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(Text von Jacob Böhme 1619, deutsche Überarbeitung 2021)
Von der unendlichen und unzählbar vielfältigen Ausbreitung oder Gebärung der ewigen Natur.
3.1. Lieber Leser, verstehe mein Schreiben recht! Wir haben nicht die Macht, von der Geburt Gottes zu reden, denn diese hat in der Ewigkeit niemals einen Anfang gehabt. Wir haben nur dazu Macht, von Gott als unserem Vater zu reden, was und wie er sei, und wie die ewige Gebärung geschieht.
3.2. Auch wenn es uns nicht gefällt, daß wir die strenge, ernste und ursprünglichste Geburt erkennen müssen und in welche Wissenschaft und Erkenntnis, auch Erfahrung und Begreifbarkeit, uns unsere ersten Eltern durch die Infizierung und den Betrug des Teufels gebracht haben, so ist uns doch nun diese Wissenschaft überaus nötig, damit wir den Teufel, der sogar in der allerstrengsten Geburt lebt, sowie unseren eigenen Feind kennenlernen, den uns unsere ersten Eltern erweckt und angeerbt haben, und den wir in uns tragen und der wir nun selber sind.
3.3. Wenn ich nun also schreibe, als gäbe es in der ewigen Geburt einen Anfang, so ist es doch (in Wahrheit) nicht so, sondern die ewige Natur gebiert sich ohne Anfang. Deshalb soll mein Schreiben nicht kreatürlich verstanden werden, wie über die Geburt eines Menschen. Aber er ist Gottes Gleichnis, und im ewigen Wesen ist es also ähnlich, aber ohne Anfang und Ende. So zielt mein Schreiben vor allem darauf ab, daß sich ein Mensch selber erkennen lernt, was er ist und was er im Anfang gewesen war, nämlich ein gar herrlicher, heiliger und ewiger Mensch, der die Pforte der strengen (körperlichen bzw. materiellen) Geburt in Ewigkeit nie erkannt hätte, wenn er sich nicht durch des Teufels Infizieren danach gelüsten hätte lassen, und nicht von dieser Frucht gegessen hätte, von der er nicht essen sollte. Denn dadurch wurde er ein solcher nackter und bloßer Mensch mit Tiergestalt und verlor das himmlische Kleid der göttlichen Kraft, und lebt nun im infizierten Salpeter (der Kristallisation) im Reich des Teufels und ißt die infizierte Speise. Deshalb tut es uns nun höchste Not, daß wir uns erkennen lernen, was wir sind und wie wir aus der ernstlichen und strengen Geburt erlöst werden können, und wieder neugeboren in einem neuen Menschen leben, welcher dem ersten Menschen vor dem (Sünden-) Fall gleicht, in Christus unserem Wiedergebärer.
3.4. Wenn ich nun lange und viel von unserem ersten (Sünden-) Fall rede und schreibe, wie auch von der Wiedergeburt in Christus, aber nicht auf den Zweck und Grund komme, was der Fall gewesen sei und womit wir verdorben worden sind, was die Kraft sei, davor Gott einen Ekel habe, und wie das gegen Gottes Verbot und Willen geschehen war. Was verstehe ich dann davon? Nichts. Wie soll ich dann dem entfliehen, was ich nicht kenne? Oder wie soll ich mich zur neuen Geburt schicken und mich dahinein ergeben, wenn ich nicht weiß, wie oder wo oder womit?
3.5. Ist doch die Welt mit Büchern und Reden vom Fall und der neuen Wiedergeburt bereits angefüllt. Aber in den Büchern der Theologen ist meistens nur die (geschichtlich-überlieferte) Historie beschrieben, daß es einmal geschehen war, und daß wir in Christus wieder neugeboren werden sollen. Was verstehe ich dann davon? Nichts als die Historie, daß es einmal geschehen war und wieder geschehe und geschehen soll.
3.6. Unsere Theologen stemmen sich mit Händen und Füßen dagegen, ja, mit ihrem ganzen Vermögen, mit Verfolgung und Schmähen, daß man nicht im tiefen Grund forschen soll, was Gott sei. Man soll nicht in der Gottheit grübeln und forschen. Soll ich nun deutsch (ehrlich) davon reden, was ist es dann? Kot und Unrat ist es, damit man den Teufel verdeckt und die infizierte Bosheit des Teufels im Menschen zudeckt, so daß man beides, den Teufel, den Zorn Gottes und die unartige und böse Bestie im Menschen nicht erkenne.
3.7. Das ist es eben: Der Teufel riecht den Braten, und darum wehrt er sich, damit sein Reich nicht erkannt werde und er Großfürst bleibe, denn sonst würde der Mensch vor ihm fliehen. Wo ist ihm aber die Abwehr nötiger, als an der Lücke, wo der Feind eindringen könnte? So verdeckt er der Theologen Herz, Sinn und Gemüt, und führt sie in überheblichen Stolz, Geiz und Unzucht, so daß sie sich selber vor dem Licht Gottes entsetzen, fürchten und erschrecken. Und darum verdecken sie es, denn sie sind nackt (und fürchten ihre Entblößung) und mißgönnen auch dem Sehenden das Licht. Das heißt, dem Teufel recht hofiert (schmeichlerisch gedient zu haben).
3.8. Denn es kommt eine Zeit, da die Morgenröte des Tages anbricht und die bösartige Bestie (unser inneres Tierwesen), das unartige Kind, bloß und in großer Schande stehen soll. Dann beginnt die Verurteilung der Hure des großen Tieres. Darum wacht auf, ihr Kinder Gottes, und flieht, damit ihr nicht mit dem Malzeichen des großen und bösen Tieres an eurer Stirn vor das helle Licht kommt. Sonst werdet ihr damit große Schande und Spott haben. Deshalb ist es nunmehr Zeit, vom Schlaf aufzuwachen, denn der Bräutigam rüstet sich, seine Braut zu holen. Er kommt dann mit einem hellscheinenden Licht, und wer genug Öl in seiner Lampe hat, dessen Lampe wird angezündet werden, und er wird Gast sein. Die aber kein Öl haben, deren Lampen werden finster bleiben, und sie schlafen und behalten das Malzeichen des Tieres, bis die Sonne aufgeht. Dann werden sie grauenhaft erschrecken und in ewiger Schande stehen, denn das Urteil wird vollstreckt. Die Kinder Gottes werden es erkennen, aber die Schlafenden schlafen bis zum Tag (des Gerichts).
3.9. Die Geburt der ewigen Natur geschieht ähnlich, wie im Menschen die Sinne geboren werden, wenn sich ein Sinn für etwas gebiert und dann immer weiter ausbreitet, oder wie sich die Wurzel eines Baumes gebiert und dann der Stamm und viel Zweige und Äste daraus wachsen, wie auch von der einen Wurzel viele Wurzeln für viele weitere Zweige und Äste, und doch kommt alles von der ersten Wurzel her. So erkennt auch, wie zuvor erklärt wurde: Weil die Natur in sechserlei Gestaltungsqualitäten steht, so gebiert nun eine jede Qualität wieder aus sich selbst eine Qualität nach ihrer Art, aber diese hat dann die Art aller Qualitäten in sich.
3.10. Erkenne es recht: Jede grundlegende Qualität unter den sechsen gebiert nur einen Quell nach Ihresgleichen, dem jeweiligen Quellgeist entsprechend, und nicht nur nach der ersten Mutter der Herbigkeit, gleichwie ein Ast am Baum aus sich einen anderen Zweig gebiert. Denn in jedem Quellgeist ist nur ein Zentrum, darin der Feuerquell aufsteigt, und aus dem Feuerblitz das Licht, doch in jedem Quell sind die grundlegenden sechserlei Qualitäten (anwesend).
3.11. Erkenne auch die Tiefe im folgenden Gleichnis: Der herbe Quell im Ursprung ist wie eine Mutter, von der die anderen fünf Quellen (und Qualitäten) geboren sind, nämlich Bitterkeit, Feuer, Wasser, Liebe und Ton. Nun sind sie Glieder in ihrer Geburt, und ohne diese wäre sie auch selbst nichts, als ein ängstliches und finsteres Tal, weil es keine Beweglichkeit gäbe, auch kein Licht oder Leben. Weil aber das Leben durch Entzündung des Lichtes (des Bewußtseins) in ihr geboren ist, so erfreut sie sich in ihrer eigenen Qualität und arbeitet in ihrer eigenen herben Qualität wieder zur Geburt, so daß in ihrer eigenen Qualität wieder ein Leben entsteht, in dem sich dann wieder ein Zentrum aufschließt. Und so wird das Leben wieder mit sechserlei Qualität aus ihr (neu) geboren, aber nun nicht mehr in solcher Ängstlichkeit wie im Ursprung, sondern in großer Freude.
3.12. Denn der Quell der großen Ängstlichkeit, der im Ursprung vor dem (göttlichen) Licht in der Herbigkeit war, daraus der bittere Stachel geboren wurde, ist nun aus dem Wassergeist im sanften Quell der Liebe im Licht verwandelt, und so ist aus der Bitterkeit und dem Stachel nun der Quell und das Aufsteigen der Freude im Licht geworden. Damit ist der Feuerblitz nunmehr der Vater des Lichtes, und das Licht scheint in ihm und ist nun die einzige Ursache der bewegenden Geburt. Und die Liebe-Geburt, die im Ursprung der ängstliche Quell war, ist nun „Sul“ (Seele) und das Öl, der freundliche Quell, der durch alle Quellen dringt, daran oder daraus sich das Licht entzündet.
3.13. Und der Ton oder Schall im drehenden Rad ist nun in allen Quellen der Verkünder oder Ansager, daß das liebe Kind geboren sei. Denn er kommt mit seinem Schall vor alle Türen und in alle Wesen, so daß sich in seinem Aufwecken alle Kräfte regen und im Licht einander sehen, fühlen, hören, riechen und schmecken. Die ganze Geburt wähnt sich zwar in der herben Essenz als in ihrer ersten Mutter, weil sie aber nun so dünn (geistig), demütig, süß (selig) und freudenreich geworden ist, so steht die ganze Geburt in großer Freude, Liebe, Demut und Sanftmut, und ist nur noch ein reines Liebekosten, Freundlichsein, Wohlriechen, Gernhören und Sanftfühlen, über das keine Zunge reden oder sprechen kann. Wie könnte da nicht Freude und Liebe sein, wo mitten im Tod das ewige Leben geboren wird, in dem keine Furcht vor einem Ende ist noch sein kann?!
3.14. So entsteht in der Herbigkeit wieder eine neue Geburt, das heißt, in dieser Geburt ist die Herbigkeit die Erste. Und weil das Feuer nicht nach dem bitteren Stachel oder vom Aufgang der Ängstlichkeit entzündet wird, ist nun die erhebende Freude das Zentrum und die Anzündung des Lichts, und die Herbigkeit hat nun in ihrer eigenen Qualität das „Sul“ (Seele bzw. Wesen), Öl und Licht des Vaters. Darum wird die Geburt aus dem Ast des ersten Baumes nun ganz nach diesem herben Quell qualifiziert, und das Feuer darin ist ein herbes Feuer, und die Bitterkeit darin eine herbe Bitterkeit, und der Ton ein herber Ton, und die Liebe eine herbe Liebe, aber alles in reiner Vollkommenheit und in gar herzlicher Liebe und Freude.
3.15. Und so gebiert auch der erste bittere Stachel oder die erste Bitterkeit (nachdem nun das göttliche Licht angezündet und die erste Geburt in Vollkommenheit steht) wieder aus seiner eigenen Qualität eine Essenz, darin ein Zentrum ist, wo auch ein neuer Quell in einem Feuer oder Leben mit der Art und Eigenschaft aller Qualitäten aufgeht. Und doch ist in diesem neuen Ausgang auch die Bitterkeit in allen Gestalten das Erste, als eine bittere Bitterkeit, eine bittere Herbigkeit, ein bitterer Wassergeist, ein bitterer Ton, ein bitteres Feuer, eine bittere Liebe, aber alles vollkommen im Aufsteigen großer Freude.
3.16. Und das Feuer gebiert nun auch ein Feuer nach der Eigenschaft aller Qualitäten, im herben Geiste ist es herb, im bitteren bitter, in der Liebe ist es ein gar inbrünstiges Anzünden der Liebe, ein hitziges Anzünden und macht gar treffliche Begierde, im Ton ist es ein hellklingendes Feuer, darin Alles gar hell und eigentlich (klar und deutlich) entschieden wird, weil der Ton in allen Qualitäten alles wie mündlich oder sprachlich darstellt, was in allen Quellgeistern ist, was für Freude, Kraft, Wesen und Eigenschaft. Und im Wasser ist es ein trockenes Feuer.
3.17. Vor allem erkenne auch von der Liebe-Ausbreitung: Das ist der allersanfteste und holdseligste Quell. Wenn die Liebe-Geburt wieder eine ganzheitliche Geburt mit allen Quellen der ursprünglichsten Essenzen (bzw. Qualitäten) aus sich gebiert, so daß in dieser neuen Geburt in allen Quellen die Liebe die Erste ist und ein entsprechendes Zentrum aufgeht, dann wird die erste Essenz (bzw. Qualität), nämlich die Herbigkeit, ganz liebenswert, ganz sanft und ganz licht, und dehnt sich zur Speise aller Quellgeister aus, mit herzlicher Liebe nach allen, wie sich eine liebe Mutter zu ihren Kindern verhält.
3.18. Sogar die Bitterkeit wird hier eine wahre Freude genannt, denn sie ist das Aufsteigen und Bewegen. Was allhier für Freude sei, dazu gibt es kein Gleichnis, als würde ein Mensch urplötzlich aus der Höllenqual erlöst und ins göttliche Freudenlicht versetzt.
3.19. So wirkt auch der Ton, wo die Liebe die Erste ist: Er bringt gar freudenreiche Botschaft in alle Gestalten (bzw. Qualitäten) der Geburt. Denn das Feuer in der Liebe, wie oben erklärt, zündet die Liebe in allen Quellgeistern wahrhaft an. Und diese Liebe in ihrer eigenen Essenz (Qualität) der Liebe, wenn die wahre Liebe in der Liebe die Erste ist, das ist der allersanftmütigste, demütigste und holdseligste Quell, der in allen Quellen aufgeht und die himmlische Geburt konfirmiert und bestätigt, daß es ein heiliges und göttliches Wesen sei.
3.20. So ist nun auch des Wassergeistes Qualität zu verstehen, wenn er Seinesgleichen gebiert, so daß er in seiner Wiedergeburt der Erste ist und ein Zentrum in sich erweckt wird, welches er doch nicht nur in seiner eigenen Essenz (Qualität) tut, sondern vor allem die anderen Quellgeister in ihm. Er hält nur still wie eine sanfte Mutter und läßt die anderen ihren Samen in sich säen und das Zentrum erwecken, so daß das Feuer aufgeht, davon das Leben rege (und lebendig) wird. In diesem Wassergeist ist das Feuer kein hitziges und brennendes Feuer, sondern kühl, gelind, sanft und süß, und die Bitterkeit ist auch nicht bitter, sondern kühl, gelind und treibend oder quellend, davon die Bildung in der himmlischen Herrlichkeit aufgeht, die nun ein sichtbares Wesen wird. Denn auch der Ton geht in dieser Geburt ganz sanft aus, alles gleichsam (einfach) erfaßbar oder begreifbar, sozusagen wie ein Wort, das zu einer Substanz oder einem begreifbaren Wesen wird. Denn in dieser Wiedergeburt, die im Wassergeist geschieht (das heißt, in der wahren Mutter der Wiedergeburt aller Quellgeister), wird alles gleich wie begreifbar oder substantiell, obwohl man darunter nichts materiell Begreifbares verstehen soll, sondern Geist.
(Überblick zu den sieben gestaltenden Qualitäten der Natur:)
Die sieben Qualitäten oder geistigen Gestaltungen | ||
| Geistige Entwicklung | Körperliche Entstehung |
1. | Herb / Anziehend | Schwefel / Seele, Urnatur |
2. | Bitter-Stachel | Quecksilber / Bewegung |
3. | Feuer / Angst | Salz / Körperlichkeit |
4. | Wasser | Feuer / Licht |
5. | Liebe-Feuer | Luft / Wind |
6. | Ton / Schall | Wasser / Leben |
7. | Vervielfältigung | Erde / Paradies |