Aurora oder Morgenröte im Aufgang

(Text von Jacob Böhme von 1612, deutsche Überarbeitung 2021)

9. Kapitel - Die fünfte Qualität der göttlichen Liebe

Von der holdseligen, freundlichen und barmherzigen Liebe Gottes: Das große himmlische und göttliche Geheimnis.

9.1. Wenn ich hier von himmlischen und göttlichen Dingen schreibe, die der verdorbenen Natur des Menschen ganz fremd sind, dann könnte sich der Leser an der Einfalt des Autors zweifellos verwundern oder ärgern, weil der Trieb der verdorbenen Natur nur auf das (weltlich) Hohe sieht, wie eine stolze, wilde, geile und hurenhafte Frau, die sich in ihrer Brunst immer nach schönen Männern umsieht, um mit diesen zu buhlen.

9.2. Und solcherart ist die überheblich stolze und verdorbene Natur des Menschen auch. Sie sieht nur, was vor der Welt glänzt und prangt, und vermeint, Gott habe den Elenden vergessen, und darum plagt er sich so. Sie denkt, der Heilige Geist sehe nur auf das Hohe, auf die Kunst dieser Welt, auf das große und tiefe Studium (der Gelehrten).

9.3. Wenn es auch jetzt so erscheint, dann siehe nur zurück, und du wirst den Grund finden: Wer war Abel? Ein Schäfer. Wer waren Henoch und Noah? Einfältige Leute. Wer waren Abraham, Isaak und Jakob? Sie waren Viehhirten. Wer war Moses, der teure Mann Gottes? Ein Viehhirte. Wer war David, als ihn des Herrn Mund berief? Ein Schäfer. Waren die Propheten groß oder klein? Sie waren gemeine und geringe Leutlein, zum Teil nur Bauern und Hirten, die der Welt Fußabtreter waren. Man hielt sie nur für Narren. Und wenn sie auch Wunder und Zeichen taten, so sah doch die Welt nur auf das Hohe, und der Heilige Geist mußte ihnen als Fußschemel dienen, denn der stolze Teufel wollte immer und überall ein König in dieser Welt sein.

9.4. Doch wie kam unser König Jesus Christus in diese Welt? Arm und in großem Kummer und Elend, und er hatte nichts, wo er sein Haupt hinlegen konnte. (Matth. 8.20)

9.5. Wer waren seine Apostel? Arme, verachtete und ungelehrte Fischerknechte. Wer glaubte ihren Predigten? Das arme, geringe Völklein. Aber die Hohen und Schriftgelehrten waren Christi Henkersknechte, die da riefen: „Kreuzigt, kreuzigt ihn!“ (Luk. 23.21)

9.6. Wer stand immer und überall in der Kirche Christi am treuesten? Das arme und verachtete Völklein, das um Christi willen sein Blut vergossen hat. Wer hat die wahre und reine christliche Lehre verfälscht und immer und überall angefochten? Die Schriftgelehrten, Päpste, Kardinäle, Bischöfe und großen Hansen. Warum folgte ihnen die Welt? Darum, weil sie ein großes Ansehen hatten und vor der Welt glänzten. So eine stolze Hure ist die verdorbene menschliche Natur.

9.7. Wer hat des Papstes Geldsucht, Abgötterei, Finanzen und Betrug in Deutschland aus der Kirche gefegt? Ein armer und verachteter Mönch. Durch wessen Macht oder Kraft? Durch die Macht Gottes des Vaters, und durch die Kraft Gottes des Heiligen Geistes.

9.8. Was ist noch verborgen? Die wahre Lehre Christi? Nein, sondern die Philosophie und der tiefe Grund Gottes, die himmlische Wonne, die Offenbarung der Schöpfung der Engel, die Offenbarung des greulichen Falls des Teufels, von dem das Böse kommt, die Schöpfung dieser Welt, der tiefe Grund und das Geheimnis des Menschen und aller Kreaturen in dieser Welt, das Jüngste Gericht und die Veränderung dieser Welt, sowie das Geheimnis der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens.

9.9. Dieses wird in der Tiefe in großer Einfalt aufgehen. Warum nicht in der Höhe der (weltlichen) Kunst? Damit sich niemand rühmen kann, daß er es getan habe, denn nur so kann der überhebliche Stolz des Teufels aufgedeckt und zunichte gemacht werden. Warum tut Gott das? Aus seiner großen Liebe und Barmherzigkeit über alle Völker, um hiermit anzuzeigen, daß nunmehr die Zeit der Wiederbringung für das gekommen sei, was verloren war, damit die Menschen die Vollkommenheit schauen, genießen und in der reichen, lichten und tiefen Erkenntnis Gottes wallen können.

9.10. Dafür wird zuvor eine Morgenröte aufgehen, damit man den Tag erwählen und erkennen kann. Wer nun schlafen will (und die Nacht erwählt), der schlafe immerfort, und wer da wachen will und seine Lampe schmücken, der wache immerfort. Siehe, der Bräutigam kommt! Wer nun wacht und geschmückt ist, der geht mit zur ewigen himmlischen Hochzeit ein. Wer aber schläft, wenn er kommt, der schläft immer und ewig im finsteren Kerker der Grimmigkeit.

9.11. Darum will ich den Leser treulich gewarnt haben, daß er dieses Buch mit Fleiß lese und sich nicht an der Einfalt des Autors ärgere. Denn Gott sieht nicht auf das Hohe, denn er allein ist hoch, sondern er sieht, wie er dem Niedrigen helfe. Wird es mit dir soweit kommen, daß du des Autors Geist und Sinn ergreifst, dann wird es keiner Ermahnung mehr bedürfen, sondern du wirst dich in diesem Licht erfreuen und fröhlich sein, und deine Seele wird darin lachen und triumphieren.

9.12. Nun erkenne: Die holdselige Liebe, welche der fünfte Quellgeist in der göttlichen Kraft ist, ist der verborgene Quell, den das körperliche Wesen nicht begreifen oder umfassen kann, wenn er nicht im Körper aufgeht. Dann triumphiert der Körper darin und gebiert sich freundlich und lieblich. Denn dieser Quellgeist gehört nicht zur Bildung eines Körpers, sondern geht im Körper auf, wie eine Blume aus der Erde, aber nimmt anfänglich seinen Ursprung aus der süßen Qualität des Wassers.

9.13. Verstehe dies, wie es ist, und erkenne hier das Wesen: Zuerst ist die herbe Qualität, dann die süße, und danach die bittere. Die süße ist zwischen der herben und der bitteren mittendrin. Nun macht die herbe immer hart, kalt und finster, und die bittere reißt, treibt, wütet und zertrennt. Und diese beiden Qualitäten reiben und treiben sich so hart miteinander und wallen so streng, daß sie die Hitze gebären. Aber diese ist in den beiden Qualitäten zunächst so finster, wie die Hitze in einem Stein.

9.14. Wenn man einen Stein nimmt oder sonst etwas Hartes und reibt es auf Holz, dann erhitzen sich die beiden Dinge. Doch diese Hitze ist nur eine Finsternis, denn darin ist kein Licht. So ist es auch in der göttlichen Kraft. Dann reiben und treiben sich die herbe und bittere Qualität ohne das süße Wasser so sehr, daß sie die finstere Hitze gebären und in sich entzünden.

9.15. Und das ist nun zusammen der Zorn Gottes, der Quell und Ursprung des höllischen Feuers, wie bei Luzifer zu sehen ist. Der erhob sich und preßte sich mit seinen Legionen so hart zusammen, daß das süße Quellwasser in ihm vertrocknete, darin sich das (göttliche) Licht anzündet und die Liebe aufsteigt. Darum ist er nun ewig ein herber, harter, kalter, bitterer, hitziger und sauerstinkender Quellbrunn, denn als die süße Qualität in ihm vertrocknete, wurde es ein finsterer saurer Gestank und ein Jammertal, ein Haus der Verderbnis und des Elends.

9.16. Nun weiter in der Tiefe: Wenn sich nun die herbe und bittere Qualität so hart miteinander reiben, daß sie die Hitze gebären, dann ist die süße Qualität, das süße Quellwasser, zwischen der herben und bitteren mittendrin, und die Hitze wird zwischen der herben und bitteren Qualität im süßen Quellwasser geboren, nämlich durch die herbe und bittere Qualität.

9.17. Hier zündet sich das Licht in der Hitze im süßen Quellwasser an, und das ist der Anfang des (bewußten) Lebens. Denn die herbe und bittere Qualität sind der Anfang und eine Ursache der Hitze und des Lichtes. So wird das süße Quellwasser ein scheinendes Licht, gleich dem blauen lichten Himmel.

9.18. Und dieses lichte Quellwasser zündet die herbe und bittere Qualität sowie die Hitze an, die von der herben und bitteren Qualität im süßen Wasser geboren wird und durch die bittere und herbe Qualität aus dem süßen Quellwasser aufsteigt. Denn in der bitteren und herben Qualität wird das Licht erst trocken und scheinend, dazu beweglich und triumphierend.

9.19. Und wenn dann das Licht aus dem süßen Quellwasser in der Hitze in der bitteren und herben Qualität aufgeht, dann schmecken die bittere und herbe Qualität das lichte und süße Wasser. Und die bittere Qualität fängt den Geschmack des süßen Wassers ein, und im süßen Wasser ist das Licht, aber nur in himmelblauer Farbe.

9.20. Dann zittert die bittere Qualität und zertreibt die Härtigkeit in der herben, und das Licht trocknet sich in der herben und scheint hell, viel lichter als der Glanz der Sonne. In diesem Aufsteigen wird die herbe Qualität sanft, licht, dünn und lieblich und bekommt ihr Leben, dessen Ursprung aus der Hitze im süßen Wasser aufsteigt. Das ist nun der wahre Brunnquell der Liebe.

9.21. Erkenne dies im tiefen Sinn: Wie könnte da nicht Liebe und Freude sein, wo mitten im Tod das Leben geboren wird, und mitten in der Finsternis das Licht? Fragst du: „Wie geschieht das?“ Ja, wenn mein Geist in deinem Herzen säße und in deinem Herzen aufquellen würde, dann könnte es auch dein Leib empfinden und begreifen. Aber anders kann ich es nicht in deinen Sinn bringen. Du kannst es auch nicht begreifen oder verstehen, es sei denn, der Heilige Geist zündet deine Seele an (und erleuchtet sie), so daß dieses Licht selbst in deinem Herzen scheint. Dann wird dieses Licht in dir selbst geboren, wie ein Gott, und steigt in deiner herben und bitteren Qualität in deinem süßen Wasser auf und triumphiert wie in Gott. Wenn dies nun geschieht, dann wirst du erst mein Buch verstehen, und nicht eher.

9.22. Erkenne: Wenn das Licht in der bitteren Qualität geboren wird, das heißt, wenn das bittere und trockene Quellen das süße Quellwasser des Lebens empfängt und es trinkt, dann wird der bittere Geist im herben Geist lebendig, und der herbe Geist ist nun wie ein schwangerer Geist, der vom Leben schwanger ist und das Leben immerfort gebären muß. Denn das süße Wasser und das Licht im süßen Wasser steigen nun immerfort in der herben Qualität auf. Und die bittere Qualität triumphiert nun immerfort darin, und das ist nichts anderes, als nur Lachen, Freude und ein Liebhaben.

9.23. Denn die herbe Qualität liebt das süße Wasser vor allem darum, weil im süßen Wasser der Geist des Lichtes geboren wird und weil das süße Wasser die herbe, harte und kalte Qualität tränkt, wärmt und erleuchtet, denn im Wasser, in der Hitze und im Licht steht das Leben.

9.24. Ferner hat die herbe Qualität die bittere darum lieb, weil die bittere im süßen Wasser, das heißt, in Wasser, Hitze und Licht, in der herben triumphiert und die herbe beweglich macht, darin die herbe auch triumphieren kann.

9.25. Schließlich hat die herbe Qualität die Hitze auch darum lieb, weil in der Hitze das Licht geboren wird, durch das die herbe Qualität erleuchtet und gewärmt wird.

9.26. Entsprechend hat auch die süße Qualität die herbe lieb, weil sie die herbe trocknet, so daß sie nicht dünn wie das elementische Wasser wird, und weil ihre Qualität in der Kraft besteht, und weil in der herben Qualität das Licht, das in ihr geboren wird, scheinend und trocken wird. Dazu ist die herbe Qualität eine Ursache der Hitze, die im süßen Wasser geboren wird, in der das Licht aufgeht, so daß das süße Wasser in großer Klarheit steht.

9.27. Zum Zweiten hat die süße Qualität auch die bittere lieb, weil sie ebenfalls eine Ursache der Hitze ist, und vor allem darum, weil der bittere Geist im süßen Wasser durch die Hitze und das Licht triumphiert und zittert und die süße Qualität beweglich und lebendig macht.

9.28. Zum Dritten hat die süße Qualität auch die Hitze besonders lieb, und zwar so lieb, daß ich es mit nichts vergleichen kann: Nimm dir ein Gleichnis, welches aber noch viel zu schwach ist, an zwei jungen Menschen von edler Komplexion, wenn sich diese in Liebesbrunst aneinander erhitzen, dann entsteht ein ähnliches Feuer. Könnten sie sich dann gegenseitig in den Leib kriechen oder sich in einen Leib verwandeln, sie täten es. Aber die irdische Liebe ist nur wie kaltes Wasser und kein wahres Feuer. Man kann wirklich kein passendes Gleichnis in dieser halbtoten Welt finden, als nur die Auferstehung der Toten am Jüngsten Tag. Nur das ist ein vollkommenes Gleichnis für das wahre Liebe-Empfangen in allen göttlichen Dingen.

9.29. Darum hat die süße Qualität die Hitze so lieb, weil sie in ihr den lichten Geist gebiert, der hier der Geist des Lebens ist. Denn das Leben entsteht in der Hitze, denn wenn die Hitze nicht wäre, dann wäre alles ein finsteres Tal. Und so lieb, wie das Lebens ist, so lieb ist dem süßen Geist auch die Hitze und in der Hitze das Licht.

9.30. Entsprechend liebt auch die bittere Qualität alle anderen Quellgeister, vor allem die süße Qualität, denn im süßen Wasser wird der bittere Geist gelabt, und er löscht darin seinen großen Durst, seine Bitterkeit wird darin besänftigt, und er bekommt darin sein Licht-Leben. Und in der herben Qualität hat er (der bittere Geist) seinen Leib, in dem er triumphiert und sich kühlt und besänftigt. Und in der Hitze hat er seine Kraft und Stärke, in denen seine Freude besteht.

9.31. Und auch die hitzige Qualität hat alle anderen Qualitäten lieb, und ihre Liebe für und in den anderen ist auch so groß, daß man es nicht vergleichen kann, denn sie wird von den anderen geboren. Die herben und bitteren Qualitäten sind der Vater der Hitze, und das süße Quellwasser ist ihre Mutter, die sie empfängt und gebiert. Denn durch das harte Treiben der herben und bitteren Qualität entsteht die Hitze, die dann in der süßen Qualität wie in einem Holz aufgeht.

9.32. Willst du das nicht glauben, dann öffne deine Augen und geh zu einem Baum, sieh ihn an und besinne dich. Dann siehst du erstlich den ganzen Baum. Nun nimm ein Messer, schneide hinein und koste wie er ist. Dann schmeckst du zuerst die herbe Qualität, die dir die Zunge zusammenzieht. Dieselbe hält und zieht auch alle Kräfte des Baumes zusammen. Dann schmeckst du die bittere Qualität, die den Baum beweglich macht, so daß er wächst, grünt und seine Äste, Laub und Frucht bekommt. Danach schmeckst du die Süße, die ganz sanft und scharf ist, denn von der herben und bitteren Qualität bekommt sie die Schärfe.

9.33. Nun wären diese Qualitäten finster und tot, wenn die Hitze nicht darin wäre. Denn sobald der Frühling kommt, so daß die Sonne mit ihren Strahlen die Erde erreicht und erwärmt, dann wird in der Hitze der Geist im Baum lebendig, und die Geister des Baumes beginnen, zu grünen, zu wachsen und zu blühen. Denn der Geist geht in der Hitze auf, und alle Geister freuen sich darin und leben darin, und eine herzliche Liebe ist zwischen ihnen. Die Hitze aber wird durch Kraft und Antrieb der herben und bitteren Qualität im süßen Wasser geboren. Doch sie müssen die Hitze der Sonne zur Anzündung gebrauchen, weil die Qualitäten in dieser Welt halbtot und zu ohnmächtig sind, wofür König Luzifer eine Ursache ist, was du bei seinem Fall und bei der Schöpfung dieser Welt (im entsprechenden Kapitel) noch finden wirst.

Von der freundlichen Liebe, Holdseligkeit und Einigkeit dieser fünf Quellgeister Gottes

9.34. Obwohl es für Menschenhände unmöglich ist, dies ausreichend zu beschreiben, so sieht es doch der erleuchtete Geist des Menschen, denn er geht auch in solcher Form und Geburt auf, wie das Licht der göttlichen Kraft, und sogar in den denselben Qualitäten, die in Gott sind.

9.35. Allein das ist beim Menschen zu beklagen, daß seine Qualitäten verdorben und halbtot sind, weshalb auch des Menschen Geist oder sein Quellen, Aufsteigen und Anzünden in dieser Welt zu keiner Vollkommenheit kommen kann.

9.36. Deshalb ist es eine höchste Freude, wenn des Menschen Geist in seiner Notdürftigkeit vom Heiligen Geist erleuchtet und angezündet wird, gleichwie die Sonne die erkaltete Hitze in einem Baum oder Kraut anzündet, so daß die erkaltete Hitze wieder lebendig wird.

9.37. Nun erkenne: Gleichwie sich die Glieder des Menschen untereinander lieben, so lieben sich auch die Geister in der göttlichen Kraft. Und da ist nichts als nur ein Sehnen, Begehren und Erfüllen, so daß einer im anderen triumphiert und sich erfreut. Denn durch diese Geister kommt der Verstand und Unterschied in Gott sowie in den Engeln, Menschen, Tieren und Vögeln und in allem, was da lebt, denn in diesen fünf Qualitäten geht das Sehen, (Hören,) Riechen, Schmecken und Fühlen auf und wird ein verständiger (und denkender) Geist.

9.38. Wenn dieses Licht (des Bewußtseins) aufgeht, dann sieht ein Geist den anderen. Und wenn das süße Quellwasser in diesem Licht durch alle Geister geht, dann schmeckt einer den anderen. Dann werden die Geister lebendig, und die Kraft des Lebens durchdringt alles. Und in dieser Kraft riecht einer den anderen, und durch dieses Quellen und Durchdringen fühlt einer den anderen, und es ist nichts als ein herzliches Lieben und freundliches Sehen, Wohlriechen, Wohlschmecken und Liebefühlen, ein holdseliges Küssen, voneinander Essen, Trinken und Liebe-Spazieren.

9.39. Das ist die holdselige Braut, die sich an ihrem Bräutigam erfreut, in dem Liebe, Freude und Wonne ist. Da ist Licht und Klarheit, da ist lieblicher Geruch, da ist ein freundlicher und süßer Geschmack. Ach, und ewig ohne Ende! Wie kann sich eine himmlische Kreatur genügsam darin erfreuen! Ach, Liebe und Holdseligkeit! Hast du doch kein Ende, sieht man doch kein Ende an dir, denn deine Tiefe ist unerforschlich. So bist du überall, nur in den grimmigen Teufeln nicht, denn die haben dich in sich selber verdorben.

9.40. Fragst du nun: „Wo sind denn diese holdseligen Geister zu finden? Wohnen sie nur in sich selbst im Himmel?“ Antwort: Das ist die andere offene Pforte der Gottheit. Hier kannst du deine Augen weit auftun und den Geist in deinem halbtoten Herzen erwecken, denn es ist kein Dünkel, keine Dichtung oder Phantasie.

9.41. Erkenne: Diese sieben Geister Gottes umfassen in ihrem Kreis oder Raum den Himmel und diese Welt sowie die Weite und Tiefe außerhalb und über dem Himmel, über der Welt, unter der Welt und in der Welt, ja den ganzen Vater, der weder Anfang noch Ende hat. Sie umfassen auch alle Kreaturen im Himmel und in dieser Welt. Und alle Kreaturen im Himmel und in dieser Welt sind aus diesen Geistern gebildet und leben darin wie in ihrem Eigentum. Und ihr Leben und ihr Verstand werden auf eine solche Weise in ihnen geboren, wie auch das göttliche Wesen geboren wird und sogar in derselben Kraft. Und aus diesem Körper der sieben Geister Gottes sind alle Dinge gemacht und hergekommen, alle Engel, alle Teufel, der Himmel, die Erde, die Sterne, Elemente, Menschen, Tiere, Vögel, Fische, Würmer, das Holz und die Bäume, dazu auch die Steine, das Kraut und Gras und alles, was da ist.

9.42. Nun fragst du vielleicht: „Wenn Gott überall ist und selbst alles ist, wie kommt es dann, daß in dieser Welt solche Kälte und Hitze ist, daß sich die Kreaturen beißen und schlagen, und so viel Grimmigkeit in dieser Welt erscheint?“ Siehe das ist die Ursache der Bosheit: Als König Luzifer in seinem Reich wie eine stolze hochmütige Braut saß, da ergriff sein Kreis (der Quellgeister) das Reich, wo jetzt der erschaffene Himmel ist, der aus dem Wasser gemacht wurde, und auch das Reich der erschaffenen Welt bis zum Himmel, sowie die Tiefe (des Raumes), wo jetzt die Erde ist. Das war alles zuvor ein reiner und heiliger Salpeter, wo die sieben Geister Gottes vollkommen und lieblich waren wie jetzt im Himmel, obwohl sie in dieser Welt immer noch vollkommen sind. Aber erkenne die Umstände richtig:

9.43. Als sich König Luzifer erhob, da erhob er sich in den sieben Quellgeistern und zündete dieselben mit seiner (überheblichen) Erhebung an, so daß alles ganz brennend (und „leidenschaftlich“) wurde. Die herbe Qualität wurde so hart, daß sie Steine gebar, und so kalt, daß sie das süße Quellwasser zu Eis machte. Und das süße Quellwasser wurde ganz dick und stinkend, und die bittere Qualität wurde ganz wütend, reißend und tobend, dadurch das Gift entstand. Und das Feuer oder die Hitze wurde ganz eifrig, brennend und verzehrend, und es war eine ganz bösartige Verwirrung oder Vermischung.

9.44. In diese ist nun König Luzifer von seinem königlichen Thron in seinem Reich gestoßen worden, den er dort hatte, wo jetzt der erschaffene Himmel ist. Und bald darauf folgte die Schöpfung dieser Welt, und hier wurde die harte und derbe Materie, die sich in den angezündeten sieben Quellgeistern bewirkt hatte, zusammengetrieben. Dadurch ist die steinige Erde entstanden, und danach wurden alle anderen Kreaturen aus dem angezündeten Salpeter der sieben Geister Gottes geschaffen.

9.45. So sind nun die Quellgeister so grimmig in ihrer Anzündung geworden, daß einer den anderen mit seinem bösartigen Quell immerfort verdirbt. Und entsprechend geht es nun auch den Kreaturen, die aus den Quellgeistern gemacht wurden und im gleichen Trieb leben, so daß sich nach der Art der Qualitäten alles beißt, stößt und neidet.

9.46. Dazu hat nun der ganzheitliche Gott das Jüngste Gericht beschlossen. Dann will er das Böse vom Guten scheiden (bzw. „entscheiden“) und das Gute wieder in die sanfte und liebliche Wonne setzen, wie es vor der greulichen Anzündung der Teufel war, und das Grimmige will er König Luzifer zu einer ewigen Behausung geben. So werden aus diesem Reich zwei Teile: Das eine bekommen die Menschen mit ihrem König Jesus Christus, und das andere die Teufel mit allen gottlosen Menschen und der Bosheit.

9.47. Dies war also eine kurze Anleitung, damit der Leser das göttliche Geheimnis besser verstehen kann. Im Kapitel zum Fall des Teufels und zur Schöpfung dieser Welt wirst du alles noch ausführlicher und wesentlicher beschrieben finden. Deswegen will ich den Leser ermahnt haben, daß er alles in seiner Ordnung lese, dann wird er auf den wahren Grund kommen.

9.48. Es ist zwar von Anbeginn der Welt keinem Menschen so ganz offenbart worden, doch weil es Gott so haben will, laß ich seinen Willen walten, und will zusehen, was Gott hiermit tun will. Denn seine Wege, die er für sich geht, sind mir meistenteils verborgen, aber hinterher sieht ihn der Geist bis in die höchste Tiefe.


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