihen. Und wenn es auch geschieht, daß jemand einen hat, dann schließt er doch dem anderen nicht auf, wie der Antichrist sich rühmt, daß er alle Schlüssel zu Himmel und Hölle habe. Zwar kann der Mensch in dieser Zeit den Schlüssel finden, das ist wahr, aber er kann keinem anderen damit aufschließen, denn ein jeder muß mit seinem eigenen Schlüssel aufschließen, sonst kommt er nicht hinein. Denn der Schlüssel ist der Heilige Geist, und wenn er diesen Schlüssel hat, dann geht er ein und aus.

9.27. Es ist dir nichts näher als Himmel, Paradies und Hölle. Zu welchem du geneigt bist und hinwirkst, dem bist du in dieser Zeit am nächsten. Du stehst zwischen beiden, und zwischen jedem liegt eine Geburt. So stehst du in dieser Welt in beiden Türen und hast beide Geburten (potentiell) in dir. In der einen Pforte hält und ruft dich Gott, und in der anderen Pforte hält und ruft dich der Teufel. Mit welchem du gehst, da kommst du hin. Der Teufel hat (vergängliche) Macht, Ehre, Wollust und Freude in seiner Hand, denn die Wurzel darin ist der Tod und das Feuer. Und Gott hat Kreuz, Verfolgung, Jammer, Armut, Schmach und Elend in seiner Hand, und deren Wurzel ist auch ein Feuer, aber in diesem Feuer ist ein Licht, und in dem Licht eine Kraft, und in der Kraft das Paradies, und im Paradies sind die Engel, und bei den Engeln ist die wahre Freude. Die tierhaften Augen können das Paradies nicht sehen, denn sie sind aus dem dritten Prinzip, und sehen nur durch den Schein der Sonne. Wenn aber der Heilige Geist in die Seele kommt, dann gebiert er die Seele wahrhaft in Gott, und so wird sie ein paradiesisches Kind, bekommt den Schlüssel zum Paradies und kann auch hineinschauen.

9.28. Darum kann der tierhafte Leib nicht hinein, und er gehört auch nicht hinein, denn er gehört in die Erde und muß wieder verfaulen und aufgelöst werden, um in neuer Kraft, die dem Paradies gleich ist, in Christus am Ende der Tage aufzuerstehen. Dann kann er auch im Paradies wohnen, und eher nicht. Er muß das dritte Prinzip zuvor ablegen, wie den Pelz, in den sich Vater Adam und Mutter Eva gehüllt haben, weil sie glaubten, darin klug zu werden, wenn sie alle drei Prinzipien an sich offenbar (sichtbar) trügen. Hätten sie zwei von ihnen verborgen getragen und wären in einem geblieben, das wäre uns gut, aber davon (mehr im Kapitel) vom Fall.

9.29. So sind nun im Wesen aller Wesen drei unterschiedliche Quellen, welche doch nicht getrennt sind, so daß eine Quelle weit von der anderen wäre. Sondern sie sind wie ein Wesen ineinander, obwohl doch keines das andere begreift. Gleichwie die drei Elemente von Feuer, Luft und Wasser alle drei ineinander sind, aber keines das andere begreift, und wie ein Element das andere gebiert, aber doch nicht dasselbe Wesen und dieselbe Quelle ist, so sind auch die drei Prinzipien ineinander, und eines gebiert das andere, aber doch begreift keines das andere, und es hat auch keines das Wesen des anderen.

9.30. Die Tiefe im Zentrum: Wie schon oft gesagt, Gott ist das Wesen aller Wesen, und darin sind zwei Wesen in einem, ewig, ohne Ende und ohne Herkommen, nämlich (1.) das ewige Licht, das ist Gott oder das Gute, und dann (2.) die ewige Finsternis, das ist die Qual, und es wäre doch keine Qual darin, wenn nicht das Licht wäre. Das Licht macht, daß sich die Finsternis nach dem Licht ängstigt, und diese Angst ist Gottes Zorn-Quell oder höllisches Feuer, darin die Teufel wohnen und davon sich auch Gott einen „zornigen und eifrigen Gott“ nennt. Das sind zwei Prinzipien, von deren Ursprung wir nichts wissen. Wir wissen nur von der Geburt darin im unauflöslichen Band (von Ursache und Wirkung), und das geschieht so:

9.31. Im Ursprung der Finsternis ist Herbe und Strenge, und das verursacht ein Licht, das herb ist. Denn das Herbe ist eine Begierlichkeit und ein Anziehen, und das ist der erste Grund des Willens nach dem Licht, das er doch nicht ergreifen kann. Und das Anziehen im Willen wird zum Stachel, den die Begierlichkeit anzieht, also das erste Regen (bzw. Bewegen). Doch der Stachel will das Anziehen im Willen nicht erleiden, und so wehrt er sich, fährt über sich, und kann doch nicht entfliehen, denn er wird im Anziehen geboren. Weil er aber nicht entfliehen kann und auch das Anziehen nicht erdulden will, so entsteht hier eine große Ängstlichkeit, eine Begierde nach dem Licht, gleich einer Unsinnigkeit und einem zerbrechlich drehenden Rad. Und die Angst in der Bitterkeit steigt im Grimm nach dem Licht auf, aber sie kann es weder fassen noch sich im ängstlichen Willen zum Licht erheben. So bekommt sie es nicht, aber wird vom Licht infiziert und bekommt einen schielenden Blitz. Und wenn dieser in die Finsternis der Herbigkeit oder Härtigkeit scheint, dann erschrickt sie und weicht urplötzlich in ihren Äther (Raum) aus, doch bleibt im Zentrum (bzw. Wesen) die Finsternis. Aber in diesem Schreck wird die Herbigkeit oder Härtigkeit mild, dünn und weich, und der Blitz scheint in der Bitterkeit, die so im Stachel auffährt. Also erblickt sich der Stachel in der Mutter, der die Mutter mit dem Blitz so erschreckt, daß sie sich überwunden gibt. Und wenn sich der Stachel in der Mutter stärkt und findet sie so mild, dann erschrickt er noch viel mehr und verliert sein grimmiges Naturrecht, und wird augenblicklich weiß und hell und geht gar freundlich auf, mit großer Lust und Willen erregt. Und die Mutter der Herbigkeit wird vom Licht süß, mild und dünn und materialistisch zu Wasser. Aber die Essenz (bzw. das anziehende Wesen) der herben Art verliert sie nicht, und darum zieht die Essenz noch immer aus dem Mildgewordenen an sich, so daß aus dem Nichts etwas wird, nämlich das (dünne und süße) Wasser.

9.32. Wenn nun, wie erklärt, aus der Mutter die Freude aufgeht und das Licht in sie kommt, das sie doch nicht erfassen kann, so hat die Freude im aufsteigenden Willen wieder ein Zentrum in sich und gebiert aus sich wieder einen gar sanften, süßen und lieblichen Quell, einen demütigen und holdseligen Quell, und dieser ist nicht materiell. Denn es kann nun nichts Wonniglicheres geboren werden. Darum ist hier das Ende (und Ziel) der Natur, und dieser Quell ist die „Warm“ oder das „Barm“, oder wie ich sagen möchte, die Barmherzigkeit. Denn die Natur sucht und begehrt hier nichts weiter, auch keine Geburt, denn es ist die Vollkommenheit.

9.33. Aus diesem sanften Quell kommt nun der wallende Geist, der im Ursprung in der Anzündung der bittere oder ängstliche Geist war, gar wonniglich und ohne Bewegung, und das ist der Heilige Geist. Und der sanfte Quell, der im Zentrum aus dem Licht geboren wird, ist das Wort oder Herz Gottes, und in dieser Wonne ist das Paradies, und die Geburt ist die ewige Dreifaltigkeit. In der mußt du wohnen, willst du im Paradies sein, und diese muß in dir geboren werden und deine Seele in ihr, willst du Gottes Kind sein, sonst kannst du das Reich Gottes weder schauen noch genießen.

9.34. Darum bringt uns nur der feste Glaube mit Vertrauen wieder in Gott, denn er erreicht das göttliche Zentrum zur Wiedergeburt im Heiligen Geist, sonst hilft nichts. Alles andere, was der Mensch hier macht, sind nur Wesen, die ihm im Schatten nachfolgen, in dem er stehen wird. Denn wie da die Geburt in der heiligen Gottheit ist, die im Ursprung im Willen und Ängstigen vor dem Licht steht, so mußt du, oh Mensch, der aus dem Paradies ausgegangen ist, im Ängstigen, Sehnen und begehrenden Willen wieder zur Geburt eingehen. Dann erreichst du wieder das Paradies und Licht Gottes.

9.35. Nun siehe, du vernünftige Seele, wie ich mit dir spreche und nicht mit dem Leib, denn nur du allein begreifst es. Wenn die Geburt nun auf diese Weise immerfort geboren wird, so hat eine jede Gestaltung wieder ein Zentrum zur Wiedergeburt. Denn das ganzheitliche göttliche Wesen steht in stetiger und ewiger Geburt, aber bleibt selbst unwandelbar. Es gleicht dem Gemüt des Menschen, wie aus dem Gemüt immer Gedanken geboren werden, und aus den Gedanken der Wille und die Begierlichkeit, und aus dem Willen und der Begierlichkeit das Werk, das im Willen zu einer Substanz gemacht wird. Danach greifen Mund und Hände zu und verarbeiten das, was im Willen substantiell wurde.

9.36. So geschieht auch die ewige Geburt, weil seit Ewigkeit immer die Kraft geboren worden ist, und aus der Kraft das Licht, und das Licht verursacht und macht die Kraft, und die Kraft wirkt und scheint mit dem Licht in der ewigen Finsternis und verursacht den sehnsüchtigen Willen im ewigen Gemüt, so daß der Wille in der Finsternis die Gedanken gebiert, und die Gedanken die Lust und Begierlichkeit. Und die Begierlichkeit ist die Sehnsucht der Kraft, und in der Sehnsucht der Kraft ist der Mund, der das Schöpfungswort ausspricht, und das Schöpfungswort macht die Materie, und der Geist, der in der Kraft ausgeht, unterscheidet sie. Er nimmt nicht eine Essenz von der anderen, sondern unterscheidet sie, und im unterschiedenen Wesen ist in jedem Ding wieder das Zentrum der Vervielfältigung, weil es (in Wahrheit) ganzheitlich und unzerbrochen ist, gleich dem Gemüt des Menschen in der Entstehung der (unterschiedlichen) Gedanken. Nun, was soll aber in diesem Zentrum geboren werden? Erstlich wieder ein Geist in solcher Geburt und Quelle, wie oben erklärt, nämlich ein Wille in der Angst, und im Willen eine Begierde, und die Begierde verursacht das Anziehen, und so besteht im Willen der Gedanke fort, und im Gedanken der Mund, und im Mund wird aus der Kraft das Schöpfungswort gesprochen, und das Schöpfungswort macht die Materie, und der Geist unterscheidet sie und formt sie nach seinen Gedanken.

9.37. Darum gibt es so viele Gattungen der Kreaturen, wie auch ewige Gedanken in der Weisheit Gottes sind. Dieser Geist hat eine jede Gattung nach jedem Gedanken der ewigen Weisheit Gottes gestaltet, und das Schöpfungswort hat jedem sein Fleisch nach der Essenz des Gedankens gegeben, denn im Gedanken steht die Gestaltungsqualität. So geschieht die Geburt und auch das erste Herkommen aller Kreaturen, die immer noch in solcher Geburt im Wesen stehen. Auf diese Art ist alles aus dem ewigen Gedanken, welcher Gottes Weisheit ist, durch das Schöpfungswort aus der Matrix hervorgebracht worden. Weil aber alles, was in der Zeit im Willen geboren wurde, aus der Finsternis hervorgegangen ist, aus der Ausgeburt und dem Zentrum, deshalb ist es nicht ewig, sondern zerbrechlich (und vergänglich) wie ein Gedanke. Auch wenn es materiell ist, so nimmt doch ein jeder Quell wieder das seine in sich und macht es wieder zu dem Nichts, wie es vor dem Anfang war.

9.38. Nun zerbricht (und vergeht) aber nichts als der Geist im Willen und sein Leib im Schöpfungswort, aber das Bild bleibt ewiglich wie ein Schatten. Und dieses Bild könnte niemals in solcher Form zum Licht in die Sichtbarkeit gebracht werden, als würde es ewig bestehen, wenn es nicht im Wesen gewesen wäre. So kann es (in Wahrheit) auch nicht zerbrechen, denn es ist kein (wahres) Wesen in ihm. Nur das Zentrum seiner Quelle ist zerbrochen und in seinen Äther (die Quintessenz) gegangen. Und hier tut das Bild weder Böses noch Gutes, sondern bleibt ewig zu Gottes Wundertat und Herrlichkeit und zur Freude der Engel.

9.39. Denn wenn das dritte Prinzip dieser materiellen Welt wieder zerbrechen und in seinem Äther (Raum) vergehen wird, dann bleibt von allen Kreaturen, auch aller Gewächse und allem, was ans Licht gekommen ist, ihr Schatten, wie auch der Schatten all ihrer Worte und Werke. Und dieses Bild ist unbegreifbar und auch ohne Verstand und Erkenntnis, gleichwie ein Nichts oder Schatten des Lichtes.

9.40. Dies ist des großen und unerforschlichen Gottes Vorsatz in seinem Willen gewesen, und darum hat er alle Dinge erschaffen. Und so wird nach dieser Zeit nichts sein als Licht und Finsternis, in denen in jedem die Quelle bleibt, wie sie von Ewigkeit gewesen ist, weil keine die andere begreifen wird, wie seit Ewigkeit auch nie geschehen ist.

9.41. Ob aber auch Gott nach dieser Zeit wieder etwas mehr aus seinem Willen schaffen wird, kann mein Geist nicht wissen. Denn der greift nicht weiter als in sein Zentrum, darin er lebt, in welchem das Paradies und Himmelreich steht, wie du es bei der Erschaffung des Menschen noch lesen kannst.

9.42. So bleiben nun die Engel und seligen Menschen in der ewigen Geburt des Lichtes. Und die Geister der Verwandlung vom Licht in die Qual samt den gottlosen Menschengeistern bleiben in der ewigen Finsternis, wo kein Widerrufen gefunden wird, denn ihre Geister können nicht wieder in die Vergänglichkeit gehen, obwohl sie aus dem Limbus (Samen) Gottes geschaffen sind, aus der herben Matrix, daraus das Licht Gottes von Ewigkeit entspringt, und nicht durch die Ausgeburt wie das Vieh, das aus dem Limbus des gefaßten Vorsatzes Gottes ausging und endlich ist, und nur darum hiergewesen war, daß es ein ewiger Schatten und Bild sei.

9.43. Der ewige Wille ist unvergänglich und unwandelbar, denn das Herz Gottes wird daraus geboren, welches der Natur und des Willens Ziel ist. Hätten die Geister der Qual ihre Imagination und ihren sehnenden Willen vor sich in das Licht der Sanftmut auf dieses Ziel der Natur gerichtet, dann wären sie Engel geblieben. Weil sie aber aus überheblichem Stolz über die Sanftmut (bzw. Güte) und das Ziel der Natur hinauswollten und das Zentrum (der Egozentrik) erweckten, so fanden sie kein Ziel mehr. Denn es war von Ewigkeit kein anderes Ziel gewesen, und deshalb erweckten sie das Zentrum der Qual in sich selber, und das haben sie nun und sind aus dem Licht in die Finsternis gestoßen worden.

9.44. So verstehst du Gott, Paradies, Himmelreich und Hölle sowie Anfang und Ende der Kreaturen und der Schöpfung dieser Welt, wenn du aus Gott geboren bist. Falls nicht, dann wird dir eine Decke davor sein, so wie im Buch von Moses. Darum spricht Christus: »Suchet, dann werdet ihr finden, klopfet an, dann wird euch aufgetan. Kein Sohn bittet den Vater um ein Ei, daß ihm der Vater einen Skorpion gebe.« Oder auch: »Mein Vater will den heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten. (Luk. 11.10-12)«

9.45. Wenn du deshalb diese Schriften nicht gleich verstehst, dann mache es nicht wie Luzifer. Nimm nicht den Geist des überheblichen Stolzes mit Spott und Hohn zur Hand und schreib es dem Teufel zu. Sondern suche das demütige Herz Gottes, und das wird dir ein kleines Senfkörnlein vom Gewächs des Paradieses in deine Seele bringen, und wenn du in Geduld verharrst, dann wird ein großer Baum daraus wachsen. Wie du wohl ahnen kannst, daß es diesem Autor auch so ergangen ist, denn er ist gar eine einfältige Person gegenüber den Hochgelehrten. Doch Christus spricht ja: »Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. (2.Kor. 12.9)« Ja, Vater, es war dir also gefällig, daß du es den Klugen und Weisen verborgen hast, aber den Unmündigen offenbarst, auf daß »die Weisheit dieser Welt eine Torheit vor dir sei. (Luk. 10.21)« Wenn auch die Kinder dieser Welt in ihren Geschlechtern klüger sind als die Kinder des Lichtes, so ist ihre Weisheit doch nur ein zerbrechliches (und vergängliches) Wesen, aber jene Weisheit bleibt ewiglich.

9.46. Darum suche die edle Perle, die viel köstlicher als diese Welt ist, denn sie wird nimmermehr von dir weichen. Wo diese Perle ist, da wird auch dein Herz sein, und dann mußt du hier nicht weiter nach Paradies, Freude und Wonne des Himmels fragen. Suche nur die Perle, wenn du diese findest, dann findest du Paradies und Himmelreich und wirst so gelehrt, wie du dir ohne sie nicht vorstellen kannst.

9.47. Du möchtest dich vielleicht davor fürchten und diese lieber in der Kunst suchen, vermeinend, hier alles zu finden. Oh nein! Das kannst du nicht, denn sie steckt nicht darin. Kein Doktor weiß es ohne diesen Weg, er habe denn auch die Perle gefunden, dann ist er ein Allwissender, größer als ich, gleichwie St. Paulus über die anderen Apostel, aber in einem Weg der Sanftmut und Güte, wie sich den Kindern Gottes geziemt.

9.48. Was dazu fehlt und danach dich gelüstet, das suche immer weiter, dann findest du den Grund nach deiner Seele Lust.


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