Aurora oder Morgenröte im Aufgang

(Text von Jacob Böhme von 1612, deutsche Überarbeitung 2021)

17. Kapitel - Die verdorbene Natur

Vom kläglichen und elenden Zustand der verdorbenen Natur und vom Ursprung der vier Elemente anstatt der heiligen Regierung Gottes

17.1. Obwohl Gott ein ewiger und allmächtiger Regent ist, dem niemand widerstehen kann, so hat doch nun die Natur in ihrer Anzündung ein sehr wunderliches Regiment bekommen, welches vor den Zeiten des Zorns nicht gewesen war.

17.2. Denn die sechs Quellgeister haben den siebenten Naturgeist vor den Zeiten des Zorns im Reich dieser Welt ganz sanft und lieblich geboren, gleichwie jetzt im Himmel geschieht, und so war nirgends ein Funke des Zorns darin aufgegangen.

17.3. Dazu war alles ganz licht darin gewesen, und es war kein anderes Licht darin nötig, sondern der Quellbrunnen des Herzens Gottes hat alles erleuchtet und war ein Licht in allem, das überall unauflöslich und unaufhaltbar schien, denn die Natur war ganz dünn (feinstofflich bzw. geistig) gewesen und alles stand nur in der Kraft und war eine ganz liebliche (und harmonische) Ausgeglichenheit.

17.4. Sobald aber der Streit mit den stolzen Teufeln in der Natur begonnen hatte, da bekam im siebenten Naturgeist im Reich Luzifers, das der Ort dieser Welt ist, alles eine andere Gestaltung und Wirkung.

17.5. Denn die Natur bekam einen zweifachen (und gegensätzlichen) Quell, und damit wurde die äußerliche Geburt in der Natur im Zornfeuer angezündet, welches Feuer man nun den „Zorn Gottes“ oder die „brennende Hölle“ nennt.

17.6. Dazu braucht man nun den allerinnersten Sinn (bzw. die ganzheitliche Vernunft) zum Verstand, denn nur dort, wo das Licht im Herzen geboren wird, kann man dies begreifen. Der äußerliche Mensch begreift es nicht. Siehe, als Luzifer mit seinem Heer das Zornfeuer in der Natur Gottes erweckte, so daß sich Gott in der Natur im Reich Luzifers erzürnte, da bekam die äußerliche Geburt in der Natur eine andere Qualität, nämlich ganz grimmig, herb, kalt, hitzig, bitter und sauer. Der wallende Geist, welcher zuvor in der Natur fein sanft (harmonisch) qualifiziert hatte, wurde in seiner äußersten Geburt ganz überheblich und schrecklich, welchen man nun wegen seiner Erhebung in der äußerlichen Geburt den Wind oder das Element Luft nennt.

17.7. Denn als sich die sieben Geister in ihrer äußerlichen Geburt anzündeten, gebaren sie einen solchen hart wallenden Geist. Damit wurde auch das süße Wasser, das vor den Zeiten des Zorns ganz dünn und unbegreifbar war, ganz dick und erheblich, und die herbe Qualität wurde ganz scharf und kalt-feurig, denn sie bekam eine strenge Zusammenziehung gleich dem Salz.

17.8. Denn das Salzwasser oder Salz, das noch heute in der Erde gefunden wird, hat seinen Ursprung und seine Herkunft von dieser ersten Anzündung der herben Qualität. Entsprechend haben auch die Steine ihren Anfang und ihre Herkunft davon, wie auch die ganze Erde.

17.9. Denn die herbe Qualität zog nun den Salpeter ganz herb und streng zusammen und vertrocknete ihn. Davon ist die bittere Erde entstanden. Die Steine aber sind aus dem Salpeter geworden, der diesmal in der Kraft des Tones stand.

17.10. Denn wie die Natur mit ihrem Wirken, Ringen und Aufsteigen der Geburt in der Zeit des Anzündens stand, entsprechend hat sich auch eine Materie zusammengezogen.

17.11. Nun fragt es sich: „Wie konnte denn ein begreiflicher Sohn aus der unbegreiflichen Mutter werden?“ Dessen hast du ein Gleichnis, wie die Erde und die Steine aus der Unbegreiflichkeit geworden sind.

17.12. Siehe, die Tiefe (des Luftraumes) zwischen Himmel und Erde ist auch unbegreiflich. Und doch gebären die Qualitäten der Elemente zu manchen Zeiten ein lebendiges und begreifliches Fleisch darin, wie Heuschrecken, Fliegen und Würmer.

17.13. Das machen die strengen Zusammenziehungen der Qualitäten, daraus sich der zusammengezogene Salpeter alsbald das Leben gebiert. Denn wenn die Hitze die herbe Qualität anzündet, dann geht das Leben auf, denn die bittere Qualität bewegt sich, welche des Lebens Ursprung ist.

17.14. In gleicher Gestaltung haben auch die Erde und die Steine ihre Herkunft. Denn als sich der Salpeter in der Natur anzündete, da wurde alles ganz rauh, dick und finster wie ein dicker und finsterer Nebel, den die herbe Qualität mit ihrer Kälte vertrocknete.

17.15. Weil aber das (göttlich-geistige) Licht in der äußerlichen Geburt verlosch, so wurde die Hitze in der Begreiflichkeit gefangen und konnte ihr Leben nicht mehr gebären. Dadurch kam der Tod in die Natur, so daß sich die Natur oder die verdorbene Erde nicht mehr helfen konnte. Und darauf mußte nun eine andere Schöpfung des Lichtes erfolgen, sonst wäre die Erde ein ewiger unauflöslicher Tod, denn nun gebiert sie ihre Frucht in der Kraft und Anzündung des erschaffenen (natürlich-körperlichen) Lichtes.

17.16. Nun könnte einer fragen: „Wie hat es dann eine Gestalt mit dieser zweifachen Geburt bekommen? War dann Gott in der Anzündung des Zornfeuers im Reich dieser Welt erloschen, daß also nichts als nur ein Zornfeuer ist? Oder ist aus dem einigen Gott ein zweifacher Gott geworden?“ Antwort: Dies kannst du nicht besser begreifen oder verstehen als an deinem eigenen Leib. Der ist durch den ersten (Sünden-) Fall Adams mit aller Geburt, Geschicklichkeit und Willen ein solches Haus geworden, wie auch das Reich dieser Welt geworden ist.

17.17. Erstlich hast du das tierische Fleisch, das durch den Lust-Biß (in den Apfel der Versuchung) so geworden ist, denn es ist ein Haus der Verderbnis.

17.18. Als Adam aus dem verdorbenen Salpeter der Erde gemacht wurde, das heißt, aus der Masse oder dem Samen, den der Schöpfer aus der verdorbenen Erde zog, da war er zuerst kein solches Fleisch, sonst wäre ja sein Leib sterblich erschaffen worden, sondern er hatte einen englischen Kraftleib, in dem er ewig bestehen und von englischen Früchten essen sollte, die ihm dann auch im Paradies vor seinem Fall wuchsen, bevor der Herr die Erde verfluchte.

17.19. Weil aber die Masse oder der Samen, daraus Adam gemacht wurde, mit der verdorbenen Sucht des Teufels schon etwas infiziert war, so lüsterte Adam nach seiner Mutter, das heißt, von der Frucht der verdorbenen Erde zu essen, die da in ihrer äußerlichen Begreiflichkeit bösartig und im Zornfeuer so hart begreifbar geworden war.

17.20. Weil aber Adams Geist nach der Frucht lüsterte, die wie die verdorbene Erde war, so bildete ihm die Natur auch einen solchen Baum zusammen, der wie die verdorbene Erde war. Denn Adam war das Herz in der Natur, und darum half auch sein Seelengeist, diesen Baum zu bilden, von dem er gern essen wollte.

17.21. Als dann der Teufel sah, daß diese Lust in Adam war, da stach er getrost auf den Salpeter in Adam und infizierte den Salpeter, daraus Adam gemacht war, noch mehr.

17.22. So war es nun Zeit, daß ihm der Schöpfer ein Weib schuf, die danach die Sünde ins Werk richtete und von der falschen Frucht aß. Denn wenn Adam von diesem Baum gegessen hätte, bevor das Weib aus ihm gemacht war, dann wäre es noch übler zugegangen.

17.23. Weil dieses Thema aber einer gar hohen und tiefen Beschreibung bedarf, dazu viel Raum gehört, so suche es im Kapitel zum Fall von Adam, da wirst du es ausführlich beschrieben finden. Und ich wende mich jetzt dem vorgenommenen Gleichnis zu.

17.24. Als nun Adam von der Frucht aß, die da böse und gut war, da bekam er auch bald einen solchen Leib. Denn die Frucht war verderblich und begreifbar, wie noch heute alle Früchte auf Erden sind. Und einen solchen fleischlichen und begreifbaren Leib bekamen dann auch Adam und Eva.

17.25. Nun ist aber das Fleisch nicht der ganze Mensch, denn dieses Fleisch kann die Gottheit nicht ergreifen oder begreifen, sonst wäre das Fleisch nicht sterblich und verweslich. Denn Christus sagt: »Der Geist ist das Leben, das Fleisch ist nichts nütze. (Joh. 6.63)«

17.26. Denn dieses Fleisch kann das Himmelreich nicht erben, sondern es ist nur ein Samen, der in die Erde gesät wird, daraus wieder ein unbegreiflicher Leib wachsen wird, wie der erste vor dem Fall war. Aber das ewige Leben ist der Geist, der mit Gott inqualiert und die innerliche Gottheit in der Natur begreift.

17.27. Wie nun der Mensch in seinem äußerlichen Menschen verdorben wurde und nach seiner fleischlichen Geburt im Zorn Gottes steht und dazu auch ein Feind Gottes ist, aber doch nur ein einziger Mensch ist und nicht zwei (dagegen ist er in seiner geistigen Geburt ein Kind und Erbe Gottes, der mit Gott herrscht und lebt und mit der innersten Geburt Gottes inqualiert), so (gegensätzlich körperlich-geistig) ist nun auch das Reich dieser Welt geworden.

17.28. Die äußerliche Begreiflichkeit in der ganzen Natur dieser Welt und aller Dinge, die darin sind, stehen alle im Zornfeuer Gottes. Denn so ist es durch die Anzündung der Natur geworden, und Herr Luzifer mit seinen Engeln hat bis heute seine Wohnung in dieser äußerlichen Geburt, die im Zornfeuer steht.

17.29. Nun ist aber auch die Gottheit von der äußerlichen Geburt nicht abgetrennt, so daß es in dieser Welt zwei getrennte Dinge wären, sonst hätte der Mensch keine Hoffnung, und diese Welt stünde auch nicht in der Kraft und Liebe Gottes.

17.30. Sondern die Gottheit ist in der äußerlichen Geburt verborgen und hat die Wurfschaufel in der Hand (mit der man die Spreu vom Getreide trennt). So wird sie einmal die Spreu und den angezündeten Salpeter auf einen Haufen werfen und ihre innerliche Geburt daraus entziehen, um solches Herrn Luzifer und seinem Anhang zu einem ewigen Haus zu geben.

17.31. Unterdessen muß Herr Luzifer in der äußerlichen Geburt, in der Natur dieser Welt, im angezündeten Zornfeuer gefangenliegen. Und darin hat er große Gewalt und kann mit seinem Seelengeist allen Kreaturen in der äußerlichen Geburt, die im Zornfeuer steht, ins Herz greifen.

17.32. Darum muß die Seele des Menschen stets mit dem Teufel kämpfen und streiten, denn er hält ihr stets die Sau-Äpfel des Paradieses vor. Da soll sie anbeißen, damit er sie auch in sein Gefängnis bringen kann.

17.33. Wenn ihm aber das nicht gelingen kann, dann gibt er ihr manch harten Kopfstoß, und so muß dieser Mensch in dieser Welt immer im Kreuz und Elend stecken. Denn er verdeckt das edle Senfkörnlein, so daß sich der Mensch selbst nicht mehr kennt. So meint dann die Welt, man werde von Gott so geplagt und zerschlagen, und auf diese Weise ist das Reich des Teufels immer verborgen blieben.

17.34. Aber warte, Fritz, du hast auch mir manchen Stoß gegeben. Doch ich habe dich kennengelernt und will dir hier deine Tür ein wenig aufschließen, damit auch ein anderer sehe, wer du bist.


Zurück Inhaltsverzeichnis Weiter